Faust als Mysterium auf der Bühne des Leipziger Stadttheaters

Textdaten
<<< >>>
Autor: unbekannt
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Faust als Mysterium auf der Bühne des Leipziger Stadttheaters
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 41, S. 675–676
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Rezension des "Faust" im Leipziger Stadttheater mit Otto Devrient
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[675] Faust als Mysterium auf der Bühne des Leipziger Stadttheaters. Im Anschluß an Fr. Helbig’s Aufsätze über die Faust-Sage bringen unsere Illustrationen Scenen aus der Leipziger der beiden Theile von Goethe’s „Faust“ als Mysterium, in der Einrichtung Otto Devrient’s.

Aus Devrient’s Annahme, daß Goethe in der Dichtung selbst die dreitheilige Bühne fordert, wofür die Worte des Directors im „Vorspiel auf dem Theater“:

„So schreitet in dem engen Bretterhaus
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus
Und wandelt, mit bedächt’ger Schnelle,
Vom Himmel durch die Welt zur Hölle“

in’s Treffen geführt werden, könnte man erwidern, daß der Dichter an eine Bühnenaufführung des „Faust“ zunächst wohl gar nicht gedacht hat und seine dichterische Phantasie durch keine Fessel beengte. Dies zugegeben, bleibt dennoch die Thatsache bestehen, daß der Faust-Stoff, wie ihn Goethe vorfand und in den Umrissen beibehielt, für die Mysterienbühne zurechtgeformt war und ohne gewaltsame Einengung der modernen Bühne nicht angepaßt werden konnte. Gleich im „Prolog im Himmel“ ist die Dreitheiligkeit der Bühne nach mittelalterlichem Muster eine gebotene Nothwendigkeit, um Himmel, Erd’ und Hölle gleichzeitig dem Auge vorzuführen. Aber die Fabel des Gedichtes fordert nicht nur die mittelalterliche Bühne, sondern auch die mittelalterliche Naivetät des Herzens, das fromme Gemüth treuherziger Zuschauer, um die Sage von verkaufter Seligkeit, Hexenspuk, Zauberwerk und betrogenem Teufel gläubig entgegen zu nehmen.

Die Mysterienbühne gliedert den Raum der Scene in drei Theile. Die ebene Vorderbühne umfaßt etwa ein Drittel der Scene, der mittlere Raum füllt das zweite Drittel derselben auf etwa drei Meter Höhe, das letzte Drittel beherrscht den Hintergrund, welcher bis zu doppelter Höhe der Mittelbühne ansteigt. Zu den Emporräumen führen verstellbare Treppen, welche es gestatten, der Scene die jeweilige Gestalt anzupassen. In den einfachen Scenen, in denen die Tiefe der Bühne nicht nothwendig ist, begnügt sich die Darstellung mit dem ebenen Vorderraum. So bleibt für die Scenen in Faust’s Studirzimmer, in der Hexenküche, in „Auerbach’s Keller“ etc., welche in Leipzig sämmtlich in geschlossener Decoration spielen, die Dreitheiligkeit der Bühne ganz außer Betracht. - Die Mysterienbühne bietet mithin den allergrößten Spielraum für scenische Effecte, ohne im Geringsten die Vortheile einfacher Scenierung aufzugeben.

Otto Devrient’s Faust-Einrichtung verwerthet nun die Dreitheiligkeit des Bühnenraumes zur Gewinnung decorativer Arrangements, durch welche die zusammengehörenden, aber örtlich aus einander liegenden Scenen einen gemeinsamen Schauplatz erhalten. Dies geschieht namentlich mit den Gretchen-Scenen, den Scenen in der kaiserlichen Pfalz und der classischen Walpurgis-Nacht. Daß die steigende Bühne den Scenen, die im Himmel spielen, besonders zu statten kommt, hat sich bald herausgestellt. – In diesen gliedert sich der Schauplatz in Hölle (Tiefe aus der Versenkung), Erde (ebene Vorbühne mit der Mittelbühne) und Himmel (Emporbühne). Auf der höchsten Höhe, in lichten Wolken, durch welche das Gottesauge strahlt, erscheinen die in Anbetung versunkenen Engel in mattfarbener Gewandung. Die Erde wird durch Felsengruppen dargestellt. In der Tiefe des Vordergrundes, in einer Felsenkluft, gähnt der teufelspeiende Höllenrachen, dem Mephisto entsteigt. Auf der felsigen Halbhöhe spielt die Scene mit dem Herrn.

Dieselbe Deoration bildet auch den Schluß des zweiten Theils. Diesmal ist der Himmel anfangs geschlossen: sieben Wolkenschleier, die sieben Himmel darstellend, öffnen sich erst nach und nach und zeigen die himmlischen Heerscharen, zuletzt aus höchstem Wolkenthrone die Mater gloriosa, im Strahlenglanze, eine Schaar schwebender kleiner Engel um sie gruppirt.

Unten treiben kurz vorher die Trabanten Mephisto’s ihren Teufelsspuk. Nachdem die schlotternden Lemuren Faust’s Grab ausgeworfen und dessen Körper der Erde zurückgegeben, beginnt der Kampf um seine Seele. Die Dick- und Dünnteufel wollen dieselbe haschen, werden aber durch den Anblick des Erzengels und der Rosen auf das Grab streuenden Büßerinnen, darunter Gretchen, bestrickt und geblendet, welchem Zauber auch Mephisto erliegt und als der dumme betrogene Teufel des Mittelalters zornsprüend durch den Höllenrachen den Rückzug in’s Reich der ewigen Finsterniß nimmt.

Die Scene, gehoben durch die weihevollen Engelchöre, steigert sich am Schlusse zu wahrhaft überwältigender Wirkung, ergreifend, zur Andacht zwingend – ein Beispiel, wie die Kunst der Religion dienen kann, wie sie in ihren erhabensten Werken Religion ist!

Unsere erste Illustration (S. 672) zeigt die Decoration, in welcher sich die gesammten Gretchen-Scenen abspielen. Auf der Höhe des Hintergrundes erhebt sich der Dom, vor welchem die erste Begegnung mit Faust stattfindet, im Mittelgrunde rechts Gretchen’s Haus, eine breite Straßentreppe, wie man sie in älteren Städten noch häufig findet, führt in eine tiefer gelegene Gasse, in welcher links sich das Haus der Frau Marthe Schwertlein mit Vorgarten befindet. In diesem Gärtchen spielen die Liebesscenen. Unter Gretchen’s Fenster befindet sich der Brunnen, an welchem Lieschen ihre Schmähungen ergießt, und am Fuße der Treppe die Mater dolorosa den Dolch im Herzen. Die Fenster Gretchen’s sind, nach mittelalterlichem Muster, zur Seite zu schieben und gewähren so einen vollen Einblick in das von süßem Dämmerschein durchwebte Heiligthum.

Dieses Arrangement ermöglicht es, die gesammten Scenen der Gretchen-Episode ohne Verwandlung, ja ohne Unterbrechung durchzuspielen, denn die zeitlichen Zwischenräume, welche die einzelnen Vorgänge trennen, werden durch die scenischen Hülfsmittel, durch Uebergang von Tag zur Nacht etc., wie durch die vermittelnde und verbindende Musik überdrückt. Die Vereinfachung des scenischen Apparates drängt die Dichtung zusammem, dieselbe wird nicht mehr durch unzählige Verwandlungen fortwährend unterbrochen und zerrissen, sondern giebt sich als ein geschlossenes Bild, welches uns durch keinerlei technische Vorrichtungen gestört oder beeinträchtigt wird. Dazu geben sich alle Arrangements leicht, ungesucht und wirkungsvoll. Die dargestellte Scene zeigt uns Valentin’s Tod. [676] Wie natürlich ergiebt sich das Herbeieilen Gretchen’s auf den ersten Hülferuf, der Zuruf Martha’s an Valentin aus ihrem Garten, das Arrangement der umstehenden Gruppen und der hieran sich sofort anschließende Gottesdienst im Dome, für welchen wir den Priester mit Ministranten bereits auf der vor der Kirche liegenden oberen Straße erblicken.

Von größtem Gewinne jedoch zeigt sich die Faust-Einrichtung als Mysterium und Devrient’s Bühnenbearbeitung im zweiten Theile des Gedichtes. In diesem giebt es jetzt nur volle Acte und eine zusammenhängende Folge der Scenen, welche es selbst den naivsten Laien ermöglicht, den rothen Faden des Inhalts durchweg festzuhalten. Zu einer Darlegung des Scenenganges ist hier nicht der Raum, es sei nur noch erwähnt, daß alle Scenen, die in der kaiserlichen Pfalz spielen, wie jene der classischen Walpurgisnacht zu je einem Arte zusammengefaßt und so, ein folgerecht gegliedertes Ganzes, in ihrer Gestaltung überall interessirend, in ihrem gedrängten Inhalt spannend und bühnenwirksam sind.

Unsere zweite Illustration (S. 673) zeigt uns den Schluß des ersten Actes. Auf des Kaisers Verlangen hat Faust als Geistermeisterstück Helena und Paris aus der Unterwelt heraufgezaubert und führt diese nun im Schauspiel vor. Der obere Banketsaal hat sich hinter dem geschlossenen Vorhange in einen antiken Palast verwandelt und bildet den Schauplatz des Spiels. Im Halbkreise sitzt unten der Hof, die Vorstellung glossirend. Mephisto steht links auf der Treppe oben. Faust ihm gegenüber. Es ist der Moment aufgefaßt, wo Faust hingerissen von Helena’s Erscheinung, beschließt, das Dunstbild durch die Kraft des Schlüssels, den er von den Müttern der Tiefe geholt, zum körperlichen Wesen zu gestalten.

Die Leipziger Bühne hatte sich die Faust-Aufführungen zu einer Ehrensache gemacht und stattete das Werk scenisch und decorativ völlig neu und auf das Glänzendste aus. Es fehlte nicht das große und kleine Himmelslicht, es wimmelten die Straßen in den Volksscenen von malerischen Gruppen, unter denen namentlich die Landsknechte durch historisch treue, effectvolle Costüme auffielen. Herr Director Max Staegemann bewies mit der Vorführung des größten deutschen Dichtwerkes, daß er seine Mission als Leiter der Leipziger Bühnen in echt künstlerischem Sinne erfaßt hat und durchzuführen gedenkt.

Dafür sprach auch die bis in die kleinsten Rollen vorzügliche Besetzung des Werkes, für welche das gesammte Opernpersonal zugezogen war. – Otto Devrient gastirte in dem ersten Cyclus der Aufführungen als Mephisto und erntete als Bearbeiter und Darsteller doppelten Lorbeer.[1]

Goethe’s großes Werk lebt fortan nicht mehr im Buche allein, der großen Menge verschlossen, es steht lebendig, verkörpert vor uns und mit dem Fortschreiten der Kunst wird es uns im ganzen Glanze seiner ewigen Schönheit voll und uneingeschränkt erstehen. Hierfür gebührt dem rastlos strebenden Künstler Otto Devrient, wie dem kunstfördernden Director des Leipziger Stadttheaters, Kammersänger Max Staegemann, und seinem Oberregisseur, Ernst Gettke, nicht wen der volle Dank des Leipziger Publicums, sondern auch ein anerkennendes Wort der nationalen Kunstwelt. –

„Heilige Poesie,
Himmelan steige sie,
Glänze, der schönste Stern,
Fern und so weiter fern!
Und sie erreicht uns doch
Immer, man hört sie noch,
Vernimmt sie gern!“

singt der Chor zu Euphorion’s Leyer, des Sohnes Faust’s und der Helena, dessen Bild unsere Titelvignette (S. 671) bringt.

– M. –

  1. Sein Portrait wird eine der nächsten Nummern unseres Blattes schmücken.
    D. Red.