Textdaten
<<< >>>
Autor: Wilhelm Lauser
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Etwas vom "Rothen Gespenst"
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 9, S. 270–271, 273–277
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1890
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[270]
Nachdruck verboten.     
Alle Rechte vorbehalten.

Etwas vom „Rothen Gespenst“.

Die Schriftsteller der Pariser Kommune.
Von Wilhelm Lauser.
I.

Jedermann kennt die zahlreichen Werke der Mitglieder jener niederländischen Malerfamilie Breughel, welche mit peinlicher Sorgfalt und Treue das Bauernleben ihrer Zeit, die Vorstellungen von den Martern in der Hölle, die Noth des Krieges und die Heimsuchung durch Feuersbrünste wiedergeben. Die Genauigkeit und der Fleiß, womit der einzelne alles zusammenstellte, was ihm irgend zur Beständigkeit seines Vorwurfes zu gehören schien, hat dem einen den Namen des Bauern-Breughel, dem andern denjenigen des Höllen-Breughel eingetragen und man spricht wohl auch von einem Kriegs- und Feuer-Breughel. Wäre nun die Zeit, in welcher diese Künstler lebten, so reich wie die unserige an Umwälzungen und Volksaufständen gewesen, so würden wir gewiß auch von einem Revolutions-Breughel zu reden haben und nach seinen Darstellungen etwa ermessen können, was bei solchen Erschütterungen des Staats- und Volkslebens als das stets Wiederkehrende und sich gleich Bleibende, was dagegen als Besonderheit, Ausnahme, seltsame Eigenthümlichkeit zu betrachten wäre.

Ein in solcher Art gewiß nie wiederkehrendes Beobachtungs- und Arbeitsfeld war nun vor dem Revolutions-Breughel aufgethan, der sich in den ersten Märztagen des Jahres 1871 in die soeben von der langen Belagerung erlöste französische Hauptstadt begab und etwa seine Schritte über die Boulevards nach dem Bastilleplatz lenkte. Das „heilige Paris“, dessen unbesiegbares Heldenthum Viktor Hugo vor kurzem noch so herrlich besungen hatte, bot da einen höchst unheiligen Anblick. Kaum hatten sich die Thore der Stadt geöffnet, so strömten ganze Banden hinaus, um alles bewegliche Gut in den Landhäusern an der Seine und Marne zu stehlen und fliegende Märkte mit solchen Waren der Straße entlang zu errichten: die seltsamste Beleuchtung des Märchens von der Raubsucht der deutschen Sieger.

Tausende und abertausende von Müßiggängern und Bettlern, taub für den Ruf der Geschäftsleute, welche ihre Gewölbe wieder einrichten und die Arbeit wieder aufnehmen wollten, lungerten herum, unterhielten sich mit dem bei den pariser Gassenjungen beliebten Stöpselspiel, belagerten die Schnapsbuden oder schliefen auf den Bänken, auch wohl einfach am Boden liegend, ihren Rausch aus.

Hier rückte, die Marseillaise brüllend, eine Schar der sogenannten Seinemoblots heran. Sie sollten jetzt ihre Gewehre abliefern. Das kümmerte die Tapfern freilich nicht so sehr; aber sie stießen wilde Verwünschungen gegen die Regierung des Herrn Thiers aus, welche ihnen den Tagelohn von anderthalb Franken kündigte, dem sie während der Kriegszeit ein so bequemes Nichtsthun verdankt hatten. Dort erschienen in phantastischen Aufzügen, mit Todtenkopf-Käppi, im rothen Garibaldiner Hemd, mit buntfarbigen Federbüschen, in seltsam verschnürten Röcken, die mannigfaltigsten Waffen schleppend, jene hundertnamigen Freischärler. Sie waren vom Lande, das sie während des Krieges unsicher machten, hereingekommen, um nun mit den Nationalgardisten von Montmartre und Belleville, die man während der Belagerung von Paris nie hatte vor den Feind bringen können, über die Feiglinge und Verräther zu schimpfen, die Frankreich durch die Uebergabe entehrt hätten und jetzt einer monarchischen Reaktion ausliefern wollten. Dazwischen bewegten sich Abtheilungen meist betrunkener Soldaten aller Waffengattungen, die mit dem Volk aus den Vorstädten Brüderschaft machten; feierliche Züge von Nationalgardisten, die, Trommler, Hornisten und kecke Marketenderinnen voran, zu der seit dem 24. Februar, dem Jahrestage der „Februarrevolution“, mit Immortellenkränzen und rothen Fahnen geschmückten Bastillesäule wallfahrteten, um neue Kränze daselbst niederzulegen, zu tanzen, Musik zu machen und die Redner anzuhören, die das Volk vor den Anschlägen der Verschwörer gegen die Republik in Versailles warnten und dasselbe aufforderten, die Steuern zu verweigern und die Gewehre bereit zu halten.

Noch sah man zwar hier und dort rothe Maueranschläge, welche die „Fortsetzung des Krieges“ und den „Widerstand aufs äußerste“ verlangten. Aber jetzt blieb es schon mehr den vornehmen Boulevardblättern und den Theatern überlassen, den Haß gegen die Deutschen weiter zu unterhalten. Die von den Helden von Belleville und Montmartre angeblich vor den Deutschen auf ihre Höhen hinaufgeretteten Kanonen drohten jetzt schon auf die Stadt selbst herab. Ein Maueranschlag der sogenannten „Internationalen“ erklärte, jeder Angriff gegen die Preußen würde das Volk den Monarchisten ausliefern. Und über Nacht war die allgemeine Losung verändert, sie hieß jetzt: „Es lebe die Republik.“ Eine Losung unter den obwaltenden Umständen von um so gefährlicherer Kraft, als außer dem arbeitsscheuen Gesindel und den berufsmäßigen Revolutionären, welche die Straßen beherrschten, auch viele Bessergesinnte von Mißtrauen gegen die Regierung und Kammer, die den Sitz in Versailles demjenigen in Paris vorzogen, erfüllt waren. Man mißbilligte das Weiterregieren der Herren E. Picard, J. Simon, J. Favre, die das ganze Volk durch ihre Versprechungen so schwer getäuscht hatten, und sah viel mehr bösen Willen als bloß Schwäche und Unverstand darin, daß man den volksaufwühlenden Fasching auf den Straßen und Plätzen unbehelligt ließ, aber dafür alle radikalen Blätter unterdrückte und durch die Verfügung, es sollten jetzt mit einem Male die sämmtlichen seit dem Beginne der Belagerung von Paris fälligen Miethzinse und Wechsel bezahlt werden, Hunderttausende ins Lager der Unzufriedenen trieb.

Jeder Mißgriff, jede Schwäche der Regierung aber, die Verstimmung und Entmuthigung der ruhigen Bürger, die Noth der Geschäftsleute, das Mißtrauen der überzeugten Republikaner, das beleidigte Ehrgefühl der Pariser, das Zusammenströmen von Heeren verwöhnter Müßiggänger, fremder und einheimischer Abenteurer und zuchtloser Soldaten, der Untergang jedes Ansehens der Machthaber und die Ermattung des ganzen Volkes nach dem Kriege, alles dies mochte den aufmerksamen Beobachter wohl den Sieg vorausahnen lassen, welcher der Kommune in Paris am 18. März in den Schoß fiel.

Wirkten alle Umstände zusammen, das Gelingen der grauenhaftesten und wahnwitzigsten Revolution, welche die Welt jemals [274] nach dem Aufstande vom 31. Oktober bis zum Ende der Belagerung von Paris in Untersuchungshaft steckten. In dieser unfreiwilligen Muße verfaßte er sein Buch „Die sozialistische Partei“. Aus diesem Werke nun tritt deutlich seine Ueberzeugung hervor, daß es unmöglich sei, das soziale Ideal durch eine plötzliche Volkserhebung zu verwirklichen. Auch sah Vermorel so klar als irgend ein anderer ein, daß, als ihn die Urheber des Aufstandes vom 18. März in die Kommune heranzogen, dies nur geschah, um dieser den sich zunächst darbietenden Deckmantel des Sozialismus umzuhängen. Wie mochte er aber damals seinen Berufsgenossen Arthur Ranc beneiden, der sich gleich wieder zurückziehen konnte, als er erkannt hatte, welches Gelichter jetzt im Stadthause seinen Sitz aufgeschlagen hatte!

Das Urtheil A. Rancs, „die ganze Kommune zähle nicht mehr als zwei oder drei Sozialisten, verständige, ehrbare, unterrichtete Männer mit einem Schimmer von Staatsvernunft, die übrigen gehören sämmtlich der Hefe des Volkes an, sie seien unwissend, unerfahren, ungezogen, ohne politisches Denkvermögen und sie klammern sich als geckenhafte Emporkömmlinge an die Macht an“: dieses Urtheil war auch dasjenige Vermorels. Aber auf ihm lastete eben noch Rocheforts schnöde Verdächtigung, die jetzt sein Gegner Felix Pyat in der Kommune zu wiederholen wagte; und so glaubte er, von der Kommune, so aussichtslos sie ihm von Anbeginn schien, sich nicht lossagen zu dürfen. Er bewies seine Hingebung, indem er in den ersten Kämpfen gegen die Versailler mitfocht, gegenüber der Kommune selbst aber seine Unerschrockenheit, indem er öffentlich fort und fort eine friedliche Lösung befürwortete, in den Sitzungen auf dem Stadthaus alle Ungesetzlichkeiten und insbesondere die von dem blutdürstigen Pyat vorgeschlagenen Schreckensmaßregeln und die Verfolgungen andersdenkender Schriftsteller bekämpfte. In den letzten Tagen der Kommune wurde Vermorel bald hier bald dort unter den Vertheidigern der am meisten bedrohten Barrikaden gesehen; es war, als ob er den Tod herausfordern wollte. Immer enger schloß sich der eiserne Ring um die Kämpfer. Zuletzt blieb ihnen nur noch der hochgelegene Friedhof Père-Lachaise. Hier hatte denn Vermorel noch ein letztes Mal inmitten der verzweifeltesten Kommunarden Stand gefaßt. Nochmals entsandten ihre Kanonen Zerstörung auf die von allen Seiten brennende Stadt hinab. Die Granaten der Versailler rissen fort und fort klaffende Lücken in die auf dem Leichenfelde dicht zusammengedrängten Scharen und zerschmetterten die Grabdenkmäler, hinter denen sie sich bergen wollten. Immer näher rückte von unten Gewehrfeuer und Kampfgeschrei. Da brachte man vor Vermorel die Leiche seines Freundes, des Polen Dombrowski, des früheren Befehlshabers der Kommune. Und nun ergriff er an der Bahre dieses Mannes nochmals das Wort, um mit von Zorn und Schmerz erstickter, vom Donner der Geschütze übertönter Stimme die Kommune als eine Bande von Trunkenbolden und Feiglingen, die diesen ihren Führer zuerst des Verraths beschuldigt und ihn dann im Angesicht des Feindes verlassen hätten, anzuklagen und das Andenken dieses Fremden zu preisen, der begeisterungsvoll und treu der Sache eines undankbaren Volkes gedient. Auf den Tod verwundet, wurde Vermorel wenige Augenblicke darauf gefangen genommen.

Es wäre ungerecht, mit völligem Stillschweigen den Schriftleiter des Amtsblattes der Kommune zu übergehen, Ch. Longuet, ein bemoostes Haupt von zwanzig Semestern aus dem Lateinerviertel. Derselbe galt wie Vermorel als guter Kenner der sozialen Fragen, insbesondere auch der Proudhonschen Philosophie, und er bekämpfte bis zuletzt an Vermorels Seite die besonders unsinnigen Maßnahmen der Kommune. Leider war seine Willenskraft und Arbeitslust nicht auf der Höhe seines Wissens und der Begabung, die er früher als Mitarbeiter verschiedener Blätter an den Tag gelegt hatte. Mußte er doch gelegentlich selber eingestehen, daß er das von ihm geleitete Blatt nicht einmal gelesen habe. Und wie waren gleich in den ersten Tagen der Kommune die Leser überrascht, als sie an hervorragender Stelle des Amtsblattes statt Enthüllungen über die neueste Politik der Machthaber eine Abhandlung über – Schweden und Norwegen fanden, die der bequeme Longuet einfach aus dem stehen gebliebenen Satze des Amtsblattes der frühern Regierung herüber genommen hatte!

Wahrscheinlich mehr aus Bequemlichkeit als mit Ueberlegung hatte er gleich in den ersten Tagen seinem Studienfreund Vaillant gestattet, eine lange Abhandlung im Amtsblatte zu veröffentlichen, in welcher dargethan werden sollte, die menschliche Gesellschaft habe gegen die Fürsten nur eine Pflicht, den Mord. Da dies denn doch manchen Lesern damals noch etwas zu stark erschien, so ergab sich für Longuet die verdrießliche Nothwendigkeit, selbst zur Feder zu greifen und nachträglich zu erklären, jener Aufsatz habe nur die Meinung eines einzelnen wiedergegeben, die übrigens sehr wohl aufrecht zu erhalten sei und im ganzen Alterthum, aber auch bei neueren Staatsphilosophen Geltung gehabt habe.

Was aber jenen Vaillant betrifft, so blieb zwar sein Aufsatz über den Fürstenmord die einzige schriftstellerische Leistung seines ganzen Lebens, der Mann ist jedoch nebst seinem unzertrennlichen Begleiter Aristide Rey, mit welchem er außer Paris auch die Hochschulen Heidelberg, Tübingen und Wien besucht hatte, eine für unsern Revolutions-Breughel unbedingt ins Auge zu fassende Erscheinung. Die beiden hatten sich aus den wilden nihilistischen Gedanken des Russen Bakunin, aus mißverstandenen Proudhonschen Lehren und aus Erinnerungen der ersten Revolution eine Art Weltanschauung zusammen gebraut, die im wesentlichen darauf hinaus lief, alles, was als Staat, Kirche, Gesellschaft, Ehe und Eigenthum bestehe, sei krank und unnatürlich, und die Menschheit müsse dadurch, daß man alles zerstöre, was an die Vergangenheit erinnere, Throne, Kirchen, Denkmäler, Kunstwerke und Bücher, kurz dadurch erlöst werden, daß man ein allgemeines Chaos herstelle, aus dem sich neue, gesunde Einrichtungen herausbilden würden. So war denn Rey auch keineswegs mit der Losung zufrieden, die Kommune müsse siegen, oder Paris aufhören zu bestehen; er meinte im Gegentheile, wenn die Kommune siege, dann gerade müsse Paris zerstört werden.

Bei beiden Aposteln der Zerstörung war übrigens der eigene Wille zum Leben hinreichend ausgebildet. Vaillant entfloh daher im rechten Augenblicke noch durch die deutschen Linien, während sich diejenigen, die seinen Lehren gehorcht hatten, niederschießen ließen. Von Rey werden wir noch später hören.

Der nämliche Geist der Zerstörung wie in diesen beiden verbummelten Studenten wohnte auch in dem Schriftsteller Jules Vallès, dem Verfasser des merkwürdigen Buches „Die Stellungs-Flüchtlinge“. Hier werden in ergreifendster Weise die Enttäuschungen und das Elend der vielen Unbekannten geschildert, die aus den Hörsälen in das Leben treten und nun erkennen müssen, daß ihre Begabung nicht ausreiche, ihnen Brot, geschweige denn Ruhm zu erwerben, und die sich nun, mit sich selbst und der Welt zerfallen, in unfruchtbaren Anklagen gegen die Menschen, die Gesellschaft und den Staat erschöpfen. Es ist der tiefste Brustton der Ueberzeugung, den man hier vernimmt, und man fühlt unwillkürlich, der Verfasser habe hier die Beichte seines eigenen Lebens niedergelegt. Lange Jahre hatte Vallès gejammert, unter dem Drucke des Kaiserreichs könne der Geist seine Schwingen nicht entfalten; nun war dieser aber flügellahm geblieben, auch nachdem die Freiheit gekommen war; und die Pariser Leser zogen immer noch einen angenehmen Plauderer wie Albert Wolff dem mürrischen J. Vallès vor. Das Gefühl dieser seiner Ohnmacht und des Neides auf seine glucklicheren Genossen verwandelte sich jetzt mehr und mehr in Haß gegen alles, was die Menschen sonst achteten, gegen die großen Geister der Vergangenheit, einen Homer, Dante und Molière, denen er zuruft: „Schweigt, ihr alten Pedanten! Nieder mit den Todten!“; gegen die Kunst: „Schlagt allen Standbildern die Nasen ab, zerschneidet alle Gemälde in den Museen!“; und gegen Religion und Wissenschaft. Schließlich entdeckte Vallès, 1869, sein sozialistisches Herz und er bewarb sich, allerdings wieder erfolglos, bei den Arbeitern der Vorstadt St. Antoine um einen Abgeordnetensitz. Seine wüthenden Aufruhrpredigten im „Cri du peuple“ ließen ihn endlich der Aufnahme in die Kommune würdig erscheinen, und seine Verachtung gegen Kunst und Wissenschaft empfahl ihn von selbst zur Uebernahme der – Unterrichts-Angelegenheiten. Uebrigens muß ihm zur Ehre nachgesagt werden, daß er es stets mit der verhältnißmäßig zurechnungsfähigeren Minderheit hielt und gelegentlich gegen allzu grelle Gesetzesverletzungen, gegen das Lügensystem, durch welches man das Volk täuschte, und gegen die Liederlichkeit Einspruch erhob, zu deren Sitz man die öffentlichen Gefängnisse gemacht hatte.

In letzterer Beziehung hatte sein Schüler und früherer Mitarbeiter, Gustav Maroteau, schon ein weiteres Herz. Auch er verlangte in seiner Schrift „Männer und Drahtpuppen“, mit Vallès übereinstimmend, man müsse das Unterrichtswesen umstürzen [275] und mit einem Strich alle Erinnerungen des Alterthums auslöschen: „Kommt alle, Dichter oder Maler, Gelehrte oder Schriftsteller; schlagt drein, beißt, zertrümmert, seid grausam oder ungerecht . . . was liegt daran, wenn nur der Zweck erreicht wird.“ Aber im Unterschiede von Vallès erhebt er die Liederlichkeit geradeswegs auf die Höhe eines Staatsgrundsatzes, indem er ausruft: „Ein Volk, das liederlich wird, ist in Wahrheit seiner Rettung sehr nahe. Es wird sich nach und nach von allen Vorurtheilen befreien, die man ihm auferlegt hat, und es wird durch die Verderbtheit zur Einsicht gelangen. Das Knallen der Champagnerpfröpfe gewöhnt das Ohr an das Knallen der Pistolenschüsse. Man köpft die Flaschen den Philistern unter der Nase. Eine betrunkene Dirne wird plötzlich mit ihrem Fuße dem Jahrhundert seine Schlafmütze herabstoßen.“ Politik war eigentlich nie die Sache Maroteaus gewesen, ja er sagte noch später freimüthig, dieselbe sei ihm im Grunde langweilig und verhaßt. Allein da seine Romane und Gedichte nicht einschlagen wollten, so gründete auch er, um schneller ans Ziel seines Ehrgeizes zu gelangen, ein eigenes Blatt: „La Montagne“, in welchem er durch unerhörte Rohheit seinen Lehrer Vallés und selbst den Marat der großen Revolution zu übertrumpfen suchte.




II.

Es hatte wieder jenes Treiben platzgegriffen, das Camille Desmoulins schon in seinem „Vieux Cordelier“, seinem „alten Schuster“, geschildert hat: „wenn ein Blatt leidenschaftlich ist, so sucht ein anderes wahnsinnig zu sein; man hält es für eine Schande, sich in Uebertreibung und Ueberhetzung von einem andern einholen zu lassen.“ So hatte man denn auch die Leiche des berüchtigten „Père Duchêne“ aus der großen Revolution wieder zu künstlichem Leben erweckt. Täglich wurden die Pariser aus ihrem Morgenschlafe durch das Geschrei der Ausrufer geweckt: „Der große Zorn des ‚Père Duchêne‘; er hat heute wieder einen furchtbaren Zorn, der ‚Père Duchêne‘.“ Im Tone eines Mannes aus dem niedersten Volke wurde hier unter entsetzlichen Flüchen, Schimpfworten und Zoten täglich das Blut der Feinde der Kommune gefordert und über die Noth des Volkes und die Liederlichkeit der Reichen geschimpft. Der namenlose Mann aber, der solches schrieb, bei den Weibern der Vorstädte ein blindes Vertrauen genoß und mit seinem Fluchhandwerk Tag für Tag nachweisbar seine fünfzehnhundert Franken verdiente, wurde endlich als jener Eugen Vermersch enthüllt, der sich früher als Verfasser unsauberer Romane, als Biograph und Freund von Geschöpfen der Halbwelt und als Dichter sybaritischen Lebensgenusses einen gewissen Ruf gemacht hatte.

Diesem Vermersch stand, was Feigheit und sinnlose Grausamkeit betrifft, wohl am nächsten das Kommunemitglied Felix Pyat.

Pyat, der voriges Jahr in Paris starb, ist das Urbild jener Abart von Revolutionspriestern, welche zunächst den überlieferten Sprachschatz der großen Revolution in ihren Schriften verwerthen und, wenn ein gläubiges Volk sie beim Worte nimmt, sich als alles andere eher entpuppen, denn als Männer der That oder Märtyrer einer festen Ueberzeugung.

Nachdem der früher den Orleans ergebene Zeitungsschreiber sein Glück mit etlichen Volks- und Schauerstücken gemacht hatte, in welchen die Schreckensmänner der Revolution verherrlicht, alle Tugenden den Proletariern zugeschrieben, alle Laster den Besitzenden und Adeligen aufgehalst wurden, konnte es nicht fehlen, daß ihn die Volksgunst bei der Februarrevolution in die Gesetzgebende Versammlung berief. Aber schon damals stand die Ueberzeugung seines ganzen Lebens fest, Vorsicht sei das bessere Theil der Tapferkeit; und in dem Augenblicke, da er seinen Mann stellen sollte, floh er als Weib verkleidet ins Ausland. Auch später erwachte immer in der Stunde, da es Ernst wurde, nur der alte Dramaturg in ihm, und er trug blutdürstige Monologe aus noch ungedruckten Stücken vor, wenn man eine rettende That von ihm erwartete, oder er verschwand in einer der vielen von ihm stets bereit gehaltenen Verkleidungen als Priester, Mönch oder altes Weib, sobald er angekündigt hatte, er werde für die Freiheit sterben.

Es war in der Mitte der sechziger Jahre, da erhielt ich eines Tages wie viele andere, die damals in Paris lebten, aus London unter Kreuzband einen Abdruck von Fénelons „Telemach“ zugeschickt. Als ich verwundert das Ding betrachtete, nahm ich mit einem Male wahr, daß der harmlose Text in ein schwülstiges Gebet auslief, das Pyat an „das heilige Kügelchen“ richtete, welches Ludwig Napoleon durchbohren und die Welt von diesem Tyrannen befreien werde. Der grimmige Tyrannenhasser glaubte vielleicht, mit dem Absenden dieser Schrift eine Großthat zu vollbringen; daß das Empfangen derselben irgendwem gefährlich werden könnte, kümmerte ihn weniger. So recht in seinem Fahrwasser befand sich Pyat, als er während der Belagerung von Paris aus dem sicheren Verstecke bei den Männern oder vielmehr bei den Weibern von Belleville in seinen Blättern „Combat“ und „Vengeur“ („Kampf“ und „Rächer“) gegen die Regierung hetzen und die Aufstände vom 31. Oktober und vom 22. Januar mit fachkundiger Hand veranstalten konnte. In den ersten Märztagen predigte er sodann auf den Höhen von Belleville, der Vertrag zwischen Thiers und Bismarck habe nur die Wiederherstellung des Königthums zum Zwecke und sobald die Kommune gebildet und er zum Mitgliede derselben ernannt war, erschöpfte er sich in den wahnwitzigsten Anträgen und Vorschlägen. So vertheidigte er unter anderm das Recht, Mitglieder der Kommune selbst dann zu verhaften, wenn diese die Verhaftung nicht gut heiße. Am unversöhnlichsten tobte er freilich gegen die gemäßigten Blätter, die zwar vor einigen Monaten noch gegen die Unterdrückung seines „Vengeur“ Einsprache erhoben hatten, mit denen er aber, trotzdem er allen niedrigen Leidenschaften der Menge schmeichelte, den Wettbewerb nicht auszuhalten vermochte. Als auch, zufolge echt revolutionärer Ueberlieferung, ein „Wohlfahrtsausschuß“ eingesetzt wurde, nahm er zwar anfangs seine Ernennung in denselben mit Vergnügen an, allein die Freude wurde ihm verdorben, da man gerade in dem Augenblick, als es mit der Kommune sichtlich dem Ende zuging, die Verhandlungen desselben zu veröffentlichen anfing. Bei den bedenklicheren Abstimmungen blieb er unter irgend einem Vorwand abwesend, und er mußte es sich gefallen lassen, daß ihm Vermorel in offener Sitzung vorwarf: „Seitdem gegen Ihren Willen und auf mein Andringen unsere Sitzungsberichte öffentlich geworden sind, haben Sie sich durch ein fast vollständiges Schweigen bemerklich gemacht und sich ausschließlich für die geheimen Ausschüsse aufbewahrt, wo Sie stets die unduldsamsten, gewaltthätigsten, schärfsten Maßregeln befürworteten. Zugleich zeigen Sie sich in Ihrem Blatt jetzt als Vertheidiger der Mäßigung und Versöhnung. Ihr Spiel ist leicht zu durchschauen. Sie waren einerseits auf Ihre Beliebtheit bedacht, für den Fall, daß das Volk siegrrich bliebe, und anderseits hielten Sie sich eine Hinterthür offen, um im Falle des Sieges von Versailles den Verfolgungen zu entgehen.“

Diese Vorwürfe machten denn doch auf Felix Pyat einen solchen Eindruck, daß er die erste Gelegenheit benützte, um sich durch besonders heftige Redensarten weißzuwaschen. Es that auch seinem dramaturgischen Herzen äußerst wohl, als am 30. April die Freimaurer von Paris, etwa 3000 an der Zahl, mit Ordensabzeichen, Schürzen, Schärpen, Bändern und Kreuzen unter Musikbegleitung vor dem Stadthause erschienen, auf der Ehrentreppe desselben ein weißes Banner mit der Aufschrift „Liebet Euch untereinander!“ neben den roten Fahnen der Kommune aufpflanzten und gelobten, durch ihr Erscheinen vor der Front der Versailler Truppen Versöhnung und Frieden zu erwirken. In schwungvoller Rede belobte Pyat dieselben ob ihrer edlen Absicht und feuerte sie an, wenn ihre friedlichen Versöhnungsversuche scheitern sollten, den Worten Thaten folgen zu lassen.

Noch mehr aber als die Nichtbeachtung dieses seines Mahnwortes seitens der Freimaurer, betrübte es ihn sodann, daß bei der von ihm besonders stürmisch begehrten Zerstörung der Vendômesäule auf allen jenen Theaterapparat verzichtet wurde, den er ausgesonnen hatte. Umsonst hatte er empfohlen, einen ungeheuern Misthaufen herzurichten, auf den die Säule gestürzt werden sollte. Und der alte Dramaturg klagte bitterlich, daß unser Geschlecht sich nicht mehr auf die Symbolik von 1793 verstehe: eine Familienmutter hätte den ersten Hammerschlag thun, ein Kind die Geschichte des Kaiserreichs verbrennen, das ganze französische Volk mit Friedensgeräthen dem Schauspiele anwohnen sollen!

Die letzten Tage der Kommune waren herbeigekommen, alle Besitzer von Schwefel, Phosphor und ähnlichen Erzeugnissen durch das Amtsblatt der Kommune aufgefordert, sich zu melden; Paris sollte wie einst Moskau „rostoptschinirt“[1] werden; und F. Pyat [276] drohte im Stile seiner Schauerstücke: „Ist Herr Thiers Chemiker, so wird er uns verstehen.“ Und noch rief er in seinem Blatte den eingedrungenen Versailler Truppen zu: „Ueberall Barrikaden! Nach unseren Festungsmauern unsere Häuser, nach unseren Häusern unsere Leiber! Jedes Haus wird eine Festung sein und jeder Mann ein Mann! Ihr seid in die Höhle eingedrungen, nehmt euch vor dem Löwen in Acht! Hört die Sturmglocke, den Generalmarsch, die Kanonen! Das ist sein Brüllen!“ Sprach’s und – verschwand. Man wußte lange Zeit nicht, wo er sich aufhielt, und noch heute wird darüber gestritten, in welcher Gestalt er über die Grenze kam. Bezeichnend für diesen dramaturgischen Schreckensmann aber ist vollends, daß er, obgleich später begnadigt und sogar von den Marseillern in die Kammer gewählt, noch zuletzt auf einem Dörfchen bei Paris sich versteckte, dort einen falschen Namen und, wie das Gerücht wissen will, auch gelegentlich falsche Bärte trug. Wie es scheint, hat man ihn wenigstens gut begraben; denn bis jetzt ist er nicht wieder in neuer Gestalt aufgetaucht.

Wer hätte jemals denken sollen, in der Gesellschaft solcher Mordgesellen eines Tages auch Paschal Grousset zu begegnen, dem hübschen, harmlosen jungen Mann, der, nachdem er die Medizin an den Nagel gehängt hatte, in dem Journalistencafé „Madrid“ uns immer so liebenswürdig von seinem Glück bei den Frauen vorschwadronierte und so ganz zufrieden war, wenn er wieder einmal in irgend einem republikanischen, bonapartistischen oder auch legitimistischen Blatt gegen halbwegs anständige Entlohnung ein Aufsätzchen untergebracht oder von einem Buchhändler Auftrag zur Verfertigung eines schlüpfrigen Romans erhalten hatte? Grousset erlebte zunächst seine Bekehrung zum Republikanismus, als ihn Rochefort zur Mitarbeiterschaft an seinem Blatte „La Marseillaise“ einlud. Die Lorbeeren des letzteren ließen ihn von nun an nicht mehr zur Ruhe kommen. Er ahmte den Meister nach, wie er sich räusperte und wie er spuckte. Denn warum sollte nicht auch er wie dieser reich, mächtig und berühmt werden dürfen? Das Glück begünstigte ihn auch im Anfang ganz außerordeutlich, indem es ihm den berühmten Skandal mit Peter Bonaparte und die Gelegenheit verschaffte, einen leibhaftigen Vetter des Kaisers herauszufordern und damit seinen Namen unter die Massen der Vorstädte zu bringen. Von jetzt ab hielt er sich vollends zu großen Dingen berufen. Als Rochefort die Leitung der „Marseillaise“ niederlegte, übernahm er dieselbe in kühnem Selbstvertrauen. Allein Rochefort, der als Mitglied der Septemberregierung zeigte, wie konservativ auch er sein konnte, wenn er im Besitze der Macht war, wies ihn wegen seiner Angriffe gegen die Regierung eines Tages so demüthigend zurecht, daß er es vorzog, sein Blatt aufzugeben und seine Thätigkeit während der Belagerung ganz in die aufrührerischen Klubs zu verlegen. Nach dem Krieg vergönnte er sich aber den Spaß, Rochefort zur Mitarbeiterschaft an seinem neuen Blatte „L’Affranchi“, „Der Befreite“, einzuladen. Er konnte jetzt auch den Regierungsmann spielen, und er fühlte sich auf der gesellschaftlichen Höhe eines Metternich oder Nigra, als ihm die Kommune die Leitung der auswärtigen Angelegenheiten übertrug. Zu diesem hohen Amte hatte ihn freilich zunächst bloß der Umstand empfohlen, daß er stets wohlgekämmte Haare, ein zierliches Schnurrbärtchen, Handschuhe, neumodische Kleider und insbesondere eine viel bewunderte Hose, ein unübertroffenes Meisterstück des Schneiderkönigs Dusantoy, trug. Grousset selbst aber konnte seine Befugnisse nicht ernst genug nehmen. Gleich am Tage seiner Ernennung richtete er eine Note an die auswärtigen Vertreter, des Inhaltes: „Der Unterzeichnete, Mitglied der Kommune von Paris, Abgesandter für die auswärtigen Angelegenheiten, hat die Ehre, Ihnen amtlich die Bildung der kommunalen Regierung von Paris anzuzeigen. Er bittet Sie, Ihrer Regierung hiervon Kenntniß zu geben, und ergreift diese Gelegenheit, um Ihnen den Wunsch der Kommune auszudrücken, die brüderlichen Bande enger zu knüpfen, welche das Volk von Paris mit dem Volke etc. etc. verbinden. Genehmigen Sie . . .“ Zum Leidwesen Groussets blieb aber der Verkehr mit den auswärtigen Mächten ein recht bescheidener; nur einmal konnte ein Mitglied der Kommune berichten, er habe einen Gedankenaustausch mit einem Vertreter der Republik Ecuador gehabt. Immerhin hat Grousset darauf gesehen, daß seitens der Kommune nicht der diplomatische Verkehr überhaupt unmöglich gemacht werde; und als einige Tage nach seinem Amtsantritte Nationalgarden in das belgische Konsulat eingebrochen waren, um zu plündern und einen Ball zu veranstalten, setzte er es durch, daß „ein strenger Tadel im Amtsblatte gegen die Schuldigen ausgesprochen wurde“. Im übrigen wüthete Grousset in seinem Blatt unaufhörlich gegen die Klöster in Paris, die, wie er behauptete, geheime Verbindungen mit Versailles und den Sendlingen des Papstes unterhielten; und unheimlich genug lautete die amtliche Erklärung, die er gegen den Schluß der Kommune abgab, die Genfer Konvention spreche sich über die Anwendung der furchtbaren Kräfte nicht aus, welche die Wissenschaft in den Dienst der Revolution stelle.

Auch Paschal Grousset ist wie die ihm zunächst stehenden schriftstellerischen Berufsgenossen beim Untergange der Kommune mit dem Leben davongekommen. Er ist heute bei seinem dritten Namen und seiner dritten Entwicklungsstufe angelangt. Als unschuldiger Plauderer hatte er sich „Doktor Blasius“ unterzeichnet; als Kommunarde „Grousset“; jetzt schreibt er unter einem neuen Namen, wenigen bekannt, sehr gemäßigte Aufsätze in eine konservativ-republikanische Zeitung von Paris.

Diesen schriftstellerischen Größen der Kommune gegenüber befand sich ihr einstiges Vorbild, der Laternenmann Henri Rochefort, in der unbehaglichsten Lage von der Welt. Der ehemalige Spaßmacher des „Figaro“ und „Tintamarre“, der mit seiner „Lanterne“ einen unerhörten Erfolg gehabt hatte, indem er in der frechen Sprache des Pariser Gassenjungen die Tuileriengesellschaft als eine Bande von Abenteurern, Dieben und Spielern behandelte, hatte sich in der Septemberregierung und dann in der Nationalversammlung von Bordeaux als eine völlige politische Null erwiesen. Und nun mußte er vollends sehen, daß ein Grousset, ein Maroteau, ein Vermersch, ein Vallès, die er als mittelmäßige Köpfe verachtete, ihm seine Kunst, auf die Massen zu wirken, mit größtem Erfolg abgelernt hatten, so daß er mit seinem Blatte „Le Mot d’Ordre“ nicht gegen ihre Blätter aufzukommen vermochte. Der Ton, welchen er dem Bonaparte gegenüber angeschlagen hatte, paßte überdies nicht recht gegenüber seinen frühern Freunden Favre und Picard; und was wollte es besagen, wenn er gelegentlich Thiers einen Trunkenbold nannte, da der „Père Duchêne“ für denselben noch ganz andere Titel bereit hatte? Die Schlagworte der Sozialisten aber waren ihm gänzlich fremd; und so blieb ihm, wenn er sich auf der Oberfläche behaupten wollte, nichts übrig, als eben auch mit immer neuen Verhetzungen und Lügen in den Wettbewerb der Kommune-Schriftsteller einzutreten. Und wahrlich, sauer genug hat er es sich hiermit Tag für Tag werden lassen. Seine Freunde klagten bald, man könne über nichts mehr mit ihm sprechen als über die Höhe „seiner Auflage“, und mehr als einmal sah ich ihn des Abends, wenn er auf den Boulevards von Kiosk zu Kiosk ging und ängstlich bei den Zeitungsverkäuferinnen nachfragte, wie viel sie von seinem „Mot d’Ordre“ absetzten. Um seine Auflage zu heben, war ihm kein Mittel zu schlecht und abgeschmackt. Er erfand und schilderte die abscheulichsten Greuelthaten der Versailler Truppen, um die Versuche zu einer Versöhnung zu vereiteln. Von ihm ging die Anregung aus, Thiers’ bewegliche Habe einzuziehen und sein Haus dem Erdboden gleich zu machen. Seine Aufforderung, die Kirchen zu plündern, begründete er mit dem Satze, Christus sei in einem Stalle geboren, daher dürfe der einzige Schatz in Notredame bloß ein Strohbündel sein.

Das Unerhörteste aber hat er in jenen Aufsätzen geliefert, in welchen er unter dem Titel „Geheimnisse des Klosters von Picpus“ die schauderhaftesten Einzelheiten von langjähriger Einschließung von Nonnen in Käfigen, von Folterwerkzeugen, von einem Geheimgange zu einem Mönchskloster und von verscharrten menschlichen Gebeinen erzählte. Am 21. Mai endlich brachte der „Mot d’Ordre“ folgenden Abschiedsgruß an die Kommune: „Angesichts der der Presse bereiteten Lage hält es der ‚Mot d’Ordre‘ für anständig, sein Erscheinen einzustellen. Mit brüderlichem Gruße Henri Rochefort.“

Nun hatte sich in der Lage der Presse gar nichts verändert; die Kommune hatte ja längst alle unabhängigen Blätter unterdrückt. Es war also klar, daß Rochefort lediglich den Aufenthalt in Paris nicht mehr geheuer fand. Bekanntlich wurde er aber auf seiner Flucht ergriffen und vor das Kriegsgericht in Versailles gestellt; und wir wissen jetzt aus dem jüngsten Untersuchungsprozesse, der gegen ihn als Helfershelfer Boulangers geführt wurde, daß er damals auf die Frage des Richters, warum er so abscheuliche Dinge veröffentlicht habe, die er doch selber nicht [277] glauben konnte, die unumwundene Antwort gab: „Bloß, weil ich es für meine Leser brauchte!“

Erscheinungen wie die eben geschilderten eines Rochefort, Pyat, Maroteau, Vermersch und der übrigen, denen die Verführung des Volkes lediglich ein Geschäft oder Zeitvertreib ist, kehren ohne Zweifel bei allen Umwälzungen und Aufständen, wenn auch vielleicht nicht in so abstoßender Gestalt, wieder. Aber noch nie zuvor war der Revolutions-Breughel wie bei der Pariser Kommune in die Nothwendigkeit versetzt, zur Hauptgestalt seines Bildes gerade den Mann zu machen, der selber den Ursprung, die Hauptpersönlichkeiten und die Ziele des Aufstandes, sofern man von solchen sprechen kann, aufs entschiedenste mißbilligte und aufs bitterste haßte und, nachdem er zuletzt als eigentliche Seele des Aufstandes hatte gelten können, mit einem Fluch auf denselben in den freiwilligen Tod ging. Es gab nie einen abgesagteren Feind der Sozialisten, einen hochmüthigeren Verächter der Massen, einen entschiedeneren Gegner des Gedankens, den Staat in unabhängige Kommunen zu zertheilen, als den Schriftleiter des „Reveil“, Ch. Delescluze, der es vielmehr immerdar als seine Lebensaufgabe betrachtet hatte, die wahre centralistische Republik nach den Gedanken seines Abgottes, des Jakobiners Robespierre, zu gründen. In seinem Blatte hatte er nur immer Frankreich zu überzeugen gesucht, er allein sei berufen, Robespierres Werk zu krönen; für die Sozialisten aber hatte er, so leidenschaftlich er sonst die Massen zum Umsturze des Kaiserreichs und dann der ihm nicht minder verhaßten Septemberregierung aufwiegelte, nie ein gutes Wort gehabt. Im Gegentheile hatte er noch wenige Tage vor Errichtung der Kommune im Freundeskreise gegen die Sozialisten gedonnert und erklärt, man könne dieselben nur durch Flintenschüsse zur Vernunft bringen.

Nun war aber nicht bloß der 4. September, sondern auch der 10. März hingegangen und hatte ihm nicht die Macht zur Ausführung seiner Lebensaufgabe gebracht. So glaubte denn der eigensinnige alte Mann, nicht länger der verhaßten Bundesgenossenschaft von Sozialisten und Föderalisten entrathen zu sollen. Er überwand seine alte Abneigung vor den schwieligen Händen und rußigen Hemden der Arbeiter, die Verachtung gegen die Unwissenheit und Plumpheit der neuen Machthaber und schmeichelte sich bei denselben zunächst mit einer allgemeinen Zustimmungserklärung ein. Endlich in die Kommune zugelassen, ließ er es sein erstes sein, als rechtgläubiger Robespierrist alle militärischen Titelauszeichnungen, an denen doch die Kommunarden eine so kindliche Freude hatten, zu bekämpfen und insbesondere den berüchtigten General Cluseret zu stürzen. Sowohl sein Verlangen, die militärische Gewalt müsse nur die blinde Vollstreckerin des Willens der Volksvertreter sein, wie seine fortwährende Klage, daß die geistige Unzurechnungsfähigkeit der meisten Kommunemitglieder nicht die Abhaltung öffentlicher Sitzungen gestatte, brachte ihn mehrmals in Gefahr, verhaftet zu werden. Uebrigens bewies er, um seine Genossen wieder zu versöhnen, die Unerschrockenheit des echten Jakobiners dadurch, daß er jeden, der etwa noch zweifelte, es blühe jetzt die wahre Freiheit in Paris, kurzweg als Verräther verurtheilte, alle mißliebigen Blätter unterdrückte und den hauptsächlich auf sein Betreiben eingesetzten Wohlfahrtsausschuß zu immer rücksichtsloserem Auftreten ermunterte.

Endlich, es waren allerdings nur noch zwei Wochen bis zum Untergange der ganzen Herrlichkeit, wurde der schönste Traum seines Lebens erfüllt: Delescluze, ein einfacher Schriftsteller und Bürger, ward an die Spitze der ganzen Kriegsverwaltung gestellt. Muthig, sicher aber gegen sein besseres Wissen und Gewissen, weissagte er der Nationalgarde in einer Ansprache den Sieg, der das Heil aller Völker sein werde. Um diesen unmöglichen Sieg an die Fahne der Kommune zu fesseln, ließ er dann durch ganz Paris von Haus zu Haus nach Widerspenstigen fahnden und die Unglücklichen, die sich durch Flucht entziehen wollten, vor das Kriegsgericht stellen und täglich neue erlogene Siegesnachrichten der Kommune verbreiten. Ja, er forderte, als die Versailler schon in Paris standen, die Nationalgarde noch auf, sich bis auf den letzten Mann zu vertheidigen und im Nothfalle sogar, um den Feind aufzuhalten, dieses und jenes Haus mit Feuer zu zerstören.

Man weiß, wie die Kommunarden diesen Wink befolgten. Als Delescluze aber erfuhr, daß man auch Feuer an die Tuilerien, das Palais Royal und das Stadthaus gelegt hatte, rief er verzweiflungsvoll den um ihn noch versammelten Mitgliedern der Kommune zu: „Ihr seid ein Haufe Ruchloser, Ihr habt mich entehrt, mich, einen alten Republikaner; ich habe jetzt nichts mehr zu thun als zu sterben.“ Keiner hielt den zürnenden Greis auf; er ging nach seiner Wohnung, legte frische Wäsche und Kleider an und schritt waffenlos auf die vom Heere beschossene Barrikade am Boulevard Voltaire, wo er alsbald den gesuchten Tod fand.

Noch rauchten die Trümmer des Stadthauses und so vieler andern öffentlichen Gebäude; noch hörte man aus der Kaserne Loban das Knattern der Gewehre, welche die Gefangenen der Kommune hundertweis hinstreckten; Mac Mahon war, von der Bevölkerung ehrerbietig begrüßt, mit seinem Generalstabe daher geritten, und eben sah ich Thiers, von seinen Ministern umgeben und von 80 berittenen Gendarmen begleitet, durch die Stadt fahren. Da redet mich auf der Straße eine bekannte Stimme an. Es ist ein nach der neuesten Mode gekleideter Stutzer, mit einem zierlichen Kürbishütchen auf dem Kopfe, ein geckenhaftes Monocle im Auge. Lächelnd flüstert mir der Mann seinen Namen zu. Aristide Rey steht vor mir; er hat Schlapphut und Vollbart entfernt und sich so zugerichtet, daß ihn kein Späherblick zu erkennen vermag. Sonst ist er unverändert, unbekehrt durch die grauenhaften Ereignisse der jüngsten Zeit. Gleichmüthig berichtet er mir das Ende der hervorragenderen Kommunemitglieder; die Brandstiftungen und Mordthaten beirren ihn nicht in der Ueberzeugung, moralisch habe die Kommune gesiegt und dieser Sieg werde eine Bewegung über ganz Europa bringen, die nicht früher ruhen werde, als bis die ganze gegenwärtige gesellschaftliche und staatliche Ordnung aufgelöst sei.

Nun hat bekanntlich auch Thiers in seinem Vermächtniß an die Franzosen mit einem bestimmten Seitenblick über die Vogesen hinüber geweissagt, die Krankheit der Kommune werde ihre Wanderung noch durch andere europäische Länder antreten. Allein ich halte an der Ueberzeugung fest, die ich einst im Vorworte zu meinem „Tagebuch unter der Pariser Kommune“ ausgedrückt habe, daß das erst im rechten Aufstreben begriffene deutsche Bürgerthum und ein an Mannszucht unübertroffenes Heer unüberwindliche Hindernisse für eine Nachahmung der Kommune sein würden. Jedenfalls würde diese aber nicht auf Schriftsteller rechnen können, wie sie ihr in Paris zur Verfügung gestanden haben.




  1. Graf Rostoptschin hat als Gouverneur von Moskau 1812 die Niederbrennung der Stadt angeordnet.