Fortschritte der Freiheit und Civilisation in Italien

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Fortschritte der Freiheit und Civilisation in Italien
Untertitel:
aus: Das Ausland, Nr. 152 S. 605-606
Herausgeber: Eberhard L. Schuhkrafft
Auflage:
Entstehungsdatum: 1828
Erscheinungsdatum: 1828
Verlag: Cotta
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: München
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite


[605]

Fortschritte der Freiheit und Civilisation in Italien.



Nicht allein im Auslande, sondern eben so häufig in Italien selbst äußert sich die Ansicht, daß die französische Revolution mit allen den Erschütterungen und Bewegungen in ihrem Gefolge über
– das schöne Land,

welches der Apennin durchzieht, das Meer umgrenzt und die Alpen – spurlos hinweg gegangen und mit den alten Namen überall auch die alte Lage der Dinge zurückgekehrt sey. Die Aussicht, welche die Zukunft Italiens darböte, würde, wenn diese Ansicht nicht unbegründet wäre, noch trauriger seyn, als die Geschichte der Vergangenheit; denn die Erfahrung lehrt, daß, so oft von großen politischen Ereignissen keine Früchte gezogen wurden, alle bürgerlichen Tugenden allmälig immer tiefer in Verfall geriethen und auf eine Periode des wildesten Kampfes bald ein Zeitraum der Erschlaffung und Entartung folgte. Das Ziel aller menschlichen Handlungen ist das Glück; sobald die Hoffnung auf dieses uns verläßt, bleibt nichts anderes übrig, als in der Erstarrung der Resignation oder im Taumel des Sinnenrausches Befriedigung, Betäubung zu suchen.

Wir müssen jedoch gestehen, wir sind immer der Meinung gewesen, daß zu solchen Besorgnissen für jetzt noch kein Grund vorhanden sey; und es war uns daher doppelt angenehm, in einem italienischen Journale, welches, wenn nicht durch ausgezeichnetes Talent, doch immer durch freisinnigen Geist eine ehrenvolle Stelle behauptet hat, dieselbe Ueberzeugung ausgesprochen zu finden. Gern wollen wir zugeben, sagt bei Gelegenheit der Anzeige eines kürzlich erschienenen Geschichtswerkes [1] die Antologia di Firenze, [2] gern wollen wir zugeben, daß die Ereignisse der neuesten Zeit uns zu gerechtem Kummer auffordern. Die Grundsätze der Freiheit – die Theorien der Minderzahl über die Meinung der Menge – sind von denselben Menschen, die gewohnt waren, sich öffentlich zu denselben zu bekennen, verlacht und mit Füßen getreten worden; nur wenige Namen sind fleckenlos aus dem schnellen, vielfach wechselnden Umschwung der Revolution hervorgegangen; und fast allgemein hat man die politischen Theorien nicht als Regeln für die Ausübung der Gewalt, sondern als Werkzeuge, um die Masse zu unbedachten Thaten hinzureissen, oder in unthätiger Gleichgültigkeit gegen die Unterdrückung zu erhalten, gebraucht. Aber wir dürfen nicht vergessen, daß diese Bemerkungen eine Erfahrung einschließen, welche für die Völker nicht verloren gegangen ist. Das Geheimniß der Beweggründe, welche die öffentlichen Handlungen bestimmen, ist öffentlich geworden, und Jedermann hat gelernt, fremde wie eigene Interessen richtig zu schätzen. Auf diese Weise muß jede politische Heuchelei sogleich entdeckt und der Fanatismus paralysirt werden, der den Ehrgeizigen und Gewalthabern nützlich, aber selten der bleibenden Sache der Civilisation förderlich ist. Alle diese Bemerkungen haben mehr oder weniger Eingang beim Volke gefunden; und mit Recht kann man daher behaupten, daß der gemeine Menschenverstand, die Bildung der öffentlichen Meinung, in unserer Zeit noch viel bedeutendere Fortschritte gemacht habe, als selbst die Wissenschaften. Und wenn wir unsere Ansicht unverholen aussprechen sollen, so scheint es uns, daß gerade die Fortschritte des practischen Verstandes beim Volke es sind, wornach die Entwickelung der Civilisation beurtheilt werden muß.

Unter der Zahl der Vorurtheile, welche nicht wenig von ihrem Credit verloren haben, verdient einer besonderen Erwähnung jener verderbliche Geist der Landsmannschaft (spirito del municipio), der sich in Italien mehr durch den Haß der Nachbarn, als durch wahre Liebe zu dem Heimathsorte kund gab. Nicht selten ist es mehr, daß auf die Stimmen der Vaterlandsliebe und Eintracht von den Alpen bis in das äußerste Calabrien ein Echo antwortet. Und wenn aus Einfalt oder Bosheit Einige noch Grund zum Streit suchen, so werden sie von den Vernünftigen übersehen oder verachtet. Anders ging es im J. 1797, als die ganze Autorität Bonaparte’s nöthig war, um die Provinzen mit einander zu vereinigen, welche die cisalpinische Republik ausmachten.

Aber, könnte Jemand uns einwenden, alles was wir bisher gesehen haben, sind nur Hindernisse, die beseitigt, Vorurtheile, die geschwächt oder aufgehoben worden sind; was kann man dagegen anführen, das gebaut worden wäre? Hierauf würden wir antworten müssen, daß die Entfernung der Hindernisse der schwierigste Theil bei der Einführung des Guten ist; aber wir dürfen uns damit nicht begnügen. [606] Die Gleichheit vor dem Civil- und Criminalgesetz ist der erste und wichtigste der großen moralischen Vortheile, die wir erworben haben und fortwährend behalten, ohne eine vernünftige Ursache zur Furcht, daß wir sie wieder verlieren könnten. Die Abschaffung der Feudalrechte können wir als keinen geringen Fortschritt zur Freiheit betrachten; ein anderer ist die gegenwärtig herrschende Ansicht von dem Rechte der persönlichen Sicherheit, die zwar in Bezug auf politische Verbrechen zuweilen verletzt, in dem Verfahren der Regierungen gegen die große Masse jedoch gewissenhaft gehandhabt wird. Zwar ist die französische Gesetzgebung, welche die Garantien dieser Sicherheit enthielt, abgeschafft worden, aber die Meinung, welche dieselbe begründete, ist doch geblieben und kann ihren Einfluß auf die practische Anwendung der Gesetze nicht verleugnen. – Den Fortschritten, welche die individuelle Freiheit in Hinsicht auf die öffentliche Verwaltung gemacht hat, kommen die in Beziehung auf die häusliche Gewalt gleich. Die Ordnung wird in den Familien nicht mehr durch die Furcht erhalten, welche das Haupt derselben einzujagen sucht, sondern durch die Achtung und Liebe, welche es einflößt. Die Gewaltthätigkeiten, welche früher so häufig in Bezug auf die Wahl des künftigen Standes der Söhne und Töchter geübt wurden, sind daher jetzt selten geworden und werden von der öffentlichen Meinung laut mißbilligt. Das thörichte Geschlecht der Cavalieri serventi hat sehr abgenommen, und die Sitten des Adels sind weit von jener Verderbniß entfernt, die Parini so trefflich geschildert hat. Auf der andern Seite zählt der italienische Adel in unsern Tagen eben so sehr, als in früheren Zeiten, sowohl durch ihre Verdienste um die Wissenschaften als um den Staat ausgezeichnete Männer in seiner Mitte. Die Vortheile der Erziehung sind allgemeiner verbreitet worden, und niemals gab es so viele Schulen für die Anfangsgründe des Lesens und Schreibens als gegenwärtig; und um nur beiläufig ein Beispiel, das uns am Nächsten liegt, anzuführen, wer hält es für möglich, daß man vor dreißig Jahren in Toscana achthundert Mitglieder für die Herausgabe eines landwirthschaftlichen Journals würde haben finden können? [3]

Nicht geringer als die moralischen Fortschritte der italienischen Nation sind die, welche sich mehr auf den materiellen Genuß des Lebens beziehen. Hier wäre der Ort von den Straßen zu reden, die neu angelegt oder verbessert worden sind, von der Einführung einer regelmäßigen Polizei in den Städten, von dem früher in Italien unbekannten Gebrauch, dieselben des Nachts auf öffentliche Kosten zu beleuchten u. s. w. Aber bei Weitem wichtiger scheint uns der verbesserte öconomische Zustand der Nation. Die größere Vertheilung des Vermögens, die dasselbe zugleich productiver und sicherer macht, und von unberechenbaren moralischen Folgen begleitet ist, würde uns allein hinreichenden Stoff darbieten, die Behauptung zu widerlegen, daß Italien in seinen alten Zustand zurückgekehrt sey.

Nach dem Frieden von 1748 dachten die Fürsten Italiens zuerst daran, den Erwerbungen der todten Hand Grenzen zu setzen, die völlig zügellose Freiheit, bleibende Fideicommisse zu stiften, einzuschränken, und durch Gesetze die Rechte eines Dritten gegen die willkürlichen Verfügungen unbekannter Contrahenten zu schützen. Auf diese Weise wurde der weiteren Ausbreitung des Uebels ein Damm entgegengesetzt; aber die alten Wunden blieben unvernarbt. Die Noth unserer Zeit hat dem freien Verkehr nicht nur unermeßliche Millionen von Klostergütern, so wie den größten Theil der alten fast unbenutzt daliegenden Communal-Ländereien (terreni comunali) wieder gegeben; sondern auch die bestehenden Fideicommisse aufgelöst, die Rechte der Primogenitur aufgehoben und die alten Commenden entfesselt: Vortheile, die, obschon nicht mit arithmetischer Genauigkeit zu berechnen, doch um so höher veranschlagt werden müssen, wenn man bedenkt, daß alle adlichen und nicht wenige bürgerliche Familien in Italien den größten Theil ihres unbeweglichen Eigenthumes durch eine der erwähnten Fesseln gebunden hatten.
  1. Annali d’Italia dal 1750 al 1819 compilati da A. Coppi, Tomo 4to. (ed ultimo.) Roma, 1827. 8. (Eine etwas trockene Fortsetzung des Muratori,)
  2. Marzo, pag. 60-75.
  3. Des Giornale Agrario Toscano; s. Antologia di Firenze, Vol. 29 pag. 119.