Etwas vom Turnvater Jahn
Etwas vom Turnvater Jahn.
Und hüte mich, mit ihm zu brechen!“
Dieses Goethe’sche Teufelswort fällt mir unwillkürlich ein, wenn ich des „Alten im Bart“ gedenke, über dessen bescheidenes Grab nun bereits seit Jahresfrist der Herbstwind die dürren Blätter treibt. Die Schwärmerei, mit welcher ich als Jüngling zu der greisen und doch so kräftigen Gestalt des alten Turnmeisters [518] emporgeblickt hatte, war mit den Jahren gewichen, allein bis an sein Ende bewahrte ich, trotzdem daß wir in vielen Ansichten weit auseinander gingen, Zuneigung und lebhafte Theilnahme für ihn im Herzen, die mir es möglich machen, einzelne kleine zur Zeit noch unbekannte Züge über ihn zu veröffentlichen.
Das sogenannte junge Deutschland hatte nach dem Vorgange Heinrich Heine’s zu Anfang der dreißiger Jahre den Alten hart mitgenommen, ihn ungerechter Weise der Feigheit während der „Befreiungskriege“ beschuldigt, ja Laube in seinen Reisenovellen sogar ein Gespräch veröffentlicht, das er mit dem Alten in Freiburg gehalten zu haben vorgab. Jahn war darüber höchst entrüstet und fand bald Gelegenheit, seiner Galle Luft zu machen. Wir trafen uns in dem freundlichen Badeort Kösen bei Naumburg, welchen damals auch Heinrich Laube besuchte. An der table d’hôte im „Muthigen Ritter“ ward Jahn von einem alten Offizier, der mit ihm an dem Feldzug von 1813 Theil genommen, freundlich begrüßt und neben ihm zur Tafel gezogen. Kurz darauf betrat auch H. Laube den Kursaal, musterte die anwesende Gesellschaft mit geistreichen Blicken, warf die Glacés von sich und schickte sich eben an, sich an seinen gewöhnlichen Tischplatz zu begeben, als der alte Obristlieutenant – diesen Titel führte jener Offizier, wenn ich nicht irre – Herrn Laube dringend aufforderte, in unserer Nähe Platz zu nehmen, um ihn und Jahn mit einander näher bekannt zu machen. Laube folgte dieser Einladung, ward sofort dem Alten vorgestellt und äußerte etwas befangen: „ich habe schon die Ehre.“ Jahn protestirte dagegen mit den Worten: „ich nicht, geize auch durchaus nicht darnach. Darauf wendete er sich mit seiner lauten Stimme ungefähr in folgender Weise an die übrige Tischgesellschaft, obschon er noch immer Laube apostrophirte:
„Sie, junger Mann, wollen ein Dichter sein und haben jüngst ein Paar Bände Reisenovellen herausgegeben, in denen Sie auch ein Gespräch mit mir geführt haben wollen. Ich hätte gewünscht, daß Sie dichterischer gelogen, abgesehen davon, daß es eine Verletzung der Gastfreundschaft ist, gleich mit einem harmlosen Gespräch an die große Glocke zu schlagen, das man innerhalb der vier Pfähle eines Verfolgten gehalten. Die Verletzung wird zum öffentlichen Schimpf, wenn man in diesem erdichteten Gespräch Lügen veröffentlicht, die den Charakter des Andern verunglimpfen. Jetzt gebe ich Ihnen aber die Erlaubniß, in einem Nachtrag zu Ihren Novellen dies heutige Gespräch der deutschen Leserwelt zu verkündigen.“
Laube, auf welchen die unbarmherzigen Blicke aller Anwesenden gerichtet waren, meinte zwar, diese ganze von Jahn berührte Angelegenheit gehöre nicht hierher. Jahn möge ihn vielmehr auf seinem Zimmer Nummer so und so viel besuchen, wenn er etwas von ihm wolle, – erhielt jedoch hierauf von dem Alten eine so drastische, nicht mitzutheilende Antwort, daß er sofort den Saal verließ, während ihm Jahn mitleidig nachschaute und nur noch an mich die Worte richtete: „Meinst Du wohl, daß er dieses Gespräch abdrucken lassen wird?“ –
Auch gegen Heine, „diesen Reisebilder ......., den man die dreifarbige Rose auf das Herz nähen lassen sollte,“ – wie er sich nicht eben fein über ihn ausdrückte – war er bis an sein Ende nicht gut zu sprechen und wollte ihm, falls er ihn einmal anträfe, das Genick zerbrechen (eine Drohung, die wohl nicht so ernstlich gemeint war), während er sich mit Börne in so weit aussöhnte, daß er mir sogar einmal im Vertrauen sagte: „Wenn Börne, von der Polizei verfolgt, einmal wieder nach Deutschland kommen sollte, so sage ihm nur, er möge getrost bei mir absteigen. ich wollte ihn vier Wochen verbergen.“
Am Meisten war ihm der polnische Aufstand in den Jahren 1830 und 1831 zuwider; nach seiner Ansicht wurden durch denselhen wieder mehrere Millionen Deutsche verslawt, ganz davon abgesehen, daß der ganze Kampf nur der polnischen Aristokratie Vortheil bringen würde. „Ueber der Masurenstadt Warschau“ – schrieb er mir um jene Zeit – „wird es einst in der Geschichte nachhallen, wie vormals über die Schlacht von Laupen: Gott, der Herr, hat zu Gericht gesessen über den trotzigen Adel. Ein Volk von Männern ist schwerlich zu übermannen, aber eine Sippschaft von Herren leicht zu beherrschen.“ – Dagegen eiferte er in den herrlichsten Worten für Deutschlands Größe und Herrlichkeit. Um jene Zeit hat Ernst Moritz Arndt sein Büchelchen: „die Niederlande und Rheinlande“ drucken lassen. Der Alte schrieb mir darüber in seiner schönen Weise: Arndt’s Niederlande und Rheinlande sind gut, nur noch nicht stark genug. Jetzt darf keine Windharfe ertönen, die die Geister in der Mittagssonne belauschen; eine Sturmharfe muß losbrausen aus der ganzen Windrose. Kommen die Straßburger mit ihrer Schwefelbande wieder heraus, dann möchte ich Oberstgewaltiger sein. Schande, Elend, Tod und Verderben allen Denen, die den Franzen Gutes für Deutschland zutrauen. Deutschland braucht jetzt einen Krieg auf eigene Faust, um sich in seiner Volksthümlichkeit zu gestalten etc.“ –
[519] Er hat ihn nicht erlebt. Am 15. Oktober 1852 ist er hinüber gegangen – wie die Nationalzeitung von ihm rühmt – in die unendliche Walhalla, unmittelbar hinter dem eisernen Herzog aus England und dem Spanier Castannos nicht in deutschthümlicher, sondern in recht weltbürgerlicher Gesellschaft. Der Kampf um die gute Sache, das Ringen nach größerer Freiheit und hellerem Licht ist einmal ein gemeinsamer für ganz Europa. Thue Jeder das Seine, wie der „Alte im Barte“ es gethan, der nicht auf den Weltgeist gewartet, sondern geredet, geturnt, geworben und getrieben. Jahn hat ehrlich gewollt und redlich gestrebt. Sein Gedächtniß wird man in Deutschland in Ehren halten!