Textdaten
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Autor: O. R.
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Titel: Görgey’s Geiger
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 761–763
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Görgey’s Geiger.

Als im letzten großen Acte der ungarischen Revolution die Armee sich zu einer Hauptmasse unter Görgey vereinte, als Alles, was nur eine Waffe tragen konnte, vom Edelmann bis zum Pferdehirten, zur Einreihung heraneilte, da stand eines Nachmittags in einem hohen Zimmer zu Hewas ein junger Mann in sichtlichem Kampfe mit sich selbst am Fenster. Eine schlanke, echt aristokratische Gestalt bezeichnete den Sohn aus „guter“ Familie, die hohe, breite Stirn und das blitzende Auge deuteten auf Intelligenz und Thatkraft, während die rosigen Backen und die völlig bartlose Lippe von kaum 17 Lebensjahren erzählten. Wenige Stunden entfernt schlug man sich, das wußte er; noch näher stand ein Theil von den Reserven der Revolutions-Armee, sein eigener Bruder war bei einem der Corps, und er sollte daheim bleiben, sollte das Stück Weltgeschichte an sich vorüberrollen sehen, ohne mitwirken, ohne dem innern Drange den Zügel schießen lassen zu dürfen – er war der jüngste männliche Sproß der Familie, und er wenigstens sollte als letzte Stütze der Mutter den Kriegsgefahren fern bleiben. Mit einem Laute des Unmunthes trat er vom Fenster zurück, einen raschen Gang durch das Zimmer machend, bis sein Auge eine nachlässig hingeworfene Violine neben einem aufgeschlagenen Notenhefte traf und er nach ihr, wie nach einem Mittel zur Befriedigung seiner Aufregung, griff. Er setzte das Instrument an das Kinn und begann einen Sturm von Accordengängen, als sollten die Saiten herunterfliegen und der Bogen brechen; in glänzenden Octaven und Decimen, in rasenden Läufern und Sprüngen schien er seine eigene Kraft erschöpfen zu wollen, und erst als er hörbar ermattete, ging er in ein klares, geordnetes Spiel voll mächtigen, tiefen Ausdrucks über; jeder seiner Töne aber hätte in den Salons der Kaiserstadt einen Sturm von Applaus hervorrufen, hätte den peinlichsten Kritiker zur Bewunderung dieser vollendeten Meisterschaft hinreißen müssen – und doch hatte dieser junge Mensch, den seine Familie wie seine weitere Umgebung einfach „Eduard“ rief, kaum zwei oder drei Concerte bei gelegentlichen Besuchen in Wien gehört und spielte versteckt im tiefen Ungarn seine Geige zu Niemandes Lust und Befriedigung, als seiner eigenen. „So aber,“ erzählte er selbst in spätern Tagen, als ihn das Schicksal in die weite Welt geschleudert, „sitzt mancher Liszt und mancher Vieuxtemps in Ungarn auf seinem Gute, von denen Niemand etwas weiß, als Gott und seine nächste Umgebung.“

Schon seit seinem vierten Jahre war eine Geige seine höchste Lust gewesen; von einem Diener hatte er die Anfangsgründe erlernt und hatte dann ohne jede Notenkenntniß für sich gespielt und das Gehörte nachgeahmt, bis in seinem zehnten Jahre ein Verwandter bei zufälliger Anwesenheit in Eduard’s Elternhause voll Erstaunen dieses eminente Talent bemerkt und ihm von Wien einen Lehrer zugesandt hatte. Nach zwei Jahren aber schon hatte dieser, unfähig dem aufstrebenden jungen Violin-Riesen mehr zu lehren, das Haus wieder verlassen, und von dieser Zeit an bildeten nur die Schöpfungen der ersten Geigen-Größen den Leitfaden für des jungen Virtuosen fernere, den größten Theil seiner Zeit ausfüllende Studien. Erst als der nationale Kampf der ungarischen Bevölkerung seine ganze Jugendbegeisterung weckte, fühlte er, daß neben der Musik noch etwas Großes für ihn bestehen könne; der Widerstand, welchen er gegen die thätige Theilnahme an der Bewegung fand, entflammte ihn noch mehr, und als er jetzt seinen Zorn unter den Klängen seiner langjährigen Vertrauten durchgearbeitet, war der feste, klare Entschluß in ihm zur Geltung gekommen, alle Hemmnisse, welche ihm die Familienrücksichten auferlegten, von sich zu werfen und zuerst dem Vaterlande sein Recht zu geben.

Am Nachmittag sattelte er sein Pferd zu einem Spazierritte – kam aber nicht wieder, und einige zurückgelassene flüchtige Zeilen benachrichtigten die bestürzte Mutter, daß er sich dem ersten Husaren-Regimente, auf welches er treffen werde, anzuschließen gedenke. Es war ihr Letzter, und in der Angst ihres Herzens sandte sie eine dringende Botschaft in das Hauptquartier des Obergenerals, welchem sie durch gesellschaftliche Beziehungen in früherer Zeit nahe gebracht worden war. Daß sie ihn dem Dienste des Vaterlandes bei der allgemeinen Begeisterung nicht wieder zu entreißen im Stande war, wußte sie; aber er sollte wenigstens geschont – und ihr erhalten werden.

Eduard war bereits seit drei Tagen eingereiht; statt des lustigen Einhauens aber, von welchem er geträumt, sah er sich weit im Rücken der Armee unter den Rekruten, deren Exercitien seiner Ungeduld eine schwere Aufgabe stellten; da bekam er eines Morgens Befehl, sich mit einer angekommenen Ordonnanz zum Obergeneral zu begeben. Erstaunt und ohne eine Erklärung von dem Ueberbringer der Depesche erhalten zu können, legte er mit diesem die mehrstündige Entfernung zurück und trat endlich in der ganzen Keckheit der Jugend, glücklich, sich in der Nähe des Feldherrn zu wissen, in das mit Officieren gefüllte Zelt des Letzteren. Heitere Laune schien unter den Anwesenden zu herrschen, nur kaum war er gemeldet, als er auch schon vor Görgey’s durchdringendes Auge geführt wurde.

Ein strenger Blick des Obergenerals überflog ihn. „Sie sind aus Ihrem mütterlichen Hause desertirt, Herr!“ redete er ihn an.

„Es wäre in der jetzigen Zeit wohl eher eine Desertion zu nennen gewesen, wenn ich geblieben wäre, General!“ war die unerschrockene Entgegnung.

„Hm, nicht übel! Indessen haben wir wohl zweckmäßigere Fäuste zum Dreinschlagen, als die Ihren, und können Sie viel leicht anders verwenden. Was ist bis jetzt Ihr hauptsächlichstes Studium gewesen?“

„Violinspiel, General!“

Ein halblautes Lachen erhob sich unter den Umstehenden, und selbst Görgey’s Lippen zuckten unter einem halben Spott. „Ich [762] liebe die Musik leidenschaftlich,“ erwiderte er, „indessen wird die Geige in unseren jetzigen Verhältnissen uns kaum viel helfen können. Was spielen Sie denn?“

„Ich kann eine Schlacht spielen!“ rief der junge Mann, während seine Augen aufflammten und sein Gesicht sich röthete.

„Eine Schlacht? der Teufel!“ war des Generals gut gelaunte Antwort. „Nun, wir haben heute Ruhe und können schon einmal Allotria treiben; wir werden Ihre Schlacht hören. Schaffen Sie von irgendwo eine Violine herbei!“ wandte er sich an seinen Adjutanten.

„Ich spiele nicht auf jeder Zigeunerfiedel!“ entgegnete der junge Virtuose beleidigt, „in zwei Stunden könnte mein eigenes Instrument hier sein!“

Der General, sichtlich amüsirt, nickte und gab die nöthigen Orders. „In zwei Stunden also“, sagte er dann, „bis dahin werden Ihnen die Herren hier zu einer Erfrischung helfen, die nach Ihren Rekrutentagen Ihnen vielleicht willkommen sein wird!“ –

Kaum mehr als die festgesetzte Zeit war verstrichen, als Eduard aus dem Kreise der ihm zugewiesenen Officiere wieder zu dem Feldherrn beschieden ward; er sah den glänzenden Kasten, der seine geliebte Vertraute barg, und mit Hast folgte er Görgey’s Winke zum Oeffnen, das Instrument einer sorgfältigen Prüfung unterwerfend. Neugierig hatte sich Alles, was Eingang zu dem Zelte erhalten konnte, in einem dichten Kreise um ihn her gesammelt. Und in der vollen Begeisterung, welche in diesem Augenblicke in seiner Seele auffluthete, begann er. – Was er damals gespielt, wußte er in späteren Tagen nicht mehr; aber es mußte groß und erhaben gewesen sein, denn eine Todtenstille herrschte um ihn, als er geschlossen; mit einem tiefen Athemzuge aber erhob sich Görgey und legte die Feldherrnhand auf die Schulter des jungen Rekruten. „Ich hatte Unrecht, Ihre Geige zu belächeln, junger Mann,“ sagte er; „David bannte nur die bösen Geister, Sie aber wären mit Ihrem Spiele wohl noch mehr im Stande: Muth, Energie und Vertrauen selbst in hoffnungslosen Lagen zurückzuzaubern. Ihre Mutter hat Recht: es wäre schade um Sie im gewöhnlichen Dienste; die Säbelführung macht eine schlechte Bogenführung und der Zügel steife Finger –“

„Aber, General, ich mag nicht wieder nach Hause?“ unterbrach ihn der Angeredete im Dränge einer aufsteigenden Besorgnis;.

„Sollen es auch nicht, Herr, sollen aber aus dem Bivouac hinweg und an meiner Seite bleiben; sollen – mein David werten, wenn vielleicht einmal Zeiten kommen, die zu schwer für eines Mannes Seelenkraft zu werden drohen – davon aber versteht ihr jungen Weltenstürmer nichts! – Er bleibt in meiner Adjutantur“, wandte sich der Sprechende an einen der älteren Officiere, „nehmen Sie ihn vorläufig unter Ihre Flügel und unterrichten Sie ihn von dem Nöthigsten; ich denke, wir Alle werden durch ihn manchen genußreichen Abend haben!“ –

Von diesem Tage an blieb Eduard, zum ritterlichen Husarenofficier umgewandelt, in der unmittelbaren Nähe des Generals, der sich für ihn wie für ein anvertrautes theures Pfand besorgt zeigte. Wo keine Gefahr vorhanden war, wurde er zu leichten Adjudantendiensten verwandt; sobald aber das Feuern begann, mußte er nach der Bagage zurück. „Sie haben sich für mehr aufzuheben, Herr, als wie jeder unsrer Hirtenjungen zu Kanonenfutter zu dienen!“ erwiderte der General auf seine Klagen über die Unthätigkeit, zu welcher er verdammt sei; „an Ihrer Geige kann noch einmal eine Entscheidung hängen!“ und das mußte ihm genügen; wo sich aber ein ruhiger Abend bot, da war auch Eduard der Held desselben, und seine Klänge ließen oft, wenn sie in ein nationales Lied übergingen, die Umgebung des Generals im Enthusiasmus alle Schranken des Rangunterschiedes vergessen. Damals war es, wo die Berichte aus dem ungarischen Lager oft einer für den Zeitungsleser mysteriösen Person erwähnten und von „Görgey’s Geiger“ sprachen.

Immer aber ließ sich das junge feurige Herz nicht durch die vorgestellte Wichtigkeit seines ruhigen Berufs bändigen und hätte in seinem Eifer, sich nützlich zu machen, einmal fast ein Unglück herbeigeführt.

Ein Gefecht, das mit jeder Viertelstunde größere Dimensionen annahm, hatte sich entsponnen und die Außenlinien der ungarischen Armee ziemlich unvorbereitet überrascht. Görgey selbst hatte sich nach dem Orte des „Engagements“ begeben, und Eduard, zitternd vor Begierde, endlich einmal einem Gefechte beizuwohnen, hatte eine halbe Stunde nach dem Abgang des Generals sein Pferd bestiegen und sprengte lustig den Schüssen zu. Da sieht er einen kleinen Trupp Husaren, von einem Unterofficier geführt, in scharfem Trabe sich entgegen kommen, und sofort schießt ihm die Erinnerung an einzelne kürzlich vorgekommene Desertionen durch den Kopf. „Das sind Deserteure!“ klingt's in ihm; im Nu ist der jungfräuliche Säbel aus der Scheide, und mit einem donnernden „Halt!“ parirt er sein Pferd vor den Herankommenden. Die reiche Officiers-Uniform übt ihren Einfluß auf die Husaren, und der Führer meldet, daß sie zur Herbeischaffung von Munition abgesandt worden seien. „Munition! kaum daß die ersten Schüsse gefallen sind!“ lacht der junge Adjutant. „Deserteure seit ihr, und mich betrügt ihr nicht. Kehrt! und den Ersten, der eine andere Bewegung macht, haue ich nieder!“

Der Unterofficier remonstrirt, fügt sich aber endlich bei der Erklärung, daß Eduard jede Verantwortung auf sich nehmen will, und trabt mit feinem Detachement, von dem „Geiger“ gefolgt, zurück, welcher letztere seinen Fang direct auf den Obergeneral zu treibt. „Sieben von mir eingebrachte Deserteure!“ meldet er strahlend dem verwundert aufschauenden Feldherrn; kaum hat dieser aber einen Blick auf das Detachement geworfen und eine Erklärung des Führers erhalten, als er auch zornig auffährt: „Mensch, reitet Sie denn der Teufel? Wenn wir in 30 Minuten keine Munition haben, müssen wir weichen!“

Ein Wink von ihm sendet die Husaren auf’s Neue davon, Eduard aber muß seinen Säbel abgeben und wird unter Begleitung zurückgebracht. –

Als Görgey später „seinen David“ zum Bannen der Geister des Verraths am nöthigsten gehabt hätte, war dieser nicht mehr in seiner unmittelbaren Nähe. Die Gründe, welche ihn dem General entfremdet, hat er nie berührt, und wir finden ihn, als die ungarische Armee das Gewehr gestreckt, als Flüchtling wieder, nachdem die Häupter der Revolutionspartei und auch sein Bruder glücklich der blutigen Hand des Oesterreichers entkommen waren. Er hatte bei seiner Mutter, die im Confiscationswege von Haus und Hof getrieben worden war, als letzte Stütze geweilt, bis er ihr ein Unterkommen verschafft und er die Häscher schon auf seinen Fersen fühlte.

Einen Morgens sah er, nachdem er sich unter Elend, Noth und Gefahr durchgeschlagen, mit innerlichem Jauchzen Hamburg vor sich. Ein alter Rock, ein zerrissenes Beinkleid und ein Paar mit Bindfaden zusammengehaltene Schuhe waren Alles, was er auf dem Leibe trug. Alle übrigen Habseligkeiten halte er zur Fristung des Lebens verkaufen müssen und das letzte, mehrere Wochen getragene Hemd im Ekel von sich geworfen. Hamburg war zum Rendezvous der versprengten Flüchtlinge bestimmt, und schon seine erste Frage nach Leidensgefährten brachte ihn in die Arme einer Anzahl Geretteter. Die Hamburger Bürgerschaft hatte groß gegen die Märtyrer der Freiheit gehandelt; für jeden neu Ankommenden war Hülfe und Unterstützung bereit, wie sie nur die regste Sympathie mit den Unglücklichen geben konnte; und so fand sich auch Eduard rasch in das Haus eines dortigen Kaufmanns[1] einquartiert, der den Vorzug sich fast zu einer Ehre rechnete, mit Allem, was der äußere und innere Mensch des Flüchtlings bedurfte, rasch bei der Hand war und ihn bald in die behaglichste Lage, welche nur die Verhältnisse gewähren konnten, versetzte. Als aber die nothwendigste Aussprache mit den Schicksalsgenossen vorüber war, begann Eduard mit einer wahren Bitterkeit den Verlust seiner Geige zu fühlen; noch dachte er, von der wohlwollendsten Gastfreundschaft umgeben, nicht an seine Zukunft; aber er fühlte, daß nach der Zertrümmerung jeder bisherigen Existenz doch kaum etwas Anderes als die Geige seinen ferneren Halt bilden könne. Halb schüchtern erkundigt er sich, ob es nicht irgendwo eine gute Violine zu leihen gäbe, und sein Wirth, der nur eine augenblicklich Laune seines Gastes zu erfüllen glaubt, bringt ihn zu seinem Nachbar, dem Musikdirector.

„O, Sie spielen Violine – recht angenehm!“ sagt dieser höflich und macht ihm vorsorglich ein Instrument zurecht, bestreicht auch den Bogen für ihn sorgfältig mit Colophonium und zieht dann schon im Voraus sein Gesicht in verbindliche Fallen. Eduard lächelt, stimmt zuerst das ganze Instrument einen Viertelton höher und läßt dann, schnell seine Umgebung vergessend, der lange entbehrten [763] Luft freien Lauf; das Instrument ist gut, und wie Perlen rollen die Passagen, wie ein Sturm sausen die Arpeggios, wie ein inniges Liebeslied klingt die eingestreute Melodie. Der Musikdirector zieht sich mit immer größer wertenden Augen nach dem Piano wie nach einem Halte zurück; der Kaufmann hat in plötzlicher Ueberraschung den Mund zu schließen vergessen und blickt bald, als dürfe er seinem Urtheile nicht trauen, von dem plötzlich aufgetauchten Künstler nach dem Musikdirektor und von diesem wieder zurück; Eduard aber sagt endlich, als habe er nur einen Probestrich gethan: „Ein recht hübsches Instrument, nur im Tone nicht mächtig genug!“

„Aber, Herr, Sie geigen ja, wie ich in meinem Leben nur irgend etwas gehört habe!“ bricht der Musikdirektor los, „Sie spielen doch nicht etwa Komödie mit uns – wie ist Ihr Name?“

Eduard nennt ihn lächelnd – wer hat wohl in Deutschland bis jetzt seine Meisterschaft gekannt? und der Andere schüttelt wie vor einem Räthsel den Kopf. „Auch von Noten können Sie das?“ fragt er.

„Wir können es ja versuchen!“ ist die Antwort, und der verwunderte Musiker sucht hastig aus seinem Notenpack einige Piècen hervor. „Wählen Sie selbst!“ ruft er. Eduard aber schüttelt nach einem kurzen Einblicke den Kopf. „Haben Sie nicht etwas, das mehr verlangt?“

„Nun denn, hier ist der Paganinische „Carneval“ und die „Hexentänze“!“ ist die Antwort, und mit sichtlicher Spannung wirft sich der Musikdirektor zur Begleitung an das Piano; Eduard aber kennt ja beide Bravourstücke längst auswendig. und kaum wirbeln eine kurze Weile die barocken Gänge über die Saiten, folgen die gewagtesten Sprünge sich in wunderbarer Keckheit und Sicherheit, daß für diese Finger kaum eine Schwierigkeit mehr vorhanden zu sein scheint, als der Musikdirektor wieder aufspringt: „Aber das ist ja kaum möglich – Herr, Sie müssen Concerte geben, Sie haben hunderttausend Mark in den Fingern!“

„Aber erst soll er sich eine Violine suchen, die ihm mächtig genug ist, wie er sagt!“ ruft der entzückte Kaufherr, „heute Abend in meinem Hause, Musikdirektor!“ und damit zieht er den jungen Virtuosen nach der Musikhandlung, ihm auf die Seele bindend, sich das beste Instrument, das er finden kann, auf Rechnung seines Wirths zu nehmen.

In Eduard’s Seele wird es lichter Sonnenschein – wieder, eine gute, eigene Geige! Der Instrumentenhändler bringt Violinen „der besten Gattung“, wie er sagt, aber nach kurzem Anklingen der Saiten legt sie der Wählende bei Seite und fragt nach etwas wirklich Gutem. „Auf meine Rechnung!“ ruft der Kaufherr, den das verwunderte Gesicht des Verkäufers zu amüsiren scheint, „dem Herrn machen Sie kein X für ein U!“

„Er scheint es wirklich zu verstehen,“ sagt der Instrumentenhändler mit einem eigenthümlichen Lächeln und öffnet einen Kasten in einer entfernten Ecke. Zwei unansehnliche Gestelle kommen zum Vorschein, die so wenig auf einen Verkauf gerechnet zu haben scheinen, daß der Händler sie erst zum Theil besaiten muß. Kaum hat sie der Flüchtling aber angeklungen, als auch seine rege Aufmerksamkeit erwacht, er nach dem Bogen greift und beide einer genauen Prüfung in allen Tonlagen unterwirft. „Darf ich dieses Instrument behalten?“ wendet er sich endlich mit halb zweifelndem Blicke an seinen Gönner, „es wird nicht billig sein!“

„Dummes Zeug, ich habe es Ihnen doch versprochen!“ ist die Antwort. „Was kostet das Ding?“

„Tausend Mark!“ sagt der Instrumentenhändler ruhig, „es ist eine echte Cremoneserin.“

„Tausend – tausend Mark für das Bißchen Holz?“ ruft der Kaufmann sichtlich verblüfft.

„So ist es,“ lächelt der Händler, „der Herr versteht sich auf Instrumente!“ Eduard aber hat den gewonnenen Schatz schon wieder zurückgelegt. „Ich konnte mir denken, daß der Preis zu hoch sein würde, und verlange das Opfer nicht!“ sagt er, und damit scheint auch seines Wirthes Stolz wieder zu erwachen.

„Wenn das Ding soviel werth ist und es Ihnen völlig genügt, so werden mir auch wohl die tausend Mark für mein Versprechen nicht zu viel sein,“ erwiderte er, „sind Sie zufrieden damit?“

„Ich nehme Ihr Geschenk an,“ sagte der junge Virtuose, in überwallender Freude des Mannes Hand ergreifend, „und hoffentlich sollen Sie von der Geige noch mehr zu hören bekommen!“

Wenige Tage darauf ward zur Unterstützung der ungarischen Flüchtlinge ein großes Concert angezeigt, und zum ersten Male lasen deutsche Augen den Namen Eduard Reményi als Sologeiger auf einem Programm. Die Sage von dem aus der Wildniß gekommenen Künstler hatte sich schon in der Stadt verbreitet, die Neugierde, wie die Theilnahme für die Flüchtlinge hatten die Concert-Räume zum Erdrücken gefüllt; alle Erwartungen aber wurden durch das Geniale und echt Vornehme in der Erscheinung Reményi´s wie durch sein die Begeisterung entzündendes Spiel übertroffen; in den nächsten Tagen konnte sich der Gefeierte vor Einladungen nicht retten, und als ein zweites Concert zur Hülfe der Ungarn einen wo möglich noch brillanteren Verlauf genommen, ward dem jungen Künstler von den Damen Hamburgs ein Dutzend „selbstgefertigter“ feinster Spitzenhemden, von seinen männlichen Verehrern aber eine werthvolle goldene Uhr mit Kette und zahlreichen Berloques überreicht. Beide Spenden bewahrte er noch Jahre darauf, als die ersten sichtbaren Errungenschaften seiner Geige auf.

Von dem gesammten auf ihn fallenden Gelderträge aber behielt er nur das nöthige Reisegeld nach England und sandte das Uebrige durch Vermittelung seines Wirths an seine Mutter. – Von London aus, wo er in verschiedenen Concerten einen gleichen Enthusiasmus und pekuniären Gewinn erzielte, ward seiner Mutter eine erneuete Unterstützung, und dann wandte er sich nach den Vereinigten Staaten, Ruhm und Bewunderung auf seinem dortigen Wege vor sich hersendend.

Vor zwei Jahren hörte der Erzähler dieses das Letzte von ihm; damals war er, nach London zurückgekehrt, zum Concertmeister der Königin ernannt worden; die englischen Blätter bezeichneten ihn als einen der ersten jetzt lebenden Violin-Virtuosen; in seiner nächsten Umgebung aber war er nur bekannt als „Görgey’s Geiger“.

O. R.



  1. Die Namen der einzelnen Hamburger Persönlichkeiten sind aus leicht erklärlichen Gründen absichtlich übergangen.