Freund Sepp
[484] Freund Sepp. (Zu dem Bilde S. 477.) Wohl haben Alter und Armut dem alten Mann die kräftige Statur etwas zu beugen vermocht, aber mit gemütlichem Behagen blickt er in die Welt. Doch nicht in der Freiheit der Berge, wie es seine Tracht glauben macht, sondern mitten im Großstadtleben Berlins hat sich der Alte da vor uns die behagliche Lebensstimmung, die seine Züge beseelt, errungen und erhalten. Der Maler Leo Arndt hat in diesem Bilde die Erscheinung und das Wesen eines Berliner „Modells“ wiedergegeben, das bis zu seinem vor einiger Zeit erfolgten Tode sich in der Berliner Künstlerwelt besonderer Beliebtheit erfreut hat. Das Urbild des „Freund Sepp“ hatte einst bessere Tage gesehen; der Mann war in jüngeren Jahren ein wohlbegüterter Gasthofsbesitzer gewesen. Widrige Umstände hatten ihn um sein Vermögen gebracht; das Interesse, das sein prächtiger Charakterkopf bei Malern erregte, führte ihn später dazu, seinen Lebensunterhalt sich durch Modellstehen zu verdienen. Immer war er guter Laune, die Last seiner Jahre – er zählte deren 84 als unser Bild entstand – schien ihn nie zu drücken. Die Gewohnheit, als Modell etwas anderes, oft auch Besseres vorzustellen als er selber war, hatte in seinem Innern offenbar die Neigung entwickelt, auch sein eigenes Los in einem verklärenden Lichte zu schauen.