Faust - Der Tragödie erster Teil

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Textdaten
Autor: Johann Wolfgang von Goethe
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Titel: Faust. Eine Tragödie von Goethe
Untertitel: Der Tragödie erster Teil
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Entstehungsdatum: 1806 vorläufig beendet
Erscheinungsdatum: 1808
Verlag: J. G. Cotta
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Erscheinungsort: Tübingen
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Originalherkunft:
Quelle: HAAB Weimar und Scans auf Commons, E-Text: Bibliotheca Augustana
Kurzbeschreibung: Vorgänger von Faust - Der Tragödie zweiter Teil
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[1]
Faust.
Eine Tragödie.
von
Goethe.



Tübingen.
in der J. G. Cotta’schen Buchhandlung.
1808.

[2] WS: Bibliotheksstempel und Signatur

[3]
Zueignung.

[4]

[5]

Ihr naht euch wieder, schwankende Gestalten!
Die früh sich einst dem trüben Blick gezeigt.
Versuch’ ich wohl euch diesmal fest zu halten?
Fühl’ ich mein Herz noch jenem Wahn geneigt?

5
Ihr drängt euch zu! nun gut, so mögt ihr walten,

Wie ihr aus Dunst und Nebel um mich steigt;
Mein Busen fühlt sich jugendlich erschüttert
Vom Zauberhauch der euren Zug umwittert.

Ihr bringt mit euch die Bilder froher Tage,

10
Und manche liebe Schatten steigen auf;

Gleich einer alten, halbverklungnen Sage,
Kommt erste Lieb’ und Freundschaft mit herauf;
Der Schmerz wird neu, es wiederholt die Klage
Des Lebens labyrinthisch irren Lauf,

15
Und nennt die Guten, die, um schöne Stunden

Vom Glück getäuscht, vor mir hinweggeschwunden.

[6]

Sie hören nicht die folgenden Gesänge,
Die Seelen, denen ich die ersten sang,
Zerstoben ist das freundliche Gedränge,

20
Verklungen ach! der erste Wiederklang.

Mein Lied[1] ertönt der unbekannten Menge,
Ihr Beyfall selbst macht meinem Herzen bang,
Und was sich sonst an meinem Lied erfreuet,
Wenn es noch lebt, irrt in der Welt zerstreuet.

25
Und mich ergreift ein längst entwöhntes Sehnen

Nach jenem stillen, ernsten Geisterreich,
Es schwebet nun, in unbestimmten Tönen,
Mein lispelnd Lied, der Aeolsharfe gleich,
Ein Schauer faßt mich, Thräne folgt den Thränen,

30
Das strenge Herz es fühlt sich mild und weich;

Was ich besitze seh’ ich wie im weiten,
Und was verschwand wird mir zu Wirklichkeiten.

[7]
Vorspiel auf dem Theater.

[8]

[9]
Director, Theaterdichter, lustige Person.

Director.
Ihr beyden die ihr mir so oft,
In Noth und Trübsal, beygestanden,

35
Sagt was ihr wohl, in deutschen Landen,

Von unsrer Unternehmung hofft?
Ich wünschte sehr der Menge zu behagen,
Besonders weil sie lebt und leben läßt.
Die Pfosten sind, die Breter aufgeschlagen,

40
Und jedermann erwartet sich ein Fest.

Sie sitzen schon, mit hohen Augenbraunen,
Gelassen da und möchten gern erstaunen.
Ich weiß wie man den Geist des Volks versöhnt;
Doch so verlegen bin ich nie gewesen;

45
Zwar sind sie an das Beste nicht gewöhnt,
[10]

Allein sie haben schrecklich viel gelesen.
Wie machen wir’s? daß alles frisch und neu
Und mit Bedeutung auch gefällig sey.
Denn freylich mag ich gern die Menge sehen,

50
Wenn sich der Strom nach unsrer Bude drängt,

Und mit gewaltig wiederholten Wehen,
Sich durch die enge Gnadenpforte zwängt;
Bey hellem Tage, schon vor Vieren,
Mit Stößen sich bis an die Kasse ficht

55
Und, wie in Hungersnoth um Brot an Beckerthüren,

Um ein Billet sich fast die Hälse bricht.
Dieß Wunder wirkt auf so verschiedne Leute
Der Dichter nur; mein Freund, o! thu es heute.

Dichter.
O sprich mir nicht von jener bunten Menge,

60
Bey deren Anblick uns der Geist entflieht.

Verhülle mir das wogende Gedränge,
Das wider Willen uns zum Strudel zieht.
Nein, führe mich zur stillen Himmelsenge,
Wo nur dem Dichter reine Freude blüht;

65
Wo Lieb’ und Freundschaft unsres Herzens Segen

Mit Götterhand erschaffen und erpflegen.

[11]

Ach! was in tiefer Brust uns da entsprungen,
Was sich die Lippe schüchtern vorgelallt,
Mißrathen jetzt und jetzt vielleicht gelungen,

70
Verschlingt des wilden Augenblicks Gewalt.

Oft wenn es erst durch Jahre durchgedrungen
Erscheint es in vollendeter Gestalt.
Was glänzt ist für den Augenblick geboren,
Das Aechte bleibt der Nachwelt unverloren.

Lustige Person.

75
Wenn ich nur nichts von Nachwelt hören sollte.

Gesetzt daß ich von Nachwelt reden wollte,
Wer machte denn der Mitwelt Spaß?
Den will sie doch und soll ihn haben.
Die Gegenwart von einem braven Knaben

80
Ist, dächt’ ich, immer auch schon was.

Wer sich behaglich mitzutheilen weiß,
Den wird des Volkes Laune nicht erbittern;
Er wünscht sich einen großen Kreis,
Um ihn gewisser zu erschüttern.

85
Drum seyd nur brav und zeigt euch musterhaft,

Laßt Phantasie, mit allen ihren Chören,

[12]

Vernunft, Verstand, Empfindung, Leidenschaft,
Doch, merkt euch wohl! nicht ohne Narrheit hören.

Director.
Besonders aber laßt genug geschehn!

90
Man kommt zu schaun, man will am liebsten sehn.

Wird vieles vor den Augen abgesponnen,
So daß die Menge staunend gaffen kann,
Da habt ihr in der Breite gleich gewonnen,
Ihr seyd ein vielgeliebter Mann.

95
Die Masse könnt ihr nur durch Masse zwingen,

Ein jeder sucht sich endlich selbst was aus.
Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen;
Und jeder geht zufrieden aus dem Haus.
Gebt ihr ein Stück, so gebt es gleich in Stücken!

100
Solch ein Ragout es muß euch glücken;

Leicht ist es vorgelegt, so leicht als ausgedacht.
Was hilft’s wenn ihr ein Ganzes dargebracht,
Das Publikum wird es euch doch zerpflücken.

Dichter.
Ihr fühlet nicht wie schlecht ein solches Handwerk sey!

105
Wie wenig das den ächten Künstler zieme!
[13]

Der saubern Herren Pfuscherey
Ist, merk’ ich, schon bey euch Maxime.

Director.
Ein solcher Vorwurf läßt mich ungekränkt;
Ein Mann, der recht zu wirken denkt,

110
Muß auf das beste Werkzeug halten.

Bedenkt, ihr habet weiches Holz zu spalten,
Und seht nur hin für wen ihr schreibt!
Wenn diesen Langeweile treibt,
Kommt jener satt vom übertischten Mahle,

115
Und, was das allerschlimmste bleibt,

Gar mancher kommt vom Lesen der Journale.
Man eilt zerstreut zu uns, wie zu den Maskenfesten,
Und Neugier nur beflügelt jeden Schritt;
Die Damen geben sich und ihren Putz zum besten

120
Und spielen ohne Gage mit.

Was träumet ihr auf eurer Dichter-Höhe?
Was macht ein volles Haus euch froh?
Beseht die Gönner in der Nähe!
Halb sind sie kalt, halb sind sie roh.

125
Der, nach dem Schauspiel, hofft ein Kartenspiel,

Der eine wilde Nacht an einer Dirne Busen.

[14]

Was plagt ihr armen Thoren viel,
Zu solchem Zweck, die holden Musen?
Ich sag’ euch, gebt nur mehr, und immer, immer mehr,

130
So könnt ihr euch vom Ziele nie verirren,

Sucht nur die Menschen zu verwirren,
Sie zu befriedigen ist schwer – –
Was fällt euch an? Entzückung oder Schmerzen?

Dichter.
Geh hin und such dir einen andern Knecht!

135
Der Dichter sollte wohl das höchste Recht,

Das Menschenrecht, das ihm Natur vergönnt,
Um deinetwillen freventlich verscherzen!
Wodurch bewegt er alle Herzen?
Wodurch besiegt er jedes Element?

140
Ist es der Einklang nicht? der aus dem Busen dringt,

Und in sein Herz die Welt zurücke schlingt.
Wenn die Natur des Fadens ew’ge Länge,
Gleichgültig drehend, auf die Spindel zwingt,
Wenn aller Wesen unharmon’sche Menge

145
Verdrießlich durch einander klingt;

Wer theilt die fließend immer gleiche Reihe
Belebend ab, daß sie sich rythmisch regt?

[15]

Wer ruft das Einzelne zur allgemeinen Weihe?
Wo es in herrlichen Accorden schlägt,

150
Wer läßt den Sturm zu Leidenschaften wüthen?

Das Abendroth im ernsten Sinne glühn?
Wer schüttet alle schönen Frühlingsblüten
Auf der Geliebten Pfade hin?
Wer flicht die unbedeutend grünen Blätter

155
Zum Ehrenkranz Verdiensten jeder Art?

Wer sichert den Olymp? vereinet Götter?
Des Menschen Kraft im Dichter offenbart.

Lustige Person.
So braucht sie denn die schönen Kräfte
Und treibt die dicht’rischen Geschäfte,

160
Wie man ein Liebesabenteuer treibt.

Zufällig naht man sich, man fühlt, man bleibt
Und nach und nach wird man verflochten;
Es wächst das Glück, dann wird es angefochten,
Man ist entzückt, nun kommt der Schmerz heran,

165
Und eh man sich’s versieht ist’s eben ein Roman.

Laßt uns auch so ein Schauspiel geben!
Greift nur hinein ins volle Menschenleben!
Ein jeder lebt’s, nicht vielen ist’s bekannt,

[16]

Und wo ihr’s packt, da ist’s interessant.

170
In bunten Bildern wenig Klarheit,

Viel Irrthum und ein Fünkchen Wahrheit,
So wird der beste Trank gebraut,
Der alle Welt erquickt und auferbaut.
Dann sammelt sich der Jugend schönste Blüte

175
Vor eurem Spiel und lauscht der Offenbarung,

Dann sauget jedes zärtliche Gemüthe
Aus eurem Werk sich melanchol’sche Nahrung;
Dann wird bald dies bald jenes aufgeregt,
Ein jeder sieht was er im Herzen trägt.

180
Noch sind sie gleich bereit zu weinen und zu lachen,

Sie ehren noch den Schwung, erfreuen sich am Schein;
Wer fertig ist, dem ist nichts recht zu machen,
Ein Werdender wird immer dankbar seyn.

Dichter.
So gieb mir auch die Zeiten wieder,

185
Da ich noch selbst im Werden war,

Da sich ein Quell gedrängter Lieder
Ununterbrochen neu gebar,
Da Nebel mir die Welt verhüllten,
Die Knospe Wunder noch versprach,

[17]
190
Da ich die tausend Blumen brach,

Die alle Thäler reichlich füllten.
Ich hatte nichts und doch genug,
Den Drang nach Wahrheit und die Lust am Trug.
Gieb ungebändigt jene Triebe,

195
Das tiefe schmerzenvolle Glück,

Des Hasses Kraft, die Macht der Liebe,
Gieb meine Jugend mir zurück!

Lustige Person.
Der Jugend, guter Freund, bedarfst du allenfalls
Wenn dich in Schlachten Feinde drängen,

200
Wenn mit Gewalt an deinen Hals

Sich allerliebste Mädchen hängen,
Wenn fern des schnellen Laufes Kranz
Vom schwer erreichten Ziele winket,
Wenn nach dem heftgen Wirbeltanz

205
Die Nächte schmausend man vertrinket.

Doch ins bekannte Saitenspiel
Mit Muth und Anmuth einzugreifen,
Nach einem selbgesteckten Ziel
Mit holdem Irren hinzuschweifen,

210
Das, alte Herrn, ist eure Pflicht,
[18]

Und wir verehren euch darum nicht minder.
Das Alter macht nicht kindisch, wie man spricht,
Es findet uns nur noch als wahre Kinder.

Director.
Der Worte sind genug gewechselt,

215
Laßt mich auch endlich Thaten sehn;

Indeß ihr Complimente drechselt,
Kann etwas nützliches geschehn.
Was hilft es viel von Stimmung reden?
Dem Zaudernden erscheint sie nie.

220
Gebt ihr euch einmal für Poeten,

So kommandirt die Poesie.
Euch ist bekannt was wir bedürfen,
Wir wollen stark Getränke schlürfen;
Nun braut mir unverzüglich dran!

225
Was heute nicht geschieht, ist Morgen nicht gethan,

Und keinen Tag soll man verpassen,
Das Mögliche soll der Entschluß
Beherzt sogleich beym Schopfe fassen,
Er will es dann nicht fahren lassen,

230
Und wirket weiter, weil er muß.
[19]

      Ihr wißt, auf unsern deutschen Bühnen
Probirt ein jeder was er mag;
Drum schonet mir an diesem Tag
Prospecte nicht und nicht Maschinen.

235
Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht,

Die Sterne dürfet ihr verschwenden;
An Wasser, Feuer, Felsenwänden,
An Thier und Vögeln fehlt es nicht.
So schreitet in dem engen Breterhaus

240
Den ganzen Kreis der Schöpfung aus,

Und wandelt, mit bedächtger Schnelle,
Vom Himmel, durch die Welt, zur Hölle.

[20]

[21]
Prolog im Himmel.

[22]

[23]
Der Herr, die himmlischen Heerscharen, nachher Mephistopheles.

Die drey Erzengel treten vor.

Raphael.
Die Sonne tönt, nach alter Weise,
In Brudersphären Wettgesang,

245
Und ihre vorgeschriebne Reise

Vollendet sie mit Donnergang.
Ihr Anblick giebt den Engeln Stärke,
Wenn keiner sie ergründen mag.
Die unbegreiflich hohen Werke

250
Sind herrlich wie am ersten Tag.


Gabriel.
Und schnell und unbegreiflich schnelle

[24]

Dreht sich umher der Erde Pracht;
Es wechselt Paradieses-Helle
Mit tiefer schauervoller Nacht;

255
Es schäumt das Meer in breiten Flüssen

Am tiefen Grund der Felsen auf,
Und Fels und Meer wird fortgerissen
In ewig schnellem Sphärenlauf.

Michael.
Und Stürme brausen um die Wette

260
Vom Meer aufs Land vom Land aufs Meer,

Und bilden wüthend eine Kette
Der tiefsten Wirkung rings umher.
Da flammt ein blitzendes Verheeren
Dem Pfade vor des Donnerschlags.

265
Doch deine Boten, Herr, verehren

Das sanfte Wandeln deines Tags.

Zu Drey.
Der Anblick giebt den Engeln Stärke
Da keiner dich ergründen mag,
Und alle deine hohen Werke

270
Sind herrlich wie am ersten Tag.
[25]

Mephistopheles.
Da du, o Herr, dich einmal wieder nahst
Und fragst wie alles sich bey uns befinde,
Und du mich sonst gewöhnlich gerne sahst;
So siehst du mich auch unter dem Gesinde.

275
Verzeih, ich kann nicht hohe Worte machen,

Und wenn mich auch der ganze Kreis verhöhnt;
Mein Pathos brächte dich gewiß zum lachen,
Hättst du dir nicht das Lachen abgewöhnt.
Von Sonn’ und Welten weiß ich nichts zu sagen,

280
Ich sehe nur wie sich die Menschen plagen.

Der kleine Gott der Welt bleibt stets von gleichem Schlag,
Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag.
Ein wenig besser würd’ er leben,
Hättst du ihm nicht den Schein des Himmelslichts gegeben;

285
Er nennts Vernunft und braucht’s allein

Nur thierischer als jedes Thier zu seyn.
Er scheint mir, mit Verlaub von Ew. Gnaden,
Wie eine der langbeinigen Cicaden,
Die immer fliegt und fliegend springt

290
Und gleich im Gras ihr altes Liedchen singt;
[26]

Und läg’ er nur noch immer in dem Grase!
In jeden Quark begräbt er seine Nase.

Der Herr.
Hast du mir weiter nichts zu sagen?
Kommst du nur immer anzuklagen?

295
Ist auf der Erde ewig dir nichts recht?


Mephistopheles.
Nein Herr! ich find’ es dort, wie immer, herzlich schlecht.
Die Menschen dauern mich in ihren Jammertagen,
Ich mag sogar die Armen selbst nicht plagen.

Der Herr.
Kennst du den Faust?

Mephistopheles.
 Den Doctor?

Der Herr.
 Meinen Knecht!

Mephistopheles.

300
Fürwahr! er dient euch auf besondre Weise.

Nicht irdisch ist des Thoren Trank noch Speise.
Ihn treibt die Gährung in die Ferne,
Er ist sich seiner Tollheit halb bewußt;
Vom Himmel fordert er die schönsten Sterne,

[27]
305
Und von der Erde jede höchste Lust,

Und alle Näh’ und alle Ferne
Befriedigt nicht die tiefbewegte Brust.

Der Herr.
Wenn er mir jetzt auch nur verworren dient;
So werd’ ich ihn bald in die Klarheit führen.

310
Weiß doch der Gärtner, wenn das Bäumchen grünt,

Daß Blüt’ und Frucht die künft’gen Jahre zieren.

Mephistopheles.
Was wettet ihr? den sollt ihr noch verlieren!
Wenn ihr mir die Erlaubniß gebt
Ihn meine Straße sacht zu führen.

Der Herr.

315
So lang’ er auf der Erde lebt,

So lange sey dir’s nicht verboten.
Es irrt der Mensch so lang er strebt.

Mephistopheles.
Da dank’ ich euch; denn mit den Todten
Hab’ ich mich niemals gern befangen.

320
Am[2] meisten lieb’ ich mir die vollen frischen Wangen.

Für einen Leichnam bin ich nicht zu Haus;
Mir geht es wie der Katze mit der Maus.

[28]

Der Herr.
Nun gut, es sey dir überlassen!
Zieh diesen Geist von seinem Urquell ab,

325
Und führ’ ihn, kannst du ihn erfassen,

Auf deinem Wege mit herab,
Und steh’ beschämt, wenn du bekennen mußt:
Ein guter Mensch, in seinem dunkeln Drange,
Ist sich des rechten Weges wohl bewußt.

Mephistopheles.

330
Schon gut! nur dauert es nicht lange.

Mir ist für meine Wette gar nicht bange.
Wenn ich zu meinem Zweck gelange,
Erlaubt ihr mir Triumph aus voller Brust.
Staub soll er fressen, und mit Lust,

335
Wie meine Muhme, die berühmte Schlange.


Der Herr.
Du darfst auch da nur frey erscheinen;
Ich habe deines gleichen nie gehaßt.
Von allen Geistern die verneinen
Ist mir der Schalk am wenigsten zur Last.

340
Des Menschen Thätigkeit kann allzu leicht erschlaffen,

Er liebt sich bald die unbedingte Ruh;

[29]

Drum geb’ ich gern ihm den Gesellen zu,
Der reizt und wirkt, und muß, als Teufel, schaffen.
Doch ihr, die ächten Göttersöhne,

345
Erfreut euch der lebendig reichen Schöne!

Das Werdende, das ewig wirkt und lebt,
Umfaß’ euch mit der Liebe holden Schranken,
Und was in schwankender Erscheinung schwebt,
Befestiget mit dauernden Gedanken.

Der Himmel schließt, die Erzengel vertheilen sich,

Mephistopheles allein.

350
Von Zeit zu Zeit seh’ ich den Alten gern,

Und hüte mich mit ihm zu brechen.
Es ist gar hübsch von einem großen Herrn
So menschlich mit dem Teufel selbst zu sprechen.

[30]

[31]
Der Tragödie
Erster Theil.

[32]

[33]
Nacht.

In einem hochgewölbten, engen, gothischen Zimmer Faust unruhig auf seinem Sessel am Pulte.

Faust.
Habe nun, ach! Philosophie,

355
Juristerey und Medicin,

Und leider auch Theologie!
Durchaus studirt, mit heißem Bemühn.
Da steh’ ich nun, ich armer Thor!
Und bin so klug als wie zuvor;

360
Heiße Magister, heiße Doctor gar,

Und ziehe schon an die zehen Jahr,
Herauf, herab und quer und krumm,
Meine Schüler an der Nase herum –

[34]

Und sehe, daß wir nichts wissen können!

365
Das will mir schier das Herz verbrennen.

Zwar bin ich gescheidter als alle die Laffen,
Doctoren, Magister, Schreiber und Pfaffen;
Mich plagen keine Scrupel noch Zweifel,
Fürchte mich weder vor Hölle noch Teufel –

370
Dafür ist mir auch alle Freud’ entrissen,

Bilde mir nicht ein was rechts zu wissen,
Bilde mir nicht ein, ich könnte was lehren,
Die Menschen zu bessern und zu bekehren.
Auch hab’ ich weder Gut noch Geld,

375
Noch Ehr’ und Herrlichkeit der Welt.

Es möchte kein Hund so länger leben!
Drum hab’ ich mich der Magie ergeben,
Ob mir durch Geistes Kraft und Mund
Nicht manch Geheimniß würde kund;

380
Daß ich nicht mehr mit sauerm Schweiß,

Zu sagen brauche, was ich nicht weiß;
Daß ich erkenne, was die Welt
Im Innersten zusammenhält,
Schau’ alle Wirkenskraft und Samen,

385
Und thu’ nicht mehr in Worten kramen.
[35]

      O sähst du, voller Mondenschein,
Zum letztenmal auf meine Pein,
Den ich so manche Mitternacht
An diesem Pult herangewacht:

390
Dann über Büchern und Papier,

Trübsel’ger Freund, erschienst du mir!
Ach! könnt’ ich doch auf Berges-Höh’n,
In deinem lieben Lichte gehn,
Um Bergeshöle mit Geistern schweben,

395
Auf Wiesen in deinem Dämmer weben,

Von allem Wissensqualm entladen,
In deinem Thau gesund mich baden!

      Weh! steck’ ich in dem Kerker noch?
Verfluchtes, dumpfes Mauerloch!

400
Wo selbst das liebe Himmelslicht

Trüb’ durch gemahlte Scheiben bricht.
Beschränkt mit diesem Bücherhauf,
Den Würme nagen, Staub bedeckt,
Den, bis an’s hohe Gewölb’ hinauf,

405
Ein angeraucht Papier umsteckt;

Mit Gläsern, Büchsen rings umstellt,

[36]

Mit Instrumenten vollgepfropft,
Urväter Hausrath drein gestopft –
Das ist deine Welt! das heißt eine Welt!

410
      Und fragst du noch, warum dein Herz

Sich bang’ in deinem Busen klemmt?
Warum ein unerklärter Schmerz
Dir alle Lebensregung hemmt?
Statt der lebendigen Natur,

415
Da Gott die Menschen schuf hinein,

Umgiebt in Rauch und Moder nur
Dich Thiergeripp’ und Todtenbein.

      Flieh! auf! hinaus ins weite Land!
Und dieß geheimnißvolle Buch,

420
Von Nostradamus eigner Hand,

Ist dir es nicht Geleit genug?
Erkennest dann der Sterne Lauf,
Und wenn Natur dich unterweist,
Dann geht die Seelenkraft dir auf,

425
Wie spricht ein Geist zum andern Geist.

Umsonst, daß trocknes Sinnen hier

[37]

Die heil’gen Zeichen dir erklärt,
Ihr schwebt, ihr Geister, neben mir,
Antwortet mir, wenn ihr mich hört!

Er schlägt das Buch auf und erblickt das Zeichen des Makrokosmus.

430
Ha! welche Wonne fließt in diesem Blick

Auf einmal mir durch alle meine Sinnen!
Ich fühle junges, heil’ges Lebensglück
Neuglühend mir durch Nerv’ und Adern rinnen.
War es ein Gott, der diese Zeichen schrieb?

435
Die mir das innre Toben stillen,

Das arme Herz mit Freude füllen,
Und mit geheimnißvollem Trieb,
Die Kräfte der Natur rings um mich her enthüllen.
Bin ich ein Gott? Mir wird so licht!

440
Ich schau’ in diesen reinen Zügen

Die wirkende Natur vor meiner Seele liegen.
Jetzt erst erkenn’ ich was der Weise spricht:
„Die Geisterwelt ist nicht verschlossen;
Dein Sinn ist zu, dein Herz ist todt!

445
Auf bade, Schüler, unverdrossen,

Die ird’sche Brust im Morgenroth!“

Er beschaut das Zeichen.

[38]

Wie alles sich zum Ganzen webt,
Eins in dem andern wirkt und lebt!
Wie Himmelskräfte auf und nieder steigen

450
Und sich die goldnen Eimer reichen!

Mit segenduftenden Schwingen
Vom Himmel durch die Erde dringen,
Harmonisch all’ das All durchklingen!

      Welch Schauspiel! aber ach! ein Schauspiel nur!

455
Wo faß’ ich dich, unendliche Natur?

Euch Brüste, wo? Ihr Quellen alles Lebens,
An denen Himmel und Erde hängt,
Dahin die welke Brust sich drängt –
Ihr quellt, ihr tränkt, und schmacht’ ich so vergebens?

Er schlägt unwillig das Buch um, und erblickt das Zeichen des Erdgeistes.

460
Wie anders wirkt dieß Zeichen auf mich ein!

Du, Geist der Erde, bist mir näher;
Schon fühl’ ich meine Kräfte höher,
Schon glüh’ ich wie von neuem Wein,
Ich fühle Muth, mich in die Welt zu wagen,

465
Der Erde Weh, der Erde Glück zu tragen,

Mit Stürmen mich herumzuschlagen,

[39]

Und in des Schiffbruchs Knirschen nicht zu zagen,
Es wölkt sich über mir –
Der Mond verbirgt sein Licht –

470
Die Lampe schwindet!

Es dampft! – Es zucken rothe Strahlen
Mir um das Haupt – Es weht
Ein Schauer vom Gewölb’ herab
Und faßt mich an!

475
Ich fühl’s, du schwebst um mich, erflehter Geist.

Enthülle dich!
Ha! wie’s in meinem Herzen reißt!
Zu neuen Gefühlen
All’ meine Sinnen sich erwühlen!

480
Ich fühle ganz mein Herz dir hingegeben!

Du mußt! du mußt! und kostet’ es mein Leben!

Er faßt das Buch und spricht das Zeichen des Geistes geheimnißvoll aus. Es zuckt eine röthliche Flamme, der Geist erscheint in der Flamme.

Geist.
Wer ruft mir?

Faust abgewendet.
 Schreckliches Gesicht!

[40]

Geist.
Du hast mich mächtig angezogen,
An meiner Sphäre lang’ gesogen,

485
Und nun –


Faust.
 Weh! ich ertrag’ dich nicht!

Geist.
Du flehst erathmend mich zu schauen,
Meine Stimme zu hören, mein Antlitz zu sehn,
Mich neigt dein mächtig Seelenflehn,
Da bin ich! – Welch erbärmlich Grauen

490
Faßt Uebermenschen dich! Wo ist der Seele Ruf?

Wo ist die Brust? die eine Welt in sich erschuf,
Und trug und hegte; die mit Freudebeben
Erschwoll, sich uns, den Geistern, gleich zu heben.
Wo bist du, Faust? deß Stimme mir erklang,

495
Der sich an mich mit allen Kräften drang?

Bist Du es? der, von meinem Hauch umwittert,
In allen Lebenstiefen zittert,
Ein furchtsam weggekrümmter Wurm!

Faust.
Soll ich dir, Flammenbildung, weichen?

500
Ich bin’s, bin Faust, bin deines gleichen!
[41]
Geist.

In Lebensfluthen, im Thatensturm
Wall’ ich auf und ab,
Webe hin und her!
Geburt und Grab,

505
Ein ewiges Meer,

Ein wechselnd Weben,
Ein glühend Leben,
So schaff’ ich am sausenden Webstuhl der Zeit,
Und wirke der Gottheit lebendiges Kleid.

Faust.

510
Der du die weite Welt umschweifst,

Geschäftiger Geist, wie nah fühl’ ich mich dir!

Geist.
Du gleichst dem Geist, den du begreifst,

Nicht mir!

Verschwindet.

Faust zusammenstürzend.
Nicht dir!

515
Wem denn?

Ich Ebenbild der Gottheit!
Und nicht einmal dir!

[42] Es klopft.

O Tod! ich kenn’s – das ist mein Famulus –
Es wird mein schönstes Glück zu nichte!

520
Daß diese Fülle der Gesichte

Der trockne Schleicher stören muß!

Wagner im Schlafrocke und der Nachtmütze, eine Lampe in der Hand. Faust wendet sich unwillig.

Wagner.
Verzeiht! ich hör’ euch declamiren;
Ihr las’t gewiß ein griechisch Trauerspiel?
In dieser Kunst möcht’ ich ’was profitiren,

525
Denn heut zu Tage wirkt das viel.

Ich hab’ es öfters rühmen hören,
Ein Komödiant könnt’ einen Pfarrer lehren.

Faust.
Ja, wenn der Pfarrer ein Komödiant ist;
Wie das denn wohl zu Zeiten kommen mag.

Wagner.

530
Ach! wenn man so in sein Museum gebannt ist,

Und sieht die Welt kaum einen Feyertag,
Kaum durch ein Fernglas, nur von weiten,
Wie soll man sie durch Ueberredung leiten?

[43]

Faust.
Wenn ihr’s nicht fühlt, ihr werdet’s nicht erjagen,

535
Wenn es nicht aus der Seele dringt,

Und mit urkräftigem Behagen
Die Herzen aller Hörer zwingt.
Sitzt ihr nur immer! leimt zusammen,
Braut ein Ragout von andrer Schmaus,

540
Und blas’t die kümmerlichen Flammen

Aus eurem Aschenhäufchen ’raus!
Bewund’rung von Kindern und Affen,
Wenn euch darnach der Gaumen steht;
Doch werdet ihr nie Herz zu Herzen schaffen,

545
Wenn es euch nicht von Herzen geht.


Wagner.
Allein der Vortrag macht des Redners Glück;
Ich fühl’ es wohl, noch bin ich weit zurück.

Faust.
Such’ Er den redlichen Gewinn!
Sey er kein schellenlauter Thor!

550
Es trägt Verstand und rechter Sinn

Mit wenig Kunst sich selber vor;
Und wenn’s euch Ernst ist was zu sagen,

[44]

Ist’s nöthig Worten nachzujagen?
Ja, eure Reden, die so blinkend sind,

555
In denen ihr der Menschheit Schnitzel kräuselt,

Sind unerquicklich wie der Nebelwind,
Der herbstlich durch die dürren Blätter säuselt!

Wagner.
Ach Gott! die Kunst ist lang;
Und kurz ist unser Leben.

560
Mir wird, bey meinem kritischen Bestreben,

Doch oft um Kopf und Busen bang’.
Wie schwer sind nicht die Mittel zu erwerben,
Durch die man zu den Quellen steigt!
Und eh’ man nur den halben Weg erreicht,

565
Muß wohl ein armer Teufel sterben.


Faust.
Das Pergament, ist das der heilge Bronnen,
Woraus ein Trunk den Durst auf ewig stillt?
Erquickung hast du nicht gewonnen,
Wenn sie dir nicht aus eigner Seele quillt.

Wagner.

570
Verzeiht! es ist ein groß Ergetzen,

Sich in den Geist der Zeiten zu versetzen;

[45]
Zu schauen, wie vor uns ein weiser Mann gedacht,

Und wie wir’s dann zuletzt so herrlich weit gebracht.

Faust.
O ja, bis an die Sterne weit!

575
Mein Freund, die Zeiten der Vergangenheit

Sind uns ein Buch mit sieben Siegeln.
Was ihr den Geist der Zeiten heißt,
Das ist im Grund der Herren eigner Geist,
In dem die Zeiten sich bespiegeln.

580
Da ist’s dann wahrlich oft ein Jammer!

Man läuft euch bey dem ersten Blick davon.
Ein Kehrichtfaß und eine Rumpelkammer,
Und höchstens eine Haupt- und Staatsaction,
Mit trefflichen, pragmatischen Maximen,

585
Wie sie den Puppen wohl im Munde ziemen!


Wagner.
Allein die Welt! des Menschen Herz und Geist!
Möcht’ jeglicher doch was davon erkennen.

Faust.
Ja was man so erkennen heißt!
Wer darf das Kind beym rechten Namen nennen?

590
Die wenigen, die was davon erkannt,
[46]
Die thöricht g’nug ihr volles Herz nicht wahrten,

Dem Pöbel ihr Gefühl, ihr Schauen offenbarten,
Hat man von je gekreutzigt und verbrannt.
Ich bitt’ euch, Freund, es ist tief in der Nacht,

595
Wir müssen’s dießmal unterbrechen.


Wagner.
Ich hätte gern nur immer fortgewacht,
Um so gelehrt mit euch mich zu besprechen.
Doch Morgen, als am ersten Ostertage,
Erlaubt mir ein’ und andre Frage.

600
Mit Eifer hab’ ich mich der Studien beflissen,
Zwar weiß ich viel, doch möcht’ ich alles wissen.

ab.

Faust allein.
Wie nur dem Kopf nicht alle Hoffnung schwindet,
Der immerfort an schalem Zeuge klebt,
Mit gier’ger Hand nach Schätzen gräbt,

605
Und froh ist, wenn er Regenwürmer findet!


     Darf eine solche Menschenstimme hier,
Wo Geisterfülle mich umgab, ertönen?
Doch ach! für dießmal dank’ ich dir,

[47]
Dem ärmlichsten von allen Erdensöhnen.
610
Du rissest mich von der Verzweiflung los,

Die mir die Sinne schon zerstören wollte.
Ach! die Erscheinung war so Riesen-groß,
Daß ich mich recht als Zwerg empfinden sollte.

     Ich, Ebenbild der Gottheit, das sich schon

615
Ganz nah gedünkt dem Spiegel ew’ger Wahrheit,

Sein selbst genoß, in Himmelsglanz und Klarheit,
Und abgestreift den Erdensohn;
Ich, mehr als Cherub, dessen freye Kraft
Schon durch die Adern der Natur zu fließen

620
Und, schaffend, Götterleben zu genießen

Sich ahndungsvoll vermaß, wie muß ich’s büßen!
Ein Donnerwort hat mich hinweggerafft.

     Nicht darf ich dir zu gleichen mich vermessen.
Hab’ ich die Kraft dich anzuziehn besessen;

625
So hatt’ ich dich zu halten keine Kraft.

In jenem sel’gen Augenblicke
Ich fühlte mich so klein, so groß,

Du stießest grausam mich zurücke,
[48]
Ins ungewisse Menschenloos.
630
Wer lehret mich? was soll ich meiden?

Soll ich gehorchen jenem Drang?
Ach! unsre Thaten selbst, so gut als unsre Leiden,
Sie hemmen unsres Lebens Gang.

     Dem herrlichsten, was auch der Geist empfangen,

635
Drängt immer fremd und fremder Stoff sich an;

Wenn wir zum Guten dieser Welt gelangen,
Dann heißt das Beßre Trug und Wahn.
Die uns das Leben gaben, herrliche Gefühle
Erstarren in dem irdischen Gewühle.

640
     Wenn Phantasie sich sonst, mit kühnem Flug,

Und hoffnungsvoll zum Ewigen erweitert,
So ist ein kleiner Raum ihr nun genug,
Wenn Glück auf Glück im Zeitenstrudel scheitert.
Die Sorge nistet gleich im tiefen Herzen,

645
Dort wirket sie geheime Schmerzen,

Unruhig wiegt sie sich und störet Lust und Ruh;
Sie deckt sich stets mit neuen Masken zu,

Sie mag als Haus und Hof, als Weib und Kind erscheinen,
[49]
Als Feuer, Wasser, Dolch und Gift;
650
Du bebst vor allem was nicht trifft,

Und was du nie verlierst das mußt du stets beweinen.

     Den Göttern gleich’ ich nicht! zu tief ist es gefühlt;
Dem Wurme gleich’ ich, der den Staub durchwühlt;
Den, wie er sich im Staube nährend lebt,

655
Des Wandrers Tritt vernichtet und begräbt.


     Ist es nicht Staub? was diese hohe Wand,
Aus hundert Fächern, mir verenget;
Der Trödel, der mit tausendfachem Tand,
In dieser Mottenwelt mich dränget?

660
Hier soll ich finden was mir fehlt?

Soll ich vielleicht in tausend Büchern lesen,
Daß überall die Menschen sich gequält,
Daß hie und da ein Glücklicher gewesen? –
Was grinsest du mir hohler Schädel her?

665
Als daß dein Hirn, wie meines, einst verwirret,

Den leichten Tag gesucht und in der Dämmrung schwer,
Mit Lust nach Wahrheit, jämmerlich geirret.

Ihr Instrumente freylich, spottet mein,
[50]
Mit Rad und Kämmen, Walz’ und Bügel.
670
Ich stand am Thor, ihr solltet Schlüssel seyn;

Zwar euer Bart ist kraus, doch hebt ihr nicht die Riegel.
Geheimnißvoll am lichten Tag
Läßt sich Natur des Schleyers nicht berauben,
Und was sie deinem Geist nicht offenbaren mag,

675
Das zwingst du ihr nicht ab mit Hebeln und mit Schrauben.

Du alt Geräthe das ich nicht gebraucht,
Du stehst nur hier, weil dich mein Vater brauchte.
Du alte Rolle, du wirst angeraucht,
So lang an diesem Pult die trübe Lampe schmauchte.

680
Weit besser hätt’ ich doch mein weniges verpraßt,

Als mit dem wenigen belastet hier zu schwitzen!
Was du ererbt von deinen Vätern hast
Erwirb es, um es zu besitzen.
Was man nicht nützt ist eine schwere Last,

685
Nur was der Augenblick erschafft, das kann er nützen.


     Doch warum heftet sich mein Blick auf jene Stelle?
Ist jenes Fläschchen dort den Augen ein Magnet?
Warum wird mir auf einmal lieblich helle?

Als wenn im nächt’gen Wald uns Mondenglanz umweht.
[51]
690
     Ich grüße dich, du einzige Phiole!

Die ich mit Andacht nun herunterhole,
In dir verehr’ ich Menschenwitz und Kunst.
Du Inbegriff der holden Schlummersäfte,
Du Auszug aller tödlich feinen Kräfte,

695
Erweise deinem Meister deine Gunst!

Ich sehe dich, es wird der Schmerz gelindert,
Ich fasse dich, das Streben wird gemindert,
Des Geistes Fluthstrom ebbet nach und nach.
Ins hohe Meer werd’ ich hinausgewiesen,

700
Die Spiegelfluth erglänzt zu meinen Füßen,

Zu neuen Ufern lockt ein neuer Tag.

     Ein Feuerwagen schwebt, auf leichten Schwingen,
An mich heran! Ich fühle mich bereit
Auf neuer Bahn den Aether zu durchdringen,

705
Zu neuen Sphären reiner Thätigkeit.

Dieß hohe Leben, diese Götterwonne!
Du, erst noch Wurm, und die verdienest du?
Ja, kehre nur der holden Erdensonne
Entschlossen deinen Rücken zu!

710
Vermesse dich die Pforten aufzureißen,
[52]
Vor denen jeder gern vorüber schleicht.

Hier ist es Zeit durch Thaten zu beweisen,
Daß Mannes-Würde nicht der Götterhöhe weicht,
Vor jener dunkeln Höhle nicht zu beben,

715
In der sich Phantasie zu eigner Quaal verdammt,

Nach jenem Durchgang hinzustreben,
Um dessen engen Mund die ganze Hölle flammt;
Zu diesem Schritt sich heiter zu entschließen
Und, wär’ es mit Gefahr, ins Nichts dahin zu fließen.

720
     Nun komm herab, krystallne reine Schaale!

Hervor aus deinem alten Futterale,
An die ich viele Jahre nicht gedacht.
Du glänztest bey der Väter Freudenfeste,
Erheitertest die ernsten Gäste,

725
Wenn einer dich dem andern zugebracht.

Der vielen Bilder künstlich reiche Pracht,
Des Trinkers Pflicht, sie reimweis zu erklären,
Auf Einen Zug die Höhlung auszuleeren,
Erinnert mich an manche Jugend-Nacht,

730
Ich werde jetzt dich keinem Nachbar reichen,
Ich werde meinen Witz an deiner Kunst nicht zeigen,
[53]
Hier ist ein Saft, der eilig trunken macht.

Mit brauner Flut erfüllt er deine Höhle.
Den ich bereitet, den ich wähle,

735
Der letzte Trunk sey nun, mit ganzer Seele,
Als festlich hoher Gruß, dem Morgen zugebracht!

Er setzt die Schaale an den Mund.

Glockenklang und Chorgesang.


Chor der Engel.

               Christ ist erstanden!
          Freude dem Sterblichen,
          Den die verderblichen,

740
          Schleichenden, erblichen

          Mängel umwanden.

Faust.
Welch tiefes Summen, welch ein heller Ton,
Zieht mit Gewalt das Glas von meinem Munde?
Verkündiget ihr dumpfen Glocken schon

745
Des Osterfestes erste Feyerstunde?

Ihr Chöre singt ihr schon den tröstlichen Gesang?
Der einst, um Grabes Nacht, von Engelslippen klang,

Gewißheit einem neuen Bunde.
[54]
Chor der Weiber.

          Mit Spezereyen

750
          Hatten wir ihn gepflegt,

          Wir seine Treuen
          Hatten ihn hingelegt;
          Tücher und Binden
          Reinlich umwanden wir,

755
          Ach! und wir finden

          Christ nicht mehr hier.

Chor der Engel.
          Christ ist erstanden!
          Selig der Liebende,
          Der die Betrübende,

760
          Heilsam’ und übende

          Prüfung bestanden.

Faust.
Was sucht ihr, mächtig und gelind,
Ihr Himmelstöne mich am Staube?
Klingt dort umher, wo weiche Menschen sind.

765
Die Botschaft hör’ ich wohl, allein mir fehlt der Glaube

Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.

Zu jenen Sphären wag’ ich nicht zu streben,
[55]
Woher die holde Nachricht tönt;

Und doch, an diesen Klang von Jugend auf gewöhnt,

770
Ruft er auch jetzt zurück mich in das Leben.

Sonst stürzte sich der Himmels-Liebe Kuß
Auf mich herab, in ernster Sabathstille;
Da klang so ahndungsvoll des Glockentones Fülle,
Und ein Gebet war brünstiger Genuß;

775
Ein unbegreiflich holdes Sehnen

Trieb mich durch Wald und Wiesen hinzugehn,
Und unter tausend heißen Thränen,
Fühlt’ ich mir eine Welt entstehn.
Dieß Lied verkündete der Jugend muntre Spiele,

780
Der Frühlingsfeyer freyes Glück;

Erinnrung hält mich nun, mit kindlichem Gefühle,
Vom letzten, ernsten Schritt zurück.
O! tönet fort, ihr süßen Himmelslieder!
Die Thräne quillt, die Erde hat mich wieder!

Chor der Jünger.

785
          Hat der Begrabene

          Schon sich nach oben,
          Lebend Erhabene,

          Herrlich erhoben;
[56]
          Ist er in Werdelust
790
          Schaffender Freude nah;

          Ach! an der Erde Brust,
          Sind wir zum Leide da.
          Ließ er die Seinen
          Schmachtend uns hier zurück;

795
          Ach! wir beweinen

          Meister dein Glück!

Chor der Engel.
          Christ ist erstanden,
          Aus der Verwesung Schoos.
          Reißet von Banden

800
          Freudig euch los!

          Thätig ihn preisenden,
          Liebe beweisenden,
          Brüderlich speisenden,
          Predigend reisenden,

805
          Wonne verheißenden

          Euch ist der Meister nah’,

          Euch ist er da!
[57]
Vor dem Thor.
Spaziergänger aller Art ziehen hinaus.


Einige Handwerksbursche.
Warum denn dort hinaus?

Andre.
Wir gehn hinaus auf’s Jägerhaus.

Die Ersten.

810
Wir aber wollen nach der Mühle wandern.


Ein Handwerksbursch.
Ich rath’ euch nach dem Wasserhof zu gehn.

Zweyter.
Der Weg dahin ist gar nicht schön.

[58]

Die Zweyten.
Was thust denn du?

Ein Dritter.
 Ich gehe mit den andern.

Vierter.
Nach Burgdorf kommt herauf, gewiß dort findet ihr

815
Die schönsten Mädchen und das beste Bier,

Und Händel von der ersten Sorte.

Fünfter.
Du überlustiger Gesell,
Juckt dich zum drittenmal das Fell?
Ich mag nicht hin, mir graut es vor dem Orte.

Dienstmädchen.

820
Nein, nein! ich gehe nach der Stadt zurück.


Andre.
Wir finden ihn gewiß bey jenen Pappeln stehen.

Erste.
Das ist für mich kein großes Glück;
Er wird an deiner Seite gehen,
Mit dir nur tanzt er auf dem Plan.

825
Was gehn mich deine Freuden an!
[59]

Andre.
Heut ist er sicher nicht allein,
Der Krauskopf, sagt er, würde bey ihm seyn.

Schüler.
Blitz wie die wackern Dirnen schreiten!
Herr Bruder komm! wir müssen sie begleiten.

830
Ein starkes Bier, ein beizender Toback,

Und eine Magd im Putz das ist nun mein Geschmack.

Bürgermädchen.
Da sieh mir nur die schönen Knaben!
Es ist wahrhaftig eine Schmach,
Gesellschaft könnten sie die allerbeste haben,

835
Und laufen diesen Mägden nach!


Zweyter Schüler zum ersten.
Nicht so geschwind! dort hinten kommen zwey,
Sie sind gar niedlich angezogen,
’s ist meine Nachbarin dabey;
Ich bin dem Mädchen sehr gewogen.

840
Sie gehen ihren stillen Schritt

Und nehmen uns doch auch am Ende mit.

Erster.
Herr Bruder nein! Ich bin nicht gern genirt.

[60]
Geschwind! daß wir das Wildpret nicht verlieren.

Die Hand, die Samstags ihren Besen führt,

845
Wird Sontags dich am besten caressiren.


Bürger.
Nein, er gefällt mir nicht der neue Burgemeister!
Nun, da er’s ist, wird er nur täglich dreister.
Und für die Stadt was thut denn er?
Wird es nicht alle Tage schlimmer?

850
Gehorchen soll man mehr als immer,

Und zahlen mehr als je vorher.

Bettler singt.
Ihr guten Herrn, ihr schönen Frauen,
So wohlgeputzt und backenroth,
Belieb’ es euch mich anzuschauen,

855
Und seht und mildert meine Noth!

Laßt hier mich nicht vergebens leyern!
Nur der ist froh, der geben mag.
Ein Tag den alle Menschen feyern,
Er sey für mich ein Aerndetag.

Andrer Bürger.

860
Nichts bessers weiß ich mir an Sonn- und Feyertagen,
Als ein Gespräch von Krieg und Kriegsgeschrey,
[61]
Wenn hinten, weit, in der Türkey,

Die Völker auf einander schlagen.
Man steht am Fenster, trinkt sein Gläschen aus

865
Und sieht den Fluß hinab die bunten Schiffe gleiten;

Dann kehrt man Abends froh nach Haus,
Und segnet Fried’ und Friedenszeiten.

Dritter Bürger.
Herr Nachbar, ja! so laß ich’s auch geschehn,
Sie mögen sich die Köpfe spalten,

870
Mag alles durch einander gehn;

Doch nur zu Hause bleib’s beym Alten.

Alte zu den Bürgermädchen.
Ey! wie geputzt! das schöne junge Blut!
Wer soll sich nicht in euch vergaffen? –
Nur nicht so stolz! es ist schon gut!

875
Und was ihr wünscht das wüßt’ ich wohl zu schaffen.


Bürgermädchen.
Agathe fort! ich nehme mich in Acht
Mit solchen Hexen öffentlich zu gehen;
Sie ließ mich zwar, in Sanct Andreas Nacht,

Den künftgen Liebsten leiblich sehen.
[62]
Die Andre.
880
Mir zeigte sie ihn im Krystall,

Soldatenhaft, mit mehreren Verwegnen;
Ich seh’ mich um, ich such’ ihn überall,
Allein mir will er nicht begegnen.

Soldaten.
     Burgen mit hohen

885
     Mauern und Zinnen,

     Mädchen mit stolzen
     Höhnenden Sinnen
     Möcht’ ich gewinnen!
     Kühn ist das Mühen,

890
     Herrlich der Lohn!


     Und die Trompete
     Lassen wir werben,
     Wie zu der Freude,
     So zum Verderben.

895
     Das ist ein Stürmen!

     Das ist ein Leben!
     Mädchen und Burgen

     Müssen sich geben.
[63]
     Kühn ist das Mühen,
900
     Herrlich der Lohn!

     Und die Soldaten
     Ziehen davon.

Faust und Wagner.

Faust.
Vom Eise befreyt sind Strom und Bäche,
Durch des Frühlings holden, belebenden Blick,

905
Im Thale grünet Hoffnungs-Glück;

Der alte Winter, in seiner Schwäche,
Zog sich in rauhe Berge zurück.
Von dorther sendet er, fliehend, nur
Ohnmächtige Schauer körnigen Eises

910
In Streifen über die grünende Flur;

Aber die Sonne duldet kein Weißes,
Ueberall regt sich Bildung und Streben,
Alles will sie mit Farben beleben;
Doch an Blumen fehlts im Revier,

915
Sie nimmt geputzte Menschen dafür.

Kehre dich um, von diesen Höhen

Nach der Stadt zurück zu sehen.
[64]
Aus dem hohlen finstren Thor

Dringt ein buntes Gewimmel hervor.

920
Jeder sonnt sich heute so gern.

Sie feyern die Auferstehung des Herrn,
Denn sie sind selber auferstanden,
Aus niedriger Häuser dumpfen Gemächern,
Aus Handwerks- und Gewerbes Banden,

925
Aus dem Druck von Giebeln und Dächern,

Aus der Straßen quetschender Enge,
Aus der Kirchen ehrwürdiger Nacht
Sind sie alle ans Licht gebracht.
Sieh nur sieh! wie behend sich die Menge

930
Durch die Gärten und Felder zerschlägt,

Wie der Fluß, in Breit’ und Länge,
So manchen lustigen Nachen bewegt,
Und, bis zum Sinken überladen
Entfernt sich dieser letzte Kahn.

935
Selbst von des Berges fernen Pfaden

Blinken uns farbige Kleider an.
Ich höre schon des Dorfs Getümmel,

Hier ist des Volkes wahrer Himmel,
[65]
Zufrieden jauchzet groß und klein:
940
Hier bin ich Mensch, hier darf ich’s seyn.


Wagner.
Mit euch, Herr Doctor, zu spazieren
Ist ehrenvoll und ist Gewinn;
Doch würd’ ich nicht allein mich her verlieren,
Weil ich ein Feind von allem Rohen bin.

945
Das Fiedeln, Schreien, Kegelschieben,

Ist mir ein gar verhaßter Klang;
Sie toben wie vom bösen Geist getrieben
Und nennen’s Freude, nennen’s Gesang.


Bauern unter der Linde.

Tanz und Gesang.

Der Schäfer putzte sich zum Tanz,

950
Mit bunter Jacke, Band und Kranz,

Schmuck war er angezogen.
Schon um die Linde war es voll
Und alles tanzte schon wie toll.
Juchhe! Juchhe!

[66]
955
Juchheisa! Heisa! He!

So ging der Fiedelbogen.

Er drückte hastig sich heran,
Da stieß er an ein Mädchen an,
Mit seinem Ellenbogen;

960
Die frische Dirne kehrt sich um

Und sagte: nun das find’ ich dumm
Juchhe! Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!
Seyd nicht so ungezogen.

965
Doch hurtig in dem Kreise ging’s,

Sie tanzten rechts sie tanzten links
Und alle Röcke flogen.
Sie wurden roth, sie wurden warm
Und ruhten athmend Arm in Arm,

970
Juchhe! Juchhe!

Juchheisa! Heisa! He!
Und Hüft’ an Ellenbogen.

Und thu mir doch nicht so vertraut!

Wie mancher hat nicht seine Braut
[67]
975
Belogen und betrogen!

Er schmeichelte sie doch bey Seit’
Und von der Linde scholl es weit:
Juchhe! Juchhe!
Juchheisa! Heisa! He!

980
Geschrei und Fiedelbogen.


Alter Bauer.
Herr Doctor, das ist schön von euch,
Daß ihr uns heute nicht verschmäht,
Und unter dieses Volksgedräng’,
Als ein so Hochgelahrter, geht.

985
So nehmet auch den schönsten Krug,

Den wir mit frischem Trunk gefüllt,
Ich bring’ ihn zu und wünsche laut,
Daß er nicht nur den Durst euch stillt;
Die Zahl der Tropfen, die er hegt,

990
Sey euren Tagen zugelegt.


Faust.
Ich nehme den Erquickungs-Trank,
Erwiedr’ euch allen Heil und Dank.

Das Volk sammelt sich im Kreis umher.
[68]
Alter Bauer.

Fürwahr es ist sehr wohl gethan,
Daß ihr am frohen Tag erscheint;

995
Habt ihr es vormals doch mit uns

An bösen Tagen gut gemeynt!
Gar mancher steht lebendig hier,
Den euer Vater noch zuletzt
Der heißen Fieberwuth entriß,

1000
Als er der Seuche Ziel gesetzt.

Auch damals ihr, ein junger Mann,
Ihr gingt in jedes Krankenhaus,
Gar manche Leiche trug man fort,
Ihr aber kamt gesund heraus,

1005
Bestandet manche harte Proben;

Dem Helfer half der Helfer droben.

Alle.
Gesundheit dem bewährten Mann,
Daß er noch lange helfen kann!

Faust.
Vor jenem droben steht gebückt,

1010
Der helfen lehrt und Hülfe schickt.

Er geht mit Wagnern weiter.

[69]
Wagner.

Welch ein Gefühl mußt du, o großer Mann!
Bey der Verehrung dieser Menge haben!
O! glücklich! wer von seinen Gaben
Solch einen Vortheil ziehen kann.

1015
Der Vater zeigt dich seinem Knaben,

Ein jeder fragt und drängt und eilt,
Die Fiedel stockt, der Tänzer weilt.
Du gehst, in Reihen stehen sie,
Die Mützen fliegen in die Höh’;

1020
Und wenig fehlt, so beugten sich die Knie,

Als käm’ das Venerabile.

Faust.
Nur wenig Schritte noch hinauf zu jenem Stein,
Hier wollen wir von unsrer Wandrung rasten.
Hier saß ich oft gedankenvoll allein

1025
Und quälte mich mit Beten und mit Fasten.

An Hoffnung reich, im Glauben fest,
Mit Thränen, Seufzen, Händeringen
Dacht’ ich das Ende jener Pest
Vom Herrn des Himmels zu erzwingen.

1030
Der Menge Beyfall tönt mir nun wie Hohn.
[70]
O könntest du in meinem Innern lesen,

Wie wenig Vater und Sohn
Solch eines Ruhmes werth gewesen!
Mein Vater war ein dunkler Ehrenmann,

1035
Der über die Natur und ihre heilgen Kreise,

In Redlichkeit, jedoch auf seine Weise,
Mit grillenhafter Mühe sann.
Der, in Gesellschaft von Adepten,
Sich in die schwarze Küche schloß,

1040
Und, nach unendlichen Recepten,

Das Widrige zusammengoß.
Da ward ein rother Leu, ein kühner Freyer,
Im lauen Bad, der Lilie vermählt
Und beyde dann, mit offnem Flammenfeuer,

1045
Aus einem Brautgemach ins andere gequält.

Erschien darauf, mit bunten Farben,
Die junge Königin im Glas,
Hier war die Arzeney, die Patienten starben,
Und niemand fragte: wer genas?

1050
So haben wir, mit höllischen Latwergen,

In diesen Thälern, diesen Bergen,

Weit schlimmer als die Pest getobt.
[71]
Ich habe selbst den Gift an Tausende gegeben,

Sie welkten hin, ich muß erleben

1055
Daß man die frechen Mörder lobt.


Wagner.
Wie könnt ihr euch darum betrüben!
Thut nicht ein braver Mann genug;
Die Kunst, die man ihm übertrug,
Gewissenhaft und pünctlich auszuüben.

1060
Wenn du, als Jüngling, deinen Vater ehrst,

So wirst du gern von ihm empfangen;
Wenn du, als Mann, die Wissenschaft vermehrst,
So kann dein Sohn zu höhrem Ziel gelangen.

Faust.
O! glücklich! wer noch hoffen kann

1065
Aus diesem Meer des Irrthums aufzutauchen.

Was man nicht weiß das eben brauchte man,
Und was man weiß kann man nicht brauchen.
Doch laß uns dieser Stunde schönes Gut,
Durch solchen Trübsinn, nicht verkümmern!

1070
Betrachte wie, in Abendsonne-Glut,

Die grünumgebnen Hütten schimmern.

Sie rückt und weicht, der Tag ist überlebt,
[72]
Dort eilt sie hin und fördert neues Leben.

O! daß kein Flügel mich vom Boden hebt,

1075
Ihr nach und immer nach zu streben.

Ich säh’ im ewigen Abendstrahl
Die stille Welt zu meinen Füßen,
Entzündet alle Höhn, beruhigt jedes Thal,
Den Silberbach in goldne Ströme fließen.

1080
Nicht hemmte dann den göttergleichen Lauf

Der wilde Berg mit allen seinen Schluchten;
Schon thut das Meer sich mit erwärmten Buchten
Vor den erstaunten Augen auf.
Doch scheint die Göttin endlich wegzusinken;

1085
Allein der neue Trieb erwacht,

Ich eile fort ihr ew’ges Licht zu trinken,
Vor mir den Tag, und hinter mir die Nacht,
Den Himmel über mir und unter mir die Wellen.
Ein schöner Traum, indessen sie entweicht.

1090
Ach! zu des Geistes Flügeln wird so leicht

Kein körperlicher Flügel sich gesellen.
Doch ist es jedem eingeboren,
Daß sein Gefühl hinauf und vorwärts dringt,

Wenn über uns, im blauen Raum verloren,
[73]
1095
Ihr schmetternd Lied die Lerche singt;

Wenn über schroffen Fichtenhöhen
Der Adler ausgebreitet schwebt,
Und über Flächen, über Seen,
Der Kranich nach der Heimat strebt.

Wagner.

1100
Ich hatte selbst oft grillenhafte Stunden,

Doch solchen Trieb hab’ ich noch nie empfunden.
Man sieht sich leicht an Wald und Feldern satt,
Des Vogels Fittig werd’ ich nie beneiden.
Wie anders tragen uns die Geistesfreuden,

1105
Von Buch zu Buch, von Blatt zu Blatt!

Da werden Winternächte hold und schön,
Ein selig Leben wärmet alle Glieder,
Und ach! entrollst du gar ein würdig Pergamen;
So steigt der ganze Himmel zu dir nieder.

Faust.

1110
Du bist dir nur des einen Triebs bewußt,

O lerne nie den andern kennen!
Zwey Seelen wohnen, ach! in meiner Brust,
Die eine will sich von der andern trennen;

Die eine hält, in derber Liebeslust,
[74]
1115
Sich an die Welt, mit klammernden Organen;

Die andre hebt gewaltsam sich vom Dust,
Zu den Gefilden hoher Ahnen.
O giebt es Geister in der Luft,
Die zwischen Erd’ und Himmel herrschend weben,

1120
So steiget nieder aus dem goldnen Duft

Und führt mich weg, zu neuem buntem Leben!
Ja, wäre nur ein Zaubermantel mein!
Und trüg’ er mich in fremde Länder,
Mir sollt’ er, um die köstlichsten Gewänder,

1125
Nicht feil um einen Königsmantel seyn.


Wagner.
Berufe nicht die wohlbekannte Schaar,
Die, strömend, sich im Dunstkreis überbreitet,
Dem Menschen tausendfältige Gefahr,
Von allen Enden her, bereitet.

1130
Von Norden dringt der scharfe Geisterzahn

Auf dich herbey, mit pfeilgespitzten Zungen;
Von Morgen ziehn, vertrocknend, sie heran,
Und nähren sich von deinen Lungen;
Wenn sie der Mittag aus der Wüste schickt,

1135
Die Glut auf Glut um deinen Scheitel häufen,
[75]
So bringt der West den Schwarm, der erst erquickt,

Um dich und Feld und Aue zu ersäufen.
Sie hören gern, zum Schaden froh gewandt,
Gehorchen gern, weil sie uns gern betrügen;

1140
Sie stellen wie vom Himmel sich gesandt,

Und lispeln englisch, wenn sie lügen.
Doch gehen wir! ergraut ist schon die Welt,
Die Luft gekühlt, der Nebel fällt!
Am Abend schätzt man erst das Haus. –

1145
Was stehst du so und blickst erstaunt hinaus?

Was kann dich in der Dämmrung so ergreifen?

Faust.
Siehst du den schwarzen Hund durch Saat und Stoppel streifen?

Wagner.
Ich sah ihn lange schon, nicht wichtig schien er mir.

Faust.
Betracht’ ihn recht! für was hältst du das Thier?

Wagner.

1150
Für einen Pudel, der auf seine Weise

Sich auf der Spur des Herren plagt.

Faust.

Bemerkst du, wie in weitem Schneckenkreise
[76]
Er um uns her und immer näher jagt?

Und irr’ ich nicht, so zieht ein Feuerstrudel

1155
Auf seinen Pfaden hinterdrein.


Wagner.
Ich sehe nichts als einen schwarzen Pudel,
Es mag bey euch wohl Augentäuschung seyn.

Faust.
Mir scheint es, daß er magisch leise Schlingen,
Zu künft’gem Band, um unsre Füße zieht.

Wagner.

1160
Ich seh’ ihn ungewiß und furchtsam uns umspringen,

Weil er, statt seines Herrn, zwey Unbekannte sieht.

Faust.
Der Kreis wird eng, schon ist er nah!

Wagner.
Du siehst! ein Hund, und kein Gespenst ist da.
Er knurrt und zweifelt, legt sich auf den Bauch,

1165
Er wedelt. Alles Hunde Brauch.


Faust.
Geselle dich zu uns! Komm hier!

Wagner.

Es ist ein pudelnärrisch Thier.
[77]
Du stehest still, er wartet auf;

Du sprichst ihn an, er strebt an dir hinauf;

1170
Verliere was, er wird es bringen,

Nach deinem Stock ins Wasser springen.

Faust.
Du hast wohl recht, ich finde nicht die Spur
Von einem Geist, und alles ist Dressur.

Wagner.
Dem Hunde, wenn er gut gezogen,

1175
Wird selbst ein weiser Mann gewogen.

Ja, deine Gunst verdient er ganz und gar

Er, der Studenten trefflicher Scolar.

Sie gehen in das Stadt-Thor.

[78]
Studirzimmer.


Faust mit dem Pudel hereintretend.

     Verlassen hab’ ich Feld und Auen,
     Die eine tiefe Nacht bedeckt,

1180
     Mit ahndungsvollem heil’gem Grauen

     In uns die bessre Seele weckt.
     Entschlafen sind nun wilde Triebe,
     Mit jedem ungestümen Thun;
     Es reget sich die Menschenliebe,

1185
     Die Liebe Gottes regt sich nun.


Sey ruhig Pudel! renne nicht hin und wieder!
An der Schwelle was schnoperst du hier?
Lege dich hinter den Ofen nieder,
Mein bestes Kissen geb’ ich dir.

[79]
1190
Wie du draußen auf dem bergigen Wege,

Durch Rennen und Springen, ergetzt uns hast,
So nimm nun auch von mir die Pflege,
Als ein willkommner stiller Gast.

     Ach wenn in unsrer engen Zelle

1195
     Die Lampe freundlich wieder brennt,

     Dann wird’s in unserm Busen helle,
     Im Herzen, das sich selber kennt.
     Vernunft fängt wieder an zu sprechen,
     Und Hoffnung wieder an zu blühn,

1200
     Man sehnt sich nach des Lebens Bächen,

     Ach! nach des Lebens Quelle hin.

Knurre nicht Pudel! Zu den heiligen Tönen,
Die jetzt meine ganze Seel’ umfassen,
Will der thierische Laut nicht passen.

1205
Wir sind gewohnt, daß die Menschen verhöhnen,

Was sie nicht verstehn,
Daß sie vor dem Guten und Schönen,
Das ihnen oft beschwerlich ist, murren;

Will es der Hund, wie sie, beknurren
[80]
1210
Aber ach! schon fühl’ ich, bey dem besten Willen,

Befriedigung nicht mehr aus dem Busen quillen.
Aber warum muß der Strom so bald versiegen,
Und wir wieder im Durste liegen?
Davon hab’ ich so viel Erfahrung.

1215
Doch dieser Mangel läßt sich ersetzen,

Wir lernen das Ueberirdische schätzen,
Wir sehnen uns nach Offenbarung,
Die nirgends würd’ger und schöner brennt,
Als in dem neuen Testament.

1220
Mich drängt’s den Grundtext aufzuschlagen,

Mit redlichem Gefühl einmal
Das heilige Original
In mein geliebtes Deutsch zu übertragen,

Er schlägt ein Volum auf und schickt sich an.

Geschrieben steht: „im Anfang war das Wort!“

1225
Hier stock’ ich schon! Wer hilft mir weiter fort?

Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: im Anfang war der Sinn.

1230
Bedenke wohl die erste Zeile,
[81]

Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,

1235
Schon warnt mich was, daß ich dabey nicht bleibe.

Mir hilft der Geist! auf einmal seh ich Rath
Und schreibe getrost: im Anfang war die That!

Soll ich mit dir das Zimmer theilen,
Pudel, so laß das Heulen,

1240
So laß das Bellen!

Solch einen störenden Gesellen
Mag ich nicht in der Nähe leiden.
Einer von uns beyden
Muß die Zelle meiden.

1245
Ungern heb ich das Gastrecht auf,

Die Thür’ ist offen, hast freyen Lauf.
Aber was muß ich sehen!
Kann das natürlich geschehen?
Ist es Schatten? ist’s Wirklichkeit?

1250
Wie wird mein Pudel lang und breit!

Er hebt sich mit Gewalt,

[82]

Das ist nicht eines Hundes Gestalt!
Welch ein Gespenst bracht’ ich ins Haus!
Schon sieht er wie ein Nilpferd aus,

1255
Mit feurigen Augen, schrecklichem Gebiß.

O! du bist mir gewiß!
Für solche halbe Höllenbrut
Ist Salomonis Schlüssel gut.

Geister auf dem Gange.
     Drinnen gefangen ist einer!

1260
     Bleibet haußen, folg’ ihm keiner!

     Wie im Eisen der Fuchs,
     Zagt ein alter Höllenluchs.
     Aber gebt Acht!
     Schwebet hin, schwebet wieder,

1265
     Auf und nieder,

     Und er hat sich losgemacht.
     Könnt ihr ihm nützen,
     Laßt ihn nicht sitzen!
     Denn er that uns allen

1270
     Schon viel zu Gefallen.
[83]

Faust.
Erst zu begegnen dem Thiere,
Brauch’ ich den Spruch der Viere:
     Salamander soll glühen,
     Undene sich winden,

1275
     Silphe verschwinden,

     Kobold sich mühen.

Wer sie nicht kennte
Die Elemente,
Ihre Kraft

1280
Und Eigenschaft,

Wäre kein Meister
Ueber die Geister.

     Verschwind’ in Flammen
     Salamander!

1285
     Rauschend fließe zusammen

     Undene!
     Leucht’ in Meteoren-Schöne
     Silphe!
     Bring’ häusliche Hülfe

[84]
1290
     Incubus! incubus!

     Tritt hervor und mache den Schluß.

Keines der Viere
Steckt in dem Thiere.
Es liegt ganz ruhig und grins’t mich an,

1295
Ich hab’ ihm noch nicht weh gethan.

Du sollst mich hören
Stärker beschwören.

     Bist du, Geselle
     Ein Flüchtling der Hölle?

1300
     So sieh dies Zeichen!

     Dem sie sich beugen
     Die schwarzen Schaaren.

Schon schwillt es auf mit borstigen Haaren.

     Verworfnes Wesen!

1305
     Kannst du ihn lesen?

     Den nie entsprossnen,
     Unausgesprochnen,
     Durch alle Himmel gegossnen,
     Freventlich durchstochnen.

[85]
1310
Hinter den Ofen gebannt

Schwillt es wie ein Elephant,
Den ganzen Raum füllt es an,
Es will zum Nebel zerfließen.
Steige nicht zur Decke hinan!

1315
Lege dich zu des Meisters Füßen!

Du siehst daß ich nicht vergebens drohe.
Ich versenge dich mit heiliger Lohe!
Erwarte nicht
Das dreymal glühende Licht!

1320
Erwarte nicht

Die stärkste von meinen Künsten!

Mephistopheles

tritt, indem der Nebel fällt, gekleidet wie ein fahrender Scholastikus, hinter dem Ofen hervor.

Wozu der Lärm? was steht dem Herrn zu Diensten?

Faust.
Das also war des Pudels Kern!
Ein fahrender Scolast? Der Casus macht mich lachen.

Mephistopheles.

1325
Ich salutire den gelehrten Herrn!

Ihr habt mich weidlich schwitzen machen.

[86]

Faust.
Wie nennst du dich?

Mephistopheles.
 Die Frage scheint mir klein,
Für einen, der das Wort so sehr verachtet,
Der, weit entfernt von allem Schein,

1330
Nur in der Wesen Tiefe trachtet.


Faust.
Bey euch, ihr Herrn, kann man das Wesen
Gewöhnlich aus dem Namen lesen,
Wo es sich allzu deutlich weis’t,
Wenn man euch Fliegengott, Verderber, Lügner heißt.

1335
Nun gut wer bist du denn?


Mephistopheles.
 Ein Theil von jener Kraft,
Die stets das Böse will und stets das Gute schafft.

Faust.
Was ist mit diesem Räthselwort gemeynt?

Mephistopheles.
Ich bin der Geist der stets verneint!
Und das mit Recht; denn alles was entsteht

1340
Ist werth daß es zu Grunde geht;
[87]

Drum besser wär’s daß nichts entstünde.
So ist denn alles was ihr Sünde,
Zerstörung, kurz das Böse nennt,
Mein eigentliches Element.

Faust.

1345
Du nennst dich einen Theil, und stehst doch ganz vor mir?


Mephistopheles.
Bescheidne Wahrheit sprech’ ich dir.
Wenn sich der Mensch, die kleine Narrenwelt,
Gewöhnlich für ein Ganzes hält;
Ich bin ein Theil des Theils, der Anfangs alles war,

1350
Ein Theil der Finsterniß, die sich das Licht gebar,

Das stolze Licht, das nun der Mutter Nacht
Den alten Rang, den Raum ihr streitig macht,
Und doch gelingt’s ihm nicht, da es, so viel es strebt,
Verhaftet an den Körpern klebt.

1355
Von Körpern strömt’s, die Körper macht es schön,

Ein Körper hemmt’s auf seinem Gange,
So, hoff’ ich, dauert es nicht lange
Und mit den Körpern wird’s zu Grunde gehn.

Faust.
Nun kenn’ ich deine würd’gen Pflichten!

[88]
1360
Du kannst im Großen nichts vernichten

Und fängst es nun im Kleinen an.

Mephistopheles.
Und freylich ist nicht viel damit gethan.
Was sich dem Nichts entgegenstellt,
Das Etwas, diese plumpe Welt,

1365
So viel als ich schon unternommen

Ich wußte nicht ihr beyzukommen,
Mit Wellen, Stürmen, Schütteln, Brand,
Geruhig bleibt am Ende Meer und Land!
Und dem verdammten Zeug, der Thier- und Menschenbrut,

1370
Dem ist nun gar nichts anzuhaben,

Wie viele hab’ ich schon begraben!
Und immer zirkulirt ein neues, frisches Blut.
So geht es fort, man möchte rasend werden!
Der Luft, dem Wasser, wie der Erden

1375
Entwinden tausend Keime sich,

Im Trocknen, Feuchten, Warmen, Kalten!
Hätt’ ich mir nicht die Flamme vorbehalten;
Ich hätte nichts apart’s für mich.

Faust.
So setzest du der ewig regen,

[89]
1380
Der heilsam schaffenden Gewalt

Die kalte Teufelsfaust entgegen,
Die sich vergebens tückisch ballt!
Was anders suche zu beginnen
Des Chaos wunderlicher Sohn!

Mephistopheles.

1385
Wir wollen wirklich uns besinnen,

Die nächstenmale mehr davon!
Dürft’ ich wohl diesmal mich entfernen?

Faust.
Ich sehe nicht warum du fragst.
Ich habe jetzt dich kennen lernen,

1390
Besuche nun mich wie du magst.

Hier ist das Fenster, hier die Thüre,
Ein Rauchfang ist dir auch gewiß.

Mephistopheles.
Gesteh’ ich’s nur! daß ich hinausspaziere
Verbietet mir ein kleines Hinderniß,

1395
Der Drudenfuß auf eurer Schwelle –


Faust.
Das Pentagramma macht dir Pein?
Ey sage mir, du Sohn der Hölle,

[90]

Wenn das dich bannt, wie kamst du denn herein?
Wie ward ein solcher Geist betrogen?

Mephistopheles.

1400
Beschaut es recht! es ist nicht gut gezogen;

Der eine Winkel, der nach außen zu,
Ist, wie du siehst, ein wenig offen.

Faust.
Das hat der Zufall gut getroffen!
Und mein Gefangner wärst denn du?

1405
Das ist von ohngefähr gelungen!


Mephistopheles.
Der Pudel merkte nichts als er hereingesprungen,
Die Sache sieht jetzt anders aus;
Der Teufel kann nicht aus dem Haus.

Faust.
Doch warum gehst du nicht durchs Fenster?

Mephistopheles.

1410
’s ist ein Gesetz der Teufel und Gespenster:

Wo sie hereingeschlüpft, da müssen sie hinaus.
Das erste steht uns frey, beym zweyten sind wir Knechte.

Faust.
Die Hölle selbst hat ihre Rechte?

[91]

Das find’ ich gut, da ließe sich ein Packt,

1415
Und sicher wohl, mit euch, ihr Herren, schließen?


Mephistopheles.
Was man verspricht, das sollst du rein genießen,
Dir wird davon nichts abgezwackt.
Doch das ist nicht so kurz zu fassen,
Und wir besprechen das zunächst;

1420
Doch jetzo bitt’ ich, hoch und höchst,

Für diesesmal mich zu entlassen.

Faust.
So bleibe doch noch einen Augenblick,
Um mir erst gute Mähr zu sagen.

Mephistopheles.
Jetzt laß mich los! ich komme bald zurück,

1425
Dann magst du nach Belieben fragen.


Faust.
Ich habe dir nicht nachgestellt,
Bist du doch selbst ins Garn gegangen.
Den Teufel halte wer ihn hält!
Er wird ihn nicht so bald zum zweytenmale fangen.

Mephistopheles.

1430
Wenn dir’s beliebt, so bin ich auch bereit
[92]

Dir zur Gesellschaft hier zu bleiben;
Doch mit Bedingniß, dir die Zeit,
Durch meine Künste, würdig zu vertreiben.

Faust.
Ich seh’ es gern, das steht dir frey;

1435
Nur daß die Kunst gefällig sey!


Mephistopheles.
Du wirst, mein Freund, für deine Sinnen,
In dieser Stunde mehr gewinnen,
Als in des Jahres Einerley.
Was dir die zarten Geister singen,

1440
Die schönen Bilder die sie bringen,

Sind nicht ein leeres Zauberspiel.
Auch dein Geruch wird sich ergetzen,
Dann wirst du deinen Gaumen letzen,
Und dann entzückt sich dein Gefühl.

1445
Bereitung braucht es nicht voran,

Beysammen sind wir, fanget an!

Geister.
      Schwindet ihr dunkeln
      Wölbungen droben!
      Reizender schaue,

[93]
1450
      Freundlich, der blaue

      Aether herein!
      Wären die dunkeln
      Wolken zerronnen!
      Sternelein funkeln,

1455
      Mildere Sonnen

      Scheinen darein.
      Himmlischer Söhne
      Geistige Schöne,
      Schwankende Beugung

1460
      Schwebet vorüber.

      Sehnende Neigung
      Folget hinüber;
      Und der Gewänder
      Flatternde Bänder

1465
      Decken die Länder,

      Decken die Laube,
      Wo sich für’s Leben,
      Tief in Gedanken,
      Liebende geben.

1470
      Laube bey Laube!

      Sprossende Ranken!

[94]

      Lastende Traube
      Stürzt in’s Behälter
      Drängender Kelter,

1475
      Stürzen in Bächen

      Schäumende Weine,
      Rieseln durch reine,
      Edle Gesteine,
      Lassen die Höhen

1480
      Hinter sich liegen,

      Breiten zu Seen
      Sich ums Genüge
      Grünender Hügel.
      Und das Geflügel

1485
      Schlürfet sich Wonne,

      Flieget der Sonne,
      Flieget den hellen
      Inseln entgegen,
      Die sich auf Wellen

1490
      Gauklend bewegen;

      Wo wir in Chören
      Jauchzende hören,
      Ueber den Auen

[95]

      Tanzende schauen,

1495
      Die sich im Freyen

      Alle zerstreuen.
      Einige glimmen
      Ueber die Höhen,
      Andere schwimmen

1500
      Ueber die Seen,

      Andere schweben;
      Alle zum Leben,
      Alle zur Ferne
      Liebender Sterne

1505
      Seliger Huld.


Mephistopheles.
Er schläft! So recht, ihr luft’gen zarten Jungen!
Ihr habt ihn treulich eingesungen!
Für dies Conzert bin ich in eurer Schuld.
Du bist noch nicht der Mann den Teufel fest zu halten!

1510
Umgaukelt ihn mit süßen Traumgestalten,

Versenkt ihn in ein Meer des Wahns;
Doch dieser Schwelle Zauber zu zerspalten
Bedarf ich eines Rattenzahns.

[96]

Nicht lange brauch’ ich zu beschwören,

1515
Schon raschelt eine hier und wird sogleich mich hören.


      Der Herr der Ratten und der Mäuse,
Der Fliegen, Frösche, Wanzen, Läuse,
Befiehlt dir dich hervor zu wagen
Und diese Schwelle zu benagen,

1520
So wie er sie mit Oel betupft –

Da kommst du schon hervorgehupft!
Nur frisch ans Werk! Die Spitze, die mich bannte,
Sie sitzt ganz vornen an der Kante.
Noch einen Biß, so ist’s geschehn. –

1525
Nun Fauste träume fort, bis wir uns wiedersehn.


Faust erwachend.
Bin ich denn abermals betrogen?
Verschwindet so der geisterreiche Drang?
Daß mir ein Traum den Teufel vorgelogen,
Und daß ein Pudel mir entsprang?

[97]
Studirzimmer.


Faust. Mephistopheles.

Faust.

1530
Es klopft? Herein! Wer will mich wieder plagen?


Mephistopheles.
Ich bin’s.

Faust.
 Herein!

Mephistopheles.
 Du mußt es dreymal sagen.

Faust.
Herein denn!

Mephistopheles.
 So gefällst du mir.

[98]

Wir werden, hoff’ ich, uns vertragen;
Denn dir die Grillen zu verjagen

1535
Bin ich, als edler Junker, hier,

In rothem goldverbrämtem Kleide,
Das Mäntelchen von starrer Seide,
Die Hahnenfeder auf dem Hut,
Mit einem langen, spitzen Degen,

1540
Und rathe nun dir, kurz und gut,

Dergleichen gleichfalls anzulegen;
Damit du, losgebunden, frey,
Erfahrest was das Leben sey.

Faust.
In jedem Kleide werd’ ich wohl die Pein

1545
Des engen Erdelebens fühlen.

Ich bin zu alt, um nur zu spielen,
Zu jung, um ohne Wunsch zu seyn.
Was kann die Welt mir wohl gewähren?
Entbehren sollst du! sollst entbehren!

1550
Das ist der ewige Gesang,

Der jedem an die Ohren klingt,
Den, unser ganzes Leben lang,
Uns heiser jede Stunde singt.

[99]

Nur mit Entsetzen wach’ ich Morgens auf,

1555
Ich möchte bittre Thränen weinen,

Den Tag zu sehn, der mir in seinem Lauf
Nicht Einen Wunsch erfüllen wird, nicht Einen,
Der selbst die Ahndung jeder Lust
Mit eigensinnigem Krittel mindert,

1560
Die Schöpfung meiner regen Brust

Mit tausend Lebensfratzen hindert.
Auch muß ich, wenn die Nacht sich niedersenkt,
Mich ängstlich auf das Lager strecken,
Auch da wird keine Rast geschenkt,

1565
Mich werden wilde Träume schrecken.

Der Gott, der mir im Busen wohnt,
Kann tief mein Innerstes erregen,
Der über allen meinen Kräften thront,
Er kann nach außen nichts bewegen;

1570
Und so ist mir das Daseyn eine Last,

Der Tod erwünscht, das Leben mir verhaßt.

Mephistopheles.
Und doch ist nie der Tod ein ganz willkommner Gast.

Faust.
O seelig der! dem er im Siegesglanze

[100]

Die blut’gen Lorbeern um die Schläfe windet,

1575
Den er, nach rasch durchras’tem Tanze,

In eines Mädchens Armen findet.
O wär’ ich vor des hohen Geistes Kraft
Entzückt, entseelt dahin gesunken!

Mephistopheles.
Und doch hat Jemand einen braunen Saft,

1580
In jener Nacht, nicht ausgetrunken.


Faust.
Das Spioniren, scheint’s, ist deine Lust.

Mephistopheles.
Allwissend bin ich nicht; doch viel ist mir bewußt.

Faust.
Wenn aus dem schrecklichen Gewühle
Ein süß bekannter Ton mich zog,

1585
Den Rest von kindlichem Gefühle

Mit Anklang froher Zeit betrog;
So fluch’ ich allem was die Seele
Mit Lock- und Gaukelwerk umspannt,
Und sie in diese Trauerhöle

1590
Mit Blend- und Schmeichelkräften bannt!

Verflucht voraus die hohe Meinung,

[101]

Womit der Geist sich selbst umfängt!
Verflucht das Blenden der Erscheinung,
Die sich an unsre Sinne drängt!

1595
Verflucht was uns in Träumen heuchelt,

Des Ruhms, der Namensdauer Trug!
Verflucht was als Besitz uns schmeichelt,
Als Weib und Kind, als Knecht und Pflug!
Verflucht sey Mammon, wenn mit Schätzen

1600
Er uns zu kühnen Thaten regt,

Wenn er zu müßigem Ergetzen
Die Polster uns zurechte legt!
Fluch sey dem Balsamsaft der Trauben!
Fluch jener höchsten Liebeshuld!

1605
Fluch sey der Hoffnung! Fluch dem Glauben,

Und Fluch vor allen der Geduld!

Geisterchor unsichtbar.
     Weh! weh!
     Du hast sie zerstört,
     Die schöne Welt,

1610
     Mit mächtiger Faust,

     Sie stürzt, sie zerfällt!
     Ein Halbgott hat sie zerschlagen!

[102]

     Wir tragen
     Die Trümmern ins Nichts hinüber,

1615
     Und klagen

     Ueber die verlorne Schöne.
     Mächtiger
     Der Erdensöhne,
     Prächtiger

1620
     Baue sie wieder,

     In deinem Busen baue sie auf!
     Neuen Lebenslauf
     Beginne,
     Mit hellem Sinne,

1625
     Und neue Lieder

     Tönen darauf!

Mephistopheles.
     Dies sind die kleinen
     Von den Meinen.
     Höre, wie zu Lust und Thaten

1630
     Altklug sie rathen!

     In die Welt weit,
     Aus der Einsamkeit,

[103]

     Wo Sinnen und Säfte stocken,
     Wollen sie dich locken.

1635
Hör’ auf, mit deinem Gram zu spielen,

Der, wie ein Geyer, dir am Leben frißt;
Die schlechteste Gesellschaft läßt dich fühlen
Daß du ein Mensch mit Menschen bist.
Doch so ist’s nicht gemeynt

1640
Dich unter das Pack zu stoßen.

Ich bin keiner von den Großen;
Doch willst du, mit mir vereint,
Deine Schritte durchs Leben nehmen;
So will ich mich gern bequemen,

1645
Dein zu seyn, auf der Stelle.

Ich bin dein Geselle
Und, mach ich dir’s recht,
Bin ich dein Diener, bin dein Knecht!

Faust.
Und was soll ich dagegen dir erfüllen?

Mephistopheles.

1650
Dazu hast du noch eine lange Frist.
[104]

Faust.
Nein nein! der Teufel ist ein Egoist
Und thut nicht leicht um Gottes Willen
Was einem andern nützlich ist.
Sprich die Bedingung deutlich aus;

1655
Ein solcher Diener bringt Gefahr ins Haus.


Mephistopheles.
Ich will mich hier zu deinem Dienst verbinden,
Auf deinen Wink nicht rasten und nicht ruhn;
Wenn wir uns drüben wieder finden,
So sollst du mir das Gleiche thun.

Faust.

1660
Das Drüben kann mich wenig kümmern,

Schlägst du erst diese Welt zu Trümmern,
Die andre mag darnach entstehn.
Aus dieser Erde quillen meine Freuden,
Und diese Sonne scheinet meinen Leiden;

1665
Kann ich mich erst von ihnen scheiden,

Dann mag was will und kann geschehn.
Davon will ich nichts weiter hören,
Ob man auch künftig haßt und liebt,

[105]

Und ob es auch in jenen Sphären

1670
Ein Oben oder Unten giebt.


Mephistopheles.
In diesem Sinne kannst du’s wagen.
Verbinde dich; du sollst, in diesen Tagen,
Mit Freuden meine Künste sehn,
Ich gebe dir was noch kein Mensch gesehn.

Faust.

1675
Was willst du armer Teufel geben?

Ward eines Menschen Geist, in seinem hohen Streben,
Von deines Gleichen je gefaßt?
Doch hast du Speise die nicht sättigt, hast
Du rothes Gold, das ohne Rast,

1680
Quecksilber gleich, dir in der Hand zerrinnt,

Ein Spiel, bey dem man nie gewinnt,
Ein Mädchen, das an meiner Brust
Mit Aeugeln schon dem Nachbar sich verbindet,
Der Ehre schöne Götterlust,

1685
Die, wie ein Meteor, verschwindet.

Zeig mir die Frucht die fault, eh’ man sie bricht,
Und Bäume die sich täglich neu begrünen!

[106]

Mephistopheles.
Ein solcher Auftrag schreckt mich nicht,
Mit solchen Schätzen kann ich dienen.

1690
Doch, guter Freund, die Zeit kommt auch heran

Wo wir was Gut’s in Ruhe schmausen mögen.

Faust.
Werd’ ich beruhigt je mich auf ein Faulbett legen,
So sey es gleich um mich gethan!
Kannst du mich schmeichelnd je belügen,

1695
Daß ich mir selbst gefallen mag,

Kannst du mich mit Genuß betrügen;
Das sey für mich der letzte Tag!
Die Wette biet’ ich!

Mephistopheles.
 Top!

Faust.
 Und Schlag auf Schlag!
Werd’ ich zum Augenblicke sagen:

1700
Verweile doch! du bist so schön!

Dann magst du mich in Fesseln schlagen,
Dann will ich gern zu Grunde gehn!
Dann mag die Todtenglocke schallen,

[107]

Dann bist du deines Dienstes frey,

1705
Die Uhr mag stehn, der Zeiger fallen,

Es sey die Zeit für mich vorbey!

Mephistopheles.
Bedenk’ es wohl, wir werden’s nicht vergessen.

Faust.
Dazu hast du ein volles Recht;
Ich habe mich nicht freventlich vermessen.

1710
Wie ich beharre bin ich Knecht,

Ob dein, was frag’ ich, oder wessen.

Mephistopheles.
Ich werde heute gleich, beym Doctorschmaus,
Als Diener, meine Pflicht erfüllen.
Nur eins! – um Lebens oder Sterbens willen,

1715
Bitt’ ich mir ein paar Zeilen aus.


Faust.
Auch was geschriebnes forderst du Pedant?
Hast du noch keinen Mann, nicht Mannes-Wort gekannt?
Ist’s nicht genug, daß mein gesprochnes Wort
Auf ewig soll mit meinen Tagen schalten?

1720
Ras’t nicht die Welt in allen Strömen fort,

Und mich soll ein Versprechen halten?

[108]

Doch dieser Wahn ist uns ins Herz gelegt,
Wer mag sich gern davon befreyen?
Beglückt, wer Treue rein im Busen trägt,

1725
Kein Opfer wird ihn je gereuen!

Allein ein Pergament, beschrieben und beprägt,
Ist ein Gespenst vor dem sich alle scheuen.
Das Wort erstirbt schon in der Feder,
Die Herrschaft führen Wachs und Leder.

1730
Was willst du böser Geist von mir?

Erz, Marmor, Pergament, Papier?
Soll ich mit Griffel, Meißel, Feder schreiben?
Ich gebe jede Wahl dir frey.

Mephistopheles.
Wie magst du deine Rednerey

1735
Nur gleich so hitzig übertreiben?

Ist doch ein jedes Blättchen gut.
Du unterzeichnest dich mit einem Tröpfchen Blut.

Faust.
Wenn dieß dir völlig G’nüge thut,
So mag es bey der Fratze bleiben.

Mephistopheles.

1740
Blut ist ein ganz besondrer Saft.
[109]

Faust.
Nur keine Furcht, daß ich dieß Bündniß breche!
Das Streben meiner ganzen Kraft
Ist g’rade das was ich verspreche.
Ich habe mich zu hoch gebläht,

1745
In deinen Rang gehör’ ich nur.

Der große Geist hat mich verschmäht,
Vor mir verschließt sich die Natur.
Des Denkens Faden ist zerrissen,
Mir ekelt lange vor allem Wissen.

1750
Laß in den Tiefen der Sinnlichkeit

Uns glühende Leidenschaften stillen!
In undurchdrungnen Zauberhüllen
Sey jedes Wunder gleich bereit!
Stürzen wir uns in das Rauschen der Zeit

1755
In’s Rollen der Begebenheit!

Da mag denn Schmerz und Genuß,
Gelingen und Verdruß,
Mit einander wechseln wie es kann;
Nur rastlos bethätigt sich der Mann.

Mephistopheles.

1760
Euch ist kein Maß und Ziel gesetzt.
[110]

Beliebt’s euch überall zu naschen,
Im Fliehen etwas zu erhaschen;
Bekomm’ euch wohl was euch ergetzt.
Nur greift mir zu und seyd nicht blöde!

Faust.

1765
Du hörest ja, von Freud’ ist nicht die Rede.

Dem Taumel weih’ ich mich, dem schmerzlichsten Genuß,
Verliebtem Haß, erquickendem Verdruß.
Mein Busen, der vom Wissensdrang geheilt ist,
Soll keinen Schmerzen künftig sich verschließen,

1770
Und was der ganzen Menschheit zugetheilt ist,

Will ich in meinem innern Selbst genießen,
Mit meinem Geist das Höchst’ und Tiefste greifen,
Ihr Wohl und Weh auf meinen Busen häufen,
Und so mein eigen Selbst zu ihrem Selbst erweitern,

1775
Und, wie sie selbst, am End’ auch ich zerscheitern.


Mephistopheles.
O glaube mir, der manche tausend Jahre
An dieser harten Speise kaut,
Daß von der Wiege bis zur Bahre
Kein Mensch den alten Sauerteig verdaut!

1780
Glaub’ unser einem, dieses Ganze
[111]

Ist nur für einen Gott gemacht!
Er findet sich in einem ew’gen Glanze,
Uns hat er in die Finsterniß gebracht,
Und euch taugt einzig Tag und Nacht.

Faust.

1785
Allein ich will!


Mephistopheles.
 Das läßt sich hören!
Doch nur vor Einem ist mir bang’;
Die Zeit ist kurz, die Kunst ist lang.
Ich dächt’, ihr ließet euch belehren.
Associirt euch mit einem Poeten,

1790
Laßt den Herrn in Gedanken schweifen,

Und alle edlen Qualitäten
Auf euren Ehren-Scheitel häufen,
Des Löwen Muth,
Des Hirsches Schnelligkeit,

1795
Des Italiäners feurig Blut,

Des Nordens Dau’rbarkeit.
Laßt ihn euch das Geheimniß finden,
Großmuth und Arglist zu verbinden,
Und euch, mit warmen Jugendtrieben,

[112]
1800
Nach einem Plane, zu verlieben.

Möchte selbst solch einen Herren kennen,
Würd’ ihn Herrn Mikrokosmus nennen.

Faust.
Was bin ich denn? wenn es nicht möglich ist
Der Menschheit Krone zu erringen,

1805
Nach der sich alle Sinne dringen.


Mephistopheles.
Du bist am Ende – was du bist.
Setz’ dir Perrücken auf von Millionen Locken,
Setz’ deinen Fuß auf ellenhohe Socken,
Du bleibst doch immer was du bist.

Faust.

1810
Ich fühl’s, vergebens hab’ ich alle Schätze

Des Menschengeist’s auf mich herbeygerafft,
Und wenn ich mich am Ende niedersetze,
Quillt innerlich doch keine neue Kraft;
Ich bin nicht um ein Haar breit höher,

1815
Bin dem Unendlichen nicht näher.


Mephistopheles.
Mein guter Herr, ihr seht die Sachen,
Wie man die Sachen eben sieht;

[113]

Wir müssen das gescheidter machen,
Eh’ uns des Lebens Freude flieht.

1820
Was Henker! freylich Händ’ und Füße

Und Kopf und H – –[3] die sind dein;
Doch alles was ich frisch genieße,
Ist das drum weniger mein?
Wenn ich sechs Hengste zahlen kann,

1825
Sind ihre Kräfte nicht die meine?

Ich renne zu und bin ein rechter Mann,
Als hätt’ ich vier und zwanzig Beine.
Drum frisch! laß alles Sinnen seyn,
Und g’rad’ mit in die Welt hinein!

1830
Ich sag’ es dir: ein Kerl der speculirt,

Ist wie ein Thier, auf dürrer Heide
Von einem bösen Geist im Kreis herum geführt,
Und rings umher liegt schöne grüne Weide.

Faust.
Wie fangen wir das an?

Mephistopheles.
 Wir gehen eben fort.

1835
Was ist das für ein Marterort?

Was heißt das für ein Leben führen,

[114]

Sich und die Jungens ennuyiren?
Laß du das dem Herrn Nachbar Wanst!
Was willst du dich das Stroh zu dreschen plagen?

1840
Das beste, was du wissen kannst,

Darfst du den Buben doch nicht sagen.
Gleich hör’ ich einen auf dem Gange!

Faust.
Mir ist’s nicht möglich ihn zu sehn.

Mephistopheles.
Der arme Knabe wartet lange,

1845
Der darf nicht ungetröstet gehn.

Komm, gib mir deinen Rock und Mütze;
Die Maske muß mir köstlich stehn.

Er kleidet sich um.

Nun überlaß es meinem Witze!
Ich brauche nur ein Viertelstündchen Zeit;

1850
Indessen mache dich zur schönen Fahrt bereit!

Faust ab.

Mephistopheles

in Faust’s langem Kleide.

Verachte nur Vernunft und Wissenschaft,
Des Menschen allerhöchste Kraft,

[115]

Laß nur in Blend- und Zauberwerken
Dich von dem Lügengeist bestärken,

1855
So hab’ ich dich schon unbedingt –

Ihm hat das Schicksal einen Geist gegeben,
Der ungebändigt immer vorwärts dringt,
Und dessen übereiltes Streben
Der Erde Freuden überspringt.

1860
Den schlepp’ ich durch das wilde Leben,

Durch flache Unbedeutenheit,
Er soll mir zappeln, starren, kleben,
Und seiner Unersättlichkeit
Soll Speis’ und Trank vor gier’gen Lippen schweben;

1865
Er wird Erquickung sich umsonst erflehn,

Und hätt’ er sich auch nicht dem Teufel übergeben,
Er müßte doch zu Grunde gehn!

Ein Schüler tritt auf.

Schüler.
Ich bin alhier erst kurze Zeit,
Und komme voll Ergebenheit,

1870
Einen Mann zu sprechen und zu kennen,

Den alle mir mit Ehrfucht nennen.

[116]

Mephistopheles.
Eure Höflichkeit erfreut mich sehr!
Ihr seht einen Mann wie andre mehr.
Habt ihr euch sonst schon umgethan?

Schüler.

1875
Ich bitt’ euch, nehmt euch meiner an!

Ich komme mit allem guten Muth,
Leidlichem Geld und frischem Blut;
Meine Mutter wollte mich kaum entfernen;
Möchte gern’ was rechts hieraußen lernen.

Mephistopheles.

1880
Da seyd ihr eben recht am Ort.


Schüler.
Aufrichtig, möchte schon wieder fort:
In diesen Mauern, diesen Hallen,
Will es mir keineswegs gefallen.
Es ist ein gar beschränkter Raum,

1885
Man sieht nichts Grünes, keinen Baum,

Und in den Sälen, auf den Bänken,
Vergeht mir Hören, Seh’n und Denken.

Mephistopheles.
Das kommt nur auf Gewohnheit an.

[117]

So nimmt ein Kind der Mutter Brust

1890
Nicht gleich im Anfang willig an,

Doch bald ernährt es sich mit Lust.
So wird’s euch an der Weisheit Brüsten
Mit jedem Tage mehr gelüsten.

Schüler.
An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;

1895
Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?


Mephistopheles.
Erklärt euch, eh’ ihr weiter geht,
Was wählt ihr für eine Facultät?

Schüler.
Ich wünschte recht gelehrt zu werden,
Und möchte gern, was auf der Erden

1900
Und in dem Himmel ist, erfassen,

Die Wissenschaft und die Natur.

Mephistopheles.
Da seyd ihr auf der rechten Spur;
Doch müßt ihr euch nicht zerstreuen lassen.

Schüler.
Ich bin dabey mit Seel’ und Leib;

1905
Doch freylich würde mir behagen
[118]

Ein wenig Freyheit und Zeitvertreib,
An schönen Sommerfeiertagen.

Mephistopheles.
Gebraucht der Zeit, sie geht so schnell von hinnen,
Doch Ordnung lehrt euch Zeit gewinnen.

1910
Mein theurer Freund, ich rath’ euch drum

Zuerst Collegium Logicum.
Da wird der Geist euch wohl dressirt,
In spanische Stiefeln eingeschnürt,
Daß er bedächtiger so fort an

1915
Hinschleiche die Gedankenbahn,

Und nicht etwa, die Kreuz’ und Quer,
Irlichtelire hin und her.
Dann lehret man euch manchen Tag,
Daß, was ihr sonst auf einen Schlag

1920
Getrieben, wie Essen und Trinken frey,

Eins! Zwey! Drey! dazu nöthig sey.
Zwar ist’s mit der Gedanken-Fabrik
Wie mit einem Weber-Meisterstück,
Wo Ein Tritt tausend Fäden regt,

1925
Die Schifflein herüber hinüber schießen,

Die Fäden ungesehen fließen,

[119]

Ein Schlag tausend Verbindungen schlägt:
Der Philosoph der tritt herein,
Und beweis’t euch, es müßt’ so seyn:

1930
Das Erst’ wär’ so, das Zweyte so,

Und drum das Dritt’ und Vierte so;
Und wenn das Erst’ und Zweyt’ nicht wär’,
Das Dritt’ und Viert’ wär’ nimmermehr.
Das preisen die Schüler allerorten,

1935
Sind aber keine Weber geworden.

Wer will was lebendig’s erkennen und beschreiben,
Sucht erst den Geist heraus zu treiben,
Dann hat er die Theile in seiner Hand,
Fehlt leider! nur das geistige Band.

1940
Encheiresin naturae nennt’s die Chimie,

Spottet ihrer selbst und weiß nicht wie.

Schüler.
Kann euch nicht eben ganz verstehen.

Mephistopheles.
Das wird nächstens schon besser gehen,
Wenn ihr lernt alles reduciren

1945
Und gehörig klassificiren.
[120]

Schüler.
Mir wird von alle dem so dumm,
Als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum.

Mephistopheles.
Nachher vor allen andern Sachen
Müßt ihr euch an die Metaphysik machen!

1950
Da seht, daß ihr tiefsinnig faßt,

Was in des Menschen Hirn nicht paßt;
Für, was drein geht und nicht drein geht,
Ein prächtig Wort zu Diensten steht.
Doch vorerst dieses halbe Jahr

1955
Nehmt ja der besten Ordnung wahr.

Fünf Stunden habt ihr jeden Tag;
Seyd drinnen mit dem Glockenschlag!
Habt euch vorher wohl präparirt,
Paragraphos wohl einstudirt,

1960
Damit ihr nachher besser seht,

Daß er nichts sagt, als was im Buche steht;
Doch euch des Schreibens ja befleißt,
Als dictirt’ euch der Heilig’ Geist!

Schüler.
Das sollt ihr mir nicht zweymal sagen!

[121]
1965
Ich denke mir wie viel es nützt;

Denn, was man schwarz auf weiß besitzt,
Kann man getrost nach Hause tragen.

Mephistopheles.
Doch wählt mir eine Facultät!

Schüler.
Zur Rechtsgelehrsamkeit kann ich mich nicht bequemen.

Mephistopheles.

1970
Ich kann es euch so sehr nicht übel nehmen,

Ich weiß wie es um diese Lehre steht.
Es erben sich Gesetz’ und Rechte
Wie eine ew’ge Krankheit fort,
Sie schleppen von Geschlecht sich zum Geschlechte,

1975
Und rücken sacht von Ort zu Ort.

Vernunft wird Unsinn, Wohlthat Plage;
Weh dir, daß du ein Enkel bist!
Vom Rechte, das mit uns geboren ist,
Von dem ist leider! nie die Frage.

Schüler.

1980
Mein Abscheu wird durch euch vermehrt.

O glücklich der! den ihr belehrt!
Fast möcht’ ich nun Theologie studiren.

[122]

Mephistopheles.
Ich wünschte nicht euch irre zu führen.
Was diese Wissenschaft betrifft,

1985
Es ist so schwer den falschen Weg zu meiden,

Es liegt in ihr so viel verborgnes Gift,
Und von der Arzeney ists kaum zu unterscheiden.
Am besten ist’s auch hier, wenn ihr nur Einen hört,
Und auf des Meisters Worte schwört.

1990
Im Ganzen – haltet euch an Worte!

Dann geht ihr durch die sichre Pforte
Zum Tempel der Gewißheit ein.

Schüler.
Doch ein Begriff muß bey dem Worte seyn.

Mephistopheles.
Schon gut! Nur muß man sich nicht allzu ängstlich quälen;

1995
Denn eben wo Begriffe fehlen,

Da stellt ein Wort zur rechten Zeit sich ein.
Mit Worten läßt sich trefflich streiten,
Mit Worten ein System bereiten,
An Worte läßt sich trefflich glauben,

2000
Von einem Wort läßt sich kein Jota rauben.
[123]

Schüler.
Verzeiht, ich halt’ euch auf mit vielen Fragen,
Allein ich muß euch noch bemüh’n.
Wollt ihr mir von der Medicin
Nicht auch ein kräftig Wörtchen sagen?

2005
Drey Jahr’ ist eine kurze Zeit,

Und, Gott! das Feld ist gar zu weit.
Wenn man einen Fingerzeig nur hat,
Läßt sich’s schon eher weiter fühlen.

Mephistopheles für sich.
Ich bin des trocknen Tons nun satt,

2010
Muß wieder recht den Teufel spielen.

Laut.

Der Geist der Medicin ist leicht zu fassen;
Ihr durchstudirt die groß’ und kleine Welt,
Um es am Ende gehn zu lassen,
Wie’s Gott gefällt.

2015
Vergebens daß ihr ringsum wissenschaftlich schweift,

Ein jeder lernt nur was er lernen kann;
Doch der den Augenblick ergreift,
Das ist der rechte Mann.
Ihr seyd noch ziemlich wohlgebaut,

[124]
2020
An Kühnheit wird’s euch auch nicht fehlen,

Und wenn ihr euch nur selbst vertraut,
Vertrauen euch die andern Seelen.
Besonders lernt die Weiber führen;
Es ist ihr ewig Weh und Ach

2025
So tausendfach

Aus Einem Puncte zu curiren,
Und wenn ihr halbweg ehrbar thut,
Dann habt ihr sie all’ unter’m Hut.
Ein Titel muß sie erst vertraulich machen,

2030
Daß Eure Kunst viel Künste übersteigt;

Zum Willkomm’ tappt ihr dann nach allen Siebensachen,
Um die ein andrer viele Jahre streicht,
Versteht das Pülslein wohl zu drücken,
Und fasset sie, mit feurig schlauen Blicken,

2035
Wohl um die schlanke Hüfte frey,

Zu seh’n, wie fest geschnürt sie sey.

Schüler.
Das sieht schon besser aus! Man sieht doch wo und wie.

Mephistopheles.
Grau, theurer Freund, ist alle Theorie,
Und grün des Lebens goldner Baum.

[125]

Schüler.

2040
Ich schwör euch zu, mir ist’s als wie ein Traum.

Dürft’ ich euch wohl ein andermal beschweren,
Von eurer Weisheit auf den Grund zu hören?

Mephistopheles.
Was ich vermag, soll gern geschehn.

Schüler.
Ich kann unmöglich wieder gehn,

2045
Ich muß euch noch mein Stammbuch überreichen,

Gönn’ Eure Gunst mir dieses Zeichen!

Mephistopheles.
Sehr wohl.

Er schreibt und giebt’s.

Schüler lies’t.
Eritis sicut Deus, scientes bonum et malum.

Macht’s ehrerbietig zu und empfiehlt sich.

Mephistopheles.
Folg’ nur dem alten Spruch und meiner Muhme der Schlange,

2050
Dir wird gewiß einmal bey deiner Gottähnlichkeit bange!
Faust tritt auf.

Faust.
Wohin soll es nun gehn?

[126]

Mephistopheles.
 Wohin es dir gefällt.
Wir sehn die kleine, dann die große Welt.
Mit welcher Freude, welchem Nutzen,
Wirst du den Cursum durchschmarutzen!

Faust.

2055
Allein bey meinem langen Bart

Fehlt mir die leichte Lebensart.
Es wird mir der Versuch nicht glücken;
Ich wußte nie mich in die Welt zu schicken,
Vor andern fühl’ ich mich so klein;

2060
Ich werde stets verlegen seyn.


Mephistopheles.
Mein guter Freund, das wird sich alles geben;
Sobald du dir vertraust, sobald weißt du zu leben.

Faust.
Wie kommen wir denn aus dem Haus?
Wo hast du Pferde, Knecht und Wagen?

Mephistopheles.

2065
Wir breiten nur den Mantel aus,

Der soll uns durch die Lüfte tragen.
Du nimmst bey diesem kühnen Schritt

[127]

Nur keinen großen Bündel mit.
Ein Bißchen Feuerluft, die ich bereiten werde,

2070
Hebt uns behend von dieser Erde.

Und sind wir leicht, so geht es schnell hinauf;
Ich gratulire dir zum neuen Lebenslauf!

[128]
Auerbachs Keller in Leipzig.
Zeche lustiger Gesellen.

Frosch.
Will keiner trinken? keiner lachen?
Ich will euch lehren Gesichter machen!

2075
Ihr seyd ja heut wie nasses Stroh,

Und brennt sonst immer lichterloh.

Brander.
Das liegt an dir; du bringst ja nichts herbey,
Nicht eine Dummheit, keine Sauerey.

Frosch.

gießt ihm ein Glas Wein über den Kopf.

Da hast du beydes!

[129]

Brander.
 Doppelt Schwein!

Frosch.

2080
Ihr wollt’ es ja, man soll es seyn!


Siebel.
Zur Thür hinaus wer sich entzweyt!
Mit offner Brust singt Runda, sauft und schreit!
Auf! Holla! Ho!

Altmayer.
 Weh mir, ich bin verloren!
Baumwolle her! der Kerl sprengt mir die Ohren.

Siebel.

2085
Wenn das Gewölbe wiederschallt,

Fühlt man erst recht des Basses Grundgewalt.

Frosch.
So recht, hinaus mit dem der etwas übel nimmt!
A! tara lara da!

Altmayer.
A! tara lara da!

Frosch.
     Die Kehlen sind gestimmt.

Singt.

[130]
2090
     Das liebe, heil’ge Röm’sche Reich,

     Wie hält’s nur noch zusammen?

Brander.
Ein garstig Lied! Pfuy! ein politisch Lied!
Ein leidig Lied! Dankt Gott mit jedem Morgen
Daß ihr nicht braucht für’s Röm’sche Reich zu sorgen!

2095
Ich halt’ es wenigstens für reichlichen Gewinn,

Daß ich nicht Kaiser oder Kanzler bin.
Doch muß auch uns ein Oberhaupt nicht fehlen;
Wir wollen einen Papst erwählen.
Ihr wißt, welch eine Qualität

2100
Den Ausschlag giebt, den Mann erhöht.


Frosch. singt.
     Schwing’ dich auf, Frau Nachtigall,
     Grüß’ mir mein Liebchen zehentausendmal.

Siebel.
Dem Liebchen keinen Gruß! ich will davon nichts hören!

Frosch.

Dem Liebchen Gruß und Kuß! du wirst mir’s nicht verwehren!

Singt.

2105
     Riegel auf! in stiller Nacht.
[131]

     Riegel auf! der Liebste wacht.
     Riegel zu! des Morgens früh.

Siebel.
Ja, singe, singe nur, und lob’ und rühme sie!
Ich will zu meiner Zeit schon lachen.

2110
Sie hat mich angeführt, dir wird sie’s auch so machen.

Zum Liebsten sey ein Kobold ihr bescheert!
Der mag mit ihr auf einem Kreuzweg schäkern;
Ein alter Bock, wenn er vom Blocksberg kehrt,
Mag im Galopp noch gute Nacht ihr meckern!

2115
Ein braver Kerl von echtem Fleisch und Blut

Ist für die Dirne viel zu gut.
Ich will von keinem Gruße wissen,
Als ihr die Fenster eingeschmissen!

Brander auf den Tisch schlagend.
Paßt auf! paßt auf! Gehorchet mir!

2120
Ihr Herrn gesteht, ich weiß zu leben,

Verliebte Leute sitzen hier,
Und diesen muß, nach Standsgebühr,
Zur guten Nacht ich was zum Besten geben.
Gebt Acht! Ein Lied vom neusten Schnitt!

2125
Und singt den Rundreim kräftig mit!

[132] Er singt

     Es war eine Ratt’ im Kellernest,
     Lebte nur von Fett und Butter,
     Hatte sich ein Ränzlein angemäst’t,
     Als wie der Doctor Luther.

2130
     Die Köchin hatt’ ihr Gift gestellt;

     Da ward’s so eng’ ihr in der Welt,
     Als hätte sie Lieb’ im Leibe.

Chorus jauchzend.
     Als hätte sie Lieb’ im Leibe.

Brander.
     Sie fuhr herum, sie fuhr heraus,

2135
     Und soff aus allen Pfützen,

     Zernagt’, zerkratzt’ das ganze Haus,
     Wollte nichts ihr Wüthen nützen;
     Sie thät gar manchen Aengstesprung,
     Bald hatte das arme Thier genung,

2140
     Als hätt’ es Lieb’ im Leibe.


Chorus.
     Als hätt’ es Lieb’ im Leibe.

Brander.
     Sie kam für Angst am hellen Tag

[133]

     Der Küche zugelaufen,
     Fiel an den Heerd und zuckt’ und lag,

2145
     Und thät erbärmlich schnaufen.

     Da lachte die Vergifterinn noch:
     Ha! sie pfeift auf dem letzten Loch,
     Als hätte sie Lieb’ im Leibe.

Chorus.
     Als hätte sie Lieb’ im Leibe.

Siebel.

2150
Wie sich die platten Bursche freuen!

Es ist mir eine rechte Kunst,
Den armen Ratten Gift zu streuen!

Brander.
Sie stehn wohl sehr in deiner Gunst?

Altmayer.
Der Schmerbauch mit der kahlen Platte!

2155
Das Unglück macht ihn zahm und mild;

Er sieht in der geschwollnen Ratte
Sein ganz natürlich Ebenbild.

Faust und Mephistopheles.

Mephistopheles.
Ich muß dich nun vor allen Dingen

[134]

In lustige Gesellschaft bringen,

2160
Damit du siehst, wie leicht sich’s leben läßt.

Dem Volke hier wird jeder Tag ein Fest.
Mit wenig Witz und viel Behagen
Dreht jeder sich im engen Zirkeltanz,
Wie junge Katzen mit dem Schwanz.

2165
Wenn sie nicht über Kopfweh klagen,

So lang’ der Wirth nur weiter borgt,
Sind sie vergnügt und unbesorgt.

Brander.
Die kommen eben von der Reise,
Man sieht’s an ihrer wunderlichen Weise;

2170
Sie sind nicht eine Stunde hier.


Frosch.
Wahrhaftig, du hast Recht! Mein Leipzig lob’ ich mir!
Es ist ein klein Paris, und bildet seine Leute.

Siebel.
Für was siehst du die Fremden an?

Frosch.
Laß mich nur gehn! bey einem vollen Glase,

2175
Zieh’ ich, wie einen Kinderzahn,

Den Burschen leicht die Würmer aus der Nase.

[135]

Sie scheinen mir aus einem edlen Haus,
Sie sehen stolz und unzufrieden aus.

Brander.
Marktschreyer sind’s gewiß, ich wette!

Altmayer.

2180
Vielleicht.


Frosch.
 Gib Acht, ich schraube sie!

Mephistopheles zu Faust.
Den Teufel spürt das Völkchen nie,
Und wenn er sie beym Kragen hätte.

Faust.
Seyd uns gegrüßt, ihr Herrn!

Siebel.
 Viel Dank zum Gegengruß.

Leise, Mephistopheles von der Seite ansehend.

Was hinkt der Kerl auf Einem Fuß?

Mephistopheles.

2185
Ist es erlaubt, uns auch zu euch zu setzen?

Statt eines guten Trunks, den man nicht haben kann,
Soll die Gesellschaft uns ergetzen.

[136]

Altmayer.
Ihr scheint ein sehr verwöhnter Mann.

Frosch.
Ihr seyd wohl spät von Rippach aufgebrochen?

2190
Habt ihr mit Herren Hans noch erst zu Nacht gespeis’t?


Mephistopheles.
Heut sind wir ihn vorbey gereis’t;
Wir haben ihn das letztemal gesprochen.
Von seinen Vettern wußt’ er viel zu sagen,
Viel Grüße hat er uns an jeden aufgetragen.

Er neigt sich gegen Frosch.

Altmayer leise.

2195
Da hast du’s! der versteht’s!


Siebel.
 Ein pfiffiger Patron!

Frosch.
Nun, warte nur, ich krieg’ ihn schon!

Mephistopheles.
Wenn ich nicht irrte, hörten wir
Geübte Stimmen Chorus singen?
Gewiß, Gesang muß trefflich hier

2200
Von dieser Wölbung wiederklingen!
[137]

Frosch.
Seyd ihr wohl gar ein Virtuos?

Mephistopheles.
O nein! die Kraft ist schwach, allein die Lust ist groß.

Altmayer.
Gebt uns ein Lied!

Mephistopheles.
 Wenn ihr begehrt, die Menge.

Siebel.
Nur auch ein nagelneues Stück!

Mephistopheles.

2205
Wir kommen erst aus Spanien zurück,

Dem schönen Land des Weins und der Gesänge.

Singt.

     Es war einmal ein König,
     Der hatt’ einen großen Floh –

Frosch.
Horcht! Einen Floh! Habt ihr das wohl gefaßt?

2210
Ein Floh ist mir ein saub’rer Gast.


Mephistopheles singt.
     Es war einmal ein König,
     Der hatt’ einen großen Floh,

[138]

     Den liebt’ er gar nicht wenig,
     Als wie seinen eignen Sohn.

2215
     Da rief er seinen Schneider,

     Der Schneider kam heran.
     Da miß dem Junker Kleider,
     Und miß ihm Hosen an!

Brander.
Vergeßt nur nicht dem Schneider einzuschärfen,

2220
Daß er mir auf’s genauste mißt,

Und daß, so lieb sein Kopf ihm ist,
Die Hosen keine Falten werfen!

Mephistopheles.
     In Sammet und in Seide
     War er nun angethan,

2225
     Hatte Bänder auf dem Kleide,

     Hatt’ auch ein Kreuz daran,
     Und war sogleich Minister,
     Und hatt’ einen großen Stern.
     Da wurden seine Geschwister

2230
     Bey Hof auch große Herrn.


     Und Herrn und Frau’n am Hofe,
     Die waren sehr geplagt,

[139]

     Die Königinn und die Zofe
     Gestochen und genagt,

2235
     Und durften sie nicht knicken,

     Und weg sie jucken nicht.
     Wir knicken und ersticken
     Doch gleich wenn einer sticht.

Chorus jauchzend.
     Wir knicken und ersticken

2240
     Doch gleich wenn einer sticht.


Frosch.
Bravo! Bravo! Das war schön!

Siebel.
So soll es jedem Floh ergehn!

Brander.
Spitzt die Finger und packt sie fein!

Altmayer.
Es lebe die Freyheit! Es lebe der Wein!

Mephistopheles.

2245
Ich tränke gern ein Glas, die Freyheit hoch zu ehren,

Wenn eure Weine nur ein Bißchen besser wären.

Siebel.
Wir mögen das nicht wieder hören!

[140]

Mephistopheles.
Ich fürchte nur der Wirth beschweret sich,
Sonst gäb’ ich diesen werthen Gästen

2250
Aus unserm Keller was zum Besten.


Siebel.
Nur immer her! ich nehm’s auf mich.

Frosch.
Schafft ihr ein gutes Glas, so wollen wir euch loben.
Nur gebt nicht gar zu kleine Proben;
Denn wenn ich judiciren soll,

2255
Verlang’ ich auch das Maul recht voll.


Altmayer leise.
Sie sind vom Rheine, wie ich spüre.

Mephistopheles.
Schafft einen Bohrer an!

Brander.
 Was soll mit dem geschehn?
Ihr habt doch nicht die Fässer vor der Thüre?

Altmayer.
Dahinten hat der Wirth ein Körbchen Werkzeug stehn.

Mephistopheles. nimmt den Bohrer.

zu Frosch

[141]
2260
Nun sagt, was wünschet ihr zu schmecken?


Frosch.
Wie meynt ihr das? Habt ihr so mancherley?

Mephistopheles.
Ich stell’ es einem jeden frey.

Altmayer zu Frosch.
Aha! du fängst schon an, die Lippen abzulecken.

Frosch.
Gut! wenn ich wählen soll, so will ich Rheinwein haben.

2265
Das Vaterland verleiht die allerbesten Gaben.


Mephistopheles.

indem er an dem Platz, wo Frosch sitzt, ein Loch in den Tischrand bohrt.

Verschafft ein wenig Wachs, die Pfropfen gleich zu machen!

Altmayer.
Ach das sind Taschenspielersachen.

Mephistopheles. zu Brander.
Und ihr?

Brander.
 Ich will Champagner Wein,
Und recht mussirend soll er seyn!

[142]

Mephistopheles

bohrt, einer hat indessen die Wachspfropfen gemacht und verstopft.

Brander.

2270
Man kann nicht stets das Fremde meiden,

Das Gute liegt uns oft so fern.
Ein echter deutscher Mann mag keinen Franzen leiden,
Doch ihre Weine trinkt er gern.

Siebel.

indem sich Mephistopheles seinem Platze nähert.

Ich muß gestehn, den sauren mag ich nicht,

2275
Gebt mir ein Glas vom echten süßen!


Mephistopheles bohrt.
Euch soll sogleich Tokayer fließen.

Altmayer.
Nein, Herren, seht mir in’s Gesicht!
Ich seh’ es ein, ihr habt uns nur zum Besten.

Mephistopheles.
Ey! Ey! Mit solchen edlen Gästen

2280
Wär’ es ein Bißchen viel gewagt.

Geschwind! Nur grad’ heraus gesagt!
Mit welchem Weine kann ich dienen?

[143]

Altmayer.
Mit jedem! Nur nicht lang gefragt.

Nachdem die Löcher alle gebohrt und verstopft sind,

Mephistopheles. mit seltsamen Geberden.
     Trauben trägt der Weinstock!

2285
     Hörner der Ziegenbock;

     Der Wein ist saftig, Holz die Reben,
     Der hölzerne Tisch kann Wein auch geben.
     Ein tiefer Blick in die Natur!
     Hier ist ein Wunder, glaubet nur!

2290
     Nun zieht die Pfropfen und genießt!


Alle.

indem sie die Pfropfen ziehen, und jedem der verlangte Wein in’s Glas läuft.

O schöner Brunnen, der uns fließt!

Mephistopheles.
Nur hütet euch, daß ihr mir nichts vergießt!

Sie trinken wiederholt.

Alle singen.
     Uns ist ganz kannibalisch wohl,
     Als wie fünf hundert Säuen!

[144]

Mephistopheles.

2295
Das Volk ist frey, seht an, wie wohl’s ihm geht!


Faust.
Ich hätte Lust nun abzufahren.

Mephistopheles.
Gib nur erst Acht, die Bestialität
Wird sich gar herrlich offenbaren.

Siebel.

trinkt unvorsichtig, der Wein fließt auf die Erde, und wird zur Flamme.

Helft! Feuer! helft! die Hölle brennt!

Mephistopheles die Flamme besprechend.

2300
Sey ruhig, freundlich Element!

zu dem Gesellen.

Für dießmal war es nur ein Tropfen Fegefeuer.

Siebel.
Was soll das seyn? Wart! ihr bezahlt es theuer!
Es scheinet, daß ihr uns nicht kennt.

Frosch.
Laß er uns das zum zweytenmale bleiben!

Altmayer.

2305
Ich dächt’, wir hießen ihn ganz sachte seitwärts gehn.
[145]

Siebel.
Was Herr? Er will sich unterstehn,
Und hier sein Hokuspokus treiben?

Mephistopheles.
Still, altes Weinfaß!

Siebel.
 Besenstiel!
Du willst uns gar noch grob begegnen?

Brander.

2310
Wart nur! es sollen Schläge regnen.


Altmayer

zieht einen Pfropf aus dem Tisch, es springt ihm Feuer entgegen.

Ich brenne! ich brenne!

Siebel.
 Zauberey!
Stoßt zu! der Kerl ist vogelfrey!

Sie ziehen die Messer und gehn auf Mephistopheles los.

Mephistopheles mit ernsthafter Geberde.
     Falsch Gebild und Wort
     Verändern Sinn und Ort!

2315
     Seyd hier und dort!

Sie stehn erstaunt und sehn einander an.

[146]

Altmayer.
Wo bin ich? Welches schöne Land!

Frosch.
Weinberge! Seh’ ich recht?

Siebel.
 Und Trauben gleich zur Hand!

Brander.
Hier unter diesem grünen Laube,
Seht, welch ein Stock! Seht, welche Traube!

Er faßt Siebeln bey der Nase. Die andern thun es wechselseitig und heben die Messer.

Mephistopheles wie oben.

2320
Irrthum, laß los der Augen Band!

Und merkt euch, wie der Teufel spaße.

Er verschwindet mit Faust, die Gesellen fahren aus einander.

Siebel.
Was giebt’s?

Altmayer.
 Wie?

Frosch.
 War das deine Nase?

Brander zu Siebel.
Und deine hab’ ich in der Hand!

[147]

Altmayer.
Es war ein Schlag, der ging durch alle Glieder!

2325
Schafft einen Stuhl, ich sinke nieder!


Frosch.
Nein, sagt mir nur, was ist geschehn?

Siebel.
Wo ist der Kerl? Wenn ich ihn spüre,
Er soll mir nicht lebendig gehn!

Altmayer.
Ich hab’ ihn selbst hinaus zur Kellerthüre –

2330
Auf einem Fasse reiten sehn – –

Es liegt mir bleyschwer in den Füßen.

Sich nach dem Tische wendend.

Mein! Sollte wohl der Wein noch fließen?

Siebel.
Betrug war alles, Lug und Schein.

Frosch.
Mir däuchte doch, als tränk’ ich Wein.

Brander.

2335
Aber wie war es mit den Trauben?


Altmayer.
Nun sag’ mir eins, man soll kein Wunder glauben!

[148]
Hexenküche.

Auf einem niedrigen Herde steht ein großer Kessel über dem Feuer. In dem Dampfe, der davon in die Höhe steigt, zeigen sich verschiedene Gestalten. Eine Meerkatze sitzt bey dem Kessel und schäumt ihn, und sorgt daß er nicht überläuft. Der Meerkater mit den Jungen sitzt darneben und wärmt sich. Wände und Decke sind mit dem seltsamsten Hexenhausrath ausgeschmückt.

Faust. Mephistopheles.

Faust.
Mir widersteht das tolle Zauberwesen!
Versprichst du mir, ich soll genesen,
In diesem Wust von Raserey?

2340
Verlang’ ich Rath von einem alten Weibe?

Und schafft die Sudelköcherey

[149]

Wohl dreyßig Jahre mir vom Leibe?
Weh mir, wenn du nichts bessers weißt!
Schon ist die Hoffnung mir verschwunden.

2345
Hat die Natur und hat ein edler Geist

Nicht irgend einen Balsam ausgefunden?

Mephistopheles.
Mein Freund, nun sprichst du wieder klug!
Dich zu verjüngen, gibt’s auch ein natürlich Mittel;
Allein es steht in einem andern Buch,

2350
Und ist ein wunderlich Capitel.


Faust.
Ich will es wissen.

Mephistopheles.
 Gut! Ein Mittel, ohne Geld
Und Arzt und Zauberey, zu haben:
Begib dich gleich hinaus aufs Feld,
Fang’ an zu hacken und zu graben,

2355
Erhalte dich und deinen Sinn

In einem ganz beschränkten Kreise,
Ernähre dich mit ungemischter Speise,
Leb’ mit dem Vieh als Vieh, und acht’ es nicht für Raub,
Den Acker, den du ärndest, selbst zu düngen;

[150]
2360
Das ist das beste Mittel, glaub’,

Auf achtzig Jahr dich zu verjüngen!

Faust.
Das bin ich nicht gewöhnt, ich kann mich nicht bequemen
Den Spaten in die Hand zu nehmen,
Das enge Leben steht mir gar nicht an.

Mephistopheles.

2365
So muß denn doch die Hexe dran.


Faust.
Warum denn just das alte Weib?
Kannst du den Trank nicht selber brauen?

Mephistopheles.
Das wär’ ein schöner Zeitvertreib!
Ich wollt’ indeß wohl tausend Brücken bauen.

2370
Nicht Kunst und Wissenschaft allein,

Geduld will bey dem Werke seyn.
Ein stiller Geist ist Jahre lang geschäftig,
Die Zeit nur macht die feine Gährung kräftig.
Und alles was dazu gehört

2375
Es sind gar wunderbare Sachen!

Der Teufel hat sie’s zwar gelehrt;
Allein der Teufel kann’s nicht machen.

[151] Die Thiere erblickend.

 
Sieh, welch ein zierliches Geschlecht!
Das ist die Magd! das ist der Knecht!

Zu den Thieren.

2380
Es scheint, die Frau ist nicht zu Hause?


Die Thiere.
Beym Schmause,
Aus dem Haus
Zum Schornstein hinaus!

Mephistopheles.
Wie lange pflegt sie wohl zu schwärmen?

Die Thiere.

2385
So lange wir uns die Pfoten wärmen.


Mephistopheles. zu Faust.
Wie findest du die zarten Thiere?

Faust.
So abgeschmackt, als ich nur jemand sah!

Mephistopheles.
Nein, ein Discours wie dieser da,
Ist g’rade der, den ich am liebsten führe!

Zu den Thieren.

[152]
2390
So sagt mir doch, verfluchte Puppen!

Was quirlt ihr in dem Brey herum?

Thiere.
Wir kochen breite Bettelsuppen.

Mephistopheles.
Da habt ihr ein groß Publicum.

Der Kater

macht sich herbey und schmeichelt dem Mephistopheles.

O würfle nur gleich,

2395
Und mache mich reich,

Und laß mich gewinnen!
Gar schlecht ist’s bestellt,
Und wär’ ich bey Geld,
So wär’ ich bey Sinnen.

Mephistopheles.

2400
Wie glücklich würde sich der Affe schätzen,

Könnt’ er nur auch in’s Lotto setzen!

Indessen haben die jungen Meerkätzchen mit einer großen Kugel gespielt und rollen sie hervor.

Der Kater.
Das ist die Welt;
Sie steigt und fällt

[153]

 Und rollt beständig;

2405
Sie klingt wie Glas;

Wie bald bricht das!
Ist hohl inwendig,
Hier glänzt sie sehr,
Und hier noch mehr,

2410
Ich bin lebendig!

Mein lieber Sohn,
Halt dich davon!
Du mußt sterben!
Sie ist von Thon,

2415
Es giebt Scherben.


Mephistopheles.
Was soll das Sieb?

Der Kater holt es herunter.
Wärst du ein Dieb,
Wollt’ ich dich gleich erkennen.

Er läuft zur Kätzinn und läßt sie durchsehen.

Sieh durch das Sieb!

2420
Erkennst du den Dieb,

Und darfst ihn nicht nennen?

[154]

Mephistopheles sich dem Feuer nähernd.
Und dieser Topf?

Kater und Kätzinn.
Der alberne Tropf!
Er kennt nicht den Topf,

2425
Er kennt nicht den Kessel!


Mephistopheles.
Unhöfliches Thier!

Der Kater.
Den Wedel nimm hier,
Und setz’ dich in Sessel!

Er nöthigt den Mephistopheles zu sitzen.

Faust

welcher diese Zeit über vor einem Spiegel gestanden, sich ihm bald genähert, bald sich von ihm entfernt hat.

Was seh’ ich? Welch ein himmlisch Bild

2430
Zeigt sich in diesem Zauberspiegel!

O Liebe, leihe mir den schnellsten deiner Flügel,
Und führe mich in ihr Gefild!
Ach wenn ich nicht auf dieser Stelle bleibe,
Wenn ich es wage nah’ zu gehn,

2435
Kann ich sie nur als wie im Nebel sehn! –
[155]

Das schönste Bild von einem Weibe!
Ist’s möglich, ist das Weib so schön?
Muß’ ich an diesem hingestreckten Leibe
Den Inbegriff von allen Himmeln sehn?

2440
So etwas findet sich auf Erden?


Mephistopheles.
Natürlich, wenn ein Gott sich erst sechs Tage plagt,
Und selbst am Ende Bravo sagt,
Da muß es was gescheidtes werden.
Für dießmal sieh dich immer satt;

2445
Ich weiß dir so ein Schätzchen auszuspüren,

Und selig wer das gute Schicksal hat,
Als Bräutigam sie heim zu führen!

Faust sieht immerfort in den Spiegel. Mephistopheles, sich in dem Sessel dehnend und mit dem Wedel spielend, fährt fort zu sprechen.

Hier sitz’ ich wie der König auf dem Throne,
Den Zepter halt’ ich hier, es fehlt nur noch die Krone.

Die Thiere.

welche bisher allerley wunderliche Bewegungen durch einander gemacht haben, bringen dem Mephistopheles eine Krone mit großem Geschrey.

2450
O sey doch so gut,

Mit Schweiß und mit Blut
Die Krone zu leimen!

[156] Sie gehn ungeschickt mit der Krone um und zerbrechen sie in zwey Stücke, mit welchen sie herumspringen.

 
Nun ist es geschehn!
Wir reden und sehn,

2455
Wir hören und reimen;


Faust gegen den Spiegel.
Weh mir! ich werde schier verrückt.

Mephistopheles auf die Thiere deutend.
Nun fängt mir an fast selbst der Kopf zu schwanken.

Die Thiere.
Und wenn es uns glückt,
Und wenn es sich schickt,

2460
So sind es Gedanken!


Faust wie oben.
Mein Busen fängt mir an zu brennen!
Entfernen wir uns nur geschwind!

Mephistopheles in obiger Stellung.
Nun, wenigstens muß man bekennen,
Daß es aufrichtige Poeten sind.

Der Kessel, welchen die Kätzinn bisher ausser Acht gelassen, fängt an überzulaufen; es entsteht eine grosse Flamme, welche zum Schornstein hinaus schlägt. Die Hexe kommt durch die Flamme mit entsetzlichem Geschrey herunter gefahren.

[157]

Die Hexe.

2465
Au! Au! Au! Au!

Verdammtes Thier! verfluchte Sau!
Versäumst den Kessel, versengst die Frau!
Verfluchtes Thier!

Faust und Mephistopheles erblickend.

Was ist das hier?

2470
Wer seyd ihr hier?

Was wollt ihr da?
Wer schlich sich ein?
Die Feuerpein
Euch in’s Gebein!

Sie fährt mit dem Schaumlöffel in den Kessel und spritzt Flammen nach Faust, Mephistopheles und den Thieren. Die Thiere winseln.

Mephistopheles

welcher den Wedel, den er in der Hand hält, umkehrt, und unter die Gläser und Töpfe schlägt.

2475
Entzwey! entzwey!

Da liegt der Brey!
Da liegt das Glas!
Es ist nur Spaß,
Der Tact, du Aas,

2480
Zu deiner Melodey.

[158] Indem die Hexe voll Grimm und Entsetzen zurücktritt.

 
Erkennst du mich? Gerippe! Scheusal du!
Erkennst du deinen Herrn und Meister?
Was hält mich ab, so schlag’ ich zu,
Zerschmettre dich und deine Katzen-Geister!

2485
Hast du vor’m rothen Wamms nicht mehr Respect?

Kannst du die Hahnenfeder nicht erkennen?
Hab’ ich dieß Angesicht versteckt?
Soll ich mich etwa selber nennen?

Die Hexe.
O Herr, verzeiht den rohen Gruß!

2490
Sah’ ich doch keinen Pferdefuß.

Wo sind denn eure beyden Raben?

Mephistopheles.
Für dießmal kamst du so davon;
Denn freylich ist es eine Weile schon,
Daß wir uns nicht gesehen haben.

2495
Auch die Cultur, die alle Welt beleckt,

Hat auf den Teufel sich erstreckt;
Das nordische Phantom ist nun nicht mehr zu schauen,
Wo siehst du Hörner, Schweif und Klauen?
Und was den Fuß betrifft, den ich nicht missen kann,

[159]
2500
Der würde mir bey Leuten schaden;

Darum bedien’ ich mich, wie mancher junge Mann,
Seit vielen Jahren falscher Waden.

Die Hexe tanzend.
Sinn und Verstand verlier’ ich schier,
Seh’ ich den Junker Satan wieder hier!

Mephistopheles.

2505
Den Nahmen, Weib, verbitt’ ich mir!


Die Hexe.
Warum? Was hat er euch gethan?

Mephistopheles.
Er ist schon lang’ in’s Fabelbuch geschrieben;
Allein die Menschen sind nichts besser dran,
Den Bösen sind sie los, die Bösen sind geblieben.

2510
Du nennst mich Herr Baron, so ist die Sache gut;

Ich bin ein Cavalier, wie andre Cavaliere.
Du zweifelst nicht an meinem edlen Blut;
Sieh her, das ist das Wapen, das ich führe!

Er macht eine unanständige Geberde.

Die Hexe lacht unmäßig.
Ha! Ha! Das ist in eurer Art!

2515
Ihr seyd ein Schelm, wie ihr nur immer war’t!
[160]

Mephistopheles zu Faust.
Mein Freund, das lerne wohl verstehn!
Dieß ist die Art mit Hexen umzugehn.

Die Hexe.
Nun sagt, ihr Herren, was ihr schafft.

Mephistopheles.
Ein gutes Glas von dem bekannten Saft!

2520
Doch muß ich euch um’s ält’ste bitten;

Die Jahre doppeln seine Kraft.

Die Hexe.
Gar gern! Hier hab’ ich eine Flasche,
Aus der ich selbst zuweilen nasche,
Die auch nicht mehr im mind’sten stinkt;

2525
Ich will euch gern ein Gläschen geben.

Leise.

Doch wenn es dieser Mann unvorbereitet trinkt,
So kann er, wißt ihr wohl, nicht eine Stunde leben.

Mephistopheles.
Es ist ein guter Freund, dem es gedeihen soll;
Ich gönn’ ihm gern das beste deiner Küche.

2530
Zieh deinen Kreis, sprich deine Sprüche,

Und gieb ihm eine Tasse voll!

[161]

Die Hexe

mit seltsamen Geberden, zieht einen Kreis und stellt wunderbare Sachen hinein; indessen fangen die Gläser an zu klingen, die Kessel zu tönen, und machen Musik. Zuletzt bringt sie ein großes Buch, stellt die Meerkatzen in den Kreis, die ihr zum Pult dienen und die Fackel halten müssen. Sie winkt Fausten, zu ihr zu treten.

Faust zu Mephistopheles.
Nein, sage mir, was soll das werden?
Das tolle Zeug, die rasenden Geberden,
Der abgeschmackteste Betrug,

2535
Sind mir bekannt, verhaßt genug.


Mephistopheles.
Ey Possen! Das ist nur zum Lachen;
Sey nur nicht ein so strenger Mann!
Sie muß als Arzt ein Hokuspokus machen,
Damit der Saft dir wohl gedeihen kann.

Er nöthigt Fausten, in den Kreis zu treten.

Die Hexe mit großer Emphase fängt an aus dem Buche zu declamiren.

2540
Du mußt verstehn!

Aus Eins mach’ Zehn,
Und Zwey laß gehn,
Und Drey mach’ gleich,

[162]

So bist du reich.

2545
Verlier’ die Vier!

Aus Fünf und Sechs,
So sagt die Hex’,
Mach’ Sieben und Acht,
So ist’s vollbracht:

2550
Und Neun ist Eins,

Und Zehn ist keins.
Das ist das Hexen-Einmal-Eins!

Faust.
Mich dünkt, die Alte spricht im Fieber.

Mephistopheles.
Das ist noch lange nicht vorüber,

2555
Ich kenn’ es wohl, so klingt das ganze Buch;

Ich habe manche Zeit damit verloren,
Denn ein vollkommner Widerspruch
Bleibt gleich geheimnißvoll für Kluge wie für Thoren.
Mein Freund, die Kunst ist alt und neu.

2560
Es war die Art zu allen Zeiten,

Durch Drey und Eins, und Eins und Drey
Irrthum statt Wahrheit zu verbreiten.
So schwätzt und lehrt man ungestört;

[163]

Wer will sich mit den Narr’n befassen?

2565
Gewöhnlich glaubt der Mensch, wenn er nur Worte hört,

Es müsse sich dabey doch auch was denken lassen.

Die Hexe fährt fort.
          Die hohe Kraft
          Der Wissenschaft,
          Der ganzen Welt verborgen!

2570
          Und wer nicht denkt,

          Dem wird sie geschenkt,
          Er hat sie ohne Sorgen.

Faust.
Was sagt sie uns für Unsinn vor?
Es wird mir gleich der Kopf zerbrechen.

2575
Mich dünkt, ich hör’ ein ganzes Chor

Von hundert tausend Narren sprechen.

Mephistopheles.
Genug, genug, o treffliche Sibylle!
Gib deinen Trank herbey, und fülle
Die Schale rasch bis an den Rand hinan;

2580
Denn meinem Freund wird dieser Trunk nicht schaden:

Er ist ein Mann von vielen Graden,
Der manchen guten Schluck gethan.

[164]

Die Hexe.

mit vielen Ceremonien, schenkt den Trank in eine Schale; wie sie Faust an den Mund bringt, entsteht eine leichte Flamme.

Mephistopheles.
Nur frisch hinunter! Immer zu!
Es wird dir gleich das Herz erfreuen.

2585
Bist mit dem Teufel du und du,

Und willst dich vor der Flamme scheuen?

Die Hexe löst den Kreis.

Faust tritt heraus.

Mephistopheles.
Nun frisch hinaus! Du darfst nicht ruhn.

Die Hexe.
Mög’ euch das Schlückchen wohl behagen!

Mephistopheles zur Hexe.
Und kann ich dir was zu Gefallen thun;

2590
So darfst du mir’s nur auf Walpurgis sagen.


Die Hexe.
Hier ist ein Lied! wenn ihr’s zuweilen singt,
So werdet ihr besondre Würkung spüren.

Mephistopheles zu Faust.
Komm nur geschwind und laß dich führen;

[165]

Du mußt nothwendig transpiriren,

2595
Damit die Kraft durch inn- und äußres dringt.

Den edlen Müßiggang lehr’ ich hernach dich schätzen,
Und bald empfindest du mit innigem Ergetzen,
Wie sich Cupido regt und hin und wieder springt.

Faust.
Laß mich nur schnell noch in den Spiegel schauen!

2600
Das Frauenbild war gar zu schön!


Mephistopheles.
Nein! Nein! Du sollst das Muster aller Frauen
Nun bald leibhaftig vor dir seh’n.

Leise.

Du siehst, mit diesem Trank im Leibe,
Bald Helenen in jedem Weibe.

[166]
Straße.
Faust. Margarete vorüber gehend.

Faust.

2605
Mein schönes Fräulein, darf ich wagen,

Meinen Arm und Geleit Ihr anzutragen?

Margarete.
Bin weder Fräulein, weder schön,
Kann ungeleitet nach Hause gehn.

Sie macht sich los und ab.

Faust.
Beym Himmel, dieses Kind ist schön!

2610
So etwas hab’ ich nie gesehn.

Sie ist so sitt- und tugendreich,
Und etwas schnippisch doch zugleich.

[167]

Der Lippe Roth, der Wange Licht,
Die Tage der Welt vergess’ ich’s nicht!

2615
Wie sie die Augen niederschlägt,

Hat tief sich in mein Herz geprägt;
Wie sie kurz angebunden war,
Das ist nun zum Entzücken gar!

Mephistopheles tritt auf.

Faust.
Hör, du mußt mir die Dirne schaffen!

Mephistopheles.

2620
Nun, welche?


Faust.
 Sie ging just vorbey.

Mephistopheles.
Da die? Sie kam von ihrem Pfaffen,
Der sprach sie aller Sünden frey;
Ich schlich mich hart am Stuhl vorbey,
Es ist ein gar unschuldig Ding,

2625
Das eben für nichts zur Beichte ging;

Ueber die hab’ ich keine Gewalt!

Faust.
Ist über vierzehn Jahr doch alt.

[168]

Mephistopheles.
Du sprichst ja wie Hans Liederlich,
Der begehrt jede liebe Blum’ für sich,

2630
Und dünkelt ihm, es wär’ kein’ Ehr’

Und Gunst, die nicht zu pflücken wär’;
Geht aber doch nicht immer an.

Faust.
Mein Herr Magister Lobesan,
Laß er mich mit dem Gesetz in Frieden!

2635
Und das sag’ ich ihm kurz und gut,

Wenn nicht das süße junge Blut
Heut’ Nacht in meinen Armen ruht;
So sind wir um Mitternacht geschieden.

Mephistopheles.
Bedenkt was gehn und stehen mag!

2640
Ich brauche wenigstens vierzehn Tag’

Nur die Gelegenheit auszuspüren.

Faust.
Hätt’ ich nur sieben Stunden Ruh,
Brauchte den Teufel nicht dazu,
So ein Geschöpfchen zu verführen.

[169]

Mephistopheles.

2645
Ihr sprecht schon fast wie ein Franzos;

Doch bitt’ ich, laßt’s euch nicht verdrießen:
Was hilft’s nur g’rade zu genießen?
Die Freud’ ist lange nicht so groß,
Als wenn ihr erst herauf, herum,

2650
Durch allerley Brimborium,

Das Püppchen geknetet und zugericht’t
Wie’s lehret manche welsche Geschicht’.

Faust.
Hab’ Appetit auch ohne das.

Mephistopheles.
Jetzt ohne Schimpf und ohne Spaß.

2655
Ich sag’ euch, mit dem schönen Kind

Geht’s ein- für allemal nicht geschwind.
Mit Sturm ist da nichts einzunehmen;
Wir müssen uns zur List bequemen.

Faust.
Schaff’ mir etwas vom Engelsschatz!

2660
Führ’ mich an ihren Ruheplatz!

Schaff’ mir ein Halstuch von ihrer Brust,
Ein Strumpfband meiner Liebeslust!

[170]

Mephistopheles.
Damit ihr seht, daß ich eurer Pein
Will förderlich und dienstlich seyn;

2665
Wollen wir keinen Augenblick verlieren,

Will euch noch heut’ in ihr Zimmer führen.

Faust.
Und soll sie sehn? sie haben?

Mephistopheles.
 Nein!
Sie wird bey einer Nachbarinn seyn.
Indessen könnt ihr ganz allein

2670
An aller Hoffnung künft’ger Freuden

In ihrem Dunstkreis satt euch weiden.

Faust.
Können wir hin?

Mephistopheles.
 Es ist noch zu früh.

Faust.
Sorg’ du mir für ein Geschenk für sie!

ab.


Mephistopheles.
Gleich schenken? Das ist brav! Da wird er reüssiren!

[171]
2675
Ich kenne manchen schönen Platz

Und manchen alt vergrabnen Schatz,
Ich muß ein Bißchen revidiren.

ab.

[172]
Abend.
Ein kleines reinliches Zimmer.
 
Margarete.

ihre Zöpfe flechtend und aufbindend.

Ich gäb’ was drum, wenn ich nur wüßt’,
Wer heut der Herr gewesen ist!

2680
Er sah gewiß recht wacker aus,

Und ist aus einem edlen Haus;
Das konnt’ ich ihm an der Stirne lesen –
Er wär’ auch sonst nicht so keck gewesen.

ab.

Mephistopheles. Faust.
Mephistopheles.
Herein, ganz leise, nur herein!
[173]

Faust nach einigem Stillschweigen.

2685
Ich bitte dich, laß mich allein!


Mephistopheles herumspürend.
Nicht jedes Mädchen hält so rein.

ab.

Faust rings aufschauend.
Willkommen süßer Dämmerschein!
Der du dieß Heiligthum durchwebst.
Ergreif mein Herz, du süße Liebespein!

2690
Die du vom Thau der Hoffnung schmachtend lebst.

Wie athmet rings Gefühl der Stille,
Der Ordnung, der Zufriedenheit!
In dieser Armuth welche Fülle!
In diesem Kerker welche Seligkeit!

Er wirft sich auf den ledernen Sessel am Bette.

2695
O nimm mich auf! der du die Vorwelt schon

Bey Freud’ und Schmerz in offnen Arm empfangen!
Wie oft, ach! hat an diesem Väter-Thron
Schon eine Schaar von Kindern rings gehangen!
Vielleicht hat, dankbar für den heil’gen Christ,

2700
Mein Liebchen hier, mit vollen Kinderwangen,

Dem Ahnherrn fromm die welke Hand geküßt.

[174]

Ich fühl’, o Mädchen, deinen Geist
Der Füll’ und Ordnung um mich säuseln,
Der mütterlich dich täglich unterweis’t,

2705
Den Teppich auf den Tisch dich reinlich breiten heißt,

Sogar den Sand zu deinen Füßen kräuseln.
O liebe Hand! so göttergleich!
Die Hütte wird durch dich ein Himmelreich.
Und hier!

Er hebt einen Bettvorhang auf.

 Was faßt mich für ein Wonnegraus!

2710
Hier möcht’ ich volle Stunden säumen.

Natur! hier bildetest in leichten Träumen
Den eingebornen Engel aus;
Hier lag das Kind! mit warmem Leben
Den zarten Busen angefüllt,

2715
Und hier mit heilig reinem Weben

Entwirkte sich das Götterbild!

     Und du! Was hat dich hergeführt?
Wie innig fühl’ ich mich gerührt!
Was willst du hier? Was wird das Herz dir schwer?

2720
Armsel’ger Faust! ich kenne dich nicht mehr.
[175]

      Umgiebt mich hier ein Zauberduft?
Mich drang’s so g’rade zu genießen,
Und fühle mich in Liebestraum zerfließen!
Sind wir ein Spiel von jedem Druck der Luft?

2725
     Und träte sie den Augenblick herein,

Wie würdest du für deinen Frevel büßen!
Der große Hans, ach wie so klein!
Läg’, hingeschmolzen, ihr zu Füßen.

Mephistopheles.
Geschwind! ich seh’ sie unten kommen.

Faust.

2730
Fort! Fort! Ich kehre nimmermehr!


Mephistopheles.
Hier ist ein Kästchen leidlich schwer,
Ich hab’s wo anders hergenommen.
Stellt’s hier nur immer in den Schrein,
Ich schwör’ euch, ihr vergehn die Sinnen;

2735
Ich that euch Sächelchen hinein,

Um eine andre zu gewinnen.
Zwar Kind ist Kind und Spiel ist Spiel.

[176]

Faust.
Ich weiß nicht, soll ich?

Mephistopheles.
 Fragt ihr viel?
Meint ihr vielleicht den Schatz zu wahren?

2740
Dann rath’ ich eurer Lüsternheit

Die liebe schöne Tageszeit,
Und mir die weitre Müh’ zu sparen.
Ich hoff’ nicht daß ihr geitzig seyd!
Ich kratz’ den Kopf, reib’ an den Händen –

Er stellt das Kästchen in den Schrein und drückt das Schloß wieder zu.

2745
Nur fort! geschwind!

Um euch das süße junge Kind
Nach Herzens Wunsch und Will’ zu wenden;
Und ihr seht drein
Als solltet ihr in den Hörsal hinein,

2750
Als stünd’ leibhaftig vor euch da

Physik und Metaphysika!
Nur fort! –

ab.

Margarete mit einer Lampe.
Es ist so schwül, so dumpfig hie,

[177] Sie macht das Fenster auf.

Und ist doch eben so warm nicht drauß’.

2755
Es wird mir so, ich weiß’ nicht wie –

Ich wollt’, die Mutter käm’ nach Haus.
Mir läuft ein Schauer über’n Leib –
Bin doch ein thöricht furchtsam Weib!

Sie fängt an zu singen, indem sie sich auszieht.

               Es war ein König in Thule

2760
          Gar treu bis an das Grab,

          Dem sterbend seine Buhle
          Einen goldnen Becher gab.

               Es ging ihm nichts darüber,
          Er leert ihn jeden Schmaus;

2765
          Die Augen gingen ihm über,

          So oft er trank daraus.

               Und als er kam zu sterben,
          Zählt’ er seine Städt’ im Reich,
          Gönnt’ alles seinem Erben,

2770
          Den Becher nicht zugleich.
[178]

               Er saß beym Königsmahle,
          Die Ritter um ihn her,
          Auf hohem Väter-Saale,
          Dort auf dem Schloß am Meer.

2775
               Dort stand der alte Zecher,

          Trank letzte Lebensgluth,
          Und warf den heiligen Becher
          Hinunter in die Fluth.

               Er sah ihn stürzen, trinken

2780
          Und sinken tief ins Meer,

          Die Augen thäten ihm sinken,
          Trank nie einen Tropfen mehr.

Sie eröffnet den Schrein, ihre Kleider einzuräumen, und erblickt das Schmuckkästchen.

Wie kommt das schöne Kästchen hier herein?
Ich schloß doch ganz gewiß den Schrein.

2785
Es ist doch wunderbar! Was mag wohl drinne seyn?

Vielleicht bracht’s jemand als ein Pfand,
Und meine Mutter lieh darauf.
Da hängt ein Schlüsselchen am Band,

[179]

Ich denke wohl, ich mach’ es auf!

2790
Was ist das? Gott im Himmel! schau,

So was hab’ ich mein’ Tage nicht gesehn!
Ein Schmuck! Mit dem könnt’ eine Edelfrau
Am höchsten Feiertage gehn.
Wie sollte mir die Kette stehn?

2795
Wem mag die Herrlichkeit gehören?

Sie putzt sich damit auf und tritt vor den Spiegel.

Wenn nur die Ohrring’ meine wären!
Man sieht doch gleich ganz anders drein.
Was hilft euch Schönheit, junges Blut?
Das ist wohl alles schön und gut,

2800
Allein man läßt’s auch alles seyn;

Man lobt euch halb mit Erbarmen.
Nach Golde drängt,
Am Golde hängt
Doch alles. Ach wir Armen!

[180]
Spazirgang.
Faust in Gedanken auf und ab gehend. Zu ihm Mephistopheles.

Mephistopheles.

2805
Bey aller verschmähten Liebe! Beym höllischen Elemente!

Ich wollt’, ich wüßte ’was ärgers, daß ich’s fluchen könnte!

Faust.
Was hast? was kneipt dich denn so sehr?
So kein Gesicht sah’ ich in meinem Leben!

Mephistopheles.
Ich möcht’ mich gleich dem Teufel übergeben,

2810
Wenn ich nur selbst kein Teufel wär’!


Faust.
Hat sich dir was im Kopf verschoben?
Dich kleidet’s, wie ein Rasender zu toben!

[181]

Mephistopheles.
Denkt nur, den Schmuck für Gretchen angeschafft,
Den hat ein Pfaff hinweggerafft! –

2815
Die Mutter kriegt das Ding zu schauen,

Gleich fängt’s ihr heimlich an zu grauen:
Die Frau hat gar einen feinen Geruch,
Schnuffelt immer im Gebetbuch,
Und riecht’s einem jeden Möbel an,

2820
Ob das Ding heilig ist oder profan;

Und an dem Schmuck da spürt sie’s klar,
Daß dabey nicht viel Segen war.
Mein Kind, rief sie, ungerechtes Gut
Befängt die Seele, zehrt auf das Blut.

2825
Wollen’s der Mutter Gottes weihen,

Wird uns mit Himmels-Manna erfreuen!
Margretlein zog ein schiefes Maul,
Ist halt, dacht’ sie, ein geschenkter Gaul,
Und wahrlich! gottlos ist nicht der,

2830
Der ihn so fein gebracht hierher.

Die Mutter ließ einen Pfaffen kommen;
Der hatte kaum den Spaß vernommen,
Ließ sich den Anblick wohl behagen.

[182]

Er sprach: So ist man recht gesinnt!

2835
Wer überwindet der gewinnt.

Die Kirche hat einen guten Magen,
Hat ganze Länder aufgefressen,
Und doch noch nie sich übergessen;
Die Kirch’ allein, meine lieben Frauen,

2840
Kann ungerechtes Gut verdauen.


Faust.
Das ist ein allgemeiner Brauch,
Ein Jud’ und König kann es auch.

Mephistopheles.
Strich drauf ein Spange, Kett’ und Ring’,
Als wären’s eben Pfifferling’,

2845
Dankt’ nicht weniger und nicht mehr,

Als ob’s ein Korb voll Nüsse wär’,
Versprach ihnen allen himmlischen Lohn –
Und sie waren sehr erbaut davon.

Faust.
Und Gretchen?

Mephistopheles.
 Sitzt nun unruhvoll,

2850
Weiß weder was sie will noch soll,
[183]

Denkt an’s Geschmeide Tag und Nacht,
Noch mehr an den, der’s ihr gebracht.

Faust.
Des Liebchens Kummer thut mir leid.
Schaff’ du ihr gleich ein neu Geschmeid’!

2855
Am ersten war ja so nicht viel.


Mephistopheles.
O ja, dem Herrn ist alles Kinderspiel!

Faust.
Und mach’, und richt’s nach meinem Sinn!
Häng’ dich an ihre Nachbarinn.
Sey Teufel doch nur nicht wie Brey,

2860
Und schaff’ einen neuen Schmuck herbey!


Mephistopheles.
Ja, gnäd’ger Herr, von Herzen gerne.

Faust ab.

Mephistopheles.
So ein verliebter Thor verpufft
Euch Sonne, Mond und alle Sterne
Zum Zeitvertreib dem Liebchen in die Luft.

ab.

[184]
Der Nachbarinn Haus.

    

Marthe allein.

2865
Gott verzeih’s meinem lieben Mann,

Er hat an mir nicht wohl gethan!
Geht da stracks in die Welt hinein,
Und läßt mich auf dem Stroh allein.
Thät’ ihn doch wahrlich nicht betrüben,

2870
Thät’ ihn, weiß Gott, recht herzlich lieben.

Sie weint.

Vielleicht ist er gar todt! – O Pein! – –
Hätt’ ich nur einen Todtenschein!


Margarete kommt.

Margarete.
Frau Marthe!

[185]

Marthe.
 Gretelchen, was soll’s?

Margarete.
Fast sinken mir die Kniee nieder!

2875
Da find’ ich so ein Kästchen wieder

In meinem Schrein, von Ebenholz,
Und Sachen herrlich ganz und gar,
Weit reicher als das erste war.

Marthe.
Das muß sie nicht der Mutter sagen;

2880
Thät’s wieder gleich zur Beichte tragen.


Margarete.
Ach seh’ sie nur! ach schau sie nur!

Marthe putzt sie auf.
O du glücksel’ge Creatur!

Margarete.
Darf mich, leider, nicht auf der Gassen,
Noch in der Kirche mit sehen lassen.

Marthe.

2885
Komm du nur oft zu mir herüber,

Und leg’ den Schmuck hier heimlich an;
Spazier’ ein Stündchen lang dem Spiegelglas vorüber,

[186]

Wir haben unsre Freude dran;
Und dann gibt’s einen Anlaß, gibt’s ein Fest,

2890
Wo man’s so nach und nach den Leuten sehen läßt.

Ein Kettchen erst, die Perle dann in’s Ohr;
Die Mutter sieht’s wohl nicht, man macht ihr auch was vor.

Margarete.
Wer konnte nur die beyden Kästchen bringen?
Es geht nicht zu mit rechten Dingen!

Es klopft.

Margarete.

2895
Ach Gott! mag das meine Mutter seyn?


Marthe durchs Vorhängel guckend.
Es ist ein fremder Herr – Herein!

Mephistopheles tritt auf.


Mephistopheles.
Bin so frey g’rad’ herein zu treten,
Muß bey den Frauen Verzeihn erbeten.

Tritt ehrerbietig vor Margareten zurück.

Wollte nach Frau Marthe Schwerdlein fragen!

Marthe.

2900
Ich bin’s, was hat der Herr zu sagen?
[187]

Mephistopheles leise zu ihr.
Ich kenne Sie jetzt, mir ist das genug;
Sie hat da gar vornehmen Besuch.
Verzeiht die Freyheit die ich genommen,
Will Nachmittage wieder kommen.

Marthe laut.

2905
Denk’, Kind, um alles in der Welt!

Der Herr dich für ein Fräulein hält.

Margarete.
Ich bin ein armes junges Blut;
Ach Gott! der Herr ist gar zu gut:
Schmuck und Geschmeide sind nicht mein.

Mephistopheles.

2910
Ach, es ist nicht der Schmuck allein;

Sie hat ein Wesen, einen Blick so scharf!
Wie freut mich’s, daß ich bleiben darf.

Marthe.
Was bringt Er denn? Verlange sehr –

Mephistopheles.
Ich wollt’ ich hätt’ eine frohere Mähr’!

2915
Ich hoffe, Sie läßt mich’s drum nicht büßen:

Ihr Mann ist todt und läßt Sie grüßen.

[188]

Marthe.
Ist todt? das treue Herz! O weh!
Mein Mann ist todt! Ach ich vergeh’!

Margarete.
Ach! liebe Frau, verzweifelt nicht!

Mephistopheles.

2920
So hört die traurige Geschicht’!


Margarete.
Ich möchte drum mein’ Tag’ nicht lieben,
Würde mich Verlust zu Tode betrüben.

Mephistopheles.
Freud’ muß Leid, Leid muß Freude haben.

Marthe.
Erzählt mir seines Lebens Schluß!

Mephistopheles.

2925
Er liegt in Padua begraben

Bey’m heiligen Antonius,
An einer wohlgeweihten Stätte
Zum ewig kühlen Ruhebette.

Marthe.
Habt ihr sonst nichts an mich zu bringen

[189]

Mephistopheles.

2930
Ja, eine Bitte, groß und schwer;

Laß Sie doch ja für ihn dreyhundert Messen singen!
Im übrigen sind meine Taschen leer.

Marthe.
Was! nicht ein Schaustück? kein Geschmeid’?
Was jeder Handwerksbursch im Grund des Säckels spart,

2935
Zum Angedenken aufbewahrt,

Und lieber hungert lieber bettelt!

Mephistopheles.
Madam, es thut mir herzlich leid;
Allein er hat sein Geld wahrhaftig nicht verzettelt.
Auch er bereute seine Fehler sehr,

2940
Ja, und bejammerte sein Unglück noch viel mehr.


Margarete.
Ach! daß die Menschen so unglücklich sind!
Gewiß ich will für ihn manch Requiem noch beten.

Mephistopheles.
Ihr wäret werth, gleich in die Eh’ zu treten:
Ihr seyd ein liebenswürdig Kind.

Margarete.

2945
Ach nein, das geht jetzt noch nicht an.
[190]

Mephistopheles.
Ist’s nicht ein Mann, sey’s derweil’ ein Galan.
’s ist eine der größten Himmelsgaben,
So ein lieb Ding im Arm zu haben.

Margarete.
Das ist des Landes nicht der Brauch.

Mephistopheles.

2950
Brauch oder nicht! es gibt sich auch.


Marthe.
Erzählt mir doch!

Mephistopheles.
 Ich stand an seinem Sterbebette,
Es war was besser als von Mist,
Von halbgefaultem Stroh; allein er starb als Christ,
Und fand, daß er weit mehr noch auf der Zeche hätte.

2955
Wie, rief er, muß ich mich von Grund aus hassen,

So mein Gewerb, mein Weib so zu verlassen!
Ach, die Erinnrung tödtet mich.
Vergäb’ sie mir nur noch in diesem Leben! –

Marthe weinend.
Der gute Mann! ich hab’ ihm längst vergeben.

[191]

Mephistopheles.

2960
Allein, weiß Gott! sie war mehr Schuld als ich.


Marthe.
Das lügt er! Was! am Rand des Grab’s zu lügen!

Mephistopheles.
Er fabelte gewiß in letzten Zügen,
Wenn ich nur halb ein Kenner bin.
Ich hatte, sprach er, nicht zum Zeitvertreib zu gaffen,

2965
Erst Kinder, und dann Brot für sie zu schaffen,

Und Brot im allerweit’sten Sinn,
Und konnte nicht einmal mein Theil in Frieden essen.

Marthe.
Hat er so aller Treu’, so aller Lieb’ vergessen,
Der Plackerey bey Tag und Nacht!

Mephistopheles.

2970
Nicht doch, er hat euch herzlich dran gedacht.

Er sprach: Als ich nun weg von Malta ging,
Da betet’ ich für Frau und Kinder brünstig;
Uns war denn auch der Himmel günstig,
Daß unser Schiff ein Türkisch Fahrzeug fing,

2975
Das einen Schatz des großen Sultans führte.

Da ward der Tapferkeit ihr Lohn,

[192]

Und ich empfing denn auch, wie sich’s gebührte,
Mein wohlgemess’nes Theil davon.

Marthe.
Ey wie? Ey wo? Hat er’s vielleicht vergraben?

Mephistopheles.

2980
Wer weiß, wo nun es die vier Winde haben.

Ein schönes Fräulein nahm sich seiner an,
Als er in Napel fremd umher spazirte;
Sie hat an ihm viel Lieb’s und Treu’s gethan,
Daß er’s bis an sein selig Ende spürte.

Marthe.

2985
Der Schelm! der Dieb an seinen Kindern!

Auch alles Elend, alle Noth
Konnt’ nicht sein schändlich Leben hindern!

Mephistopheles.
Ja seht! dafür ist er nun todt.
Wär’ ich nun jetzt an eurem Platze;

2990
Betraurt’ ich ihn ein züchtig Jahr,

Visirte dann unterweil’ nach einem neuen Schatze.

Marthe.
Ach Gott! wie doch mein erster war,
Find’ ich nicht leicht auf dieser Welt den andern!

[193]

Es konnte kaum ein herziger Närrchen seyn.

2995
Er liebte nur das allzuviele Wandern,

Und fremde Weiber, und fremden Wein,
Und das verfluchte Würfelspiel.

Mephistopheles.
Nun, nun, so konnt’ es gehn und stehen,
Wenn er euch ungefähr so viel

3000
Von seiner Seite nachgesehen.

Ich schwör’ euch zu, mit dem Beding
Wechselt’ ich selbst mit euch den Ring!

Marthe.
O es beliebt dem Herrn zu scherzen!

Mephistopheles für sich.
Nun mach’ ich mich bey Zeiten fort!

3005
Die hielte wohl den Teufel selbst beym Wort.

Zu Gretchen.

Wie steht es denn mit Ihrem Herzen?

Margarete.
Was meint der Herr damit?

Mephistopheles für sich.
 Du gut’s, unschuldig’s Kind!

Laut.


Lebt wohl, ihr Frauen!

[194]

Margarete.
 Lebt wohl!

Marthe.
 O sagt mir doch geschwind!
Ich möchte gern ein Zeugniß haben,

3010
Wo, wie und wann mein Schatz gestorben und begraben.

Ich bin von je der Ordnung Freund gewesen,
Möcht’ ihn auch todt im Wochenblättchen lesen.

Mephistopheles.
Ja, gute Frau, durch zweyer Zeugen Mund
Wird allerwegs die Wahrheit kund;

3015
Habe noch gar einen feinen Gesellen,

Den will ich euch vor den Richter stellen.
Ich bring’ ihn her.

Marthe.
 O thut das ja!

Mephistopheles.
Und hier die Jungfrau ist auch da? –
Ein braver Knab’! ist viel gereis’t,

3020
Fräuleins alle Höflichkeit erweis’t.


Margarete.
Müßte vor dem Herren schamroth werden.

[195]

 
Mephistopheles.
Vor keinem Könige der Erden.

Marthe.
Da hinter’m Haus in meinem Garten
Wollen wir der Herren heut’ Abend warten.

[196]
Straße.
Faust. Mephistopheles.

Faust.

3025
Wie ist’s? Will’s fördern? Will’s bald gehn?


Mephistopheles.
Ah bravo! Find’ ich euch in Feuer?
In kurzer Zeit ist Gretchen euer.
Heut’ Abend sollt ihr sie bey Nachbar’ Marthen sehn:
Das ist ein Weib wie auserlesen

3030
Zum Kuppler- und Zigeunerwesen!


Faust.
So recht!

Mephistopheles.
 Doch wird auch was von uns begehrt.

[197]

Faust.
Ein Dienst ist wohl des andern werth.

Mephistopheles.
Wir legen nur ein gültig Zeugniß nieder,
Daß ihres Ehherrn ausgereckte Glieder

3035
In Padua an heil’ger Stätte ruhn.


Faust.
Sehr klug! Wir werden erst die Reise machen müssen!

Mephistopheles.
Sancta Simplicitas! darum ist’s nicht zu thun;
Bezeugt nur ohne viel zu wissen.

Faust.
Wenn Er nichts bessers hat, so ist der Plan zerrissen.

Mephistopheles.

3040
O heil’ger Mann! Da wär’t ihr’s nun!

Ist es das erstemal in eurem Leben,
Daß ihr falsch Zeugniß abgelegt?
Habt ihr von Gott, der Welt und was sich d’rin bewegt,
Vom Menschen, was sich ihm in Kopf und Herzen regt,

3045
Definitionen nicht mit großer Kraft gegeben?

Mit frecher Stirne, kühner Brust?
Und wollt ihr recht in’s Innre gehen,

[198]

Habt ihr davon, ihr müßt es g’rad’ gestehen,
So viel als von Herrn Schwerdleins Tod gewußt!

Faust.

3050
Du bist und bleibst ein Lügner, ein Sophiste.


Mephistopheles.
Ja, wenn man’s nicht ein Bißchen tiefer wüßte.
Denn morgen wirst in allen Ehren,
Das arme Gretchen nicht bethören
Und alle Seelenlieb’ ihr schwören?

Faust.

3055
Und zwar von Herzen.


Mephistopheles.
 Gut und schön!
Dann wird von ewiger Treu’ und Liebe,
Von einzig überallmächt’gem Triebe –
Wird das auch so von Herzen gehn?

Faust.
Laß das! Es wird! – Wenn ich empfinde,

3060
Für das Gefühl, für das Gewühl

Nach Namen suche, keinen finde,
Dann durch die Welt mit allen Sinnen schweife,
Nach allen höchsten Worten greife,

[199]

Und diese Gluth, von der ich brenne,

3065
Unendlich, ewig, ewig nenne,

Ist das ein teuflisch Lügenspiel?

Mephistopheles.
Ich hab’ doch Recht!

Faust.
 Hör’! merk’ dir dieß –
Ich bitte dich, und schone meine Lunge –
Wer Recht behalten will und hat nur eine Zunge,

3070
Behält’s gewiß.

Und komm’, ich hab’ des Schwätzens Ueberdruß,
Denn du hast Recht, vorzüglich weil ich muß.

[200]
Garten.
Margarete an Faustens Arm, Marthe mit Mephistopheles auf und ab spazirend.

Margarete.
Ich fühl’ es wohl, daß mich der Herr nur schont,
Herab sich läßt, mich zu beschämen.

3075
Ein Reisender ist so gewohnt

Aus Gütigkeit fürlieb zu nehmen,
Ich weiß zu gut, daß solch’ erfahrnen Mann
Mein arm Gespräch nicht unterhalten kann.

Faust.
Ein Blick von dir, Ein Wort mehr unterhält,

3080
Als alle Weisheit dieser Welt.

Er küßt ihre Hand.

[201]

Margarete.
Incommodirt euch nicht! Wie könnt ihr sie nur küssen?
Sie ist so garstig, ist so rauh!
Was hab’ ich nicht schon alles schaffen müssen!
Die Mutter ist gar zu genau.

Gehn vorüber.

Marthe.

3085
Und ihr, mein Herr, ihr reis’t so immer fort?


Mephistopheles.
Ach, daß Gewerb’ und Pflicht uns dazu treiben!
Mit wie viel Schmerz verläßt man manchen Ort,
Und darf doch nun einmal nicht bleiben!

Marthe.
In raschen Jahren geht’s wohl an,

3090
So um und um frey durch die Welt zu streifen;

Doch kömmt die böse Zeit heran,
Und sich als Hagestolz allein zum Grab’ zu schleifen,
Das hat noch keinem wohl gethan.

Mephistopheles.
Mit Grausen seh’ ich das von weiten.

[202]

Marthe.

3095
Drum, werther Herr, berathet euch in Zeiten.

Gehn vorüber.

Margarete.
Ja, aus den Augen aus dem Sinn!
Die Höflichkeit ist euch geläufig;
Allein ihr habt der Freunde häufig,
Sie sind verständiger als ich bin.

Faust.

3100
O Beste! glaube, was man so verständig nennt,

Ist oft mehr Eitelkeit und Kurzsinn.

Margarete.
 Wie?

Faust.
Ach, daß die Einfalt, daß die Unschuld nie
Sich selbst und ihren heil’gen Werth erkennt!
Daß Demuth, Niedrigkeit, die höchsten Gaben

3105
Der liebevoll austheilenden Natur –


Margarete.
Denkt ihr an mich ein Augenblickchen nur,
Ich werde Zeit genug an euch zu denken haben.

[203]

Faust.
Ihr seyd wohl viel allein?

Margarete.
Ja, unsre Wirthschaft ist nur klein,

3110
Und doch will sie versehen seyn.

Wir haben keine Magd; muß kochen, fegen, stricken
Und nähn, und laufen früh und spat;
Und meine Mutter ist in allen Stücken
So accurat!

3115
Nicht daß sie just so sehr sich einzuschränken hat;

Wir könnten uns weit eh’r als andre regen:
Mein Vater hinterließ ein hübsch Vermögen,
Ein Häuschen und ein Gärtchen vor der Stadt.
Doch hab’ ich jetzt so ziemlich stille Tage;

3120
Mein Bruder ist Soldat,

Mein Schwesterchen ist todt.
Ich hatte mit dem Kind wohl meine liebe Noth;
Doch übernähm’ ich gern noch einmal alle Plage,
So lieb war mir das Kind.

Faust.
Ein Engel, wenn dir’s glich.

[204]

Margarete.

3125
Ich zog es auf, und herzlich liebt’ es mich.

Es war nach meines Vaters Tod geboren.
Die Mutter gaben wir verloren,
So elend wie sie damals lag,
Und sie erholte sich sehr langsam, nach und nach.

3130
Da konnte sie nun nicht d’ran denken

Das arme Würmchen selbst zu tränken,
Und so erzog ich’s ganz allein,
Mit Milch und Wasser; so ward’s mein.
Auf meinem Arm, in meinem Schoos

3135
War’s freundlich, zappelte, ward groß.


Faust.
Du hast gewiß das reinste Glück empfunden.

Margarete.
Doch auch gewiß gar manche schwere Stunden.
Des Kleinen Wiege stand zu Nacht
An meinem Bett’, es durfte kaum sich regen,

3140
War ich erwacht;

Bald mußt’ ich’s tränken, bald es zu mir legen,
Bald, wenn’s nicht schwieg, vom Bett’ aufstehn,
Und tänzelnd in der Kammer auf und nieder gehn,

[205]

Und früh am Tage schon am Waschtrog stehn;

3145
Dann auf dem Markt und an dem Herde sorgen,

Und immer fort wie heut so morgen.
Da geht’s, mein Herr, nicht immer muthig zu;
Doch schmeckt dafür das Essen, schmeckt die Ruh.

Gehn vorüber.

Marthe.
Die armen Weiber sind doch übel dran:

3150
Ein Hagestolz ist schwerlich zu bekehren.


Mephistopheles.
Es käme nur auf eures gleichen an,
Mich eines bessern zu belehren.

Marthe.
Sagt g’rad’, mein Herr, habt ihr noch nichts gefunden?
Hat sich das Herz nicht irgendwo gebunden?

Mephistopheles.

3155
Das Sprichwort sagt: Ein eigner Herd,

Ein braves Weib, sind Gold und Perlen werth.

Marthe.
Ich meine, ob ihr niemals Lust bekommen?

Mephistopheles.
Man hat mich überall recht höflich aufgenommen.

[206]

Marthe.
Ich wollte sagen: ward’s nie Ernst in Eurem Herzen?

Mephistopheles.

3160
Mit Frauen soll man sich nie unterstehn zu scherzen.


Marthe.
Ach, ihr versteht mich nicht!

Mephistopheles.
 Das thut mir herzlich leid!
Doch ich versteh’ – daß ihr sehr gütig seyd.

Gehn vorüber.

Faust.
Du kanntest mich, o kleiner Engel, wieder,
Gleich als ich in den Garten kam?

Margarete.

3165
Saht ihr es nicht? ich schlug die Augen nieder.


Faust.
Und du verzeihst die Freyheit, die ich nahm?
Was sich die Frechheit unterfangen,
Als du jüngst aus dem Dom gegangen?

Margarete.
Ich war bestürzt, mir war das nie geschehn;

3170
Es konnte niemand von mir übels sagen.
[207]

Ach, dacht’ ich, hat er in deinem Betragen
Was freches, unanständiges gesehn?
Es schien ihn gleich nur anzuwandeln,
Mit dieser Dirne g’rade hin zu handeln.

3175
Gesteh’ ich’s doch! Ich wußte nicht was sich

Zu eurem Vortheil hier zu regen gleich begonnte;
Allein gewiß, ich war recht bös’ auf mich,
Daß ich auf euch nicht böser werden konnte.

Faust.
Süß Liebchen!

Margarete.
 Laßt einmal!

Sie pflückt eine Sternblume und zupft die Blätter ab, eins nach dem andern.

Faust.
 Was soll das? Einen Strauß?

Margarete.

3180
Nein, es soll nur ein Spiel.


Faust.
 Wie?

Margarete.
 Geht! ihr lacht mich aus.

Sie rupft und murmelt.

[208]

Faust.
Was murmelst du?

Margarete halb laut.
 Er liebt mich – liebt mich nicht.

Faust.
Du holdes Himmels-Angesicht!

Margarete fährt fort.
Liebt mich – Nicht – Liebt mich – Nicht –

Das letzte Blatt ausrupfend, mit holder Freude.

Er liebt mich!

Faust.
Ja, mein Kind! Laß dieses Blumenwort

3185
Dir Götter-Ausspruch seyn. Er liebt dich!

Verstehst du, was das heißt? Er liebt dich!

Er faßt ihre beyden Hände.

Margarete.
Mich überläuft’s!

Faust.
O schaudre nicht! Laß diesen Blick,
Laß diesen Händedruck dir sagen

3190
Was unaussprechlich ist:

Sich hinzugeben ganz und eine Wonne

[209]

Zu fühlen, die ewig seyn muß!
Ewig! – Ihr Ende würde Verzweiflung seyn.
Nein, kein Ende! Kein Ende!

Margarete

drückt ihm die Hände, macht sich los und läuft weg. Er steht einen Augenblick in Gedanken, dann folgt er ihr.

Marthe kommend.

3195
Die Nacht bricht an.


Mephistopheles.
 Ja, und wir wollen fort.

Marthe.
Ich bät’ euch länger hier zu bleiben,
Allein es ist ein gar zu böser Ort.
Es ist als hätte niemand nichts zu treiben
Und nichts zu schaffen,

3200
Als auf des Nachbarn Schritt und Tritt zu gaffen,

Und man kommt in’s Gered’, wie man sich immer stellt.
Und unser Pärchen?

Mephistopheles.
 Ist den Gang dort aufgeflogen.
Muthwill’ge Sommervögel!

[210]

Marthe.
 Er scheint ihr gewogen.

Mephistopheles.
Und sie ihm auch. Das ist der Lauf der Welt.

[211]
Ein Gartenhäuschen.


Margarete springt herein, steckt sich hinter die Thür, hält die Fingerspitze an die Lippen und guckt durch die Ritze.


Margarete.

3205
Er kommt!
Faust kommt.

  Ach, Schelm, so neckst du mich!
Treff’ ich dich!

Er küßt sie.

Margarete.

ihn fassend und den Kuß zurück gebend.

Bester Mann! von Herzen lieb’ ich dich!

Mephistopheles klopft an.

[212]

Faust stampfend.
Wer da?

Mephistopheles.
 Gut Freund!

Faust.
 Ein Thier!

Mephistopheles.
 Es ist wohl Zeit zu scheiden.

Marthe kommt.
Ja, es ist spät, mein Herr.

Faust.
 Darf ich euch nicht geleiten?

Margarete.
Die Mutter würde mich – Lebt wohl!

Faust.
 Muß ich denn gehn?

3210
Lebt wohl!


Marthe.
 Ade!

Margarete.
 Auf baldig Wiedersehn!

Faust und Mephistopheles ab.

[213]

Margarete.
Du lieber Gott! was so ein Mann
Nicht alles alles denken kann!
Beschämt nur steh’ ich vor ihm da,
Und sag’ zu allen Sachen ja.

3215
Bin doch ein arm unwissend Kind,

Begreife nicht was er an mir find’t.

ab.

[214]
Wald und Höhle.


Faust allein.
Erhabner Geist, du gabst mir, gabst mir alles,
Warum ich bat. Du hast mir nicht umsonst
Dein Angesicht im Feuer zugewendet.

3220
Gabst mir die herrliche Natur zum Königreich,

Kraft, sie zu fühlen, zu genießen. Nicht
Kalt staunenden Besuch erlaubst du nur,
Vergönnest mir in ihre tiefe Brust,
Wie in den Busen eines Freund’s, zu schauen.

3225
Du führst die Reihe der Lebendigen

Vor mir vorbey, und lehrst mich meine Brüder
Im stillen Busch, in Luft und Wasser kennen.
Und wenn der Sturm im Walde braus’t und knarrt,
Die Riesenfichte, stürzend, Nachbaräste

[215]
3230
Und Nachbarstämme, quetschend, nieder streift,

Und ihrem Fall dumpf hohl der Hügel donnert;
Dann führst du mich zur sichern Höhle, zeigst
Mich dann mir selbst, und meiner eignen Brust
Geheime tiefe Wunder öffnen sich.

3235
Und steigt vor meinem Blick der reine Mond

Besänftigend herüber; schweben mir
Von Felsenwänden, aus dem feuchten Busch,
Der Vorwelt silberne Gestalten auf,
Und lindern der Betrachtung strenge Lust.

3240
     O daß dem Menschen nichts Vollkomm’nes wird,

Empfind’ ich nun. Du gabst zu dieser Wonne,
Die mich den Göttern nah’ und näher bringt,
Mir den Gefährten, den ich schon nicht mehr
Entbehren kann, wenn er gleich, kalt und frech,

3245
Mich vor mir selbst erniedrigt, und zu Nichts,

Mit einem Worthauch, deine Gaben wandelt.
Er facht in meiner Brust ein wildes Feuer
Nach jenem schönen Bild geschäftig an.

[216]

So tauml’ ich von Begierde zu Genuß,

3250
Und im Genuß verschmacht’ ich nach Begierde.


Mephistopheles tritt auf.

Mephistopheles.
Habt ihr nun bald das Leben g’nug geführt?
Wie kann’s euch in die Länge freuen?
Es ist wohl gut, daß man’s einmal probirt;
Dann aber wieder zu was neuen!

Faust.

3255
Ich wollt’, du hättest mehr zu thun,

Als mich am guten Tag zu plagen.

Mephistopheles.
Nun nun! ich laß’ dich gerne ruhn,
Du darfst mir’s nicht im Ernste sagen.
An dir Gesellen unhold, barsch und toll,

3260
Ist wahrlich wenig zu verlieren.

Den ganzen Tag hat man die Hände voll!
Was ihm gefällt und was man lassen soll,
Kann man dem Herrn nie an der Nase spüren.

[217]

Faust.
Das ist so just der rechte Ton!

3265
Er will noch Dank, daß er mich ennüyirt.


Mephistopheles.
Wie hätt’st du, armer Erdensohn,
Dein Leben ohne mich geführt?
Vom Kribskrabs der Imagination
Hab’ ich dich doch auf Zeiten lang curirt;

3270
Und wär’ ich nicht, so wär’st du schon

Von diesem Erdball abspazirt.
Was hast du da in Höhlen, Felsenritzen
Dich wie ein Schuhu zu versitzen?
Was schlurfst aus dumpfem Moos und triefendem Gestein,

3275
Wie eine Kröte, Nahrung ein?

Ein schöner, süßer Zeitvertreib!
Dir steckt der Doctor noch im Leib.

Faust.
Verstehst du, was für neue Lebenskraft
Mir dieser Wandel in der Oede schafft?

3280
Ja, würdest du es ahnden können,

Du wärest Teufel g’nug mein Glück mir nicht zu gönnen.

[218]

Mephistopheles.
Ein überirdisches Vergnügen!
In Nacht und Thau auf den Gebirgen liegen,
Und Erd und Himmel wonniglich umfassen,

3285
Zu einer Gottheit sich aufschwellen lassen,

Der Erde Mark mit Ahndungsdrang durchwühlen,
Alle sechs Tagewerk’ im Busen fühlen,
In stolzer Kraft ich weiß nicht was genießen,
Bald liebewonniglich in alles überfließen,

3290
Verschwunden ganz der Erdensohn,

Und dann die hohe Intuition –

Mit einer Geberde.

Ich darf nicht sagen, wie – zu schließen.

Faust.
Pfuy über dich!

Mephistopheles.
 Das will euch nicht behagen;
Ihr habt das Recht, gesittet pfuy zu sagen.

3295
Man darf das nicht vor keuschen Ohren nennen,

Was keusche Herzen nicht entbehren können.
Und kurz und gut, ich gönn’ Ihm das Vergnügen,
Gelegentlich sich etwas vorzulügen;

[219]

Doch lange hält Er das nicht aus.

3300
Du bist schon wieder abgetrieben,

Und, währt es länger, aufgerieben
In Tollheit oder Angst und Graus.
Genug damit! dein Liebchen sitzt dadrinne,
Und alles wird ihr eng’ und trüb’.

3305
Du kommst ihr gar nicht aus dem Sinne,

Sie hat dich übermächtig lieb.
Erst kam deine Liebeswuth übergeflossen,
Wie vom geschmolznen Schnee ein Bächlein übersteigt;
Du hast sie ihr in’s Herz gegossen,

3310
Nun ist dein Bächlein wieder seicht.

Mich dünkt, anstatt in Wäldern zu thronen,
Ließ es dem großen Herren gut,
Das arme affenjunge Blut
Für seine Liebe zu belohnen.

3315
Die Zeit wird ihr erbärmlich lang;

Sie steht am Fenster, sieht die Wolken ziehn
Ueber die alte Stadtmauer hin.
Wenn ich ein Vöglein wär’! so geht ihr Gesang
Tagelang, halbe Nächte lang.

3320
Einmal ist sie munter, meist betrübt,
[220]

Einmal recht ausgeweint,
Dann wieder ruhig, wie’s scheint,
Und immer verliebt.

Faust.
Schlange! Schlange!

Mephistopheles für sich.

3325
Gelt! daß ich dich fange!


Faust.
Verruchter! hebe dich von hinnen,
Und nenne nicht das schöne Weib!
Bring’ die Begier zu ihrem süßen Leib
Nicht wieder vor die halb verrückten Sinnen!

Mephistopheles.

3330
Was soll es denn? Sie meint, du seyst entfloh’n,

Und halb und halb bist du es schon.

Faust.
Ich bin ihr nah’, und wär’ ich noch so fern,
Ich kann sie nie vergessen, nie verlieren;
Ja, ich beneide schon den Leib des Herrn,

3335
Wenn ihre Lippen ihn indeß berühren.
[221]

Mephistopheles.
Gar wohl, mein Freund! Ich hab’ euch oft beneidet
Um’s Zwillingspaar, das unter Rosen weidet.

Faust.
Entfliehe, Kuppler!

Mephistopheles.
 Schön! Ihr schimpft und ich muß lachen.
Der Gott, der Bub’ und Mädchen schuf,

3340
Erkannte gleich den edelsten Beruf,

Auch selbst Gelegenheit zu machen.
Nur fort, es ist ein großer Jammer!
Ihr sollt in Eures Liebchens Kammer,
Nicht etwa in den Tod.

Faust.

3345
Was ist die Himmelsfreud’ in ihren Armen?

Laß mich an ihrer Brust erwarmen!
Fühl’ ich nicht immer ihre Noth?
Bin ich der Flüchtling nicht? der Unbehaus’te?
Der Unmensch ohne Zweck und Ruh?

3350
Der wie ein Wassersturz von Fels zu Felsen braus’te,

Begierig wüthend nach dem Abgrund zu.
Und seitwärts sie, mit kindlich dumpfen Sinnen,

[222]

Im Hüttchen auf dem kleinen Alpenfeld,
Und all ihr häusliches Beginnen

3355
Umfangen in der kleinen Welt.

Und ich, der Gottverhaßte, hatte nicht genug,
Daß ich die Felsen faßte
Und sie zu Trümmern schlug!

3360
Sie, ihren Frieden mußt’ ich untergraben!

Du, Hölle, mußtest dieses Opfer haben!
Hilf, Teufel, mir die Zeit der Angst verkürzen.
Was muß geschehn, mag’s gleich geschehn!
Mag ihr Geschick auf mich zusammenstürzen

3365
Und sie mit mir zu Grunde gehn!


Mephistopheles.
Wie’s wieder siedet, wieder glüht!
Geh’ ein und tröste sie, du Thor!
Wo so ein Köpfchen keinen Ausgang sieht,
Stellt er sich gleich das Ende vor.

3370
Es lebe, wer sich tapfer hält!

Du bist doch sonst so ziemlich eingeteufelt.
Nichts abgeschmackters find’ ich auf der Welt,
Als einen Teufel der verzweifelt.

[223]
Gretchens Stube.
Gretchen

am Spinnrade allein.

               Meine Ruh’ ist hin,

3375
          Mein Herz ist schwer;

          Ich finde sie nimmer
          und nimmermehr.

               Wo ich ihn nicht hab’
          Ist mir das Grab,

3380
          Die ganze Welt

          Ist mir vergällt.

[224]

               Mein armer Kopf
          Ist mir verrückt,
          Meiner armer Sinn

3385
          Ist mir zerstückt.


               Meine Ruh’ ist hin,
          Mein Herz ist schwer,
          Ich finde sie nimmer
          und nimmermehr.

3390
               Nach ihm nur schau’ ich

          Zum Fenster hinaus,
          Nach ihm nur geh’ ich
          Aus dem Haus.

               Sein hoher Gang,

3395
          Sein’ edle Gestalt,

          Seines Mundes Lächeln,
          Seiner Augen Gewalt,

               Und seiner Rede
          Zauberfluß,

3400
          Sein Händedruck,

          Und ach sein Kuß!

[225]

               Meine Ruh’ ist hin,
          Mein Herz ist schwer,
          Ich finde sie nimmer

3405
          Und nimmermehr.


               Mein Busen drängt
          Sich nach ihm hin,
          Ach dürft’ ich fassen
          Und halten ihn!

3410
          Und küssen ihn

          So wie ich wollt’,
          An seinen Küssen
          Vergehen sollt’!

[226]
Marthens Garten.
Margarete. Faust.

Margarete.
Versprich mir, Heinrich!

Faust.
 Was ich kann!

Margarete.

3415
Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?

Du bist ein herzlich guter Mann,
Allein ich glaub’, du hält’st nicht viel davon.

Faust.
Laß das, mein Kind! du fühlst, ich bin dir gut;
Für meine Lieben ließ’ ich Leib und Blut,

3420
Will niemand sein Gefühl und seine Kirche rauben.
[227]

Margarete.
Das ist nicht recht, man muß d’ran glauben!

Faust.
Muß man?

Margarete.
 Ach! wenn ich etwas auf dich könnte!
Du ehrst auch nicht die heil’gen Sacramente.

Faust.
Ich ehre sie.

Margarete.
 Doch ohne Verlangen.

3425
Zur Messe, zur Beichte bist du lange nicht gegangen.

Glaubst du an Gott?

Faust.
 Mein Liebchen, wer darf sagen,
Ich glaub’ an Gott?
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott

3430
Ueber den Frager zu seyn.


Margarete.
 So glaubst du nicht?

[228]

Faust.
Mißhör’ mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
Ich glaub’ ihn.

3435
Wer empfinden?

Und sich unterwinden
Zu sagen: Ich glaub’ ihn nicht.
Der Allumfasser,
Der Allerhalter,

3440
Faßt und erhält er nicht

Dich, mich, sich selbst?
Wölbt sich der Himmel nicht dadroben?
Liegt die Erde nicht hierunten fest?
Und steigen freundlich blickend

3445
Ewige Sterne nicht herauf?

Schau’ ich nicht Aug’ in Auge dir,
Und drängt nicht alles
Nach Haupt und Herzen dir,
Und webt in ewigem Geheimniß

3450
Unsichtbar sichtbar neben dir?

Erfüll’ davon dein Herz, so groß es ist,

[229]

Und wenn du ganz in dem Gefühle selig bist,
Nenn’ es dann wie du willst,
Nenn’s Glück! Herz! Liebe! Gott!

3455
Ich habe keinen Nahmen

Dafür! Gefühl ist alles;
Name ist Schall und Rauch,
Umnebelnd Himmelsgluth.

Margarete.
Das ist alles recht schön und gut;

3460
Ungefähr sagt das der Pfarrer auch,

Nur mit ein Bißchen andern Worten.

Faust.
Es sagen’s aller Orten
Alle Herzen unter dem himmlischen Tage,
Jedes in seiner Sprache;

3465
Warum nicht ich in der meinen?


Margarete.
Wenn man’s so hört, möcht’s leidlich scheinen,
Steht aber doch immer schief darum;
Denn du hast kein Christenthum.

Faust.
Lieb’s Kind!

[230]

Margarete.
 Es thut mir lang’ schon weh,

3470
Daß ich dich in der Gesellschaft seh’.


Faust.
Wie so?

Margarete.
 Der Mensch, den du da bey dir hast,
Ist mir in tiefer inn’rer Seele verhaßt:
Es hat mir in meinem Leben
So nichts einen Stich in’s Herz gegeben,

3475
Als des Menschen widrig Gesicht.


Faust.
Liebe Puppe, fürcht’ ihn nicht!

Margarete.
Seine Gegenwart bewegt mir das Blut.
Ich bin sonst allen Menschen gut;
Aber, wie ich mich sehne dich zu schauen,

3480
Hab’ ich vor dem Menschen ein heimlich Grauen,

Und halt’ ihn für einen Schelm dazu!
Gott verzeih’ mir’s, wenn ich ihm Unrecht thu’!

Faust.
Es muß auch solche Käuze geben.

[231]

Margarete.
Wollte nicht mit seines Gleichen leben!

3485
Kommt er einmal zur Thür herein,

Sieht er immer so spöttisch drein,
Und halb ergrimmt;
Man sieht, daß er an nichts keinen Antheil nimmt;
Es steht ihm an der Stirn’ geschrieben,

3490
Daß er nicht mag eine Seele lieben.

Mir wird’s so wohl in deinem Arm,
So frey, so hingegeben warm,
Und seine Gegenwart schnürt mir das Inn’re zu.

Faust.
Du ahndungsvoller Engel du!

Margarete.

3495
Das übermannt mich so sehr,

Daß, wo er nur mag zu uns treten,
Meyn’ ich sogar, ich liebte dich nicht mehr.
Auch wenn er da ist, könnt’ ich nimmer beten,
Und das frißt mir in’s Herz hinein;

3500
Dir, Heinrich, muß es auch so seyn.


Faust.
Du hast nun die Antipathie!

[232]

Margarete.
Ich muß nun fort.

Faust.
 Ach kann ich nie
Ein Stündchen ruhig dir am Busen hängen
Und Brust an Brust und Seel’ in Seele drängen?

Margarete.

3505
Ach wenn ich nur alleine schlief!

Ich ließ dir gern heut nacht den Riegel offen;
Doch meine Mutter schläft nicht tief,
Und würden wir von ihr betroffen,
Ich wär’ gleich auf der Stelle todt!

Faust.

3510
Du Engel, das hat keine Noth.

Hier ist ein Fläschchen! Drey Tropfen nur
In ihren Trank umhüllen
Mit tiefem Schlaf gefällig die Natur.

Margarete.
Was thu’ ich nicht um deinetwillen?

3515
Es wird ihr hoffentlich nicht schaden!


Faust.
Würd’ ich sonst, Liebchen, dir es rathen?

[233]

Margarete.
Seh’ ich dich, bester Mann, nur an,
Weiß nicht was mich nach deinem Willen treibt,
Ich habe schon so viel für dich gethan,

3520
Daß mir zu thun fast nichts mehr übrigbleibt.

ab.

Mephistopheles tritt auf.

Mephistopheles.
Der Grasaff’! ist er weg?

Faust.
 Hast wieder spionirt?

Mephistopheles.
Ich hab’s ausführlich wohl vernommen,
Herr Doctor wurden da katechisirt;
Hoff’ es soll Ihnen wohl bekommen.

3525
Die Mädels sind doch sehr interessirt,

Ob einer fromm und schlicht nach altem Brauch.
Sie denken, duckt er da, folgt er uns eben auch.

Faust.
Du Ungeheuer siehst nicht ein,
Wie diese treue liebe Seele

3530
Von ihrem Glauben voll,
[234]

Der ganz allein
Ihr selig machend ist, sich heilig quäle,
Daß sie den liebsten Mann verloren halten soll.

Mephistopheles.
Du übersinnlicher, sinnlicher Freyer,

3535
Ein Mägdelein nasführet dich.


Faust.
Du Spottgeburt von Dreck und Feuer!

Mephistopheles.
Und die Physiognomie versteht sie meisterlich.
In meiner Gegenwart wird’s ihr sie weiß nicht wie,
Mein Mäskchen da weissagt verborgnen Sinn;

3540
Sie fühlt, daß ich ganz sicher ein Genie,

Vielleicht wohl gar der Teufel bin.
Nun heute Nacht –?

Faust.
 Was geht dich’s an?

Mephistopheles.
Hab’ ich doch meine Freude d’ran!

[235]
Am Brunnen.
Gretchen und Lieschen.

mit Krügen.

Lieschen.
Hast nichts von Bärbelchen gehört?

Gretchen.

3545
Kein Wort. Ich komm’ gar wenig unter Leute.


Lieschen.
Gewiß, Sibylle sagt’ mir’s heute!
Die hat sich endlich auch bethört.
Das ist das Vornehmthun!

Gretchen.
 Wie so?

[236]

Lieschen.
 Es stinkt!
Sie füttert zwey, wenn sie nun ißt und trinkt.

Gretchen.

3550
Ach!


Lieschen.
So ist’s ihr endlich recht ergangen.
Wie lange hat sie an dem Kerl gehangen!
Das war ein Spaziren,
Auf Dorf und Tanzplatz Führen,

3555
Mußt’ überall die erste seyn,

Curtesirt’ ihr immer mit Pastetchen und Wein;
Bild’t sich was auf ihre Schönheit ein,
War doch so ehrlos sich nicht zu schämen
Geschenke von ihm anzunehmen.

3560
War ein Gekos’ und ein Geschleck’;

Da ist denn auch das Blümchen weg!

Gretchen.
Das arme Ding!

Lieschen.
 Bedauerst sie noch gar!
Wenn unser eins am Spinnen war,

[237]

Uns Nachts die Mutter nicht hinunterließ,

3565
Stand sie bey ihrem Buhlen süß,

Auf der Thürbank und im dunkeln Gang
Ward’ ihnen keine Stunde zu lang.
Da mag sie denn sich ducken nun,
Im Sünderhemdchen Kirchbuß’ thun!

Gretchen.

3570
Er nimmt sie gewiß zu seiner Frau.


Lieschen.
Er wär’ ein Narr! Ein flinker Jung’
Hat anderwärts noch Luft genung.
Er ist auch fort.

Gretchen.
 Das ist nicht schön!

Lieschen.
Kriegt sie ihn, soll’s ihr übel gehn.

3575
Das Kränzel reißen die Buben ihr,

Und Häckerling streuen wir vor die Thür!

ab.

Gretchen.

nach Hause gehend.

Wie konnt’ ich sonst so tapfer schmählen,

[238]

Sah ich ein armes Mägdlein fehlen!
Wie konnt’ ich über andrer Sünden

3580
Nicht Worte g’nug der Zunge finden!

Wie schien mir’s schwarz, und schwärzt’s noch gar,
Mir’s immer doch nicht schwarz g’nug war,
Und segnet’ mich und that so groß,
Und bin nun selbst der Sünde bloß!

3585
Doch – alles, was dazu mich trieb,

Gott! war so gut! ach war so lieb!

[239]
Zwinger.
In der Mauerhöhle ein Andachtsbild der Mater dolorosa, Blumenkrüge davor.

Gretchen.

steckt frische Blumen in die Krüge.

Ach neige,
Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Noth!

3590
Das Schwert im Herzen,

Mit tausend Schmerzen
Blickst auf zu deines Sohnes Tod.

Zum Vater blickst du,
Und Seufzer schickst du

3595
Hinauf um sein’ und deine Noth.
[240]

Wer fühlet,
Wie wühlet
Der Schmerz mir im Gebein?
Was mein armes Herz hier banget,

3600
Was es zittert, was verlanget,

Weißt nur du, nur du allein!

Wohin ich immer gehe,
Wie weh, wie weh, wie wehe
Wird mir im Busen hier!

3605
Ich bin ach kaum alleine,

Ich wein’, ich wein’, ich weine,
Das Herz zerbricht in mir.

Die Scherben vor meinem Fenster
Bethaut’ ich mit Thränen, ach!

3610
Als ich am frühen Morgen

Dir diese Blumen brach.

Schien hell in meine Kammer
Die Sonne früh herauf,
Saß ich in allem Jammer

3615
In meinem Bett’ schon auf.
[241]

Hilf! rette mich von Schmach und Tod!
Ach neige,
Du Schmerzenreiche,
Dein Antlitz gnädig meiner Noth!

[242]
Nacht.
Straße vor Gretchens Thüre.


Valentin. Soldat, Gretchens Bruder.

3620
Wenn ich saß bey einem Gelag,

Wo mancher sich berühmen mag,
Und die Gesellen mir den Flor
Der Mägdlein laut gepriesen vor,
Mit vollem Glas das Lob verschwemmt,

3625
Den Ellenbogen aufgestemmt;

Saß ich in meiner sichern Ruh
Hört’ all’ dem Schwadroniren zu.
Und streiche lächelnd meinen Bart,
Und kriege das volle Glas zur Hand

3630
Und sage: alles nach seiner Art!

Aber ist eine im ganzen Land,

[243]

Die meiner trauten Gretel gleicht,
Die meiner Schwester das Wasser reicht?
Top! Top! Kling! Klang! das ging herum!

3635
Die einen schrieen: er hat Recht,

Sie ist die Zier vom ganzen Geschlecht!
Da saßen alle die Lober stumm.
Und nun! – um’s Haar sich auszuraufen
Und an den Wänden hinauf zu laufen! –

3640
Mit Stichelreden, Naserümpfen

Soll jeder Schurke mich beschimpfen!
Soll wie ein böser Schuldner sitzen,
Bey jedem Zufallswörtchen schwitzen!
Und möcht’ ich sie zusammenschmeißen;

3645
Könnt’ ich sie doch nicht Lügner heißen.


     Was kommt heran? Was schleicht herbey?
Irr’ ich nicht, es sind ihrer zwey.
Ist er’s, gleich pack’ ich ihn beym Felle,
Soll nicht lebendig von der Stelle!

Faust. Mephistopheles.


Faust.

3650
Wie von dem Fenster dort der Sakristey
[244]

Aufwärts der Schein des ewigen Lämpchens flämmert
Und schwach und schwächer seitwärts dämmert,
Und Finsterniß drängt ringsum bey!
So sieht’s in meinem Busen nächtig.

Mephistopheles.

3655
Und mir ist’s wie dem Kätzlein schmächtig,

Das an den Feuerleitern schleicht,
Sich leis’ dann um die Mauern streicht.
Mir ist’s ganz tugendlich dabey,
Ein Bißchen Diebsgelüst, ein Bißchen Rammeley.

3660
So spukt mir schon durch alle Glieder

Die herrliche Walpurgisnacht.
Die kommt uns übermorgen wieder,
Da weiß man doch warum man wacht.

Faust.
Rückt wohl der Schatz indessen in die Höh’?

3665
Den ich dorthinten flimmern seh’.


Mephistopheles.
Du kannst die Freude bald erleben,
Das Kesselchen herauszuheben.
Ich schielte neulich so hinein,
Sind herrliche Löwenthaler drein.

[245]

Faust.

3670
Nicht ein Geschmeide? Nicht ein Ring?

Meine liebe Buhle damit zu zieren?

Mephistopheles.
Ich sah dabey wohl so ein Ding,
Als wie eine Art von Perlenschnüren.

Faust.
So ist es Recht! Mir thut es weh,

3675
Wenn ich ohne Geschenke zu ihr geh’.


Mephistopheles.
Es sollt’ euch eben nicht verdrießen
Umsonst auch etwas zu genießen.
Jetzt da der Himmel voller Sterne glüht,
Sollt ihr ein wahres Kunststück hören:

3680
Ich sing’ ihr ein moralisch Lied,

Um sie gewisser zu bethören.

Singt zur Zither.

          Was machst du mir
          Vor Liebchens Thür,
          Cathrinchen hier

3685
          Bey frühem Tagesblicke?

          Laß, laß es seyn!

[246]

          Er läßt dich ein
          Als Mädchen ein,
          Als Mädchen nicht zurücke.

3690
          Nehmt euch in Acht!

          Ist es vollbracht,
          Dann gute Nacht
          Ihr armen, armen Dinger!
          Habt ihr euch lieb,

3695
          Thut keinem Dieb

          Nur nichts zu Lieb’,
          Als mit dem Ring am Finger.

Valentin. tritt vor.
Wen lockst du hier? beym Element!
Vermaledeyter Rattenfänger!

3700
Zum Teufel erst das Instrument!

Zum Teufel hinter drein den Sänger!

Mephistopheles.
Die Zither ist entzwey! an der ist nichts zu halten.

Valentin..
Nun soll es an ein Schedelspalten!

[247]

Mephistopheles zu Faust.
Herr Doctor, nicht gewichen! Frisch!

3705
Hart an mich an, wie ich euch führe.

Heraus mit eurem Flederwisch!
Nur zugestoßen! ich parire.

Valentin.
Parire den!

Mephistopheles.
 Warum denn nicht?

Valentin.
Auch den!

Mephistopheles.
 Gewiß!

Valentin.
 Ich glaub’ der Teufel ficht!

3710
Was ist denn das? Schon wird die Hand mir lahm.


Mephistopheles zu Faust.
Stoß zu!

Valentin fällt.
 O weh!

Mephistopheles.
 Nun ist der Lümmel zahm!

[248]

Nun aber fort! Wir müssen gleich verschwinden:
Denn schon entsteht ein mörderlich Geschrey.
Ich weiß mich trefflich mit der Polizey,

3715
Doch mit dem Blutbann schlecht mich abzufinden.


Marthe am Fenster.
Heraus! Heraus!

Gretchen am Fenster.
 Herbey ein Licht!

Marthe wie oben.
Man schilt und rauft, man schreit und ficht.

Volk.
Da liegt schon einer todt!

Marthe heraustretend.
Die Mörder sind sie denn entflohn?

Gretchen heraustretend.

3720
Wer liegt hier?


Volk.
 Deiner Mutter Sohn.

Gretchen.
Allmächtiger! welche Noth!

[249]

Valentin.
Ich sterbe! das ist bald gesagt
Und bälder noch gethan.
Was steht ihr Weiber, heult und klagt?

3725
Kommt her und hört mich an!

Alle treten um ihn.

Mein Gretchen, sieh! du bist noch jung,
Bist gar noch nicht gescheidt genung,
Machst deine Sachen schlecht.
Ich sag’ dir’s im Vertrauen nur:

3730
Du bist doch nun einmal eine Hur’;

So sey’s auch eben recht!

Gretchen.
Mein Bruder! Gott! Was soll mir das?

Valentin.
Laß unsern Herr Gott aus dem Spaß!
Geschehn ist leider nun geschehn,

3735
Und wie es gehn kann, so wird’s gehn.

Du fingst mit Einem heimlich an,
Bald kommen ihrer mehre dran,
Und wenn dich erst ein Dutzend hat,
So hat dich auch die ganze Stadt.

[250]
3740
     Wenn erst die Schande wird geboren,

Wird sie heimlich zur Welt gebracht,
Und man zieht den Schleyer der Nacht
Ihr über Kopf und Ohren;
Ja, man möchte sie gern ermorden.

3745
Wächst sie aber und macht sich groß,

Dann geht sie auch bey Tage bloß,
Und ist doch nicht schöner geworden.
Je häßlicher wird ihr Gesicht,
Je mehr sucht sie des Tageslicht.

3750
     Ich seh’ wahrhaftig schon die Zeit,

Daß alle brave Bürgersleut’
Wie von einer angesteckten Leichen,
Von dir, du Metze! seitab weichen.
Dir soll das Herz im Leib verzagen!

3755
Wenn sie dir in die Augen sehn.

Sollst keine goldne Kette mehr tragen!
In der Kirche nicht mehr am Altar stehn
In einem schönen Spitzenkragen
Dich nicht beym Tanze wohlbehagen!

3760
In eine finstre Jammerecken
[251]

Unter Bettler und Krüpel dich verstecken,
Und, wenn dir dann auch Gott verzeiht,
Auf Erden seyn vermaledeyt!

Marthe.
Befehlt eure Seele Gott zu Gnaden!

3765
Wollt ihr noch Lästrung auf euch laden?


Valentin.
Könnt’ ich dir nur an den dürren Leib
Du schändlich kupplerisches Weib!
Da hofft’ ich aller meiner Sünden
Vergebung reiche Maß zu finden.

Gretchen.

3770
Mein Bruder! Welche Höllenpein!


Valentin..
Ich sage, laß die Thränen seyn!
Da du dich sprachst der Ehre los,
Gabst mir den schwersten Herzensstoß.
Ich gehe durch den Todesschlaf

3775
Zu Gott ein als Soldat und brav.

stirbt.

[252]
Dom.

Amt, Orgel und Gesang.

Gretchen unter vielem Volke. Böser Geist hinter Gretchen.

Böser Geist.
Wie anders, Gretchen, war dir’s,
Als du noch voll Unschuld
Hier zum Altar trat’st,
Aus dem vergriffnen Büchelchen

3780
Gebete lalltest,

Halb Kinderspiele,
Halb Gott im Herzen
Gretchen!
Wo steht dein Kopf?

[253]
3785
In deinem Herzen,

Welche Missethat?
Bet’st du für deiner Mutter Seele? die
Durch dich zur langen, langen Pein hinüberschlief.
Auf deiner Schwelle wessen Blut?

3790
– Und unter deinem Herzen

Regt sich’s nicht quillend schon,
Und ängstet dich und sich
Mit ahndungsvoller Gegenwart?

Gretchen.
Weh! Weh!

3795
Wär’ ich der Gedanken los,

Die mir herüber und hinüber gehen
Wider mich!

Chor.
Dies irae, dies illa
Solvet saeclum in favilla.

Orgelton.

Böser Geist.

3800
Grimm faßt dich!

Die Posaune tönt!
Die Gräber beben!

[254]

Und dein Herz,
Aus Aschenruh’

3805
Zu Flammenqualen

Wieder aufgeschaffen,
Bebt auf!

Gretchen.
Wär’ ich hier weg!
Mir ist als ob die Orgel mir

3810
Den Athem versetzte,

Gesang mein Herz
Im Tiefsten lös’te.

Chor.
Judex ergo cum sedebit,
Quidquid latet adparebit,

3815
Nil inultum remanebit.


Gretchen.
Mir wird so eng’!
Die Mauern-Pfeiler
Befangen mich!
Das Gewölbe

3820
Drängt mich! – Luft!
[255]

Böser Geist.
Verbirg’ dich! Sünd’ und Schande
Bleibt’ nicht verborgen.
Luft? Licht?
Weh dir!

Chor.

3825
Quid sum miser tunc dicturus?

Quem patronum rogaturus?
Cum vix justus sit securus.

Böser Geist.
Ihr Antlitz wenden
Verklärte von dir ab.

3830
Die Hände dir zu reichen,

Schauert’s den Reinen.
Weh!

Chor.
Quid sum miser tunc dicturus?

Gretchen.
Nachbarin! Euer Fläschchen! –

Sie fällt in Ohnmacht.

[256]
Walpurgisnacht.


Harzgebirg.
Gegend von Schirke und Elend.


Faust. Mephistopheles.

Mephistopheles.

3835
Verlangst du nicht nach einem Besenstiele?

Ich wünschte mir den allerderbsten Bock.
Auf diesem Weg sind wir noch weit vom Ziele.

Faust.
So lang’ ich mich noch frisch auf meinen Beinen fühle,
Genügt mir dieser Knotenstock.

3840
Was hilft’s daß man den Weg verkürzt! –

Im Labyrinth der Thäler hinzuschleichen,
Dann diesen Felsen zu ersteigen,

[257]

Von dem der Quell sich ewig sprudelnd stürzt,
Das ist die Lust, die solche Pfade würzt!

3845
Der Frühling webt schon in den Birken,

Und selbst die Fichte fühlt ihn schon;
Sollt’ er nicht auch auf unsre Glieder wirken?

Mephistopheles.
Fürwahr ich spüre nichts davon!
Mir ist es winterlich im Leibe,

3850
Ich wünschte Schnee und Frost auf meiner Bahn.

Wie traurig steigt die unvollkommne Scheibe
Des rothen Monds mit später Gluth heran!
Und leuchtet schlecht, daß man bey jedem Schritte,
Vor einen Baum, vor einen Felsen rennt!

3855
Erlaub’ daß ich ein Irrlicht bitte!

Dort seh’ ich eins, das eben lustig brennt.
He da! mein Freund! darf ich dich zu uns fodern?
Was willst du so vergebens lodern?
Sey doch so gut und leucht’ uns da hinauf!

Irrlicht.

3860
Aus Ehrfurcht, hoff’ ich, soll es mir gelingen

Mein leichtes Naturell zu zwingen;
Nur Zickzack geht gewöhnlich unser Lauf.

[258]

Mephistopheles.
Ei! Ei! er denkt’s den Menschen nachzuahmen.
Geh er nur g’rad’, in’s Teufels Nahmen!

3865
Sonst blas’ ich ihm sein Flacker-Leben aus.


Irrlicht.
Ich merke wohl, ihr seyd der Herr vom Haus,
Und will mich gern nach euch bequemen.
Allein bedenkt! der Berg ist heute zaubertoll,
Und wenn ein Irrlicht euch die Wege weisen soll,

3870
So müßt ihr’s so genau nicht nehmen.

Faust, Mephistopheles, Irrlicht im Wechselgesang.
In die Traum- und Zaubersphäre
Sind wir, scheint es, eingegangen.
Führ’ uns gut und mach’ dir Ehre!
Daß wir vorwärts bald gelangen,

3875
In den weiten, öden Räumen!


     Seh’ die Bäume hinter Bäumen,
Wie sie schnell vorüber rücken,
Und die Klippen, die sich bücken,
Und die langen Felsennasen,

3880
Wie sie schnarchen, wie sie blasen!
[259]

     Durch die Steine, durch den Rasen
Eilet Bach und Bächlein nieder.
Hör’ ich Rauschen? hör’ ich Lieder?
Hör’ ich holde Liebesklage,

3885
Stimmen jener Himmelstage?

Was wir hoffen, was wir lieben!
Und das Echo, wie die Sage
Alter Zeiten, hallet wider.

     Uhu! Schuhu! tönt es näher,

3890
Kauz und Kiebitz und der Häher,

Sind sie alle wach geblieben?
Sind das Molche durchs Gesträuche?
Lange Beine, dicke Bäuche.
Und die Wurzeln, wie die Schlangen,

3895
Winden sich aus Fels und Sande;

Strecken wunderliche Bande,
Uns zu schrecken, uns zu fangen;
Aus belebten, derben Masern
Strecken sie Polypenfasern

3900
Nach dem Wandrer. Und die Mäuse

Tausendfärbig, schaarenweise,

[260]

Durch das Moos und durch die Heide!
Und die Funkenwürmer fliegen,
Mit gedrängten Schwärme-Zügen,

3905
Zum verwirrenden Geleite.


     Aber sag’ mir ob wir stehen?
Oder ob wir weiter gehen?
Alles alles scheint zu drehen,
Fels und Bäume, die Gesichter

3910
Schneiden, und die irren Lichter,

Die sich mehren, die sich blähen.

Mephistopheles.
Fasse wacker meinen Zipfel!
Hier ist so ein Mittelgipfel,
Wo man mit Erstaunen sieht,

3915
Wie im Berg der Mammon glüht.


Faust.
Wie seltsam glimmert durch die Gründe
Ein morgenröthlich trüber Schein!
Und selbst bis in die tiefen Schlünde
Des Abgrunds wittert er hinein.

3920
Da steigt ein Dampf, dort ziehen Schwaden,
[261]

Hier leuchtet Glut aus Dunst und Flor,
Dann schleicht sie wie ein zarter Faden,
Dann bricht sie wie ein Quell hervor.
Hier schlingt sie eine ganze Strecke,

3925
Mit hundert Adern, sich durchs Thal,

Und hier in der gedrängten Ecke
Vereinzelt sie sich auf einmal.
Da sprühen Funken in der Nähe,
Wie ausgestreuter goldner Sand.

3930
Doch schau! in ihrer ganzen Höhe

Entzündet sich die Felsenwand.

Mephistopheles.
Erleuchtet nicht zu diesem Feste
Herr Mammon prächtig den Pallast?
Ein Glück daß du’s gesehen hast;

3935
Ich spüre schon die ungestümen Gäste.


Faust.
Wie ras’t die Windsbraut durch die Luft!
Mit welchen Schlägen trifft sie meinen Nacken!

Mephistopheles.
Du mußt des Felsens alte Rippen packen,
Sonst stürzt sie dich hinab in dieser Schlünde Gruft.

[262]
3940
Ein Nebel verdichtet die Nacht.

Höre wie’s durch die Wälder kracht!
Aufgescheucht fliegen die Eulen.
Hör’ es splittern die Säulen
Ewig grüner Palläste.

3945
Girren und Brechen der Aeste

Der Stämme mächtiges Dröhnen!
Der Wurzeln Knarren und Gähnen!
Im fürchterlich verworrenen Falle
Ueber einander krachen sie alle,

3950
Und durch die übertrümmerten Klüfte

Zischen und heulen die Lüfte.
Hörst du Stimmen in der Höhe?
In der Ferne in der Nähe?
Ja, den ganzen Berg entlang

3955
Strömt ein wüthender Zaubergesang.


Hexen im Chor.
     Die Hexen zu dem Brocken ziehn,
     Die Stoppel ist gelb, die Saat ist grün.
     Dort sammelt sich der große Hauf,
     Herr Urian sitzt oben auf.

[263]
3960
     So geht es über Stein und Stock,

     Es f – t[4] die Hexe, es st – t[5] der Bock.

Stimme.
     Die alte Baubo kommt allein,
     Sie reitet auf einem Mutterschwein.

Chor.
     So Ehre dem, wem Ehre gebürt!

3965
     Frau Baubo vor! und angeführt!

     Ein tüchtig Schwein und Mutter drauf,
     Da folgt der ganze Hexenhauf.

Stimme.
     Welchen Weg kommst du her?

Stimme.
 Ueber’n Ilsenstein!
Da guckt’ ich der Eule in’s Nest hinein.

3970
Die macht ein Paar Augen!


Stimme.
 O fahre zur Hölle!
Was reit’st du so schnelle!

Stimme.
     Mich hat sie geschunden,
     Da sieh nur die Wunden!

[264]

Hexen Chor.
     Der Weg ist breit, der Weg ist lang,

3975
     Was ist das für ein toller Drang?

     Die Gabel sticht, der Besen kratzt,
     Das Kind erstickt, die Mutter platzt.

Hexenmeister. Halbes Chor.
     Wir schleichen wie die Schneck’ im Haus,
     Die Weiber alle sind voraus.

3980
     Denn, geht es zu des Bösen Haus,

     Das Weib hat tausend Schritt voraus.

Andre Hälfte.
     Wir nehmen das nicht so genau,
     Mit tausend Schritten macht’s die Frau;
     Doch, wie sie sich auch eilen kann,

3985
     Mit Einem Sprunge macht’s der Mann.


Stimme oben.
Kommt mit, kommt mit, vom Felsensee!

Stimmen von unten.
Wir möchten gerne mit in die Höh’.
Wir waschen und blank sind wir ganz und gar;
Aber auch ewig unfruchtbar.

[265]

Beyde Chöre.

3990
Es schweigt der Wind, es flieht der Stern,

Der trübe Mond verbirgt sich gern.
Im Sausen sprüht das Zauberchor
Viel tausend Feuerfunken hervor.

Stimme von unten.
Halte! Halte!

Stimme von oben.

3995
                    Wer ruft da aus der Felsenspalte?


Stimme unten.
     Nehmt mich mit! Nehmt mich mit!
     Ich steige schon dreyhundert Jahr,
     Und kann den Gipfel nicht erreichen
     Ich wäre gern bey meines gleichen.

Beyde Chöre.

4000
     Es trägt der Besen, trägt der Stock,

     Die Gabel trägt, es trägt der Bock,
     Wer heute sich nicht heben kann,
     Ist ewig ein verlorner Mann.

Halbhexe unten.
     Ich tripple nach, so lange Zeit,

4005
     Wie sind die andern schon so weit!
[266]

     Ich hab’ zu Hause keine Ruh,
     Und komme hier doch nicht dazu.

Chor der Hexen.
     Die Salbe giebt den Hexen Muth,
     Ein Lumpen ist zum Segel gut

4010
     Ein gutes Schiff ist jeder Trog,

     Der flieget nie, der heut nicht flog.

Beyde Chöre.
     Und wenn wir um den Gipfel ziehn,
     So streichet an dem Boden hin,
     Und deckt die Heide weit und breit

4015
     Mit eurem Schwarm der Hexenheit.

Sie lassen sich nieder.

Mephistopheles.
Das drängt und stößt, das ruscht und klappert!
Das zischt und quirlt, das zieht und plappert!
Das leuchtet, sprüht und stinkt [ und brennt!
Ein wahres Hexenelement!

4020
Nur fest an mir! sonst sind wir gleich getrennt.

Wo bist du?

Faust in der Ferne.
 Hier!

[267]

Mephistopheles.
 Was! dort schon hingerissen?
Da werd’ ich Hausrecht brauchen müssen.
Platz! Junker Voland kommt. Platz! süßer Pöbel, Platz!
Hier, Doctor, fasse mich! und nun, in Einem Satz,

4025
Laß uns aus dem Gedräng’ entweichen;

Es ist zu toll, sogar für meines gleichen.
Dort neben leuchtet was mit ganz besond’rem Schein,
Es zieht mich was nach jenen Sträuchen.
Komm, komm! wir schlupfen da hinein.

Faust.

4030
Du Geist des Widerspruchs! Nur zu! du magst mich führen.

Ich denke doch das war recht klug gemacht.
Zum Brocken wandeln wir in der Walpurgisnacht,
Um uns beliebig nun hieselbst zu isoliren.

Mephistopheles.
Da sieh nur welche bunten Flammen!

4035
Es ist ein muntrer Klub beysammen.

Im Kleinen ist man nicht allein.

Faust.
Doch droben möcht’ ich lieber seyn!
Schon seh’ ich Glut und Wirbelrauch.

[268]

Dort strömt die Menge zu dem Bösen;

4040
Da muß sich manches Räthsel lösen.


Mephistopheles.
Doch manches Räthsel knüpft sich auch.
Laß du die große Welt nur sausen,
Wir wollen hier im Stillen hausen.
Es ist doch lange hergebracht,

4045
Daß in der großen Welt man kleine Welten macht.

Da seh’ ich junge Hexchen nackt und blos,
Und alte die sich klug verhüllen.
Seyd freundlich, nur um meinetwillen,
Die Müh’ ist klein, der Spaß ist groß.

4050
Ich höre was von Instrumenten tönen!

Verflucht Geschnarr! Man muß sich dran gewöhnen.
Komm mit! Komm mit! Es kann nicht anders seyn,
Ich tret’ heran und führe dich herein,
Und ich verbinde dich aufs neue.

4055
Was sagst du, Freund? das ist kein kleiner Raum.

Da sieh nur hin! du siehst das Ende kaum.
Ein Hundert Feuer brennen in der Reihe;
Man tanzt, man schwazt, man kocht, man trinkt, man liebt;
Nun sage mir, wo es was bessers giebt?

[269]

Faust.

4060
Willst du dich nun, um uns hier einzuführen,

Als Zaub’rer oder Teufel produziren?

Mephistopheles.
Zwar bin ich sehr gewohnt incognito zu gehn;
Doch läßt am Galatag man seinen Orden sehn.
Ein Knieband zeichnet mich nicht aus,

4065
Doch ist der Pferdefuß hier ehrenvoll zu Haus.

Siehst du die Schnecke da? sie kommt herangekrochen;
Mit ihrem tastenden Gesicht
Hat sie mir schon was abgerochen.
Wenn ich auch will, verläugn’ ich hier mich nicht.

4070
Komm nur! von Feuer gehen wir zu Feuer,

Ich bin der Werber und du bist der Freyer.

zu einigen, die um verglimmende Kohlen sitzen.

Ihr alten Herrn, was macht ihr hier am Ende?
Ich lobt’ euch, wenn ich euch hübsch in der Mitte fände,
Von Saus umzirkt und Jugendbraus;

4075
Genug allein ist jeder ja zu Haus.


General.
Wer mag auf Nationen trauen!
Man habe noch so viel für sie gethan;

[270]

Denn bey dem Volk, wie bey den Frauen,
Steht immerfort die Jugend oben an.

Minister.

4080
Jetzt ist man von dem Rechten allzuweit,

Ich lobe mir die guten Alten;
Denn freylich, da wir alles galten,
Da war die rechte goldne Zeit.

Parvenü.
Wir waren wahrlich auch nicht dumm,

4085
Und thaten oft, was wir nicht sollten;

Doch jetzo kehrt sich alles um und um,
Und eben da wir’s fest erhalten wollten.

Autor.
Wer mag wohl überhaupt jetzt eine Schrift
Von mäßig klugem Inhalt lesen!

4090
Und was das liebe junge Volk betrifft,

Das ist noch nie so naseweis gewesen.

Mephistopheles.

auf einmal sehr alt erscheint.

Zum jüngsten Tag fühl’ ich das Volk gereift;
Da ich zum letztenmal den Hexenberg ersteige,

[271]

Und, weil mein Fäßchen trübe läuft;

4095
So ist die Welt auch auf der Neige.


Trödelhexe.
Ihr Herren geht nicht so vorbey!
Laßt die Gelegenheit nicht fahren!
Aufmerksam blickt nach meinen Waaren,
Es steht dahier gar mancherley.

4100
Und doch ist nichts in meinem Laden,

Dem keiner auf der Erde gleicht,
Das nicht einmal zum tücht’gen Schaden
Der Menschen und der Welt gereicht.
Kein Dolch ist hier, von dem nicht Blut geflossen,

4105
Kein Kelch, aus dem sich nicht, in ganz gesunden Leib,

Verzehrend heißes Gift ergossen.
Kein Schmuck, der nicht ein liebenswürdig Weib
Verführt, kein Schwerdt das nicht den Bund gebrochen,
Nicht etwa hinterrücks den Gegenmann durchstochen.

Mephistopheles.

4110
Frau Muhme! Sie versteht mir schlecht die Zeiten.

Gethan geschehn! Geschehn gethan!
Verleg’ sie sich auf Neuigkeiten,
Nur Neuigkeiten ziehn uns an.

[272]

Faust.
Daß ich mich nur nicht selbst vergesse!

4115
Heiß’ ich mir das doch eine Messe!


Mephistopheles.
Der ganze Strudel strebt nach oben;
Du glaubst zu schieben und du wirst geschoben.

Faust.
Wer ist denn das?

Mephistopheles.
 Betrachte sie genau!
Lilith ist das.

Faust.
 Wer?

Mephistopheles.
 Adams erste Frau.

4120
Nimm dich in Acht vor ihren schönen Haaren,

Vor diesem Schmuck, mit dem sie einzig prangt.
Wenn sie damit den jungen Mann erlangt,
So läßt sie ihn so bald nicht wieder fahren.

Faust.
Da sitzen zwey, die alte mit der jungen;

4125
Die haben schon was rechts gesprungen!
[273]

Mephistopheles.
Das hat nun heute keine Ruh.
Es geht zum neuen Tanz, nun komm! wir greifen zu.

Faust mit der jungen tanzend.
     Einst hatt’ ich einen schönen Traum;
Da sah ich einen Apfelbaum,

4130
Zwey schöne Aepfel glänzten dran,

Sie reizten mich, ich stieg hinan.

Die Schöne.
     Der Aepfelchen begehrt ihr sehr
Und schon vom Paradiese her.
Von Freuden fühl’ ich mich bewegt,

4135
Daß auch mein Garten solche trägt.


Mephistopheles mit der Alten.
     Einst hatt’ ich einen wüsten Traum;
Da sah ich einen gespaltnen Baum,
Der hatt’ ein – – –[6];
So – [7] es war, gefiel mir’s doch.

Die Alte.

4140
     Ich biete meinen besten Gruß

Dem Ritter mit dem Pferdefuß!

[274]

Halt’ er einen – –[8] bereit,
Wenn er – – –[9] nicht scheut.

Brocktophantasmist.
     Verfluchtes Volk! was untersteht ihr euch?

4145
Hat man euch lange nicht bewiesen?

Ein Geist steht nie auf ordentlichen Füßen;
Nun tanzt ihr gar, uns andern Menschen gleich!

Die Schöne tanzend.
Was will denn der auf unserm Ball?

Faust tanzend.
Ey! der ist eben überall.

4150
Was andre tanzen muß er schätzen.

Kann er nicht jeden Schritt beschwätzen;
So ist der Schritt so gut als nicht geschehn.
Am meisten ärgert ihn, sobald wir vorwärts gehn.
Wenn ihr euch so im Kreise drehen wolltet,

4155
Wie er’s in seiner alten Mühle thut,

Das hieß er allenfalls noch gut;
Besonders wenn ihr ihn darum begrüßen solltet.

Brocktophantasmist.
Ihr seyd noch immer da! nein das ist unerhört.
Verschwindet doch! Wir haben ja aufgeklärt!

[275]
4160
Das Teufelspack es fragt nach keiner Regel.

Wir sind so klug und dennoch spukt’s in Tegel.
Wie lange hab’ ich nicht am Wahn hinausgekehrt
Und nie wird’s rein, das ist doch unerhört!

Die Schöne.
So hört doch auf, uns hier zu ennuyiren!

Brocktophantasmist.

4165
Ich sag’s euch Geistern in’s Gesicht,

Den Geistesdespotismus leid’ ich nicht;
Mein Geist kann ihn nicht exerziren.

es wird fortgetanzt.

Heut, seh’ ich, will mir nichts gelingen,
Doch eine Reise nehm’ ich immer mit

4170
Und hoffe noch, vor meinem letzten Schritt,

Die Teufel und die Dichter zu bezwingen.

Mephistopheles.
      Er wird sich gleich in eine Pfütze setzen,
Das ist die Art wie er sich soulagirt,
Und wenn Blutegel sich an seinem Steiß ergötzen,

4175
Ist er von Geistern und von Geist kurirt.

zu Faust der aus dem Tanz getreten ist.

[276]

Was lässest du das schöne Mädchen fahren?
Das dir zum Tanz so lieblich sang.

Faust.
Ach! mitten im Gesange sprang
Ein rothes Mäuschen ihr aus dem Munde.

Mephistopheles.

4180
Das ist was rechts! das nimmt man nicht genau.

Genug die Maus war doch nicht grau.
Wer fragt darnach in einer Schäferstunde?

Faust.
Dann sah’ ich –

Mephistopheles.
 Was?

Faust.
 Mephisto siehst du dort
Ein blasses, schönes Kind allein und ferne stehen?

4185
Sie schiebt sich langsam nur vom Ort,

Sie scheint mit geschloßnen Füßen zu gehen.
Ich muß bekennen, daß mir däucht,
Daß sie dem guten Gretchen gleicht.

Mephistopheles.
Laß das nur stehn! dabey wird’s niemand wohl.

[277]
4190
Es ist ein Zauberbild, ist leblos, ein Idol.

Ihm zu begegnen, ist nicht gut,
Vom starren Blick erstarrt des Menschen Blut,
Und er wird fast in Stein verkehrt;
Von der Meduse hast du ja gehört.

Faust.

4195
Fürwahr es sind die Augen einer Todten,

Die eine liebende Hand nicht schloß.
Das ist die Brust, die Gretchen mir geboten,
Das ist der süße Leib, den ich genoß.

Mephistopheles.
Das ist die Zauberey, du leicht verführter Thor!

4200
Denn jedem kommt sie wie sein Liebchen vor.


Faust.
Welch eine Wonne! welch ein Leiden!
Ich kann von diesem Blick nicht scheiden.
Wie sonderbar muß diesen schönen Hals
Ein einzig rothes Schnürchen schmücken,

4205
Nicht breiter als ein Messerrücken!


Mephistopheles.
     Ganz recht! ich seh’ es ebenfalls.
Sie kann das Haupt auch unterm Arme tragen;

[278]

Denn Perseus hat’s ihr abgeschlagen.
Nur immer diese Lust zum Wahn!

4210
Komm doch das Hügelchen heran,

Hier ist’s so lustig wie im Prater;
Und hat man mir’s nicht angethan,
So seh’ ich wahrlich ein Theater.
Was giebt’s denn da?

Servibilis.
 Gleich fängt man wieder an.

4215
Ein neues Stück, das letzte Stück von sieben,

Soviel zu geben ist allhier der Brauch.
Ein Dilettant hat es geschrieben,
Und Dilettanten spielen’s auch.
Verzeiht ihr Herrn, wenn ich verschwinde;

4220
Mich dilettirt’s den Vorhang aufzuziehn.


Mephistopheles.
     Wenn ich euch auf dem Blocksberg finde,
Das find’ ich gut; denn da gehört ihr hin.

[279]

Walpurgisnachtstraum

oder

Oberon’s und Titania’s goldne Hochzeit.



Intermezzo.


.

[280]

[281]
Theatermeister.

          Heute ruhen wir einmal,
          Miedings wackre Söhne.

4225
          Alter Berg und feuchtes Thal,

          Das ist die ganze Scene!

Herold.
          Daß die Hochzeit golden sey
          Soll’n funfzig Jahr seyn vorüber;
          Aber ist der Streit vorbey,

4230
          Das golden ist mir lieber.


Oberon.
          Seyd ihr Geister wo ich bin,
          So zeigt’s in diesen Stunden;
          König und die Königinn,
          Sie sind auf’s neu verbunden.

Puck.

4235
          Kommt der Puck und dreht sich queer
[282]
          Und schleift den Fuß im Reihen,

          Hundert kommen hinterher,
          Sich auch mit ihm zu freuen.

Ariel.
          Ariel bewegt den Sang

4240
          In himmlisch reinen Tönen,

          Viele Fratzen lockt sein Klang,
          Doch lockt er auch die Schönen.

Oberon.
          Gatten die sich vertragen wollen,
          Lernen’s von uns beyden!

4245
          Wenn sich zweye lieben sollen,

          Braucht man sie nur zu scheiden.

Titania.
          Schmollt der Mann und grillt die Frau,
          So faßt sie nur behende,
          Führt mir nach dem Mittag Sie

4250
          Und Ihn an Nordens Ende.


Orchester Tutti

Fortissimo.

          Fliegenschnauz’ und Mückennas’,
          Mit ihren Anverwandten,
[283]
          Frosch im Laub’ und Grill’ im Gras’,

          Das sind die Musikanten!

Solo.

4255
          Seht da kommt der Dudelsack!

          Es ist die Seifenblase,
          Hört den Schneckeschnickeschnack
          Durch seine stumpfe Nase.

Geist der sich erst bildet.
          Spinnenfuß und Krötenbauch

4260
          Und Flügelchen dem Wichtchen!

          Zwar ein Thierchen giebt es nicht,
          Doch giebt es ein Gedichtchen.

Ein Pärchen.
          Kleiner Schritt und hoher Sprung
          Durch Honigthau und Düfte;

4265
          Zwar du trippelst mir genung,

          Doch geht’s nicht in die Lüfte.

Neugieriger Reisender.
          Ist das nicht Maskeraden-Spott?
          Soll ich den Augen trauen?
          Oberon den schönen Gott

4270
          Auch heute hier zu schauen!
[284]
Orthodox.

          Keine Klauen, keinen Schwanz!
          Doch bleibt es außer Zweifel,
          So wie die Götter Griechenlands,
          So ist auch er ein Teufel.

Nordischer Künstler.

4275
          Was ich ergreife das ist heut

          Fürwahr nur skizzenweise;
          Doch ich bereite mich bey Zeit
          Zur Italiän’schen Reise.

Purist.
          Ach! mein Unglück führt mich her.

4280
          Wie wird nicht hier geludert!

          Und von dem ganzen Hexenheer
          Sind zweye nur gepudert.

Junge Hexe.
          Der Puder ist so wie der Rock
          Für alt’ und graue Weibchen,

4285
          Drum sitz’ ich nackt auf meinem Bock

          Und zeig’ ein derbes Leibchen.

Matrone.

          Wir haben zu viel Lebensart
[285]
          Um hier mit euch zu maulen;

          Doch hoff’ ich, sollt ihr jung und zart,

4290
          So wie ihr seyd verfaulen.


Capellmeister.
          Fliegenschnauz’ und Mückennas’
          Umschwärmt mir nicht die Nackte!
          Frosch im Laub’ und Grill’ im Gras’
          So bleibt doch auch im Tacte!

Windfahne

nach der einen Seite.

4295
          Gesellschaft wie man wünschen kann.

          Wahrhaftig lauter Bräute!
          Und Junggesellen, Mann für Mann,
          Die hoffnungsvollsten Leute.

Windfahne

nach der andern Seite.

          Und thut sich nicht der Boden auf
4300
          Sie alle zu verschlingen,

          So will ich mit behendem Lauf
          Gleich in die Hölle springen.

Xenien.

          Als Insekten sind wir da,
[286]
          Mit kleinen scharfen Scheren,
4305
          Satan unsern Herrn Papa,

          Nach Würden zu verehren.

Hennings.
          Seht! wie sie in gedrängter Schaar
          Naiv zusammen scherzen.
          Am Ende sagen sie noch gar,

4310
          Sie hätten gute Herzen.


Musaget.
          Ich mag in diesem Hexenheer
          Mich gar zu gern verlieren;
          Denn freylich diese wüßt’ ich eh’r,
          Als Musen anzuführen.

Ci-devant Genius der Zeit.

4315
          Mit rechten Leuten wird man was.

          Komm fasse meinen Zipfel!
          Der Blocksberg, wie der deutsche Parnaß,
          Hat gar einen breiten Gipfel.

Neugieriger Reisender.
          Sagt wie heißt der steife Mann?

4320
          Er geht mit stolzen Schritten.
[287]
          Er schnopert was er schnopern kann.

          ”Er spürt nach Jesuiten.“

Kranich.
          In dem Klaren mag ich gern
          Und auch im Trüben fischen,

4325
          Darum seht ihr den frommen Herrn

          Sich auch mit Teufeln mischen.

Weltkind.
          Ja für die Frommen, glaubet mir,
          Ist alles ein Vehikel,
          Sie bilden auf dem Blocksberg hier

4330
          Gar manches Conventikel.


Tänzer.
          Da kommt ja wohl ein neues Chor?
          Ich höre ferne Trommeln.
          Nur ungestört! es sind im Rohr
          Die unisonen Dommeln.[10]

Dogmatiker.
          Ich lasse mich nicht irre schreyn,
          Nicht durch Critik noch Zweifel.

4345
          Der Teufel muß doch etwas seyn;
          Wie gäb’s denn sonst auch Teufel?
[288]
Idealist.

          Die Phantasie in meinem Sinn
          Ist dießmal gar zu herrisch.
          Fürwahr, wenn ich das alles bin,

4350
          So bin ich heute närrisch.


Realist.
          Das Wesen ist mir recht zur Qual
          Und muß mich baß verdrießen;
          Ich stehe hier zum erstenmal
          Nicht fest auf meinen Füßen.

Supernaturalist.

4355
          Mit viel Vergnügen bin ich da

          Und freue mich mit diesen;
          Denn von den Teufeln kann ich ja
          Auf gute Geister schließen.

Skeptiker.
          Sie gehn den Flämmchen auf der Spur,

4360
          Und glaub’n sich nah dem Schatze.

          Auf Teufel reimt der Zweifel nur,
          Da bin ich recht am Platze.

Capellmeister.

          Frosch im Laub’ und Grill’ im Gras’
[289]
          Verfluchte Dilettanten!
4365
          Fliegenschnauz’ und Mückennas’

          Ihr seyd doch Musikanten!

Die Gewandten.
          Sanssouci so heißt das Heer
          Von lustigen Geschöpfen,
          Auf den Füßen geht’s nicht mehr,

4370
          Drum gehn wir auf den Köpfen.


Die Unbehülflichen.
          Sonst haben wir manchen Bissen erschranzt,
          Nun aber Gott befohlen!
          Unsere Schuhe sind durchgetanzt,
          Wir laufen auf nackten Sohlen.

Irrlichter.

4375
          Von dem Sumpfe kommen wir,

          Woraus wir erst entstanden;
          Doch sind wir gleich im Reihen hier
          Die glänzenden Galanten.

Sternschnuppe.
          Aus der Höhe schoß ich her

4380
          Im Stern- und Feuerscheine,
          Liege nun im Grase quer,
[290]
          Wer hilft mir auf die Beine?


Die Massiven.
          Platz und Platz! und ringsherum!
          So gehn die Gräschen nieder,

4385
          Geister kommen, Geister auch

          Sie haben plumpe Glieder.

Puck.
          Tretet nicht so mastig auf
          Wie Elephantenkälber,
          Und der plumpst’ an diesem Tag

4390
          Sey Puck der derbe selber.


Ariel.
          Gab die liebende Natur
          Gab der Geist euch Flügel,
          Folget meiner leichten Spur,
          Auf zum Rosenhügel!

Orchester.

pianissimo.

4395
          Wolkenzug und Nebelflor

          Erhellen sich von oben.
          Luft im Laub und Wind im Rohr,

          Und alles ist zerstoben.
[291]
Trüber Tag.
Feld.
Faust. Mephistopheles.


Faust.

     Im Elend! Verzweifelnd! Erbärmlich auf der Erde lange verirrt und nun gefangen! Als Missethäterinn im Kerker zu entsetzlichen Qualen eingesperrt das holde unselige Geschöpf! Bis dahin! dahin! – Verräthrischer, nichtswürdiger Geist, und das hast du mir verheimlicht! – Steh nur, steh! wälze die teuflischen Augen ingrimmend im Kopf herum! Steh und trutze mir durch deine unerträgliche Gegenwart! Gefangen! Im unwiederbringlichen Elend! Bösen Geistern übergeben und der richtenden gefühllosen Menschheit! [292] Und mich wiegst du indeß in abgeschmackten Zerstreuungen, verbirgst mir ihren wachsenden Jammer und lässest sie hülflos verderben!

Mephistopheles.

      Sie ist die erste nicht.

Faust.

      Hund! abscheuliches Unthier! – Wandle ihn, du unendlicher Geist! wandle den Wurm wieder in seine Hundsgestalt, wie er sich oft nächtlicher Weise gefiel vor mir herzutrotten, dem harmlosen Wandrer vor die Füße zu kollern und sich dem niederstürzenden auf die Schultern zu hängen. Wandl’ ihn wieder in seine Lieblingsbildung, daß er vor mir im Sand auf dem Bauch krieche, ich ihn mit Füßen trete, den Verworfnen! – die erste nicht! – Jammer! Jammer! von keiner Menschenseele zu fassen, daß mehr als ein Geschöpf in die Tiefe dieses Elendes versank, daß nicht das erste genugthat für die Schuld aller übrigen in seiner windenden Todesnoth vor den Augen des ewig Verzeihenden! Mir wühlt es Mark und Leben durch das Elend dieser einzigen, du grinsest gelassen über das Schicksal von Tausenden hin.

Mephistopheles.

     Nun sind wir schon wieder an der Grenze unsres Witzes, [293] da, wo euch Menschen der Sinn überschnappt. Warum machst du Gemeinschaft mit uns, wenn du sie nicht durchführen kannst? Willst fliegen und bist vorm Schwindel nicht sicher? Drangen wir uns dir auf, oder du dich uns?


Faust.

      Fletsche deine gefräßigen Zähne mir nicht so entgegen! Mir ekelt’s! – Großer, herrlicher Geist, der du mir zu erscheinen würdigtest, der du mein Herz kennest und meine Seele, warum an den Schandgesellen mich schmieden? der sich am Schaden weidet und am Verderben sich letzt?

Mephistopheles.

      Endigst du?

Faust.

      Rette sie! oder weh dir! den gräßlichsten Fluch über dich auf Jahrtausende!

Mephistopheles.

      Ich kann die Bande des Rächers nicht lösen, seine Riegel nicht öffnen. – Rette sie! – Wer war’s, der sie ins Verderben stürzte? Ich oder du?

Faust blickt wild umher.

Mephistopheles.

      Greifst du nach dem Donner? Wohl, daß er euch elenden [294] Sterblichen nicht gegeben ward! Den unschuldig entgegnenden zu zerschmettern, das ist so Tyrannen-Art, sich in Verlegenheiten Luft zu machen.

Faust.
     Bringe mich hin! Sie soll frey seyn!

Mephistopheles.
     Und die Gefahr der du dich aussetzest? Wisse, noch liegt auf der Stadt Blutschuld von deiner Hand. Ueber des Erschlagenen Stätte schweben rächende Geister und lauern auf den wiederkehrenden Mörder.

Faust.
     Noch das von dir? Mord und Tod einer Welt über dich Ungeheuer! Führe mich hin, sag’ ich, und befrey sie!

Mephistopheles.
     Ich führe dich und was ich thun kann, höre! Habe ich alle Macht im Himmel und auf Erden? Des Thürners Sinne will ich umnebeln, bemächtige dich der Schlüssel und führe sie heraus mit Menschenhand. Ich wache! die Zauberpferde sind bereit, ich entführe euch. Das vermag ich!

Faust.
     Auf und davon!

[295]
N a c h t , o f f e n F e l d .
Faust. Mephistopheles auf schwarzen Pferden daher brausend.

Faust.
Was weben die dort um den Rabenstein?

Mephistopheles.

4400
Weiß nicht was sie kochen und schaffen.


Faust.
Schweben auf, schweben ab, neigen sich, beugen sich.

Mephistopheles.
Eine Hexenzunft.

Faust.
Sie streuen und weihen.

Mephistopheles.
Vorbey! Vorbey!

[296]

Kerker.




Faust, mit einem Bund Schlüssel und einer Lampe, vor einem eisernen Thürchen.

4405
Mich faßt ein längst entwohnter Schauer,

Der Menschheit ganzer Jammer faßt mich an.
Hier wohnt sie hinter dieser feuchten Mauer,
Und ihr Verbrechen war ein guter Wahn!
Du zauderst zu ihr zu gehen!

4410
Du fürchtest, sie wieder zu sehen!
Fort! dein Zagen zögert den Tod heran.

er ergreift das Schloß. Es singt inwendig.

          Meine Mutter, die Hur,

          Die mich umgebracht hat!

          Mein Vater, der Schelm,
[297]
4415
          Der mich gessen hat!

          Mein Schwesterlein klein
          Hub auf die Bein,
          An einem kühlen Ort;
          Da ward ich ein schönes Waldvögelein,

4420
          Fliege fort, fliege fort!


Faust aufschließend.
Sie ahndet nicht, daß der Geliebte lauscht,

Die Ketten klirren hört, das Stroh, das rauscht.

er tritt ein.

Margarete sich auf dem Lager verbergend.

Weh! Weh! Sie kommen. Bittrer Tod!

Faust leise.
Still! Still! ich komme, dich zu befreyen.

Margarete sich vor ihn hinwälzend.

4425
Bist du ein Mensch, so fühle meine Noth.


Faust.

Du wirst die Wächter aus dem Schlafe schreyen!

er faßt die Ketten, sie aufzuschließen.

Margarete auf den Knieen.

Wer hat dir Henker diese Macht

Ueber mich gegeben!
[298]
Du holst mich schon um Mitternacht.
4430
Erbarme dich und laß mich leben!
Ist’s morgen früh nicht zeitig genung?

sie steht auf.

      

Bin ich doch noch so jung, so jung!
Und soll schon sterben!
Schön war ich auch, und das war mein Verderben.

4435
Nah war der Freund, nun ist er weit,

Zerrissen liegt der Kranz, die Blumen zerstreut.
Fasse mich nicht so gewaltsam an!
Schone mich! Was hab’ ich dir gethan?
Laß mich nicht vergebens flehen,

4440
Hab’ ich dich doch mein’ Tage nicht gesehen!


Faust.
Werd’ ich den Jammer überstehen!

Margarete.
Ich bin nun ganz in deiner Macht.
Laß mich nur erst das Kind noch tränken.
Ich herzt’ es diese ganze Nacht;

4445
Sie nahmen mir’s um mich zu kränken

Und sagen nun, ich hätt’ es umgebracht.

Und niemals werd’ ich wieder froh.
[299]
Sie singen Lieder auf mich! Es ist bös von den Leuten!

Ein altes Mährchen endigt so,

4450
Wer heißt sie’s deuten?


Faust wirft sich nieder.
Ein Liebender liegt dir zu Füßen
Die Jammerknechtschaft aufzuschließen.

Margarete wirft sich zu ihm.
O laß uns knien die Heil’gen anzurufen!
Sieh! unter diesen Stufen,

4455
Unter der Schwelle

Siedet die Hölle!
Der Böse,
Mit furchtbarem Grimme,
Macht ein Getöse!

Faust laut.

4460
Gretchen! Gretchen!


Margarete aufmerksam.

Das war des Freundes Stimme!

Sie springt auf. Die Ketten fallen ab.

Wo ist er? ich hab’ ihn rufen hören.
Ich bin frey! mir soll niemand wehren.

[300]

An seinen Hals will ich fliegen,

4465
An seinem Busen liegen!

Er rief Gretchen! Er stand auf der Schwelle.
Mitten durch’s Heulen und Klappen der Hölle,
Durch den grimmigen, teuflischen Hohn,
Erkannt’ ich den süßen, den liebenden Ton.

Faust.

4470
Ich bin’s!


Margarete.
 Du bist’s! O sag’ es noch einmal!

ihn fassend.

Er ist’s! Er ist’s! Wohin ist alle Qual?

Wohin die Angst des Kerkers? der Ketten?
Du bist’s! Kommst mich zu retten.
Ich bin gerettet! –

4475
Schon ist die Straße wieder da,

Auf der ich dich zum erstenmale sah.
Und der heitere Garten,
Wo ich und Marthe deiner warten.

Faust fortstrebend.

Komm mit! Komm mit!
[301]
Margarete.

 O weile

4480
Weil’ ich doch so gern wo du weilest.

liebkosend.

Faust.

Eile!
Wenn du nicht eilest,
Werden wir’s theuer büßen müssen.

Margarete.
Wie? du kannst nicht mehr küssen?

4485
Mein Freund, so kurz von mir entfernt,

Und hast’s Küssen verlernt?
Warum wird mir an deinem Halse so bang?
Wenn sonst von deinen Worten, deinen Blicken
Ein ganzer Himmel mich überdrang,

4490
Und du mich küßtest als wolltest du mich ersticken.

Küsse mich!

Sonst küss’ ich dich!

Sie umfaßt ihn.

O weh! deine Lippen sind kalt,

Sind stumm.

4495
Wo ist dein Lieben
[302]
Geblieben?
Wer brachte mich drum?

sie wendet sich von ihm.

Faust.

Komm! Folge mir! Liebchen fasse Muth!
Ich herze dich mit tausendfacher Glut,

4500
Nur folge mir! Ich bitte dich nur dieß!


Margarete zu ihm gewendet.
Und bist du’s denn? Und bist du’s auch gewiß?

Faust.
Ich bin’s! Komm mit!

Margarete.
 Du machst die Fesseln los,
Nimmst wieder mich in deinen Schoos.
Wie kommt es, daß du dich vor mir nicht scheust? –

4505
Und weißt du denn, mein Freund, wen du befreyst?


Faust.
Komm! komm! schon weicht die tiefe Nacht.

Margarete.
Meine Mutter hab’ ich umgebracht,
Mein Kind hab’ ich ertränkt.

War es nicht dir und mir geschenkt?
[303]
4510
Dir auch – Du bist’s! ich glaub’ es kaum.

Gieb deine Hand! Es ist kein Traum!
Deine liebe Hand! – Ach aber sie ist feucht!
Wische sie ab! Wie mich däucht
Ist Blut dran.

4515
Ach Gott! was hast du gethan!

Stecke den Degen ein,
Ich bitte dich drum!

Faust.
Laß das Vergang’ne vergangen seyn,
Du bringst mich um.

Margarete.

4520
Nein, du mußt übrig bleiben!

Ich will dir die Gräber beschreiben,
Für die mußt du sorgen
Gleich morgen;
Der Mutter den besten Platz geben,

4525
Meinen Bruder sogleich darneben,

Mich ein wenig bey Seit’,
Nur nicht gar zu weit!
Und das Kleine mir an die rechte Brust.

Niemand wird sonst bey mir liegen! –
[304]
4530
Mich an deine Seite zu schmiegen

Das war ein süßes, ein holdes Glück!
Aber es will mir nicht mehr gelingen,
Mir ist’s als müßt’ ich mich zu dir zwingen,
Als stießest du mich von dir zurück.

4535
Und doch bist du’s und blickst so gut, so fromm.


Faust.
Fühlst du daß ich es bin, so komm!

Margarete.
Dahinaus?

Faust.
In’s Freye.

Margarete.
 Ist das Grab drauß’,
Lauert der Tod; so komm!

4540
Von hier in’s ewige Ruhebett

Und weiter keinen Schritt –
Du gehst nun fort? O Heinrich, könnt’ ich mit!

Faust.
Du kannst! So wolle nur! die Thür steht offen.

Margarete .

Ich darf nicht fort; für mich ist nichts zu hoffen.
[305]
4545
Was hilft es fliehn? sie lauern doch mir auf.

Es ist so elend betteln zu müssen,
Und noch dazu mit bösem Gewissen!
Es ist so elend in der Fremde schweifen
Und sie werden mich doch ergreifen!

Faust.

4550
Ich bleibe bey dir.


Margarete.
Geschwind! Geschwind!
Rette dein armes Kind.
Fort! immer den Weg
Am Bach hinauf,

4555
Ueber den Steg,

In den Wald hinein,
Links, wo die Planke steht,
Im Teich.
Faß es nur gleich!

4560
Es will sich heben,

Es zappelt noch,

Rette! rette!
[306]
Faust.

Besinne dich doch!
Nur einen Schritt, so bist du frey!

Margarete.

4565
Wären wir nur den Berg vorbey!

Da sitzt meine Mutter auf einem Stein,
Es faßt mich kalt beym Schopfe!
Da sizt meine Mutter auf einem Stein
Und wackelt mit dem Kopfe;

4570
Sie winkt nicht, sie nickt nicht, der Kopf ist ihr schwer,

Sie schlief so lange, sie wacht nicht mehr.
Sie schlief damit wir uns freuten.
Es waren glückliche Zeiten!

Faust.
Hilft hier kein Flehen, hilft kein Sagen;

4575
So wag’ ich’s dich hinweg zu tragen.


Margarete.
Laß mich! Nein, ich leide keine Gewalt!
Fasse mich nicht so mörderisch an!
Sonst hab’ ich dir ja alles zulieb gethan.

Faust.

Der Tag graut! Liebchen! Liebchen!
[307]
Margarete.
4580
Tag! Ja es wird Tag! der letzte Tag dringt herein;

Mein Hochzeittag sollt’ es seyn!
Sag Niemand daß du schon bey Gretchen warst.
Weh meinem Kranze!
Es ist eben geschehn!

4585
Wir werden uns wiedersehn;

Aber nicht beym Tanze.
Die Menge drängt sich, man hört sie nicht.
Der Platz, die Gassen
Können sie nicht fassen.

4590
Die Glocke ruft, das Stäbchen bricht.

Wie sie mich binden und packen!
Zum Blutstuhl bin ich schon entrückt.
Schon zuckt nach jedem Nacken
Die Schärfe die nach meinem zückt.

4595
Stumm liegt die Welt wie das Grab!


Faust.
O wär’ ich nie geboren!

Mephistopheles erscheint draußen.

Auf! oder ihr seyd verloren.
[308]
Unnützes Zagen! Zaudern und Plaudern!

Meine Pferde schaudern,

4600
Der Morgen dämmert auf.


Margarete.
Was steigt aus dem Boden herauf?
Der! der! Schicke ihn fort!
Was will der an dem heiligen Ort?
Er will mich!

Faust.
 Du sollst leben!

Margarete.

4605
Gericht Gottes! dir hab’ ich mich übergeben!


Mephistopheles zu Faust.
Komm! komm! Ich lasse dich mit ihr im Stich.

Margarete.
Dein bin ich, Vater! Rette mich!
Ihr Engel! Ihr heiligen Schaaren,
Lagert euch umher, mich zu bewahren!

4610
Heinrich! Mir graut’s vor dir.


Mephistopheles.

Sie ist gerichtet!
[309]

Stimme von oben.
 Ist gerettet!

Mephistopheles zu Faust.
 Her zu mir!

Verschwindet mit Faust.

Stimme von innen, verhallend.
Heinrich! Heinrich!




Anmerkungen (Wikisource)

  1. WS: Vorlage: Leid
  2. WS: Vorlage: An
  3. gemeint: Hintern
  4. WS: farzt – Diese und die folgenden fünf Stellen sind nach der Handschrift ergänzt. Siehe Sämtliche Werke, Münchener Ausgabe, Bd. 6.1, S. 1034 bzw. 1038
  5. WS: stinkt
  6. WS: ungeheures Loch
  7. WS: groß
  8. WS: rechten Pfropf
  9. WS: das große Loch
  10. WS: In der Erstausgabe fehlen hier zwei Strophen. Wiedergabe nach der vollständigen Ausgabe letzter Hand, Band 12 (1829), S. 218: Google
    Tanzmeister.
    4335
              Wie jeder doch die Beine lupft!

              Sich wie er kann herauszieht!
              Der Krumme springt, der Plumpe hupft
              Und fragt nicht wie es aussieht.

    Fideler.
              Das haßt sich schwer das Lumpenpack

    4340
              Und gäb’ sich gern das Restchen;

              Es eint sie hier der Dudelsack
              Wie Orpheus Leyer die Bestjen.


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