Fleiß und Faulheit. Drittes Blatt

Fleiß und Faulheit. Zweites Blatt W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Erste Abtheilung (1840) von Georg Christoph Lichtenberg, Franz Kottenkamp
Fleiß und Faulheit. Drittes Blatt
Fleiß und Faulheit. Viertes Blatt
  Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.


[Ξ]
Fleiß und Faulheit.


Drittes Blatt.



[Ξ]

FLEISS UND FAULHEIT.
INDUSTRY AND IDLENESS.
Proverbs Ch. XIX. V. 29.
III.

[Ξ]
Fleiss und Faulheit.
(Industry and Idleness.)




Drittes Blatt.
Der Faule auf dem Kirchhof beim Hazardspiel, während der Predigt.
The idle ’Prentice at Play in the Church-Yard, during divine Service.


Spruch: 

„Den Spöttern sind Strafen bereitet und Schläge auf
der Narren Rücken.“  

Sprüchw. Sal. Kap. 19. V. 29.


Der Schauplatz hier ist der Kirchhof zu der Kirche, in deren Inneres wir noch so eben hineingeblickt haben, und wovon man jetzt im Hintergrunde die Außenseite und den Eingang sieht. Daß wenigstens die Freiplätze des dritten Standes, die so genannten Jedermanns-Stellen alle besetzt sind, sieht man hier auf dem Kirchhofe besser, als da, wo wir vorher gestanden haben. Selbst in der Vorlaube drängen sich noch andächtige Menschen.

[508] Die Hauptgruppe des Blattes stellt ebenfalls eine kleine Brüderschaft vor, die auch ihre Andacht, wiewohl außerhalb der Kirche, hält. Doch ist es keine gemeine Privat-Andacht; sie wird aus Mangel an Raum im Gotteshause, wenigstens auf dem Gottesacker geübt, der seinen Namen und Ursprung ganz ähnlichen Grundsätzen unserer frommen Vorfahren bei einer ähnlichen Verlegenheit, zu danken hat. Jeder Gerechte wünschte nämlich dereinst sein Ruhekämmerlein so nahe am Altar zu haben, als möglich. Daß es zu einer Zeit, wo sowohl der Gerechten als der Aerzte mehr waren, als jetzt, und wo die Gerechten noch Geld hatten, ihre Wünsche zu unterstützen, bald an Raum fehlen mußte, ist sehr begreiflich. Man gab also dem Altar, unter der Erde weg, einen größern Wirkungskreis, und bewies von der einen Seite, was von der andern sehr gern geglaubt wurde, daß man am Altar läge, wenn man innerhalb jenes Kreises lag. So entstanden Kirchhöfe[1].

So viel zur Rechtfertigung dieses Häufleins von Seiten des Orts. Wirft man über dieß nur einen flüchtigen Blick auf dasselbe, zumal zu rechter Zeit, worunter ich unmaßgeblich die Abend-Dämmerung, kurz vor dem Lichtanstecken, aus Menschenliebe empfehle, und wirklich auch selbst [509] hierzu gewählt habe: so gewinnt es auch noch von einer andern gar sehr. Vor ihm nämlich ein offenes Grab, dessen Moder-Duft selbst die gedankenloseste Sinnlichkeit aus ihrem Traum zu wecken im Stande ist. Am Rande desselben die schauervollen Gegenstücke von Krone und Zepter, modernde Schädel und Schenkelknochen! Was mag da nicht das zerschlagene Herz dieser Brüder sich öffnen und jedes Samenkorn der Lehre mit geistischer Vegetations-Kraft umfassen und aufnehmen! Der Bruder-Redner hat sich über sein Thema, ein Epitaphium, wie man sieht, ausgebreitet; vermuthlich ist es der Leichenstein eines reichen Geizhalses, den er für heute gewählt hat. Schon ist er im Text nahe an’s Ende fortgerutscht. Hier ergreift ihn hoher Redner-Eifer; er zieht eine Handvoll Guineen aus der Tasche und wirft sie auf den Leichenstein. Sieh, Thor, solchen Kehrichts wegen verscherztest du die Ewigkeit. Nimms hin und bestich damit, wen du kannst, nur Eine der Thränen der Wittwen und Waisen, die dich zu Tausenden verklagen! – – Das Häuflein wird gerührt; die Brüder fallen auf die Knie, einige auf eines, andere auf beide. Einer darunter, ganz in der Livree des heiligen – Labre[2] scheint das Weltgericht vor sich zu sehen; das Haar steht ihm zu Berge; er schlägt sich vor die entblößte Brust, und mit breitem, reuigbüßendem Franziskaner-Fuß stampft er auf die dünne Brücke, die hier über dem Abgrund der Verwesung liegt, gleichsam als spräche er: Sei du mir künftig das Bild des Lebens-Pfades, den ich noch zu wandeln habe. – Ein Zweiter, auf beide Knie hingeworfen, scheint in Thränen der tiefsten Rührung wie zerflossen. Seine gefalten gewesenen Hände haben sich so eben getrennt; sie haben größere Zerknirschung auszudrücken, als einfache Faltung auszudrücken vermag. – Ein Dritter, schon der Verzweiflung mehr als nahe, fühlt sich gestärkt; Trost kehrt zurück; er [510] legt die Rechte auf das Herz, und die Linke, die bereits ausgesandt war das Haupthaar auszureißen, fühlt die Wärme des innern Friedens, und kratzt nur noch vor dem Rückzuge.

Wer sollte nun diesem, obgleich von der Kirche getrennten, Häufchen, nicht allen nur möglichen Frieden gönnen? Allein hier nicht also. Ein Emissarius der bischöflichen Kirche wittert die Separatisten, die sich erkühnen, den Acker Gottes nach andern Principien zu bauen, als die hohe Kirche, und schleicht sich mit einem Endchen Bannstrahl hinter den Bruder-Redner, und gibt ihm – – – Nein! das wäre doch zu arg fürwahr. So was thut jene Kirche nicht. Hier wenigstens fordert die Menschenliebe, Licht anzuzünden! – – Gütiger, gerechter Himmel, was für eine Veränderung! – – Was für ein Unterschied, eine kniende Gesellschaft, die sich obendrein an eine Kirche anschließt, erst in ihrer nativen, heimischen Dämmerung, und dann bei der Fackel der Wahrheit zu betrachten! O! Sie haben Recht, verehrungswürdiger Z... Dießmal wenigstens habe ich im Hogarth gesehen, was nicht ist. Ich bekenne es, ich stand schier auf dem Punkt, eine Menagerie von Galgenvögelchen für ein Conventikel von Theophilanthropen zu halten. Der Irrthum war groß, ist aber nicht ohne Beispiel; selbst in natura nicht. Der meinige war doch nur in effigie. Hier ist die Wahrheit:

Der lange Kerl, der da so gestreckt liegt, ist unser berüchtigter Caracalla Faulhans. Sein Principal schickt ihn nach der Kirche. Unterwegs begegnen ihm drei gleichgeschaffene Seelen, Busenfreunde nicht sowohl aus dem dritten, als vielmehr dem verbotenen Stande, dessen Nummer gewöhnlich ein Bruch ist. Alle haben wenig Sinn, die moralischen Grillenfängereien dort an der Thüre noch einmal zu fangen, und einer oder zwei sogar nicht einmal den Rock dazu; und so entsteht aus langer Weile die kurzweilige Quadrille-Partie über einem Grabe, eigentlich eine Art von Bänkchen auf einem Leichensteine. Das Spiel, das da gespielt wird, heißt im Englischen Hustle-cap (Schüttel-Kappe). Ich kenne die Gesetze desselben nicht, aber so viel weiß ich, daß es eines von den Hazardspielen ist, wobei das Glück noch ein Wort mit sich sprechen läßt. Wirklich scheint Faulhans in einer [511] kleinen Unterhandlung mit demselben zu stehen. Man sieht ihm an den Augen an, daß er mit seinem Hute und Rockzipfel eine Lüge mit Mühe bedeckt. Eine seiner eigenen Lügen versteht sich, keine schriftliche auf dem Grabstein, denn da ist es gewöhnlich leicht. Was für Gesichter, gütiger Himmel! Zwischen solchen Menschen wäre ehrliches Spiel fürwahr ein Wunder, das, glaube ich, unmöglich wäre, und wenn der Abbé Paris oder der heil. Labre selbst mit allen oneribus unter diesem Spieltische begraben läge.

Unter dem rechten Beine unseres Müssiggängers erblickt man die Worte der Grabschrift die er mit seinem Leibe bedeckt: Here lies the body of etc.Hier liegt der Leib“ u. s. w., und, möchte man hinzusetzen, zugleich einer der drolligsten Einfälle Hogarths. Es sind nämlich hier der Leiber, und also der Lesarten, eigentlich zwei: einer über und einer unter der Erde. Welches die bessere sei zu entscheiden, gehört nicht für diese Welt. Indessen, wenn man nur nicht gegen die Regel, de mortuis non nisi bene, verstößt, so läßt sich wohl in einer so verwickelten Sache ein Wörtchen mitsprechen. Dieses vorausgesetzt, wäre ich ganz dafür, das Keller-Geschoß des Kirchhofs zu lassen, wo es ist, aber oben über der Erde in der Bel-Etage mit den Worten unseres verewigten Henslers fort zu lesen:

„Hier liegt der Leib; das Glück ist Schuld daran,
„Daß man nicht, statt: hier liegt, hier hängt er, sagen kann.

In dieser Quadrille ist Faulhans, wo nicht der beste, doch gewiß der reinlichste. Wenigstens ist ihm das Hemd noch immer näher als der Rock, da sicherlich zweien seiner Partie der Rock näher ist, als das Hemd. Man scheint diese Superiorität eines Hemdes zu fühlen. Im Reiche der Lumpen machen schon bloß die ganzen Kleider Leute. Es ist da ein Herr Diener, ein Herr Geselle. Eine Art von wenigstens transitorischer Unterwürfigkeit ist in den dreien auch nicht zu verkennen, und Faulhans scheint wirklich befehlend zu betrügen. O! ein gutes Kleid (hier ein ganzes) gewährt seinem Besitzer in tausend Fällen, und selbst an Orten, wo man es kaum denken sollte, das süße Recht, Unrecht zu thun. Faulhans ist Meister über zwei sicherlich, nicht aber so ganz [512] über den Calculateur mit der gestreiften Nachtmütze über der Perücke, der da in der Mitte kniet, einen wichtigen Mann, den wir näher kennen lernen werden. Um ihn zu seiner Zeit desto leichter wieder zu erkennen, fügen wir dem künftigen Merkmal der gestreiften Mütze noch ein natürliches hinzu. Es hat nämlich das volle Licht seines linken Auges, bei einer eigenen Art von Opposition mit einer fremden Faust, wobei es nämlich in die Bahn der Faust selbst gerieth, nicht so wohl eine Total-Verfinsterung, als vielmehr eine totale Zerstörung erlitten. Dieses nun zu verbergen, oder der Zerstörung wenigstens das Ansehen von einer bloßen Verfinsterung zu geben, hat er ad interim ein großes, rundes, schwarzes Pflaster, also das Zeichen des neuen Lichts, über die Stelle geklebt, welches ihn sehr kenntlich macht. Faulhans, der hier seinen Solo-Betrug schon für völlig gesichert hält, kann sich in Acht nehmen, daß er nicht durch diesen Skeptiker noch Codille wird. Wie scharf er mit dem noch übrigen Auge sieht, kann man an seinen Händen sehen. So guckt kein flüchtiger Kopf. Ja gäbe man dem Manne sein Auge wieder und in die eine Hand etwa ein Vergrößerungs-Glas, so dürfte sich wahrlich kein Naturforscher und Papa, und wäre er auch membre de plusieurs académies, schämen, sich in dieser Stellung vor einer mikroskopischen Augen- und Gemüths-Weide in Kupfer stechen zu lassen. Von den beiden andern merkt keiner nur halb so viel als Er; eine wahre Prostitution für das: oculi plus vident quam oculus. Freilich konnte der Mangel an Scharfblick bei den übrigen auch daher rühren, daß beide so eben genöthigt sind, einen Vertilgungs-Krieg gegen einen eben so listigen als lästigen Feind, der eine auf dem Kopfe, der andere in der Gegend der Achsel, zu führen. Man kann seinen Kopf nicht aller Orten haben. Es wäre aber auch möglich, daß der scharfe Beobachter nur der einzige Mitspieler wäre, die andern aber bloß zuschauende Collegen, die nur sehen wollen, wer hier gewinnt, um ihm beim Nachhausegehen aus der Kirche mit fertigen Fingern oder fertiger Zunge collegialisch so viel als möglich davon wieder abzunehmen.

Aber ist unser Labre da, der Schuh- und Stiefel-Wichser, nicht ein herrliches Köpfchen? Wenn man das Muster zu dem Schnitt eines [513] Kleides von einem Gesichte nehmen könnte, so könnte man von dem Anzuge dieses Kerls sagen, er wäre ihm wie aus dem Gesicht geschnitten. Was hier der Elbogen dieses Geschöpfs für den Lumpenberg und die Papiermühle, selbst auf Unkosten seiner schönen Form, gethan hat (denn ich halte für ein wahres Hühnerauge auf dem Elbogen, was vielleicht die Leser für das Kümmeleckchen halten), das hat die Bildnerin des Leibes, die thätige Seele des Mannes, für den Pranger und den Galgen, auf Kosten seines Profils gethan. Es ist fast von dieser Seite zu viel geschehen, denn an Liebreiz übertreffen doch offenbar die beiden Fastenschädel da unten diesen Fleischkopf. Aber dafür ist er ihnen auch an der Gabe überlegen, jedem Vorübergehenden auf der Heerstraße, der sich nur im mindesten einer Uhr oder Börse bewußt ist, ein kräftiges Memento mori zu bieten. Und doch ist dieser Kopf nichts weniger als Caricatur. O! wer London nicht kennt, kann sich unmöglich einen Begriff von der Biegsamkeit des physiognomischen Stoffes bei diesem großen Volke, und dem Spiele machen, das die unerschöpfliche Natur dort mit Gesichtern treibt. Von der eigentlichen Nationalphysiognomie, die an sich schön ist, steigen sie und sinken sie, von der einen Seite zu hohen idealischen Formen hinauf, und von der andern zu Paviansgesichtern hinab. Wenn es den Gesichtsformen der ersten Gattung freilich selten oder nie an jenen Beimischungen sympathisirender Züge fehlt, denen sogleich herzliches Zutrauen und Freude über zugesicherte Verwandtschaft in jedem Bewunderer auf den ersten Wink entgegenfliegt: so wäre es bei denen der zweiten, zu welcher namentlich unser Stiefelwichser gehört, nicht selten nöthig, sie zeigte, wie er, eine der Hinterklauen, um den Zweifler zu belehren, daß es keine Hand sei[3].

Der Herausgeber dieser Blätter hat Gelegenheit gehabt, mehrere von beiden Gattungen zu beobachten. Ueber die der ersten erklärt er sich an diesem Orte nicht weiter. Zu solchen Noten wäre hier kein Text. Allein eine kurze Beschreibung eines aus der zweiten kann er [514] dem Leser als wahre Erläuterung des Textes nicht vorenthalten. Der Kerl, dem der Kopf gehörte, war stark und untersetzt, und allem Anschein nach vollkommen gesund und munter. Was sein Gesicht von allen unterschied, die ich in meinem ganzen Leben gesehen habe, war der gewiß sonderbare Umstand, daß man es beim ersten Anblick für gar kein Gesicht hielt, und Zeit brauchte, sich zu orientiren und sich mit den datis einzeln bekannt zu machen, um sie unter der Form eines Gesichts anschauen zu können; etwas, was mir sonst im ersten Augenblick, möchte ich sagen, mit jeder Sommerwolke und jedem Dintenfleck gelingt. Nach näherer Untersuchung fand es sich, daß der ganze Lärm von der Nase herrührte. Diese war eigentlich nicht platt, sondern ihr Rücken vielmehr beträchtlich hoch. Allein statt daß sonst die hohen Nasen gewöhnlich sehr steil von beiden Seiten gegen die Backen abschießen, so neigte sich diese so sanft, daß die radices dieses Gesichtsgebirges beinahe gegen die Ohren hin zu liegen kamen, wohin sie auch von den Nasenläppchen, wenigstens bis auf den halben Weg, begleitet wurden. Die Wirkung, welche diese sonst ziemlich einfache Abänderung im Ganzen that, ist in Wahrheit unbeschreiblich. Es ließ, als hätte der Kerl eine breite fleischfarbene Binde über das Gesicht gebunden, in die man ein Paar Nasenlöcher geschlitzt, und ihr hie und da etwa ein Bischen Relief aufgepinselt hätte. Der Kerl pflasterte mit mehreren andern die Straße, da wo unser Wagen genöthigt ward, Halt zu machen, daher ich Muße hatte, ihn mit Sicherheit zu beobachten. Schön war das Gesicht allerdings nicht, aber auch nicht ekelhaft, welches vorzüglich durch die gute Farbe, ein Paar Reihen vortrefflicher Zähne, und durch Augen, wie ein Paar Stilette, bewirkt wurde. Er sprach viel und lachte viel, und ganz gewiß auch über uns. In der That ist es auch sehr gut bei einer solchen Physiognomie, den Angriff nicht abzuwarten. Wirklich hielt er uns durch die Art des Vortrags seiner Satyre, von der wir übrigens nichts verstehen konnten, ziemlich in Respect. Diese Geschichte führt mich auf eine physiologische Betrachtung, die mir der Gerechtigkeit liebende Leser hier beizubringen verstatten wird, weil ich diesem mörderischen Satyriker schon längst eine kleine Vergeltung zugedacht habe. Man hat [515] nämlich schon längst bemerkt, daß sich die Natur manche künstliche Verstümmelung, wodurch der Mensch ihre Werke zu verbessern glaubt, endlich gefallen lassen, und in ihrer eigenen Werkstätte nachahmen läßt. Haut man Hunden, Katzen u. s. w. in linea recta descendente die Schwänze öfter ab, so merkt sich dieses die Natur und läßt die Schwänze endlich weg. Wenn man ferner einen Hund von dunkler Farbe sieht, der mit einem weißen natürlichen Halsband gezeichnet ist, so kann man sicher glauben, daß es seinen Vorfahren irgend einmal mit dem Strick, oder der Kette, oder dem eben so lästigen Halsband-Orden inoculirt worden ist. Ja es ist mir mehr als wahrscheinlich, daß es mit den künstlichen Verstands-Verstümmelungen eben die Bewandtniß hat. Erst werden die Eltern durch Feuer und Schwert, oder den Popanz ungeprüfter Autorität, genöthigt, Dinge zu begreifen und zu glauben, die man mit Güte kaum einem Elephanten weiß machen würde. Was hat die Natur da zu thun? Antwort: weil sie sieht, daß man es nicht besser haben will, gut, so gibt sie den Kindern solche Verstandsformen, daß ihnen Albernheiten aussehen, wie nothwendige Wahrheiten. – Nun wieder zu unserem Non-Gesicht. Wäre es nicht möglich, daß die Voreltern dieses Kerls in gerader, absteigender Linie, aus odiösen Ursachen genöthigt gewesen wären, immer ein Schnupftuch über die Nase gebunden zu tragen, und daß die Natur endlich aus Gefälligkeit gegen die Familie, das Schnupftuch aus ihrer eigenen Fabrik gestellt hätte? Unwahrscheinlich ist diese Hypothese wenigstens nicht, und aussah die Sache völlig so.

Diese Episode kann, außer der Erläuterung, die sie diesem Blatte gewährt, auch noch als Passir-Zettel für einige Gesichter gelten, die auf den folgenden Blättern dem Leser zusprechen werden. Sie sind allesamt Kinder der dortigen Natur, freilich ob der freien, für sich wirkenden, oder der gefälligen, die dem freien Menschen zu Liebe Schwänze und Verstandsformen kappt, muß wohl unausgemacht bleiben, so wie die Fragen: wie hängt diese Biegsamkeit mit dem Genie dieser großen Nation zusammen, und wiederum dieses Genie mit dem bessern animalischen, vegetabilischen und atmosphärischen Dünger der Insel? Oder [516] ist Veredlung von einer Seite ohne Verunedlung von der andern bei einem freien, aber stark empfindenden Volke überhaupt möglich?

Daß dieses Gesindel, dicht neben einem offenen Grabe, Bank macht, ist nicht zu verwundern. Sie sehen das Grab vor dem Galgen nicht, der ihnen näher steht, so wie der ehrliche Mann den Galgen nicht über die Kluft des Grabes weg, das ihn auf immer von ihm trennt.

Der Mann, den wir in der Dämmerung fälschlich für einen Unterofficier der Kirchenmiliz gehalten haben, ist ganz weltlich; es ist der Bettelvogt, und wie man sieht, willens, unserem Helden einen Verweis zu geben, zwar nicht ore rotundo, aber doch, wie ich glaube, verständlich, obgleich eigentlich gegen die Verstands-Seite gerichtet. Es ist unglaublich, was sich der ehrliche Mann für Mühe gibt, alles Mögliche zu thun, um sich den zweiten Hieb zu ersparen. So wie der Stock seine Zulaufs-Distanz rechts aufwärts sucht, so folgt ihm Alles an dem Manne rechts aufwärts; die linke Hand, die Lippen mit einem Theil der Nase, und sogar auch die untere Kinnlade sympathetisch, so wie bei manchen Leuten, wenn sie Pappdeckel mit der Scheere schneiden. Es ist aber auch ein zähes Stückchen, was er da zu schneiden hat. – Nur noch einen Augenblick, so wird Alles, was da rechts aufwärts gestiegen ist, auf demselben Wege, aber mit beschleunigter Bewegung, zurückkehren, und wie Posaunenton des letzten Tages, Auferstehung der Gruppe bewirken. Die Idee könnte bei einer Vorstellung vom jüngsten Gericht benützt werden. Hazardspieler, die zu spät erfahren, was vorgeht, wird es unter den Lebendigen auch dann noch geben, und unter den Wiedererwachten welche, die noch einmal auf den Leichensteinen zu würfeln anfangen. – Wie da der Vogt gezeichnet werden müßte, der sie vortreibt? – – Behüte und bewahre! – kein Wort von dem hier! – –

An der Mauer der Kirche sowohl, als auf dem Kirchhofe selbst, erblickt man einige Leichensteine. Schade, daß Hogarth so wohlfeil gearbeitet hat. Bei einer etwas größern Skale, wäre hier ein unerschöpfliches Feld für sein Genie gewesen. Oft schon mit eben so vielen Strichen, als hier für Nichts da stehen, hätte er vieles thun können. Er hatte es [517] in seiner Gewalt, irgend einem verkannten großen Manne, von dem nirgends ein Marmor spricht, hier in einem bemoosten Winkel die versagte Ehre zu geben; oder einen andern unter seinem unverdienten Marmor hier ganz hervor zu holen und in der Stille aufzu – knüpfen. Hinter dem Kerl, der hier der Stiefel-Wichser heißt, steht auch wirklich ein Leichenstein mit fast leserlicher Inschrift. Alles was sich selbst auf dem Originale einigermaßen davon herausbringen läßt, ist G. Wilo.. oder Ɑ. Wilo ..... Daß mit diesen Buchstaben irgend Jemanden ein derber Hieb versetzt worden ist, bezweifle ich keinen Augenblick. Der Mann, der so vortrefflichen Gebrauch von den Worten: Here lies the body etc. machte, hat diese Buchstaben sicherlich nicht umsonst so leserlich und auch nicht umsonst so unleserlich gemacht. Daß er mit der Sprache nicht recht heraus wollte, sieht man auch daraus, daß er diesen Leichenstein vorsätzlich in den Schatten gelegt hat. Der andere Stein bei der Kirchenthüre wird stark von der Sonne beschienen, und da die Leichensteine sich in dubio einander parallel gesetzt worden, so müßte auch diesen die Sonne treffen. In diesem Falle aber wäre Undeutlichkeit der Schrift unverzeihlich gewesen. Hogarth läßt also einen nicht sehr breiten Schatten von irgend einem Gegenstande darauf fallen. Wirklich werden die probatorischen Klanen des Stiefelwichsers und die vier Beine des Wichserschemelchens, und sogar ein Theil des Henkels des Wichserbestecks schon nicht mehr davon getroffen. Auch könnte das statt D geflissentliche Entstellung seyn. Dieses vorausgesetzt, will ich eine Muthmaßung wagen. Wie wäre es wenn dieses Ɑ. Wilo .. eigentlich Dr. Wilo.. heißen, und dieses der Grabstein eines damals (1747) etwa noch lebenden berüchtigten, und beliebten Quacksalbers und Erfinders irgend eines Methusalem-Thees oder Elixir proprietatis[4] sein sollte, dessen Name sich so angefangen hätte? Mit Gewißheit kann ich [518] hierüber nichts sagen. Die bekannten Ausleger des Hogarth bekümmern sich um solche Dinge gar nicht, zum sichern Beweis, wie wenig fähig sie sind, in den Geist des Mannes einzudringen. Die Commentatorpflicht forderte wenigstens von ihnen, bei einer solchen Gelegenheit ihre Unwissenheit zu gestehen, um dadurch andere, die unterrichteter sind, aufmerksam zu machen. Denn sicherlich lebt noch jetzt in England eine Menge Menschen, die Alles dieß erklären könnten. Daß statt D gesetzt worden ist, könnte auch ein Schriftstecherfehler sein, in welchen Kupferstecher, die nicht Schriftstecher von Profession sind, in der Eile leicht verfallen. Ueberhaupt aber möchte es nicht ganz uneben sein, wenn man nur allein echten Aerzten verstattete, an ihre Namen das M. D. anzuhängen, den Quacksalbern aber schlechterdings auferlegt würde, sich nie anders, als M. Ɑ. zu schreiben.




  1. Also Vorsorge für das Heil ihrer Seelen veranlaßte unsere guten Alten, die Begräbnisse in und um die Kirchen anzulegen; Wir, aus ähnlicher Vorsorge für unsere Leiber, haben nun diese Stellen selbst, jedoch mit Beibehaltung des Charakters von Kirchhöfen und Gottesäckern, außerhalb der Stadt verwiesen. Die Principien, auf die sich beiderseitiges Verfahren gründet, liegen vor Augen. Dort war es größtmögliche Annäherung zum Altare im Tode, und hier größtmögliche Entfernung von Stick-Gas, von gekohltem, geschwefeltem und gephosphortem Wasserstoff-Gas im Leben. Dieses ist sehr klar. Aus was für Principien man aber in einem gewissen berühmten Städtchen den Juden-Kirchhof unmittelbar beim Galgen angelegt hat, verstehe ich nicht. Hier kann es offenbar nicht aus einem Bestreben nach Annäherung geschehen sein, auch aus keinem nach Entfernung. Denn bei jeder zweckmäßigen Entfernung von Personen sowohl als Sachen, ist es unumgänglich nöthig, daß sie in einer Richtung geschehe, wobei aller Verdacht sowohl, als alle Gefahr einer Annäherung zu einem weit mißlichern Punkt vermieden wird. Es ist sonderbar.
  2. Ein berüchtigter römischer Faulhans, der, Salomons gerechtem Urtheil gemäß, sein ganzes Leben hindurch zerrissene Kleider mit allen oneribus entomologicis trug, und nach dem Tode heilig gesprochen wurde. Sein Schutzdepartement sind die Papiermühlen.
  3. Bekanntlich haben die Paviane vier Hände.
  4. Diesen Namen gab der berühmte van Helmont einem Elixir, womit er sein Leben auf etliche Hunderte von Jahren verlängern wollte. Er starb aber, wo ich nicht irre, schon in seinem 48sten.