Textdaten
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Autor: Franz Wallner
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Titel: Federzeichnungen aus Ungarn
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1863
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[728]
Federzeichnungen aus Ungarn.
Gefangennehmung eines ungarischen Räubers – Schilderung einer Zigeunerstadt.
Von Franz Wallner.

Die Sehnsucht, einen Bruder nach dreißigjähriger Trennung zu umarmen, eine glücklich verheirathete Schwester in ihrer stillen Häuslichkeit zu besuchen, führte den Verfasser dieser Federzeichnungen diesen Sommer mit den Seinigen in das Innere eines Landes, dessen Culturzustände selbst dem gebildetsten Deutschen unbekannter sind, als die der Südseeinseln, und welches, trotz der reichsten Naturschätze, dem Vergnügungsreisenden verschlossen liegt, wie das Buch mit sieben Siegeln. Bis Pesth reichen dem deutschen Touristen noch heimische Bildung und behaglicher Comfort die Hand, von dort ab aber „laß,“ wie beim Eintritt in Dante’s Hölle „alle Hoffnung hinter Dir.“

Mit dem frischesten Eindruck, den das großartige Turnfest in Leipzig auf uns hervorgebracht, überwältigt von den bezaubernden Schönheiten der Alpennatur, vollständig befriedigt von der Sauberkeit und Ordnung auf dem Linzer Dampfboote, und entzückt von dem reichen Panorama der Donaufahrt, betraten wir in Wien das nach Mohacz führende Schiff, welches uns in das Herz von Ungarn tragen sollte.

Die Conversation auf dem Schiffe, insofern eine solche in der Gesellschaft zu ermöglichen ist, drehte sich fast lediglich um die neuesten Räubereien, von welchen in jenen Gegenden als etwas Selbstverständlichem und Unvermeidlichem gesprochen wird, wie bei uns von den Wahlen oder anderen Tagesereignissen. Wie in Deutschland ein Ministerwechsel zu langen Kannegießereien Anlaß giebt, so dort die Frage, ob der Räuber Bergam im Baranyer Comitat, oder der Banditenhauptmann Patko am Plattensee größer sei, ob Letzterer im Kampf mit den Panduren wirklich getödtet oder nur versprengt worden sei, ob Bergam wirklich in Bogdasa erschossen wurde. Da wir dem Schauplatze dieser Dramen entgegen eilten, so werde ich später Gelegenheit haben, die Scenen aus dem Wirken der Hauptacteurs, größtentheils nach Berichten von Augenzeugen, meinen freundlichen Lesern vorzuführen.

Vor der Hand sind wir auf dem Dampfboote und besehen uns die trostlos öden Ufer der unteren Donau, mit ihren einförmigen Staffagen, in welchen nur ab und zu eine lagernde Büffelheerde, oder ein Kanasz (Schweinehirt) mit seinen zahllosen Pflegebefohlenen, die nicht, wie unsere, sich träge im Schlamm wälzen, sondern spielen und lebhaft umher laufen, einigen Wechsel in die monotone Scene bringen. Auch unter den Viehhirten herrscht in Ungarn eine strenge Sonderung der Elemente: der Csikos, als Pferdehirt, sieht mit Stolz auf den Gulyase, den Rinderwächter, herab, der seinerseits den Kanasz mit Verachtung behandelt und nicht als seines Gleichen betrachtet, wie sich denn wirklich diese zahlreichen Classen der ungarischen Bevölkerung in Kleidertracht, Sitten und Lebensweise auf’s Strengste scheiden.

Wir athmen hoch auf, als wir vernehmen, daß die nächste Station das Endziel unserer Wasserreise bilden soll. Von Mohacz bis eine halbe Stunde vor Fünfkirchen nimmt uns die Eisenbahn auf, welche dort von der Direction der Donau-Dampfschifffahrt zur Beförderung des immensen Materials aus ihren großartigen Kohlenbergwerken in’s Leben gerufen worden ist. Der ganze Landungsplatz bei Mohacz ist mit aufgehäuften Kohlenhügeln bedeckt, der Boden, die Wege, die Luft damit geschwängert. Auf beiden Seiten lagern Raizinnen in ihrer pittoresken Landestracht, mit geschminkten Gesichtern, die den Ankommenden die köstliche Frucht der nahen Vyllianer Berge, die süßeste aller Trauben, für wenige Kreuzer in Massen zum Verkauf anbieten. Von der beispiellosen Billigkeit des Weines in diesen Gegenden kann man sich kaum eine Idee machen; das Gefäß, in dem das edle Naß aufbewahrt wird, sei es auch noch so einfach, kömmt viel höher zu stehen, als der Wein selbst; die untere Volksclasse trinkt daher seltner aus Glasgefäßen ihren täglichen Bedarf, sondern füllt damit flaschenähnliche Kürbisse, welche große Aehnlichkeit mit den amerikanischen Calebassen haben. Die Strecke, welche wir jetzt auf dem Schienenwege mit dem Gefühl persönlicher Sicherheit durchfliegen, war vor nicht langer Zeit noch der Schlupfwinkel der gefährlichsten Räuberhorden, welche dem Reisenden auflauerten und, wenn nicht sein Leben, doch sicher seine Habe als Tribut für die Schonung des ersteren einforderten. Nur wohbewaffnet und karawanenweise zogen die Bürger und Kaufleute von Fünfkirchen nach der ungarischen Hauptstadt diesen Weg entlang.

In den letzten Monaten erst haben energische Streifzüge den Heldenthaten der letzten Anführer der Szegén legény[1], den berüchtigten Strolchen Bergam und Patko, ein Ende gemacht, obgleich noch eine dunkle Sage geht, daß in dem Gefechte, welches der Laufbahn des Letzteren ein Ziel gesetzt, nicht er, sondern sein Adjutant getödtet worden sei, er selbst habe sich bis auf günstigere Zeiten „ins Privatleben zurückgezogen“. Aehnliches passirte mit dem bekannten Rosza Sandor, welcher sich während der ungarischen Revolution mit seinen „armen Jungen“ der Kossuth’schen Regierung zur Verfügung gestellt hatte und durch das Wegnehmen der Ochsenheerden, welche der österreichischen Armee zugeführt werden sollten, dieser unermeßlichen Schaden zufügte. Der kluge Bursche ließ das Bild seines Adjutanten – ohne einen solchen ist ein ungarischer Räuber von einigem Ruf nie – lithographiren und das wohlgetroffene Bild desselben mit der Unterschrift „Rosza Sandor“ versehen, worauf das Original nicht wenig stolz war. Freilich brachte ihm diese Eitelkeit den Strick um den Hals zum Lohne ein. Denn Rosza Sandor hatte mit schlauer List Sorge getragen, daß eine große Anzahl der Conterfey’s seines Stellvertreters in effiege den Weg in das österreichische Lager fanden, wo bei einem Ueberfall, zum Jubel der Machthaber, das Original eingefangen und trotz aller Protestation, „er sei nicht der Rechte“, sofort standrechtlich gehängt wurde. Während alle österreichischen Blätter die Nachricht brachten, daß den berüchtigten Räuber sein Schicksal ereilt habe, trieb dieser mit seiner Bande, die aus mehr als 300 Mann angewachsen war, autorisirt von seiner Behörde, in der Gegend von Szegedin nach wie vor die kaiserlichen Ochsen zu Hunderten und Tausenden fort, trug Briefe und Depeschen von der größten Wichtigkeit mitten durch das feindliche Lager von Komorn nach Debreczin, ohne daß irgend Jemand eine Ahnung hatte, daß der gebildete,[2] edelmännisch aussehende, mit den besten Pässen versehene Pesther Kaufmann der berühmte Parteigänger sei.

Sein in viel größerem Ansehen stehender College Bergam war kurz vor meinem Eintreffen in Fünfkirchen in dem Dorf Bogdasa von dem Panduren-Corporal Babarzi Janos erschossen. Aus dessen Munde habe ich die folgenden Mittheilungen, welche er mir auf mein Ersuchen, und durch klingende Bevorwortung unterstützt, in ungarischer Sprache niederschrieb, und zwar in Form und Ausdruck gewandter, als man es von einem deutschen Polizisten untergeordneten Ranges erwarten dürfte. Auf dem Amte in Sziklos werden noch mit Stolz die Kleider des Bergam gezeigt, bestehend in einem prachtvollen Schnürrock mit reicher Pelzverbrämung, rundem ungarischem Hut, engen Beinkleidern, Stiefeln mit schweren Quasten, Stock mit reichem Silberbeschlag. Den schönen Rock hat freilich die Kugel, die ihm der gute Janos auf den Pelz gebrannt, gar arg beschädigt.

Wir wollen der Erzählung des wackeren Babarzi folgen und die wichtigsten Details daraus den Lesern mittheilen. Der Schauplatz der Schandthaten des Bergam war früher die slavonische Grenze, dort verübte er viele Grausamkeiten. In Csagyavicz brach er mit seinen Gefährten am hellen Tag in’s Dorf ein und plünderte dasselbe, wobei drei Menschen erschossen und acht schwer verwundet wurden; dem Wirth Franz Weselsky, welcher den Ort nicht nennen wollte, wo er sein Geld versteckt hatte, wurden die Nägel von den Fingern gelöst. In Marianczán hielten die Räuber dem Pfarrer das Crucifix vor, worauf er einen Eid ablegen mußte, daß er wirklich nicht mehr Vermögen habe, als er den „armen Jungen“ abgeliefert. In Feliczány wurde der Notar erschossen und die ganze Umgegend in Angst und Schrecken versetzt, bis endlich die ganze Bevölkerung gegen die Geißel aufstand und Bergam [729] mit seiner Schaar über die ungarische Grenze gedrängt wurde. Hier begann er das alte Unwesen sofort wieder. Schon der Name Bergam reichte hin, um eine panische Furcht hervor zu rufen. Derselbe hatte die Frechheit, in Sellyé, einem fürstlich batthyanyi’schen Marktflecken mit 4000 Einwohnern, 4 Stunden von Fünfkirchen, sich dem Rentmeister Szatoretz, in Gegenwart des Hofrichters und acht anwesender Gäste, am hellen Tage vorzustellen und sich den Inhalt der herrschaftlichen Casse auszubitten, der ihm auch, aus Furcht vor den Spießgesellen des Räubers, ohne allen Widerstand ausgeliefert wurde.[3] Bei dem Güterdirector Hoszi Falu bei Somogy lud er sich brieflich mit zehn seiner Gefährten zu einem Frühstück ein, und knüpfte die Bitte daran, einen der Amtsschreiber, welcher durch eine sehr schöne Stimme bekannt war, zu bewegen, die Gesellschaft gegen eine gute Belohnung durch seine Vorträge zu erfreuen. Man würde Allen weiter nicht das Geringste anhaben, und nach dem Mahle ruhig des Weges ziehen. Dies geschah, die „armen Jungen“ fanden bei ihrer Ankunft in einer Veranda eine reichgedeckte Tafel vor, an der sie sich bescheiden niederließen, und den gut zubereiteten Speisen, so wie den feinen Weinen des königlichen Schloßkellers eben so viel Gerechtigkeit widerfahren ließen, als dem kunstvollen Liedervortrage des musikalischen Schreibers. Als der letztere seinen Schatz erschöpft hatte und auf das lebhafte Andringen der Anwesenden noch etwas Neues bringen sollte, erklärte er, er wisse wohl noch ein schönes Lied, dies würde ihnen aber nicht gefallen, es sei, meinte der Sänger verlegen, es sei – eben „ein Räuberlied“. Das thäte nichts zur Sache, er solle es nur singen. Nun begann der Schreiber eines der wild-romantischen Lieder vorzutragen, worin die Vorzüge des freien Wald- und Räuberlebens gepriesen werden, jede Strophe endet indeß mit dem unbehaglichen Refrain: „Denn das End’ ist doch der Galgen!“ Immer gedämpfter wurde während dieses Gesanges die laute Fröhlichkeit der Spitzbuben, manches trotzige Auge wurde feucht, manch schwerer Kopf sank auf die unterschlagenen Arme herab.

Mit artigen Dankesworten an den Güterdirector, sonst aber lautlos, entfernte sich die Bande, nachdem Bergam dem Sänger noch zehn, und der Dienerschaft zwei Ducaten eingehändigt hatte. In Keszthely überraschte der Räuberhauptmann eine Gesellschaft Whistspieler, wovon er den einen aufforderte, sofort nach Hause zu reiten, und die fünftausend Gulden zu holen, die er an demselben Tage eingenommen habe, er – Bergam – werde während der zwei Stunden, bis er zurück sein könne, für ihn im Whist eintreten. So entsetzlich war die Furcht vor den Folgen einer Weigerung und der Verwegenheit Bergam’s, daß der Aufgeforderte schleunigst das Geld zur Stelle schaffte, während die Zurückgebliebenen mit dem unheimlichen Partner ihre Spielpartie fortsetzten. Derlei Bravouren umgaben den Banditen, namentlich in den Augen der Bauern, deren Eigenthum er nie verletzte, im Gegentheil als Gast derselben Gold mit vollen Händen ausstreute, mit einem Nimbus, welcher ihm Thür und Thor öffnete, wo er immer anklopfte. Man wußte, daß er nur die Reichen plündere und jeden Verrath schwer strafe.

In Peterd, 2½ Stunde von Fünfkirchen entfernt, ließ er, in Gegenwart des hierzu herbeigeholten Richters und der Dorfältesten, einen Bauer öffentlich erschießen, weil er den Versuch gemacht hatte, den Preis, der auf des Räubers Kopf gesetzt war, durch Verrath zu verdienen. – Das streng überwachte Waffenverbot, welches seit dem Jahre 1849 in ganz Ungarn herrscht, gab ihm seine Opfer fast wehrlos in die Hände.

Da erbot sich der Lehrer Ducz in Bogdasa, welcher mit Bergam in Verkehr stand und, wie das Gerücht behauptet, bei der Gelegenheit zum doppelten Verräther wurde, den gefürchteten Mann in die Hände der Gerechtigkeit zu liefern, wenn ihm dafür eine Anstellung an einem fernen Orte und der ausgesetzte Preis von achthundert Gulden garantirt würde. Bergam pflegte mit einem Theil seiner Bande von Zeit zu Zeit bei Ducz einzukehren und kleine Festgelage zu veranstalten. In Folge der Denunciation des Ducz wurden die Panduren Glatz Istvan, Antal, Kovats Pál, Erdö Josef, Bognar György, Berbély Janos und Gyura Andras unter Anführung ihres Corporals Babarzi Janos nach Bogdasa commandirt, und in nächtlicher Stille im Hause des Lehrers auf den Heuboden versteckt. Unter einem riesigen Haufen Kukurutz[4] mußten sich die armen Teufel acht Tage lang verborgen halten, „was sehr unangenehm und mit vielem Leiden verbunden war“, wie sich Babarzi in seiner naiven Schilderung ausdrückt. In der neunten Nacht gegen zwei Uhr Morgens kam Bergam mit zehn seiner Gesellen an, wo sie sich bis sieben Uhr Abends lärmend unterhielten, trotzdem, daß der Lehrer dem Wein einen Schlaftrunk beigemischt hatte, welcher sich aber nicht als wirksam genug erwies, denn beim Ueberfall wehrten sich die Banditen noch wie Verzweifelte. Bergam erhielt von Babarzi einen Schuß durch die Brust, auch der Seb Ferenz, einer seiner Cameraden, wurde tödtlich verwundet und starb während des Transportes, Radicz, der gefangen wurde, zierte den Galgen von Sziklos, die Uebrigen entsprangen.

So weit das Drama, welches nicht ohne blutiges Nachspiel enden sollte.

Acht Tage nach dem Ueberfall der Räuber erschienen mehrere Cameraden derselben in Bogdasa. Da sie den Lehrer Ducz nicht mehr in seiner Behausung fanden – derselbe hatte eine Anstellung als Aufsichtsbeamter gegen die Banditen bei der Sicherheitsbehörde in Sziklos erhalten – so zerrten sie dessen greisen Schwiegervater und seinen Schwager aus ihren Wohnungen; vergebens war alles Flehen der Ortsbewohner, den schuldlosen alten Mann und dessen Sohn zu schonen, die sonst so stillen Mauern des Dorfes hallten wieder von dem Schreckensgeschrei der Unglücklichen und ihrer Mitbürger, auf offenem Markte und im Angesicht der ganzen Bevölkerung wurden die Aermsten von den Banditen erschossen.

Solche Zustände finden sich in Ungarn, ohne daß die Behörden dem Unwesen ein Ende machen können – oder wollen. Der Pandurencorporal Babarzi erhielt übrigens als Belohnung dafür, daß er den berüchtigten Räuber Bergam „gestellt“ hat, die Summe von neunzig Gulden österreichischer Währung als Prämie ausbezahlt. Wer wird sich in Zukunft dazu drängen, um diesen Preis sein Leben zehnfach auf’s Spiel zu setzen! –

Seitdem sind die Strolche eingeschüchtert, und man hört, wenigstens im Baranya-Comitat, nichts von neuen Gräuelthaten; wie lange aber der Landfrieden dauern wird, dürfte eine Frage ohne Lösung sein! –

Prachtvoll liegt das Schloß auf der Anhöhe der Stadt Sziklos, die Gegend beherrschend, jetzt freilich nur als Gerichtsgebäude und Gefängniß benutzt. Früher Eigenthum des unglücklichen Grafen Batthyanyi, konnte dieser, auf den Zinnen seiner stolzen Burg stehend, sein trunknes Auge nach allen Seiten in die weitesten Fernen schweifen lassen und mit Schiller ausrufen: „Dies alles ist mir unterthänig!“ Jetzt sind die Mauern halb verfallen, die prächtigen Gemächer, welche in glanzumstrahlten Räumen die seidenen perlengestickten Gewänder der schönen Edelfrau dahin rauschen, die goldenen Pokale kreisen sahen, bewohnen jetzt der Gerichtsbeamte, der Pandur und einige eingefangene Spitzbuben, welche auf dem schmutzigen, ehemals so blanken Estrich verdrossen sich herum wälzend ihrem Schicksal entgegen sehen.

Der untere Theil von Sziklos ist im strengsten Sinn des Wortes eine Zigeunerstadt, vielleicht die einzige in ihrer Art in Europa. Der Güte des dortigen Notars, in dessen Begleitung wir die originelle Stadt durchstrichen, verdanken wir es, daß uns keine Thür derselben verschlossen blieb. Wer sich in altherkömmlichem Vorurtheil unter einem Ort, der nur, aber am allernursten, wie der Kladderadatsch sagen würde, von Zigeunern bewohnt wird, ein Conglomerat von Schmutz und Unrath denkt, der hat sich einen sehr falschen Begriff von Sziklos gemacht. Selbst in Holland habe ich unter den unteren Volksclassen keine größere Sauberkeit und Accuratesse gefunden, als hier in den Straßen, den reinlichen Wohnungen und der Kleidung dieser eigenthümlichen Colonie herrscht. Die spiegelblanken Möbel glänzen wie Metall, die Häuschen sind so nett gehalten, die Bewohner derselben mit den charakteristischen braunen Köpfen lächeln dem Fremdling so freundlich entgegen und zeigen dabei einen Mund voll so prächtiger Perlenzähne, daß der Neid der Damen unserer Begleitung nicht ohne Grund rege wurde. Die Leute treiben Handel mit Vieh und [730] Wein, die Weiber waschen die Hemden der „Herren“ in der oberen Stadt, erhalten das Hauswesen, und eine gewisse Wohlhabenheit spricht sich behaglich in Allem aus, was da in die Augen fällt. Am Ende der langen Straße versprach uns unser freundlicher Begleiter die Bekanntschaft eines Virtuosen, der seines Gleichen wohl nicht in der gebildeten Welt habe. Unsere Neugier war durch diese geheimnißvolle Einleitung auf das Höchste gespannt, als Herr v. K. nach verschiedenen Seiten hin leise Aufträge ertheilte, und wir, am letzten Hause angelangt, vier so braune und prächtige Burschen vorfanden, wie selbe von Lenau nur je geschildert worden sind. Die tief schwarzen Haare, wie Rabengefieder an der Seite der scharf gezeichneten dunklen Gesichter herab fallend, die schwimmenden großen Mandelaugen, schwermüthig vor sich hinstarrend, das originelle Costüm mit den schweren silbernen Kugelknöpfen, die schlanken und doch so kräftigen Gestalten zierend, als Staffage rings herum aus allen Häusern neugierige Weibergestalten schüchtern hervor tretend, und sich gruppenweise um den für uns reservirten und mit Stühlen besetzten Platz im Freien aufstellend – Eva’s Töchter hatten sich währenddem mit Blitzesschnelle in ihren Sonntagsstaat geworfen – die Männer an Thüren und Fenstern lehnend, kauernd und in erwartungsvollem Schweigen harrend, im Hintergrunde amphitheatralisch auf Hügeln gebaut die obere Stadt Sziklos mit ihrem Mönchskloster, und an der Spitze des Berges das prachtvolle Grafenschloß; dazu wir, in unserer, diesen Naturkindern gegenüber unkleidsamen modernen Tracht, die Damen in der unvermeidlichen Crinoline: Alles zusammen bildete ein Genrebild, würdig von einem tüchtigen Maler oder einer gewandteren Feder als die meine festgehalten zu werden.

Da brachte eine alte Zigeuuerfrau, wie sie nur in irgend einem Roman geschildert worden, drei Instrumente, von welchen wir nicht wußten, was daraus zu machen sei; der Form nach roh gearbeitete Mandolinen in der primitivsten Gestalt und von verschiedenster Größe, so zwar, daß der Kasten der kleinsten mit der Fläche einer Kinderhand, der größte mit dem Handteller eines Mannes zu bedecken wäre. Ein Mann bemächtigte sich einer bereit gehaltenen Guitarre, die übrigen drei ergriffen die oben geschilderten Instrumente,[5] und nun begann ein Concert, welches auf uns verwöhnte Großstädter einen kaum zu schildernden Eindruck hervorbrachte.

Wie beim echten Csikos Mann und Roß nur ein Geschöpf zu sein scheint, so deuchten uns die vier Männer mit ihren simplen Instrumenten nur eine belebende Seele zu haben. Töne von so ergreifender, weicher und doch voller Art wußten die Kinder der Haide ihren einfachen Werkzeugen zu entlocken, ein Zusammenspiel so feuriger und eigenthümlicher Art entwickelten dieselben, daß wir alle entzückt und erstaunt der wunderbaren Production zuhorchten. Nicht satt konnten wir uns hören an dem eigenthümlichen Concert, besonders der erste der Spieler entwickelte auf der kleinsten Tambura eine Kunstfertigkeit, ein Talent der Improvisation, dem die übrigen blitzschnell folgend secundirten, daß die Zeit, die wir, der märchenhaften Production horchend, zubrachten, Flügel zu haben schien. Und das ist nur in und für Sziklos berühmt, selbst in dem nahen Fünfkirchen sind die dunkelhäutigen Tamburaspieler unbekannte Größen, die kaum je über die Grenzen ihrer winzigen Welt hinaus kommen dürften! –

Keiner von unserer Reisegesellschaft, wohlhabende, gebildete Bewohner von Fünfkirchen, war früher in der Zigeunerstadt gewesen, obgleich sie alle das obere Sziklos oft besucht hatten, keiner kannte die Kunstfertigkeit des Tamburaquartetts, ein neugieriger Berliner Tourist mußte hinkommen, um die guten Leute mit dem bekannt zu machen, was vor ihrer Thüre zu finden ist.

Ueberhaupt spielt die Zigeunermusik in Ungarn eine große Rolle, und kein Fest in irgend einem Kreise ist ohne eine solche zu denken. Unvergeßlich wird mir ein Abend, oder vielmehr eine Nacht sein, die mir in dem Weinberge eines gastfreundlichen Ungars, Herrn Bedö, in der Nähe von Fünfkirchen zubrachten. Diese Weingärten, mit ihren kleinen, dazu gehörigen Häuschen, eben eingerichtet, um eine fröhliche Gesellschaft fröhlich zu empfangen und zu bewirten, bilden das Tusculum des wohlhabenden Bürgerstandes im Baranya-Comitat. In reichem Kranze unmgeben sie die Hauptstadt des Kreises, hoch und malerisch aufsteigend und ausgeschmückt mit bequemen Landhäusern, je nach Vermögen, Laune und Geschmack des Besitzers. Letztere Vorzüge waren bei unserem Wirt in glücklichster Weise vereinigt. Der Nachmittag, den wir lesend, wenn auch nicht in einem gedruckten, sondern in dem reichen Buche der Natur zugebracht, war rasch dahin geeilt, um der schnell einbrechenden Dämmerung Platz zu machen, und der aufsteigende Vollmond beleuchtete eine fröhliche, harmlose Gesellschaft, welche den guten Dingen, die Herr Bedö in ununterbrochener Reihenfolge auftischte, eben so viel Ehre anthat, als dem unverfälschten Traubensaft des Besitzers. Da ertönten die Klänge einer Zigeunerbande durch die laue Nachtluft, jauchzend empfangen von den Anwesenden! Im Nu ein Ball im Freien improvisirt; der Lieblingstanz der Magyaren, der Csardas, ausgeführt mit seinen graziösen Figuren, die dem spanischen Fandango ähneln. Der Mond goß sein klarstes Licht auf den riesigen Saal, an dessen gewaltiger Kuppe bereits die Sterne angezündet wurden, wilder und wilder das Tempo der Musikanten, das Feuer der Tanzenden, bis die letzteren endlich ermattet in’s hohe Gras hinsanken. Pause – horch, was erklingt da oben hoch auf dem Berge, wie Sphärenmusik? Der auch in weiteren Kreisen wohlbekannte, am Dom angestellte Violinvirtuose Herr Rusky, der sich unter den Gästen befand, hatte sich unbemerkt von diesen entfernt, und sandte seine Zauberklänge leise durch die Nacht in’s Thal herab. Die Wirkung war fabelhaft, die Zigeuner, von der Macht der Kunst ergriffen, starrten mit verklärten Gesichtern hinauf, während am Schluß der improvisirten Phantasie ein laut jubelndes Bravo die freundliche Absicht des Virtuosen lohnte.

„Dem Mann möchte ich die Hand küssen,“ sagte der erste Zigeuner-Violinist zu Bedö „den schätze ich höher, als den Erzbischof.“ Einen größeren Grad der Werthschätzung als den Erzbischof weiß kein Zigeuner mehr aufzufinden, es war dies der Superlativ der Hochachtung für Rusky.

Wieder begann die Bande ihre Nationalweisen, deren Wechsel ihnen von den Anwesenden zugerufen wurde: „Klapkamarsch“, „Das Vaterland“, „Hunyady Laszló“, „Ragoczy“, „Kossuthmarsch!“ Sobald das Stichwort fiel, setzten die sämmtlichen Musiker, von denen keiner auch nur eine Note kennt, augenblicklich mit richtigem Tempo mit der verlangten Melodie ein, bis die Fütterung begann. Riesige Schüsseln mit gebratenen Hühnern, mächtige Krüge und Calebassen mit Wein wurden den wackeren Fiedlern vorgesetzt, der Inhalt verschwand mit fabelhafter Schnelle. Speisen und Getränke vertilgten die braunen Burschen in Massen, ausreichend, um in meiner Heimath alle Gäste eines Geheimrathsballes mit den eingeladenen Lieutenants und Referendarien satt zu machen.

Auf den Bergen wurde indeß ein Feuerwerk improvisirt, die Raketen flogen mit den „Eljen’s“ um die Wette in die Luft, wieder begann Musik und Tanz, bis die Morgenstunde zum Aufbruch mahnte. Aber auch da verstummte die erstere nicht, die unermüdlichen Zigeuner spielten ihre Weisen fort und fort, nicht der holprige Weg, nicht der schwere Wein in den Köpfen hinderte sie an der Ausübung ihres Berufes. Die stillen Straßen der Stadt riefen sie wach mit ihren Tönen, Ständchen wurden hier und dort improvisirt, bis man das letzte Haus der Heimkehrenden erreichte, und die Unermüdlichen reich beschenkt mit „Eljen“ entlassen wurden. So lebt der Zigeuner-Musiker in Ungarn, täglich angestrengt, aber mit reichem Lohn, besser als mancher vielbezahlte Concertist in Deutschlabd, ein unentbehrliches Möbel in jeder frohen Gesellschaft.

Ich aber werde des frohen Abends eingedenk sein, als eines Lichtpunktes auf meiner Fahrt in Ungarn, und bei der Erinnerung an denselben stets leise rufen: „Eljen Bedö, Eljen Rusky!“


  1. Szegén legény: arme Jungen, nennt der Ungar die Buschklepper seines Vaterlandes.
  2. Rosza Sandor hatte das Gymnasium zu Szegedin absolvirt war einer der besten Schüler daselbst.
  3. Unter den in der Casse befindlichen Summen befanden sich auch 100 Ducaten, welche Eigenthum des Rentmeisters waren. Von diesen nahm Bergam nur zwei Stück zum Trinkgeld für die Dienerschaft, das Uebrige gab er dem Beamten zurück.
  4. Türkischer Mais.
  5. Das Instrument heißt Tambura, und soll nach der Behauptung des sehr unterrichteten Herrn v. K. aus Spanien stammen, gegenwärtig aber nur von wenig Zigeunern, von diesen aber mit unvergleichlicher Virtuosität gespielt werden.