Französische Fußtritte für deutsche Fürstendienste

Textdaten
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Autor: Jacob Venedey
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Titel: Französische Fußtritte für deutsche Fürstendienste
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 30-32
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Französische Fußtritte für deutsche Fürstendienste.

Jene Tage, als deutsche Fürsten mit dem Blute ihrer in fernen Klimaten für die Sache der Tyrannei geopferten Landessöhne sich Millionen erwarben, stehen obenan auf den schmachbedeckten Blättern unserer deutschen Geschichte. Kaum minder schmachvoll aber sind die Zeiten des Rheinbunds, als, wiederum lediglich in dynastischem und absolutistischem Interesse, deutsche Krieger im Kampfe gegen die eigenen Brüder das Joch des fremden Eroberers auf dem Vaterlande immer schwerer schmieden halfen. Längst hat die Geschichte ihr Urtheil gefällt über diese Periode unserer kläglichsten Erniedrigung, allein um den ganzen Jammer der Rolle kennen zu lehren, welche diese deutschen Hülfstruppen im Heere ihres „Protectors“ spielten, liefern die neuerdings veröffentlichten Aufzeichnungen eines deutschen Soldaten einen wichtigen Beitrag, der um so mehr unsere Beachtung verdient, als die Zeitungen den Lenkern der mittelstaatlichen deutschen Politik die alten Gelüste nach einer Anlehnung an das französische Kaiserthum beimessen und antideutsche Diplomatenhände die anknüpfenden Fäden vielleicht schon zu spinnen begonnen haben. Welches Loos den deutschen Hülfstruppen in der „großen Armee“ gefallen war – welches sie von Neuem erwarten dürfte – das schildert in dem gedachten Buche schlicht und prunklos ein deutscher Fürstensohn, Markgraf Wilhelm von Baden, der als junger Prinz in drei Feldzügen, von 1809 bis 1813, ein solches deutsches Hülfscorps, das badische, befehligte.

Ein wahres Epos, furchtbar in seiner Erhabenheit, entrollen diese einfachen Denkwürdigkeiten. Der Feldzug des badischen Hülfscorps in Rußland läßt Alles hinter sich, was die Weltgeschichte in dieser Art aufzuweisen hat. Der Rückzug Xenophon’s mit seinen Zehntausend Griechen ist dagegen fast eine Idylle; nur die letzten Kämpfe der Nibelungen am Hof des Hunnenkönigs rufen ähnliche Eindrücke hervor, wie die einfache Schilderung des Markgrafen Wilhelm über den Untergang des badischen Hülfscorps im russischen Feldzuge. Unendlich lehrreich für das deutsche Volk aber sind die Einzelnheiten dieser Schilderungen, in so weit sie das Verhältniß der deutschen Hülfstruppen zu den Franzosen in der „großen Armee“ oft in kleinen, aber stets in hellleuchtenden Zügen darstellen.

Der erste Feldzug, den ein badisches Hülfscorps im Heere Napoleon’s mitmachte, war jener des Jahres 1809 in Oesterreich, der zur Schlacht bei Aspern führte und in der Schlacht bei Wagram seinen Schluß fand. Der junge Markgraf Wilhelm, damals noch Graf von Hochberg, wurde dem Marschall Massena als Adjutant zugetheilt. Er war Zeuge des ersten Zusammenstoßes der Franzosen und Oesterreicher gewesen und wurde dann von dem Marschall beauftragt, dem Kaiser die Nachricht der errungenen Vortheile zu überbringen. „Zu dem Ende,“ erzählt Markgraf Wilhelm, „frug mich der Marschall Massena, was ich melden wolle. Ich erwiderte, daß das, was ich mit angesehen, in der Gefangennehmung von ungefähr fünfzig Mann und dem Verlust von nur sehr wenig Leuten bestände. Der Marschall entgegnete hierauf lebhaft, dies dürfe ich dem Kaiser nicht sagen, denn ich würde einen Bericht mitbekommen, in welchem der Verlust der Oesterreicher auf vierhundert Gefangene und eine große Anzahl Todter angegeben sei, wornach ich mich zu richten hätte.“ – Das war die erste Erfahrung, die der junge deutsche Krieger im Gefolge des französischen Marschall auf dem „Felde der Ehre“ zu machen Gelegenheit hatte.

Am 1. Mai 1809 bestand das badische Dragonerregiment, welches die Avantgarde bildete, mit der Arrièregarde des Hiller’schen Corps ein höchst ehrenvolles Gefecht. Unterstützt von würtembergischer Cavalerie, die ein anderer Adjutant Massena’s, Obristlieutenant St. Croix, führte, sprengten die deutschen Reiter das Viereck eines Bataillons vom Regiment Jordis; ein badischer Trompeter erbeutete die Fahne des gesprengten Bataillons. Da sprengte seinerseits der Herr Oberstlieutenant St. Croix herbei, entriß dem Trompeter die Fahne, brachte sie dem Marschall, wurde dafür auf der Stelle zum Obersten ernannt, erhielt einen höhern Orden – und der deutsche Dragonertrompeter konnte sein Trompeterstückchen erzählen, wo er wollte, nur nicht wo der Franzose, der den Lohn bekommen, es hörte. Das war der erste Lorbeer, den die deutschen Truppen hier erworben und den – die Franzosen sich zusprachen.

Wir übergehen den wenn auch vielfach interessanten Verlauf dieses Feldzugs und der ihm folgenden Jahre, um alsbald zu dem erschütternden Gemälde des Kampfes von 1812 zu kommen.

Zum russischen Feldzuge stellte Baden 7666 Mann, zum großen Theile aus Leuten bestehend, die den Feldzug von 1809 mitgemacht hatten. Dazu stieß eine Abtheilung Hessen. Napoleon „ließ dem noch nicht zwanzigjährigen Markgraf Wilhelm eröffnen, daß er ihm das Commando der aufmarschirenden Truppen bestimmt habe.“ Der Anfang der Campagne bestand für die Badenser und Hessen in blutigen Mißhandlungen, die ihnen von der französischen Garde in Stettin (wo sie ebenso wie später in dem ungesunden Danzig viele Wochen den härtesten Garnisondienst leisten mußten) zu Theil wurden. „Graf Laborde,“ erzählt der Markgraf, „bestrafte einige seiner Officiere und Unterofficiere, wobei ich mich um so mehr beruhigte, als ich voraussah, daß alle weiteren Klagen und Reclamationen erfolglos bleiben würden.“

Diese und ähnliche Scenen waren der Prolog zu der furchtbaren Tragödie, die endlich über die deutschen Truppen hereinbrach. Das neunte Corps der großen Armee, welches in Mehrzahl aus den Truppen des Rheinbundes bestand, hatte in Smolensk [31] gestanden, während Napoleon nach Moskau zog. Erst in der zweiten Hälfte des November rückte das neunte Corps der großen Armee nach und gelangte unter blutigen und sehr ehrenvollen Gefechten am 25. November bis Losznitza. „Gegen zwei Uhr Mittags erreichten wir,“ so erzählt der Markgraf, „die große Straße bei Losznitza, wo wir bivouakiren sollten. Nie werde ich diesen Tag vergessen! Schon in der Entfernung mehrerer Stunden von der Moskauer Straße verkündeten die längs derselben in Brand gesteckten Dörfer die Anwesenheit der ‚großen Armee‘, über deren Verfassung sich bisher nur dunkle und unsichere Gerüchte im neunten Corps verbreitet hatten. Niemand ahnte aber ihren wahren Zustand und der Eindruck, welchen derselbe bei unserem Zusammentreffen mit ihr auf uns machte, ließ nichts Gutes erwarten. Die Erinnerung, die ich noch von jenem denkwürdigen Tage habe, besteht in Folgendem. Wir marschirten ruhig unseres Weges, als gemeldet wurde, man sehe in der Entfernung einige Reiter; ich begab mich hierauf zur äußersten Spitze der Avantgarde und überzeugte mich von der Richtigkeit der geschenenen Meldung. Zuerst hielt man die Reiter für Kosaken, bald aber erkannte ich, daß sie zur verbündeten Armee gehörten. Ich ritt nun zu ihnen vor und vernahm, daß einer preußischer Husar, der andere würtembergischer Chevauxlegers sei. Sie ritten auf kleinen russischen Bauernpferden, die man dort zu Lande Konnin nennt. Auf meine Frage, woher sie kämen, sagten sie: ‚Von Moskau!‘ und als ich mich nach der ‚großen Armee‘ erkundigte, erhielt ich zur Antwort, sie marschire zunächst von da auf der großen Straße. Bald hatte ich mich dieser genähert, und nun enthüllle sich vor meinen Augen ein Bild der Auflösung, wie es sich nie aus meinem Gedächtniß verwischen wird.“

Der preußische Husar und der würtembergische Chevauxlegers waren die Vorreiter des zerrissenen Heeres, das sich so stolz noch vor wenigen Wochen die „große Armee“ nannte. Die deutschen Rheinbundtruppen aber, die badischen Bataillone vor allen andern, wurden von diesem Tage an die Arrièregarde der großen Armee, die Retter der Reste, die der sie überall umschwebenden Vernichtung entgingen.

Schon in den nächstfolgenden Tagen, am 28. in der Schlacht an der Berezina, welche geliefert wurde, um den Uebergang über diesen Fluß zu decken, waren es die deutschen, vor Allem die badischen Truppen, welche die gänzliche Vernichtung der aufgelösten großen Armee verhinderten. Den ganzen Tag wehrten sie die Angriffe der Russen ab. Im entscheidenden Augenblicke waren es die badischen Husaren und die hessischen Chevauxlegers, die den Tag entschieden. Nach einem mißlungenen Angriffe der bergischen Brigade rückte eine russische Colonne vor und war im Begriff, die französische Schlachtlinie zu brechen, als die badischen und hessischen Reiter, dreihundert sechsundfunfzig Pferde, zum Angriff gegen dieselbe befehligt wurden. „General Fourrier (der Franzose, der sie commandiren sollte) wurde verwundet, worauf der badische Oberst von Laroche das Commando übernahm. Dieser stürzte sich nun auf die russische Infanterie; nach einem kurzen Gefecht war die feindliche Colonne theils niedergehauen, theils gefangen; fünfhundert Mann des vierunddreißigsten Jägerregiments wurden als Gefangene zurückgebracht. Inzwischen sprengten russische Kuirassiere herbei. Oberst von Laroche warf sich auch diesen mit ungestümem Muthe entgegen, wurde aber schwer verwundet, wobei er zugleich gefangen wurde; Wachtmeister Springer hieb ihn jedoch glücklich heraus und befreite ihn wieder. Das Husarenregiment war bei diesem für dasselbe so ehrenvollen Kampfe fast ganz aufgerieben worden, kaum funfzig Pferde kehrten mit mir über die Berezina zurück; gleiches Loos theilten die braven hessischen Chevauxlegers. Es war eine große Gunst des Schicksals,“ setzt der junge tapfere deutsche Feldherr hinzu, „daß in einem Feldzuge, wo alle Cavalerie durch Mangel und durch Strenge des Klimas einem gewissen Untergange entgegenging, das badische Husarenregiment mit einer ausgezeichneten, durch glänzende Erfolge belohnten Waffenthat vom Schauplatz abtreten und durch eigne Aufopferung die Rettung seiner Waffengefährten erkaufen konnte.“

„Es gelang nun dem Feinde nirgends mehr, vorzudringen. Wir bivouakirten auf dem Schlachtfelde in der nämlichen Stellung, die wir im Beginne des Kampfes eimgemommen; ja die badische Brigade, indem sie sich bis zu dem Gehölz ausdehnte, aus dem sie die Russen zurückgeworfen, hatte sogar Terrain vorwärts gewonnen.“

Der Marschall kam dann auch zu dem Markgrafen, „lobte ungemein das Benehmen unserer Truppen; es seien die einzigen, auf die er sich verlassen könne; er wolle davon dem Kaiser Meldung erstatten, der sicherlich nicht ermangeln werde, uns Zeichen seiner besondern Anerkennung zu geben, denn wir hätten uns um die ,große Armee‘ verdient gemacht. Dennoch,“ setzt der Markgraf hinzu, „erschien später in dem berühmten neunundzwanzigsten Bulletin nicht ein Wort der Anerkennung für die badischen Truppen, – nur (der Franzose) General Fourrier wurde genannt, der, gleich anfangs verwundet, das Schlachtfeld frühe verlassen hatte.“

Achtundzwanzig todte und verwundete Officiere, eintausend einhundert todte und verwundete Soldaten der badischen Brigade bekundeten sicher besser, als alle Belobung Napoleon’s es vermocht hätte, den Muth der deutschen Retter der großen Armee.

Nur mit vieler Noth konnte der Rest der badischen Brigade am andern Morgen die Brücke der Berezina überschreiten, die sie dann zerstören mußte, trotz zehntausend versprengten, vierzig Kanonen, den Wagen der Generäle und selbst der kaiserlichen Kriegscasse, die alle rettungslos verloren waren, nachdem die deutschen Truppen sie nicht mehr vertheidigten.

So lange die Verfolgung durch die russische Armee mit der Flucht der französischen Schritt halten konnte, waren die deutschen und ganz besonders die badischen Truppen stets diejenigen, welche kämpfend Schritt für Schritt das französische Heer decken mußten. Nachdem endlich die Verfolgung der Russen stockte, fielen die Reste des Heeres dem furchtbaren Geschicke anheim, unverfolgt der immer höher steigenden Kälte zu erliegen. Alltäglich, allstündlich, auf Schritt und Tritt, sahen die Flüchtigen die Nachbarn hinsinken, erstarren. „Der 7. December,“ erzählt der Markgraf, „war der schrecklichste Tag meines Lebens. Um drei Uhr Morgens befahl der Marschall den Abmarsch (aus dem Bivouak von Oszmiana); die Kälte war auf das Höchste gestiegen, – als das Signal gegeben werden sollte, war der letzte Tambour erfroren. Ich begab mich nun zu den einzelnen Soldaten und sprach ihnen Muth zu, aufzustehen und sich zu sammeln; allein alle Mühe war vergebens, ich konnte kaum funfzig Mann zusammenbringen; der Rest von zwei- bis dreihundert Mann lag todt oder halb erstarrt am Boden. Mein Jugendfreund, Capitain Heinrich von Stetten, fand hier seinen Untergang; den kranken Oberst von Franken traf ich, in einem halbzerstönen Bauernhause auf dem Boden liegend, der Sprache nicht mehr mächtig, und halb auf ihn hingestreckt lag ein sterbender Würtemberger. Gleiches Schicksal theilten die Lieutenants Hoffmann III., von Lassolaye, Junker von Hammerer und die Chirurgen Klotz und Waldmann, die der Kälte und dem Elend erlagen.“

In Wilna wurden alle Generäle zum Prinzen von Neuchatel berufen; so auch der Markgraf Wilhelm. Hier frug der Prinz von Neuchatel den Markgrafen, was aus seiner Brigade geworden sei? – „eine Frage,“ setzt der Markgraf, der sonst nicht leicht verletzbar schien, hinzu, „eine Frage, die mich tief verletzte, in dem Bewußtsein, daß wir viel länger als alle andern Truppen dem Feinde die Stirn geboten hatten. Ich konnte mich daher nicht enthalten, ihm zu erwidern: ‚Meine Brigade liegt auf der großen Straße von Moskau nach Wilna.‘ Auf diese Antwort entließ mich Berthier sogleich, sichtlich ungehalten.“

Das Benehmen des Marschalls war übrigens nur ein kleiner Wiederschein des Benehmens aller Franzosen gegen die deutschen Hülfstruppen. Während diese auf dem ganzen Rückzuge von der Berezina bis Wilna die Arrieregarde bildeten, die Flucht der Franzosen ermöglichten und dabei tagtäglich Hunderte ihrer Tapfern einbüßten – durfte kein Deutscher an ein von Franzosen angemachtes Feuer, um sich zu erwärmen. „Regimentsarzt Hauer von meinem Regiment, der sich verirrt hatte, mußte für eine solche Erlaubniß sechs Franken zahlen.“[1]

In Marienwerder, das zum Sammelplatz des dritten Corps bestimmt worden war, musterte der Markgraf seine Leute. Diejenige Mannschaft, welche den Feldzug mitgemacht und sich in Marienwerder gesammelt, zählte einhundert fünfundvierzig Köpfe [32] (von 7666). „Sobald unsere angewiesenen Cantonnirungen Groß- und Kleinkrebs, Littschen und Ottotschen bezogen waren, musterte ich meine Brigade, wozu der Raum einer Scheune hinreichte.“

Klingt es nach all diesem nicht wie ein Hohn, bekundet es nicht ein vollkommenes Verkennen des schauerlichen Gottesgerichts, welches über Napoleon und die „große Armee“ gekommen, ein Verkennen der heldenartigen Aufopferung des badischen Armeecorps, wenn der Markgraf Wilhelm die Schilderung dieses Epos mit der Bemerkung schließt: „Auf Aufforderung des Marschalls Victor übergab ich ihm meine Vorschläge zum Orden der Ehrenlegion. Sämmtliche von mir bezeichnete Officiere und Unterofficiere – siebzehn an der Zahl – erhielten diese Auszeichnung unter dem 5. Juni; mir ertheilte der Kaiser das Officierkreuz!“

Mit diesem „rothen Bande“ fesselte der Kaiser den deutschen Fürstensohn noch einmal an seinen halb zertrümmerten Triumphwagen. Für dieses „Officierkreuz“ wurde der Markgraf, so tapfer und so vollkommen vaterlandlos, vom Geschicke verurtheilt, auch den für Napoleon und seine Anhänger so bittern Kelch der Niederlagen und das Elend von 1813 mit bis auf die Neige leeren zu helfen. Zu diesem Feldzuge mußte Baden abermals 7150 Mann stellen.

Badenser mußten am 16. October die Oesterreicher aus Lindenau zurücktreiben helfen, und so den Rückzug für den 18. October offen halten; alle Officiere der vier Compagnieen des Regiments des Markgrafen und zweihundert sechsundvierzig Unterofficiere und Gemeine bedeckten den Kampfplatz. Dem Markgrafen Wilhelm selbst wurde dann das Truppencommando in Leipzig übertragen. Am 17. October vertheidigten Polen unter Dombrowsky den Löhr’schen Garten und das Hallische Thor, bis der Markgraf Befehl erhielt die Polen abzulösen; was in dem Augenblicke geschah, wo die schlesische Armee vor dem Hallischen Thore das Gefecht begann. Dombrowsky umarmte den deutschen General und pries sich glücklich, aus der übeln Lage erlöst zu werden. Die Deutschen waren dafür gut genug, die Polen schon zu gut – in den Augen der französischen Befehlshaber.

Am 19. October mußte der Markgraf mit zwei badischen, einem italienischen Bataillon und eintausend zweihundert Mann Sachsen die letzten Anstrengungen zur Rettung der Franzosen, die vom Schlachtfelde abzogen, machen. Sie waren es, die das Hallische, das Grimmaische, das Peters- und das Ranstädter Thor vertheidigten.

„Der Kampf um Leipzigs Vorstädte,“ erzählt der Markgraf, „wurde immer heftiger. Ich forderte den Herzog von Padua auf, endlich einmal seine Wohnung zu verlassen und sich persönlich von den getroffenen Anstalten zur Vertheidigung der Stadt zu überzeugen. Er erwiderte indessen nur, ich möchte zu den Truppen auf den Marktplatz zurückkehren, er werde mir unverzüglich folgen. Da er nach längerem Warten nicht erschien, schickte ich zu ihm, mußte aber zu meiner größten Verwunderung vernehmen, daß er sich gleich nach meinem Weggehen aus dem Quartier entfernt habe, durch eine Hinterthür auf die Straße gelangt sei, und kein Mensch wisse, was aus ihm geworden.“ Jetzt merkte endlich der Markgraf „die Absicht der französischen Behörden, die Opfer und die Verantwortung des Tages auf die Schultern der Bundestruppen zu werfen.“

Unterdessen kämpften die Truppen des Markgrafen fortwährend gegen das eindringende siegreiche Heer der Verbündeten; die Brigade Stockhorn und die Hessen vertheidigten das Grimmaische Thor auf’s Tapferste, und als die preußische Landwehr dasselbe genommen hatte, mußte General Stockhorn es mit den Badensern noch einmal zurückerobern, bis endlich, nachdem die Italiener längst sich verabschiedet, die Badenser sich theilweise fechtend durch die Straßen auf den Marktplatz, wo das Hauptquartier war, zurückzogen und hier schließlich der Markgraf capitulirte, während das Regiment „Großherzog“, von der Stadt abgedrängt, bis an die Pleiße verfolgt und hier sammt der halben Artillerie-Brigade nach großem Verlust an Todten und Verwunderten theils in das Wasser gesprengt, theils gefangen wurde.

So waren es deutsche Truppen, die gegen Deutsche kämpfen, für die Franzosen die letzten Schüsse thun, die letzten Stellungen vertheidigen mußten und dabei zu Tausenden geopfert wurden. Das Blut, das hier geflossen, macht jedes deutsche Herz noch heute bluten, so oft es an diese Ereignisse denken muß.

Von den sechstausend zweihundert Mann der zwei badischen Infanterie-Brigaden, die für Frankreich, für Napoleon kämpfen mußten, lagen viertausend Mann auf den Schlachtfeldern von Lützen, Bautzen und Leipzig. Höchst bezeichnend ist dann noch die Art, wie das zehnte französische Husarenregiment von dem badischen Dragonerregimente, welche beide die leichte Cavalerie-Brigade des dritten Armeecorps gebildet hatten, Abschied nahm. Von dem badischen Dragonerregiment waren nach der Schlacht bei Leipzig nur noch zweihundert Pferde übrig. Bei Gelnhausen verließ dasselbe – „mit der Erlaubniß des Kaisers“, unterläßt der Markgraf nicht zu erwähnen – die französische Armee, wobei dann der Oberst des zehnten Husarenregiments den badischen Officieren zum Abschied zurief: „Obwohl wir uns vielleicht bald als Feind begegnen werden, so wird doch, so lange ich das Zehnte führe, kein Mann desselben seinen Degen gegen einen badischen Dragoner ziehen.“

Das war bei der Lage der Dinge ebenso klug als – großmüthig.

Der Großherzog Carl von Baden aber war nicht schuld, daß ihrerseits auch die badischen Dragoner und alle andern Badenser nicht ebenso wie der Oberst des Zehnten den Franzosen zugerufen: „Thu mir nichts, ich thue Dir auch nichts!“; denn in allem Ernste versuchte der Großherzog auch nach der Schlacht bei Leipzig noch, ob er es nicht durchsetzen könne, sein Land – für neutral erklären zu lassen. Die Begründung dieses Antrags ist wahrhaft erbaulich. Der französisch geschriebene Brief des Großherzogs Carl an König Friedrich Wilhelm den Dritten von Preußen, vom 21. October, ist so deutsch holperig geschrieben wie möglich, aber noch deutscher (!) gedacht als geschrieben. Der Großherzog Carl belehrte den König von Preußen, daß sein Großvater die Neutralität während der drei Feldzüge von 1797, 1799 und 1800 aufrecht erhalten und daß diese wenigstens stillschweigend durch Oesterreich selbst, trotz der Gegenwart einer österreichischen Armee und trotz des deutschen Reiches, anerkannt wurde. „Wenn aber mein Großvater,“ schreibt er, „wenige Zeit nachher sich genöthigt sah, einen thätigen Antheil an dem Kriege zu nehmen, so wurde er dazu durch die strenge Antwort (la réponse péremptoire) Frankreichs gezwungen, das erklärte, daß es keine Neutralität erlauben werde und daß man sich entschließen müsse für oder gegen zu sein.“

Wunderbar! wunderbar! Die réponse péremptoire Frankreichs hat den Großherzog belehrt, was seine Pflicht sei, nämlich für Frankreich gegen Deutschland einzutreten. Wollen hoffen, daß bei allen ähnlichen Fällen nicht nur Frankreich, sondern auch Deutschland, die deutsche Nation, eine réponse péremptoire haben wird, wenn je der Fall wieder eintreten sollte, wo ein deutscher Fürst in einem Kriege des Auslandes gegen deutsche Lande und deutsche Völker den Versuch machen wollte, neutral zu bleiben.

Venedey.
  1. S. 89 der Denkwürdigkeiten den Markqrafen Wilhelm. Ich citire diese Stelle besonders, weil die Thatsache so unglaublich klingt, so deutlich die Mißachtung und Mißhandlung der Deutschen im Gefolge der Franzosen bezeichnet, daß dieselbe mir einer ganz besondern Beachtung werth erschien.