Fläschlein, thu deine Pflicht!

Textdaten
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Autor: Ernst Meier
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Titel: Fläschlein, thu deine Pflicht!
Untertitel:
aus: Deutsche Volksmärchen aus Schwaben, S. 76–79
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1852
Verlag: C. P. Scheitlin
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Erscheinungsort: Stuttgart
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Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google und Scans auf Commons
Kurzbeschreibung:
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22. Fläschlein, thu deine Pflicht!

Einige Stunden von Stuttgart, in der Gegend wo jetzt Hohenheim liegt, wohnte in alten Zeiten ein Müller, der konnte mit seiner Mühle nicht vorwärts kommen, denn sie gehörte erstens nicht ihm, sondern einem Edelmann, dem er viel Pachtgeld dafür bezahlen mußte; und zweitens fehlte es der Mühle oft an Waßer, so daß er nur wenig mahlen und wenig damit verdienen konnte. Dadurch war der Müller allmählig so arm geworden, daß er schon seit mehren Jahren nicht im Stande war, das Pachtgeld zu bezahlen. Weil der Edelmann ihn aber so sehr bedrängte, und ihn aus der Mühle vertreiben wollte, wenn er nicht alsbald seine Schuld entrichtete, so nahm der Müller endlich seine einzige Kuh und gedachte, um Geld zu bekommen, sie auf dem Markte zu verkaufen.

Wie er nun bekümmert mit seiner Kuh durch den Wald zog, kam ein kleines Männlein daher und fragte den Müller: was ihm fehle? Nachdem er dem Männlein alles genau erzählt hatte, sprach es: „ich will Dir die Kuh abkaufen und gebe Dir dieß kleine Fläschlein dafür. Wenn Du das auf den Tisch stellst und sprichst: Fläschlein, thu deine Pflicht! so wird Dir nichts mehr mangeln.“ Der Müller aber war ängstlich und sagte: „ach, was wird meine Frau sagen, wenn ich statt des Geldes mit diesem Fläschlein komme!“ „Ei,“ antwortete das Männlein, ganz ärgerlich, „wie magst Du Dich noch lang besinnen? weißt Du denn, ob Du Deine Kuh auch nur lebendig auf den Markt bringen wirst?“ [77] Da fürchtete sich der Müller, weil er’s für eine Drohung hielt, und gab dem Männlein die Kuh für das Fläschlein, worauf das Männlein plötzlich mit der Kuh in die Erde sank, so daß nichts mehr von beiden zu sehen war. Darauf gieng der Müller heim, stellte das Fläschlein sogleich auf den Tisch und sprach: „Fläschlein, thu deine Pflicht!“ Da war alsbald der ganze Tisch mit goldenen Schüßeln und den herrlichsten Speisen besetzt; die ließ er sich schmecken, und als er satt war, verkaufte er die Schüßeln und erhielt so viel Geld dafür, daß er mit einem Male ein reicher Mann war.

Da bezahlte er sogleich alle seine Schulden dem Edelmann, daß der sich nur wundern mußte, woher der Müller so schnell das Geld bekommen habe, und gab ihm so viel gute Worte, bis er endlich die ganze Geschichte erzählte. – Darauf bot ihm der Edelmann große Summen, wenn er ihm das Fläschlein verkaufen wollte, wogegen sich der Müller zwar lange sträubte; als ihm aber der Edelmann nicht nur die Mühle, sondern auch sein ganzes Schloß dafür anbot, da mochte der Müller nicht widerstehen und gab es hin. Wie der Edelmann aber das Fläschlein in der Hand hatte, sprach er: „so, das Schloß bleibt mein! Du hast an der Mühle genug, die kannst Du behalten!“ Und so war der Müller betrogen. Nun hatte er zwar noch ein gutes Sümmchen; allein weil die Mühle ihm nichts eintrug, so war das Geld bald verbraucht und er gerieth wieder in bittere Armuth.

In dieser Noth wollte er einstmals einen Freund besuchen [78] und bitten, daß er ihm etwas leihen möchte; und als er im Walde ganz allein dahin wanderte, wurde sein Herz bewegt und er kniete nieder und betete zu Gott, daß er ihm doch helfen möge. Und während er noch betete, kam ein schwarzer Mann daher, der fragte den Müller, was er sich denn wünsche? Da erzählte er, wie es ihm gegangen war und wie der Edelmann ihn so arglistig betrogen und ihn in’s Elend gebracht hatte. Darauf gab der fremde Mann dem Müller ein kleines Fläschlein und sprach: „da nimm das Fläschlein! Das ist aber kein solches, wie das erste, sondern es soll Dir nur helfen, daß Du jenes wieder erhältst. Sobald Du sprichst: Fläschlein, thu deine Pflicht! so kommen vier Ritter heraus und zerschlagen Alles, was sie außer Dir finden, und hören nicht eher auf, als bis Du sagst: Fläschlein, du hast deine Pflicht gethan!“

Da gieng der Müller zu dem Edelmann und sagte: er habe wieder ein solches Fläschlein, und als er es dem Edelmann gezeigt, ließ dieser schnell Eßen und Trinken auftragen und bewirthete den Müller auf’s Beste, denn er gedachte ihm auch das zweite Fläschlein abzulocken. – Nachdem aber der Müller gegeßen und getrunken hatte und der Edelmann wiederum von dem Fläschlein zu reden anfieng, da zog er’s hervor und sprach: „Fläschlein, thu deine Pflicht!“ Und alsbald stiegen vier Ritter daraus hervor und hieben wetterlich auf den Edelmann los, also, daß er ganz erbärmlich zu schreien anfieng und den Müller um Gottes willen bat, er möchte ihn doch verschonen. „Hast meiner auch nicht geschont!“ rief der Müller, „und mich noch dazu um [79] das Fläschlein betrogen!“ Da zeigte der Edelmann den Schrank, in welchem das Fläschlein lag, worauf es der Müller nahm und damit fortgieng; die vier Ritter aber ließ er so lange schlagen, bis daß der Edelmann todt und das ganze Schloß nur noch ein Steinhaufen war; dann sprach er: „Fläschlein, du hast deine Pflicht gethan!“ und sogleich wurden die Ritter ganz klein und krochen wieder in das Fläschlein.

Nun war der Müller sehr vergnügt, daß er auch das erste Fläschlein wieder bekommen hatte und sprach täglich zu ihm: „Fläschlein, thu deine Pflicht!“ Dann stand sogleich der ganze Tisch voll goldener Schüßeln, die mit den köstlichsten Speisen gefüllt waren; die ließ er sich schmecken und wurde ein so reicher Mann, daß es nicht zu sagen ist. – Darauf baute er das alte Schloß zu Hohenheim, und weil er meinte, daß er Schätze genug habe, so legte er das Fläschlein in den Grundstein und vermauerte es; das zweite aber, worin die vier Ritter waren, das behielt er zur Abwehr gegen Feinde und Diebe.

Anmerkung des Herausgebers

[304] 22. Fläschlein, thu deine Pflicht. Mündlich aus Lustnau. Es geht die Sage, daß Theophrastus Bombastus Paracelsus von Hohenheim durch eine Goldtinktur jenes eingemauerte Fläschlein entdeckt und herausgezaubert habe; dadurch, sagt man, habe er allen Menschen helfen können und sei ein so berühmter Doktor geworden. – Verwandt ist in Grimm’s Kinder-Märchen: Tischchen deck dich, Goldesel und Knüppel aus dem Sack. Nr. 36. Ferner Nr. 54, der Ranzen, das Hütlein und Hörnlein. Vgl. auch: der Geist im Glas, und dazu die Anmerkungen im 3. Bd. Im Pentamerone des Basile entspricht: der wilde Mann. In den norwegischen Volksmärchen von Asbjörnsen und Moe I. Nr. 7; von dem Burschen, der zu dem Nordwind gieng und das Mehl zurückforderte. Ferner ein walachisches Märchen bei Schott, [305] Nr. 20, die Wundergaben. – In 1001 Nacht die Wunderlampe in der Geschichte von Aladdin, Nacht 316-348 bei Habicht.