Fürst Sergiewitsch Mentschikoff

Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Fürst Sergiewitsch Mentschikoff
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 47, S. 571–572
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Fürst Sergiewitsch Mentschikoff.[1]

Kaum hatte Fürst Leiningen im Februar 1853 die Forderungen Oesterreichs bei der hohen Pforte durchgesetzt, und zu großer Genugthuung der geängstigten Gemüther Constantinopel unter dem Donner der Geschütze von Topana verlassen, als die durch das Resultat der Unterhandlungen wenig befriedigte Partei der griechischen Hetäristen sofort Alles in neue Spannung versetzte durch das ausgesprengte Gerücht, daß in wenig Tagen ein Gesandter des Kaisers Nikolaus mit noch ganz andern Forderungen eintreffen würde. Nur die Griechen schienen, das durfte man aus der gesteigerten Arroganz ihres Auftretens schließen, etwas Bestimmtes von der Sache zu wissen; der übrige Theil der Bevölkerung war über das „wann“ und „warum“ gleich sehr im Dunkeln, und selbst die Diplomatie mußte diese Ungewißheit theilen, da Herr von Lavalette, der die Frage der heiligen Orte eingefädelt hatte, erst in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar plötzlich einpacken ließ und vor Tagesanbruch mit einem französischen Dampfer das Feld räumte.

Es war ein heiterer Morgen, als ich durch Zufall in die Nähe des russischen Gesandtschaftshotels kam, vor dem sich schon seit einigen Stunden die Massen gesammelt hatten, die bis zum Mittage durch die immer zahlreicher herbeiströmenden Griechen zu einer undurchdringlichen Phalanx von orthodoxen Fanatikern heranschwollen, – eine Zusammenrottung, wie sie eben nur in der Hauptstadt der viel angefochtenen Türkei geduldet werden konnte, unter den Augen einer Regierung, gegen die sie den Stempel einer herausfordernden Demonstration offen zur Schau trug. – Um zwei Uhr öffneten sich die Thore des Palastes und der Wagen des russischen Geschäftsträgers, gefolgt vom ganzen Gesandtschaftspersonale, gab das Signal zum Aufbruche nach Topana, wohin das ganze wilde Heer nun strömte. Ich folgte langsam dem großen Zuge. Um drei Uhr verkündeten einundzwanzig Kanonenschüsse die Ankunft des russischen Dampfers, und eine halbe Stunde später setzte sich der Zug vom Landungsplatze wieder in Bewegung die steile Straße hinauf nach Pera, voran in der Equipage der Gesandtschaft Fürst Mentschikoff in voller Uniform neben dem bisherigen Geschäftsträger, Staatsrath Ozeroff, ihm nach ein endloses Gefolge zu Pferde, russische Generale, das Personal der Gesandtschaft, die Notabilitäten der russischen und griechischen Colonie, und hinterher der ganze Troß der gläubigen Menge, die in dem Fürsten nichts weniger als den Messias erblickte, der das Kreuz wieder auf die Aja Sofia zu pflanzen gesandt war. In dem zahlreichen Gefolge von Offizieren befand sich unter den glänzendsten Namen des russischen Adels auch Admiral Kornilew, der sich bald darauf durch eine in Mentschikoff’s Auftrag unternommene Mission nach Griechenland und den ihr auf dem Fuße folgenden Aufstand im Epirus und Thessalien einen Ruf erwarb, und seitdem beim Beginn des Bombardements von Sebastopol als eines der ersten Opfer fiel.

Auf den weiteren Verlauf der vielbesprochenen Sendung Mentschikoffs zurückzukommen, ist hier nicht der Ort, obwohl über die vielfachen Manöver, die von der russisch-griechischen Partei theils zur Sondirung der Ansichten im Publikum, theils zu Lenkung derselben durch Drohungen, Einpacken und ostensibles Umherschleppen der eingepackten Effekten durch die Straßen Pera’s ausgeführt wurden, sich manches Interessante erzählen ließe; – es genüge, hier noch auf den Gegensatz zu dem prunkvollen Einzuge dieser Gesandtschaft hinzudeuten, der in dem endlichen, von keinem Auge bemerkten Verschwinden derselben, ohne Sang und Klang, bei Nacht und Nebel, liegt, nachdem sich der Fürst schon acht Tage zuvor, das Scheitern seiner Mission ahnend, auf sein Dampfschiff und nach Buyukdere, drei Stunden oberhalb Constantinopels in der Nachbarschaft des schwarzen Meeres, zurückgezogen, eine Unschlüssigkeit zeigend, die einen seltsamen Kontrast zu seinem entschiedenen und herausfordernden ersten Auftreten bot.

Ich gebe nachstehend sein Portrait, nach einem in Constantinopel für den Staatsrath Ozeroff gefertigten Daguerreotyp gezeichnet, meines Wissens das einzige authentische Bild des Fürsten. Wenigstens darf ich aus guter Quelle versichern, daß sich der Fürst stets geweigert, zu seinem Portrait zu sitzen und daß deshalb alle von ihm existirenden Bildnisse nur aus der Erinnerung gemalt und wenig zuverlässig sein können. Von der charakteristischen Wiedergabe seiner Züge in vorliegendem Bilde hatte ich wiederholt Gelegenheit, mich zu überzeugen, sei es, daß der glanzvolle Vertreter Rußlands in seiner unscheinbaren, man möchte sagen abgetragenen,

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Fürst Sergiewitsch Mentschikoff.

bürgerlichen Kleidung, mit zerknittertem Hute, in durchaus nachlässiger Haltung durch die Straßen Pera’s wandelte, auf den Krückstock gestützt, seinen beständigen Begleiter seit der etwas sonderbaren Verwundung bei der Belagerung Varna’s im Jahr 1828, – sei es, daß er, noch weit unbemerkter, von zwei Ruderern gefahren, im einfachen Kaik an den reizenden Gestaden des Bosphorus hinglitt, denen er einen andern Herrn zu geben gekommen war. Mentschikoff wurde uns vielfach als geistreich geschildert, wenigstens circulirten damals in Constantinopel viele treffende geistreiche Bonmots, die ihm zugeschrieben wurden. – Mit demselben etwas abgeschabten Hute, in demselben Paletot, denselben Krückstock in der Hand, war er auf der Hohen Pforte erschienen, so gegen das uralte Herkommen verstoßend, demgemäß der Gesandte einer fremden Macht nur mit möglichster Entfaltung von Pracht und Glanz zur Antrittsaudienz auffahren durfte. Nichts verzeiht der Türke schwerer, als eine Nichtachtung der hergebrachten Etiquette, und wäre Mentschikoff in Gala statt im Paletot erschienen, er hätte wahrscheinlich eine weniger starre Opposition gefunden; ja in Constantinopel kann man die Ansicht vielfach äußern hören, daß ohne diesen unseligen Paletot die Sachen nie so auf die Spitze getrieben, vielleicht der Weltfriede erhalten worden wäre. Wie manches Stückchen Weltgeschichte ist schon durch einen Unterrock gemacht worden, warum nicht auch einmal durch einen russischen Paletot?




  1. In einem Augenblicke, wo die Aufmerksamkeit Europa’s durch die Ereignisse in der Krim neuerdings auf den Mann gerichtet ist, der vor anderthalb Jahren als Diplomat den Grund zu der kritischen Lage legte, aus der er nun als Feldherr die Armeen, die Flotte, die Ehre des gefürchtetsten Reiches Europa’s zu retten sich abmüht, dürfte es für unsere Leser von Interesse sein, aus der Hand einen Augenzeugen sowohl ein authentisches Bildniß des Fürsten Sergiewitsch Mentschikoff, als einige Notizen über sein Auftreten in Stambul zu erhalten. Der Zeichner des Bildnisses und zugleich der Verfasser der nachfolgenden Zeilen ist ein junger talentvoller Maler, der die letzten zwei Jahre in Constantinopel verlebte.
    Die Redaktion.