Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Freuden der Mikroskopie
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aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Freuden der Mikroskopie.

Verschiedene Mittheilungen in den Berliner Zeitungen über das neue Engell’sche Schul- und Salon-Mikroskop und die neueste Sammlung mikroskopischer Präparate von Kalk-, Kiesel- und Chitin-Gebilden der niederen Seethiere hatten vor einiger Zeit lebhaftes Interesse erregt. Es ging daraus hervor, daß das neue Mikroskop ebenso populär wie das Stereoskop

Seewalze. (Synapta)

werden müsse, ja dasselbe noch übertreffen werde, da es namentlich zu Schul- und Unterrichtszwecken benutzt werden könne. Wir kamen bald in den Besitz des Instruments und der neuen Präparaten-Sammlung, und hier erschloß sich uns ein solcher Reichthum von uns bisher unbekannten zierlichen Gebilden und wunderbaren Organismen der niederen Seethiere, daß wir uns veranlaßt sahen, mit einem gründlichen Kenner und Forscher über das Wesen und die Lebensweise jener Thiere in eine ausführlichere Correspondenz zu treten, aus der wir unseren Lesern das Interessanteste in diesen Blättern mittheilen werden.

Das neue Mikroskop, in der Form eines kurzen Fernrohrs, mit breitem Fußgestell, enthält in dem letzteren einen beweglichen sphärischen Spiegel, zur Beleuchtung opaker Gegenstände. Zwischen dem Spiegel und dem innern vorspringenden Rande wird die Glasplatte, welche in der Mitte das mikroskopische Präparat trägt, leicht mittelst einer verborgenen Spiralfeder eingeklemmt. Man schiebt dann das Mikroskoprohr möglichst nahe an die Glasplatte und rückt das Präparat selbst genau über die Mitte der Objektiv-Linse. Dann hält man das Instrument wie ein Opernglas vor das Auge, richtet es gegen das Fenster- oder Lampenlicht, und schiebt oder dreht nun, wie beim Fernglase, das Rohr in die für das Auge passende Stellung, bis das Präparat klar und deutlich hervortritt. Dann kann das Mikroskop in größeren Kreisen von Hand zu Hand gehen, und Jeder von seinem Platze aus an der Besichtigung theilnehmen, während der Vortrag oder die Unterhaltung ungestört ihren Fortgang hat.

Somit wird nun das Mikroskop aus den Zimmern der Gelehrten auch in die Schulen und in die geselligen und Familien-Kreise verpflanzt werden, um so mehr, als schon Kinder von sechs bis acht Jahren sich auf den Gebrauch bald einüben und der Preis der Mikroskope bei der einfacheren Einrichtung bedeutend billiger als bisher gestellt werden kann. Ueberdies kann man das Mikroskop leicht in der Tasche mit sich tragen.

Das neue Instrument ist hauptsächlich zur Besichtigung fertiger mikroskopischer Präparate bestimmt. Soll dasselbe aber nicht nur zur Befriedigung augenblicklicher Neugier, sondern zur wirklichen Aneignung und Verbreitung gründlicher naturhistorischer Kenntnisse dienen, so muß man sich zugleich in den Besitz systematisch und wissenschaftlich geordneter Sammlungen fertiger Präparate setzen.

Bis jetzt ist das mikroskopische Institut von Engell u. Comp. das einzige, welches solche Sammlungen aus allen Classen des Thier- und Pflanzenreiches mit beschreibenden Verzeichnissen und Broschüren zum Verkauf herausgegeben hat.[1]

Die neueste Sammlung von Kalk- und Kiesel-Gebilden niederer Seethiere ist es, die uns hier näher beschäftigen soll. Wir kannten die Polypen, Seesterne, Seewalzen, Bryozoen und ähnliche Thiere früher nur aus Zeichnungen oder in getrockneten und zusammengeschrumpften Exemplaren. Seit einigen Jahren werden uns dieselben lebend in den schönen Aquarien der zoologischen Gärten in Paris und London gezeigt, aber hier, in den mikroskopischen Präparaten tritt uns erst die wunderbare Mannigfaltigkeit von krystallhellen Organismen, von Saugfüßchen und Greifzangen, von Ankern und Rädern, von Sternen und Ornamenten vor das Auge, die uns eine ganz neue Welt von zierlichen und farbigen Gebilden aufschließen. Doch zur Sache.

Erster Brief.
W., den 12. März 1863

Sie wünschen von uns Näheres über die Synapten zu erfahren, welche sich der Anker schon längst vor Erfindung der Schifffahrt bedienten, und über die Chirodoten, welche Tausende von krystallenen Locomotivrädern auf einmal in Bewegung setzen. – Wir ersuchen Sie, uns an das Inselgestade von Varignano in dem Meerbusen von Spezzia zu begleiten. Lagern wir uns dort auf eine der Felsenplatten, die aus dem ruhigen Becken des Meeres hervorragen, dessen sandiger Boden von Algen und Florideen bedeckt ist. Da wimmelt es von Seesternen, Seeigeln und trägen Seewalzen, die langsam tastend ihre Saugfüßchen und Tentaclen ausstrecken. Eine prächtige Seeanemone entfaltet in schimmernder [365] Farbenpracht ihren Kranz von Fühlfäden und läßt uns nicht Zeit auf den Regenwurm zu achten, den alten Bekannten vom Festlande her, der sich mit seiner gemeinen Gestalt unter diese farbenprangenden, beweglichen Gebilde drängt. Aber was ist das? Welche Verwandlung geht mit dem unscheinbaren Wurme vor? Er schwillt an, er wird größer und größer. Ein Kranz von weitverzweigten blattförmigen Fühlern tritt aus dem Mundwerk hervor und bewegt sich tastend hin und her. Er sammelt Nahrung im Sande und führt sie der Mundhöhlung zu. Der dürftige Leib wird ein weiter rosenfarbener Schlauch, durch dessen Haut, wie durch eine feine Gaze, die thätig arbeitenden Eingeweide deutlich durchscheinen. Fünf weiße Muskelstreifen ziehen sich vom Kopf bis zum unteren Ende des Thieres hinab, das bald eine Länge von 1½ Fuß und einen Durchmesser von fast einem Zoll erreicht. Jetzt schnüren sich die Muskelbänder an einer Stelle des Leibes zusammen und dehnen sich wieder aus. So hebt sich das zarte Geschöpf höher und höher und bald wiegt es sich leicht und schwebend im Wasser hin und her. Beugen wir uns leise näher zu ihm nieder. Die glasartig durchscheinende Haut gönnt uns einen Blick in das Innere. Wir sehen Muscheln und Steinchen langsam durch den Verdauungscanal niedergleiten und ihn oft von der verschlungenen Beute knotig anschwellen.

Jetzt nähert sich das Thier den breiten Blättern der Alge und heftet sich plötzlich mit einem Theile des Körpers fest an das Blatt. Nun ist es Zeit es zu fangen. Wir haben Dich, Synapta! Wir strecken unsern Hakenstock aus, wir ziehen das lange bewegliche Blatt langsam zu uns heran, wir heben es dann rasch aus dem Wasser an’s Land. Die Synapta haftet noch fest daran, aber sie schrumpft wieder zu dem unscheinbaren Wurme zusammen, der bei der ersten Entdeckung zwischen Sand und Steinen hervorkroch. Der Fühlerkranz ist eingezogen, der rosenfarbene Schlauch, die weißen Emailstreifen sind verschwunden, aber indem wir das Thier ergreifen und vom Blatte trennen wollen, bleibt uns ein Stück desselben in der Hand, das andere am Blatte zurück, von dem wir es nur mühsam losreißen und die zerstückelte Beute zu unsern andern Schätzen in ein Gefäß mit Seewasser legen, um es daheim mikroskopisch zu untersuchen.

Die nebenstehende Zeichnung der Synapta ist von der kundigen Hand des bekannten Pariser Naturforschers de Quatresages nach dem Leben entworfen, aber das wunderbar zarte, glasartig durchscheinende Geschöpf selbst vom leichten Roth mit seinem vielverzweigten Fühlerkranze bleibt unerreichbar für den Zeichner. – Bringen wir nun ein Stück der Haut des Thieres unter das Mikroskop. Da sehen wir auf einer Fläche von wenigen Linien im Quadrat, für das bloße Auge kaum als staubfeine Punktirungen erkennbar, in regelmäßigen Reihen 30–40 Krystallanker, deren jeder mit einem zierlich gegitterten Gestelle verbunden ist. Wenn wir die Haut auf chemischem Wege auflösen, so bleiben die Kalkkörperchen, welche in der Haut abgelagert sind, die Anker und Gestelle, glashell zurück und zeigen unter dem Mikroskope die Gebilde auf der nebenstehenden Zeichnung. Zunächst ziehen die Anker unsere Aufmerksamkeit auf sich. Die elegante und schöne Form dieser von der Natur auf eine einzelne Synapta zu Tausenden vertheilten Haftorgane übertrifft bei weitem die vom schöpferischen Menschengeiste zu ähnlichen Zwecken, zu Haftwerkzeugen im Meere, erdachten Schiffsanker. Ihr cylindrischer Stab ist nach unten eine Strecke weit leicht angeschwollen, um dann wieder verdünnt in die Handhabe auszugehen. Diese fällt durch ihren convexen gezähnelten Rand auf. Am oberen Ende des Ankers befindet sich stark gekrümmt der Bogen. Sein Außenrand ist oft glatt, oft in der Mitte oder gegen die Spitze hin mit feinen Zacken, vergleichbar den Zähnen einer Säge, besetzt. Man begreift leicht, wie es dem Thiere möglich wird, sich mit Hunderten von diesen Ankern zugleich so fest an einen Gegenstand zu heften, daß auch der stärkste Wellenschlag es nicht loszureißen vermag. Mit dem untern Theile des Stieles, der gezackten Handhabe, greift der Anker in die Löcher des hinteren Theiles der Krystallplatte ein, die wir neben dem Anker gezeichnet sehen. Bei den meisten Arten der Synapten erhebt sich über den hinteren Theil der Gestelle oder Platten ein Bügel, unterhalb dessen der Anker in die Locher eingreift, offenbar dazu bestimmt, den Anker in einer schrägen festen Richtung zu erhalten.

Wir haben bis jetzt neun verschiedene Arten von Synapten untersucht und bei jeder Art anders geformte Anker und Platten gefunden, die bei den größten Arten schon mit bloßem Auge erkennbar sind, weil sie eine Länge von einer Linie erreichen. Die größten Arten leben im indischen Ocean und werden mehrere Fuß lang. Häufig sind zwischen den Ankern viele unregelmäßig, oft sternförmig geformte kleinere Kalkgebilde abgelagert. Noch bei weitem zierlicher und bis in die feinsten Details kunstvoll ausgearbeitet sind die Kalkräder der den Synapten verwandten Chirodota, über die wir uns in einem andern Briefe mit Ihnen unterhalten werden.


  1. Die Herren Schäffer und Budenberg in Buckau bei Magdeburg haben den Generatdebit für die Sammlungen des Instituts von Engell u. Comp. und zugleich das Patent und den alleinigen Debit der Engell’sche Schul- und Salon-Mikroskope.