Fünfhundert Briefe aus der Geisterwelt

Textdaten
<<< >>>
Autor:
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Fünfhundert Briefe aus der Geisterwelt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 132
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1859
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[132] Fünfhundert Briefe aus der Geisterwelt. Thatsachen sind oft seltsamer, als Dichtung, und die Wahrheit unwahrscheinlich, wie ein englisches und ein französisches Sprüchwort lauten. „Die Geisterwelt ist nicht verschlossen“ sagt Goethe; im Gegentheil, sie macht sich just unter den nüchternsten, prosaischsten, praktischsten Völkern, den Amerikanern und Engländern, auf eine so phantastische Weise geltend, wie wir im ruhigen Deutschland kaum glaublich finden werden. In Amerika erscheinen über funfzig Zeitschriften, ausschließlich der Geisterwelt, den Klopfern unter Tischen, citirten Geistern, den Erscheinungen Verstorbener, dem Besessensein und dem Austreiben von Geistern gewidmet. In der Times, welche die höchste Intelligenz Englands vertritt, erscheinen alle Tage Ankündigungen: „Die Zukunft vorher verkündet!“ „Das Horoskop gestellt!“ u. s. w. und die Polizeiberichte bringen immer wieder erstaunliche Beispiele von der ungeschwächten Wirksamkeit des Glaubens an Hexen, Wahrsagerinnen und Künstler des Ueber- und Unnatürlichsten. Der Engländer Black zeichnet Portraits Verstorbener, die er nie gesehen, ganz nach dem Leben und gibt ordentliche Vorstellungen. Er soll, wie öffentliche Blätter melden, in jeder Familie, die seine Dienste verlangt, erscheinen, sich das Leben und die Eigenthümlichkeiten irgend einer verstorbenen Person, die er portraitiren soll, erzählen lassen, sie dann in Person und „im Geiste“ vor seine Augen zaubern, sie wirklich sehen und danach richtig und lebenswahr abzeichnen.

Dies geht weit, aber noch lange nicht so weit, wie die Wunderthätigkeit des Barons von Guildenstubbe in Paris, wohin Black auch jetzt sein Atelier zum Portraitiren Verstorbener verlegt hat. Der Baron v. Guildenstubbe läßt sich von Verstorbenen, gleichviel, wie lange sie todt sind, welche Sprache sie gesprochen und wo sie begraben sein mögen, Briefe schreiben, Briefe in der Sprache und der Handschrift des Verstorbenen. Er behauptet, über fünfhundert Briefe von Verstorbenen aller Zeiten und Völker zu besitzen. Vor mir liegen in großen, lithographirten Tafeln Copieen von 67 solchen Briefen oder geschriebenen Symbolen, darunter Briefe von alten Chinesen, von Plato, Isokrates, Cicero, Julius Cäsar u. s. w., von Engländern, Franzosen und Deutschen.

„Ist es möglich, daß der Wunderglaubenswahnsinn oder der Betrug im neunzehnten Jahrhundert noch bis zu diesem Grade des Blödsinnes gehen können?“ wird der aufgeklärte Deutsche entrüstet fragen. Die Antwort ist: „Allerdings, und noch weiter.“

Die Copieen der Originalbriefe Verstorbener bilden den Anhang eines großen, gelehrten, splendid gedruckten französischen Werkes, voriges Jahr in Paris gedruckt und verdeutscht den Titel führend: „Positive und experimentale Geisterkunde. Die Realität der Geister und das wunderbare Phänomen ihrer unmittelbaren Schrift, nachgewiesen von Baron de Guildenstubbe. Paris. Buchhandlung von A. Franck, Rue Richelieu 67.“[1]

Das beinahe dreihundert große Octavseiten füllende Werk ist kein Phrasenwerk, sondern ungeheuer gelehrt. Es holt aus allen Literaturen, Religionen und Aberglaubensformeln der ganzen Menschheit, aus uralten Chinesen, Sanskrit, der Bibel, aus griechischen Orakeln und römischer Vogel- und Eingeweideschau, aus dem Mittelalter und der modernen Menschheit, aus Schriften und Doctrinen Plato’s, Humboldt’s, Arago’s Beweise für den Glauben an die Existenz der Geister Verstorbener und ihre Fähigkeit, mit den Geistlosen in Fleisch und Bein zu verkehren, zusammen und beweist dann durch eine Reihe von hochnamigen Zeugen, daß Guildenstubbe wirklich die fünfhundert Schreibebriefe von den verschiedensten Verstorbenen erhalten und in deren Gegenwart habe schreiben lassen.

Diese directen und übernatürlichen Schreibebriefe in egyptischen Hieroglyphen, Griechisch von Plato, Isokrates, den Aposteln Johannes und Paulus mit Unterschrift, Lateinisch von Cicero, Virgil, Julius Cäsar, Kaiser Augustus, Französisch von Marie Antoinette u. s. w., Englisch von Maria Stuart, Deutsch von Annette v. B., Nanny v. A., „Onkel Gustav und seinem Weibchen Wilhelmine“, einem nicht unterschriebenen deutschen Geiste u. s. w. sind die Frucht eines langen, gründlichen Studiums und vieler Experimente mit tanzenden Tischen. Unser Baron kam am 1. August 1856 zuerst auf den Gedanken, zu versuchen, ob die Geister nicht bequemer direct schreiben könnten, statt sich lächerlich und unbeholfen, wie Leporello im Don Juan, hinter Tische zu stecken. Auch die Wunder Stratfords in Amerika führten auf den Gedanken. Er steckte ein Stück weißes Papier und einen gut gespitzten Bleistift in einen Kasten, verschloß ihn, trug den Schlüssel stets bei sich und sah verschiedene Male nach, ob kein Geist in dem Kasten sich der ihm gebotenen Gelegenheit bedient haben möchte. Zunächst vergebens, aber am 13. August ging’s los. Er fand das Papier geheimnißvoll bestrichen und beschmiert. Der Anfang war gemacht. „Die Geister, die ich rief, die werd’ ich nun nicht los!“ Er legte ihnen bald nur weißes Papier hin, auf Tische, Gräber, Monumente etc., keine Tinte, keinen Bleistift, und siehe, es ging besser. Die Geister haben, wenn auch kein Papier, so doch gewiß einen Bleistift bei sich, einen Bleistift aus dem Geisterreiche, mit dem sie jedenfalls besser schreiben können, als mit dem besten eitel irdischen von Faber.[2] Sie beschrieben ihm alle Stückchen Papier, die er ihnen hinlegte. Jetzt theilte er seine wunderbare Entdeckung dem Gelehrten des Geisterreichs und Freunde, Graf d’Ourches, mit. Beide zusammen erhielten Schreibebriefe von verschiedenen Geistern, auch von dem Apostel Johannes. Bald wurden auch andere Gelehrte des Uebernatürlichen hinzugezogen, so daß die mehr als 500 Briefe aus der Geisterwelt vor den verschiedensten Zeugen vor deren Augen entstanden. Unter diesen Zeugen nennt er folgende: M. Ravené senior aus Berlin, Besitzer einer schönen Gemälde-Gallerie (zum Unterschiede von dem Eisenhändler?), Fürst S. Metschersky, Dr. Georgii, Schüler Ling’s, jetzt in London, Oberst Toutcheff, Dr. Bowron in Paris, Kiorboë, Artist in Paris, Chemin de Versailles 43, Oberst Kollmann in Paris, Baron von Voigts-Rhetz, Baron Borys d’Uexhull. Also den Titeln nach wohl lauter höchst respectable Gesellschaft, sogar ein gebildeter Berliner, Voigts-Rhetz nicht zu rechnen.

Die meisten Experimente wurden im Antiken-Saale des Louvre, in der Kirche St. Denis, außerdem in andern Kirchen und auf verschiedenen Kirchhöfen gemacht, auch in der Wohnung des Verfassern vorhin angegebener Schrift, Rue du Chemin de Versailles 74.

Aber nun ist’s genug. Wie ist das möglich? Respectable Herren, nicht aus Irrenhäusern geholte Narren, mit Namen und Wohnung als Zeugen! Ungläubige, die an Betrug mit chemisch beschriebenem Papier erinnerten, wurden zu ihrem Schrecken dadurch überzeugt, daß Geister in ihrer Gegenwart von ihnen – den Ungläubigen selbst – geliefertes Papier beschrieben.

Mit der Annahme einer absichtlichen Schwindelei kommen wir hier nicht durch. Aus dem Buche geht deutlich hervor, daß der Mann mit tiefer, ernster Gelehrsamkeit aus allen Jahrhunderten seinen Glauben begründet hat, daß die Andern denselben Glauben theilen. Wir haben hier also ganz gewiß ein psychologisches Wunder der tollsten Art vor uns. Wie kamen diese Massen zum Theil ganz gebildeter Menschen in Frankreich, Amerika, England zu diesem oft fanatischen Geistercultus in diesem nüchternen, naturwissenschaftlich gebildeten, praktischen Jahrhundert? Das will gesagt, will erklärt sein. Wir können zwar mit einem Justinus Kerner, einer Seherin von Prevost u. s. w. aufwarten, aber das ist schon lange her, blieb vereinzelt, verlacht und bedauert als eine fixe Idee stehen. Was will es sagen gegen diese Fürsten, Barone, Doctoren und gebildeten Berliner, welche bezeugen, daß die Geister aus allen möglichen Zeiten und Zonen in allen möglichen Sprachen ihnen Briefe schrieben? Und der Verfasser des Wunderbuches ruft in die Welt: „Die jetzige Zeit verlangt Thatsachen. Hier sind mehr als 500 Briefe von Verstorbenen. Ich wiederhole meine Beweise, ich lasse Briefe von Verstorbenen in Gegenwart der Ungläubigen schreiben.“

Steckt ein höherer Bosco dahinter oder was? Aufgeklärte Polizei und Gelehrte des Kladderadatsch, Gelehrte aller Art, verschafft uns den Geburtsschein dieses Kindes. „Das Wunder ist des Glaubens liebstes Kind.“


  1. Pneumatologie Positive et Expérimentale. La Réalité des Esprits et le Phénomène Merveilleux de leur écriture direct démontrées par le Baron de Guildenstubbé. Paris etc.
  2. Nein, ich finde eben auf Seite 70, daß die Geister direct ohne Schreibmaterialien ihre Handschrift auf dem ihnen hingelegten Papiere bewirken. Nur sieht es meist wie mit Bleistift geschrieben aus.