Fragmente aus verlorenen Tagen

Textdaten
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Autor: Rainer Maria Rilke
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Titel: Fragmente aus verlorenen Tagen
Untertitel:
aus: Das Buch der Bilder
2. Buch Teil 12, S. 125–129
Herausgeber:
Auflage: Zweite sehr vermehrte Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1906
Verlag: Axel Junker Verlag
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Erscheinungsort: Berlin / Leipzig, Stuttgart
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans auf Commons,
E-Text von eLib Austria Projekt
Kurzbeschreibung:
Signatur ÖNB 665257-B.Neu-Mag
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Fragmente aus verlorenen Tagen



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… Wie Vögel, welche sich gewöhnt ans Gehn

und immer schwerer werden, wie im Fallen:
Die Erde saugt aus ihren langen Krallen
die mutige Erinnerung von allen

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den großen Dingen, welche hoch geschehn,

und macht sie fast zu Blättern, die sich dicht
am Boden halten, –
wie Gewächse, die,
kaum aufwärts wachsend, in die Erde kriechen,

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in schwarzen Schollen unlebendig licht

und weich und feucht versinken und versiechen,
wie irre Kinder, – wie ein Angesicht
in einem Sarg, – wie frohe Hände, welche
unschlüssig werden, weil im vollen Kelche

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sich Dinge spiegeln, die nicht nahe sind, –

wie Hilferufe, die im Abendwind
begegnen vielen dunklen großen Glocken, –
wie Zimmerblumen, die seit Tagen trocken,
wie Gassen, die verrufen sind, – wie Locken,

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darinnen Edelsteine blind geworden sind, –

wie Morgen im April
vor allen vielen Fenstern des Spitales:
Die Kranken drängen sich am Saum des Saales
und schaun: die Gnade eines frühen Strahles

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macht alle Gassen frühlinglich und weit;

sie sehen nur die helle Herrlichkeit,
welche die Häuser jung und lachend macht,
und wissen nicht, daß schon die ganze Nacht
ein Sturm die Kleider von den Himmeln reißt,

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ein Sturm von Wassern, wo die Welt noch eist,

ein Sturm, der jetzt noch durch die Gassen braust
und der den Dingen alle Bürde
von ihren Schultern nimmt, –
daß Etwas draußen groß ist und ergrimmt,

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daß draußen die Gewalt geht, eine Faust,

die jeden von den Kranken würgen würde
inmitten dieses Glanzes, dem sie glauben. –
...... Wie lange Nächte in verwelkten Lauben,
die schon zerrissen sind auf allen Seiten

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und viel zu weit, um noch mit einem zweiten,

den man sehr liebt, zusammen drin zu weinen, –
wie nackte Mädchen, kommend über Steine,
wie Trunkene in einem Birkenhaine, –
wie Worte, welche nichts Bestimmtes meinen

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und dennoch gehn, ins Ohr hineingehn, weiter

ins Hirn und heimlich auf der Nervenleiter
durch alle Glieder Sprung um Sprung versuchen.
Wie Greise, welche ihr Geschlecht verfluchen
und dann versterben, so daß keiner je

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abwenden könnte das verhängte Weh,

wie volle Rosen, künstlich aufgezogen
im blauen Treibhaus, wo die Lüfte logen,
und dann vom Uebermuth in großem Bogen
hinausgestreut in den verwehten Schnee, –

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wie eine Erde, die nicht kreisen kann,

weil zuviel Tote ihr Gefühl beschweren,
wie ein erschlagener verscharrter Mann,
dem sich die Hände gegen Wurzeln wehren, –

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wie eine von den hohen, schlanken, rothen
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Hochsommerblumen, welche unerlöst ganz plötzlich

 stirbt im Lieblingswind der Wiesen,
weil ihre Wurzel unten an Türkisen
im Ohrgehänge einer Toten
stößt ....

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Und mancher Tage Stunden waren so.

Als formte wer mein Abbild irgendwo,
um es mit Nadeln langsam zu mißhandeln.
Ich spürte jede Spitze seiner Spiele,
und war, als ob ein Regen auf mich fiele,

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in welchem alle Dinge sich verwandeln.