Frühling (Lavant)
[1445]
Frühling.
Erwartungsvoll, ob schon die Amsel pfeife,
Ob nach dem Regen Grün hervorgekommen,
Hab’ ich gemächlich schlendernd eine Streife
Im kahlen Laubwald einsam vorgenommen.
Als rauh daher von Nord die Winde fuhren:
Nun träumt’ er noch und athmete noch leise,
Doch überall fand ich des Frühlings Spuren.
In alle Zweige war der Saft gestiegen,
Es schien ein röthlich-warmer Ton zu liegen
Auf all’ den Stämmen in des Waldes Tiefen;
Es grüßte mich herüber aus den Auen
Das matte Gelb, das freundliche, der Weide
Voll silbergrauer Kätzchen, weich wie Seide.
Und da und dort hob aus dem dunklen Grunde
Bescheiden sich des Schnees Sterbeglöckchen
Und grüßte lieb und schüchtern in die Runde
Und daß im stillen, wintermüden Reiche
Auch nicht der Klang, auch nicht die Stimme fehle,
Sang in dem höchsten Wipfel einer Eiche
Ein Vogel, weiß von Brust und weiß von Kehle.
Auf schwankem Aestchen, mit den kleinen Füßen
Es fest umklammernd, und der tapfre Kleine
Schien mir den Frühling jubelnd zu begrüßen.
Ihm war vor Wintersturm und Wintergrimme
Und immer heller, lauter ward die Stimme,
Und seiner schlichten Weise lauscht’ ich lange.
Und als ich heimwärts schritt im Abendgrauen,
Verloren sich von meiner Stirn die Falten.
Der Lenz ist dennoch nicht mehr aufzuhalten!
Sieghaft und glorreich wird es sich vollenden,
Das jetzt beginnt, das Knospen und das Sprießen,
Bis die belaubten Kronen aller Enden
Und rastlos weiter hab’ ich dann gesonnen:
„Bis Frühlingsanfang sind auch wir gediehen.
Der große Völkerlenz ― er hat begonnen
Und sieghaft, glorreich wird er sich vollziehen;
Wie sie sich stemmen auch ― wir werden’s zwingen
Und in gewalt’gem Chor in allen Landen
Das Hohelied des Rechts, der Freiheit singen!“
R.L.