Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Etwas Naturgeschichte
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 75–77
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Etwas Naturgeschichte.

L’Esprit des Bêtes“ ist der Titel eines kürzlich erschienenen Buches, welches zu den merkwürdigsten Schriften über Naturgeschichte gehört. Es ist ein gewissenhafter und treuer Bericht über das Resultat der unausgesetzten Studien eines Mannes, welcher, nachdem er länger als dreißig Jahre in vertrautem Umgange mit den Thieren gelebt und viele frohe Stunden in ihrer Gesellschaft zugebracht hat, sich gedrungen fühlt, ihnen auf diese Weise öffentlich seine Achtung und Dankbarkeit zu bezeugen. Viele Schriftsteller haben das Thierreich beschrieben, aber keiner hat sie bis jetzt von dem speziellen Standpunkte ihrer moralischen und intellectuellen Aehnlichkeit mit dem Menschen betrachtet und in Folge dieses Mangels besitzen wir eine Menge Werke über Thierkunde, die dennoch unvollständig sind. Die Thiere, sagt Toussenel, der Verfasser dieses Buches, sind die Ebenbilder des Menschen, eben so wie der Mensch das Ebenbild Gottes ist. Nur die Dichter haben den eigentlichen Charakter der Thiere verstanden und sie dann und wann in angemessener Sprache reden lassen. Der Zweck des Autors ist daher, das Werk zu vervollständigen, welches die Poesie begonnen hat und dadurch eine ungeheuere Lücke in der Wissenschaft auszufüllen. Man wird leicht begreifen, daß Toussenel’s Werk eigentlich eine zoologische Metaphysik genannt werden könnte, das heißt er illustrirt den Menschen mit Hülfe der Thiere, eben so wie er die Thiere mit Hülfe des Menschen illustrirt. So lautet z. B. eins der Motti auf dem Titelblatte: „Das beste Element der Menschennatur ist das mit darin befindliche Stück Hund.“ – Sein Plan bei Besprechung der verschiedenen Thiere ist daher, in ihnen Aehnlichkeiten mit entsprechenden Menschenklassen zu finden und diese Gelegenheit zu benutzen, um eine Reihe satyrischer Bemerkungen zu machen, die oft ungemein treffend und witzig sind. Wir theilen nun Einiges von dem mit, was er über die verschiedenen Thiere sagt:

1. Der Maulwurf.

Virgil hat von dem Maulwurf eine sehr gute Definition gegeben, ohne es zu wissen: „Monstrum horrendum, informe, ingens, cui lumen ademptum.“ „Ein furchtbares, mißgestaltetes, colossales Ungeheuer mit schlechtem Augenlicht.“ Der Maulwurf ist in der That das ungeheuerlichste aller geschaffenen Wesen, er ist verhältnißmäßig in Bezug auf Muskelkraft das stärkste von allen vierfüßigen Thieren und von allen fleischfressenden das blutdürstigste. Er ist der Vorkämpfer aller andern und mit den Waffen des Krieges, der Arbeit und der Liebe am besten ausgerüstet. – Ich habe, sagt Toussenel, sehr viel von der Stärke des Elephanten reden hören, welcher auf seinem Rücken Thürme trägt, die mit Kriegern angefüllt sind. Ich habe geduldig lange Berichte über die Schnelligkeit der Bewegungen des Wallfisches angehört, welcher im Stande ist, in vierzehn Tagen um die ganze Erde herum zu schwimmen. Der bengalische Tiger ist mir als ein blutdürstiges Thier genannt worden, dessen Appetit nach Blut nicht so leicht zu befriedigen ist. Aber die Stärke des Elephanten und des Wallfisches ist Kinderei im Vergleich mit dem was der Maulwurf leistet. Der Schöpfer hat in die Bildung der Hand des Maulwurfes allein mehr künstlichen Mechanismus gelegt, als in die Skelette aller Land- oder Wasserriesen. Der bengalische Tiger ist eine Eidechse an Enthaltsamkeit und ein Lamm an Sanftmuth, wenn man ihn mit dem Maulwurfe vergleicht, denn der bengalische Tiger hat seine Klauen und Zähne noch nie gegen sein eigenes Fleisch und Blut gekehrt. Schicket eurem Freunde ein paar in einen Kasten gesperrte Tiger zum Geschenk; sie werden ohne Unfall oder Beschädigung an ihre Adresse gelangen. Man versetze zwei Maulwürfe in dieselbe Lage und sie werden einander zerrissen haben, ehe sie die erste Fütterungsstelle erreichen.

[76] Es ist eben keine sehr schwierige Aufgabe, sich entweder wie der Elephant auf der Oberfläche der Erde oder wie der Wallfisch im Wasser zu bewegen, in welchem man je nach der Zusammenziehung oder Ausdehnung der Lunge steigt oder fällt; man stecke aber einmal um des Versuchs willen einen Elephanten, oder einen Wallfisch fünfzig Fuß tief in die Erde und man wird dann sehen, was die Folge der verzweifeltsten Anstrengungen ist, welche der Elephant mit seinem Rüssel und der Wallfisch mit seinem Schwanze macht. Sie werden beide binnen wenigen Minuten sterben, weil sie keine Spitzhacken haben, um die Erde zu spalten und ihre Muskeln nicht stark genug sind, um die Erdmasse in die Höhe zu stoßen. Man gebe dem Maulwurf die Größe des Wallfisches oder auch nur die des Elephanten und er wird den ganzen Erdball durcheinander wühlen. – Die Kinnladen des Maulwurfs sind mit vierundvierzig Stück furchtbaren Zähnen bewaffnet. Seine Schnauze, das Anzeichen sinnlicher Leidenschaft, ist so unverhältnißmäßig groß, daß dadurch der Sinn des Gesichts – nach Toussenel’s Theorie zugleich der Sinn des Mitleids – fast vollständig unterdrückt wird. Der Maulwurf bewegt seinen Kopf und die pulverisirte Erde wird plötzlich in die Luft emporgeschleudert, gleich dem Wasser, welches aus den Nüstern des Wallfisches spritzt. Sein Magen ist ein immer brennender Ofen, in welchem die unverdaulichsten Dinge zusammenschrumpfen, schmelzen und verschwinden. Sein Hunger ist Wahnsinn, seine Liebe Epilepsie, seine ganze Existenz eine fortgesetzte blutige Orgie. Seine Anwandlungen von wahnsinnigem Hunger kehren drei bis vier Mal täglich wieder und ein zehnstündiges Fasten tödtet ihn. – Der Maulwurf schießt mit einem ungeheuern Sprung auf seine Beute zu, faßt sie unter dem Bauche, stößt seine lange Schnauze in ihre Eingeweide, erweitert die Wunde mit seinen Händen, um ganz in das Herz seines Schlachtopfers hinabzutauchen und das Blutbad mit allen Poren zu genießen. Jeder Mord, den er begeht, liefert ihm die Gelegenheit zu einer wollüstigen Ekstase. Ein hungriger Maulwurf sprang einmal einem jungen Mädchen an die Brust und riß ihr dieselbe von einander, ehe noch Jemand Zeit hatte, ihr zu Hülfe zu eilen. Wenn die Alten den Maulwurf gekannt hätten, so würden sie ihn höchst wahrscheinlich dem Priapus, dem Gott der Gärten, geweihet haben. Der Maulwurf bildet keine Ausnahme von dem Sprichwort, daß die Liebe blind sei.

Nach allem diesen ist es sehr freundlich von Herrn Toussenel, daß er uns durch die Bemerkung tröstet, ein Thier wie der Maulwurf könne nicht das Emblem irgend einer besonderen Menschenklasse sein. Der Maulwurf ist nicht das Emblem eines einzelnen Charakters, sondern einer ganzen socialen Periode, der Periode der noch in der Kindheit liegenden Industrie, der cyclopischen Periode, der schmerzlichsten und schwärzesten von allen. Der Maulwurf ist nicht das Symbol irgend eines einzelnen Lasters, sondern das Symbol aller. Er ist der vollständigste allegorische Ausdruck den absoluten Vorherrschens der thierischen Stärke vor der intellectuellen. Seine Haupteigenschaften stehen ihm auf der Schnauze geschrieben.

Der Maulwurf ist ein bis an den Rand gefülltes Gefäß der Unsauberkeit. Man nehme Blaubart, Ludwig XV., Messalinen und den Marquis de Sade zu gleichen Theilen, stoße sie in einem Mörser gut durcheinander, setze sie dann über das Feuer und lasse sie destilliren und man wird den Maulwurf erhalten. Der Titan, der den Pelion auf den Ossa thürmt, Enceladus, dessen Convulsion dem Aetna so furchtbar übel machen, daß er ganze Ströme brennender Lava ausspeit, sind der Maulwurf; das Geschöpf, welches Berg auf Berg häuft, welches fortwährend die Eingeweide des Bodens zerreißt und durch einander wirft und welchen die grüne Fläche der Wiesen durch eine Menge Erderuptionen entstellt, ist der Maulwurf. Der Maulwurf ist der einäugige Cyclop, der unterirdisch arbeitet, sich von warmem lebendigem Fleische nährt und jede Orgie als schal und abgeschmackt betrachtet, wenn nicht dabei Blut in Strömen fließt. Wo fänden wir daher ein Bild des Maulwurfs, wenn nicht in dem gräßlichen häßlichen Cyclopen?


2. Der Hamster, das Murmelthier und die Haselmaus.

Der Haushalt des Hamsters ist das vollkommene Bild der getrennten Wirthschaft und des herzlichen Einverständnisses, welches in der civilisirten Welt zwischen Mann und Frau sehr häufig besteht. Das Männchen und Weibchen vertragen sich anfangs ganz bewundernswürdig, so lange sie gemeinschaftlich das Publikum plündern. Nicht ein einziger Streit entsteht, bis der Augenblick kommt, wo die Beute getheilt werden soll. Das Männchen, welches die Dienste des Weibchens benutzt hat, um seine Vorrathskammer vollzustopfen – gerade so wie der rivilisirte Gatte die Mitgift seines Weibes zur Erweiterung seines Geschäfts verwendet – beginnt sofort mit Einbruch des Winters das Weibchen auf eine sehr knappe Ration zu setzen, worauf er sie unter irgend einem oder dem andern beleidigenden Vorwande aus der gemeinschastlichen Wohnung hinauszutreiben sucht. Madame aber, welche nicht blos ihr Recht kennt, sondern auch das Versteck, in welchem der gesammelte Schatz aufgehäuft liegt, verzichtet nicht so ohne Weiteres auf ihren Antheil. Obschon mit Gewalt zur Thür hinausgeworfen, höhlt sie einen Seitengang aus, auf welchem sie wieder zur Vorrathskammer gelangt, worauf sie dann den alten Geizhals tüchtig bemaust. Dabei aber bleibt sie nicht stehen, sie ruft den Beistand eines Egistheus herbei, mit welchem sie gemeinschaftlich den alten Agamemnon im Schlafe überfällt, erwürgt und aufzehrt, während er in Sicherheit auf seinen aufgehäuften Reichthümern zu schlummern wähnte. Denn es ist das sichere Loos des Hamsters, entweder von seiner Gemahlin oder seinem Geschäftscompagnon zerrissen zu werden, wenn er nicht gescheidt genug ist, die Initiative zu ergreifen.

Das Murmelthier hat den Kaminfeger gelehrt, zwischen zwei Felsenwänden oder in einem Schornsteine hinaufzuklettern. Es hat einen unangenehmen Geruch, welcher mit dem des Rußes viel Aehnlichkeit hat. Es ist das Emblem des armen stumpfsinnigen Gebirgsbewohners, der sich geduldig zu den widerlichsten Arbeiten hergiebt.

Die Haselmäuse sind die Embleme industrieller Schmarotzer, welche dreiviertel ihres Lebens mit Nichtsthun zubringen und sich für ihren Müßiggang dadurch entschädigen, daß sie von der Arbeit Anderer leben. Alle Haselmäuse verheirathen sich erst in spätern Jahren, eben so wie die Igel und andere ehrgeizige Leute, welche warten, bis sie etwas Ordentliches vor sich gebracht haben, um dann einen anständigen Haushalt etabliren zu können.


3. Die Fledermaus.

Der Name Fledermaus ist ein sehr unpassend gewählter, nicht blos im Deutschen, sondern auch in andern Sprachen, wie z. B. in der französischen, wo sie chauve-souris oder kahle Maus heißt und doch ist sie weder eine Maus noch kahl. Die Benennung, welche die Wissenschaft den Fledermäusen gegeben hat, nämlich Cheiropteren oder Handflügler ist auch nicht viel besser gewählt, denn die Fortbewegungsorgane dieser Thiere bestehen weder aus Händen noch aus Flügeln.

Die Fledermaus gehört zu den wenigen Thiergattungen, welche sich des gerade nicht beneidenswerthen Vorrechts erfreuen, auf den ersten Anblick eine tödtliche Antipathie einzuflößen und schwachnervigen Personen Ohnmachten zuzuziehen. Sie theilt diese traurige Eigenschaft mit der Kröte, dem Sinnbild des Bettlers, der Spinne, dem Sinnbild des Ladenkrämers, und der Natter, dem Sinnbild der Treulosigkeit. Und dennoch ist die Fledermaus nicht blos ein unschuldiges, sondern auch ein nützliches Thier. Sie setzt die Dienste fort, welche die Schwalbe leistet und die außerdem durch den Einbruch der Nacht unterbrochen werden würde, indem sie Jagd auf alle nächtlichen Insekten und Ungeziefer macht, welche die Menschen und ihre Obstbäume belästigen.

Die Fledermaus ist eine Chimäre, ein ungeheuerliches, unmögliches Wesen, ein Kobold der Nacht, der die Phantome einer kranken Einbildungskraft und die Ausgeburten eines durch Kasteiungen, Fasten und einsamer Betrachtungen verkalkten Gehirnes repräsentirt. Die Fledermaus ist ein thiergewordener Betrug; ebenso wie Talleyrand eine menschgewordene Lüge war. Der Charakter allgemeiner Anomalie und Ungeheuerlichkeit, den man an der Körperbildung der Fledermaus beobachtet, jene seltsamen Versetzungen der Sinne, welche dem häßlichen Thier die Fähigkeit verleihen, mit der Nase zu hören und mit den Ohren zu sehen, erklären sich durch die Verkehrung der Ideen und durch die intellectuellen Krankheiten, deren Symbol dieses wunderliche Thier ist. Ueberdies gesteht die Fledermaus ihre Mitschuld an dem Werke der Verdummung freimüthig selbst zu. Seit sechzig Jahrhunderten ist sie die treueste Bundesgenossin des Aberglaubens und zwar aus dem einfachen Grunde, weil ihre natürlichen Sympathien mit den Dunkelmännern gehen, weil der Sonnenschein sie blendet und weil sie [77] kein angezündetes Licht sehen kann, ohne den Wunsch zu empfinden, es auszublasen. Natürlich kann man dem armen Thiere diese Sympathien nicht zum Verbrechen anrechnen. Gleich und gleich gesellt sich gern. Die Fledermaus schleppt sich bei Tage nur mühsam von der Stelle, sie fliegt nicht und geht nicht. Natürlich können Soldaten dieser Art nicht in dem Regiment des Fortschritts dienen.

Zur Entschuldigung des systematischen Obscurantismus der Fledermaus wie des Bären, – der ebenfalls kein großer Freund von Licht ist – muß jedoch ein lindernder Umstand von großer Bedeutung hier erwähnt werden. Die Kindheit der Welten war nämlich die Zeit, wo die Fledermäuse herrschten, ebenso wie die Kindheit des Menschengeschlechts die Blüthezeit der Elfen und Kobolde war. Die vorsündfluthliche Geschichte erzählt uns, daß die Fledermaus eins der vollendetsten der damals vorhandenen Thiere war und es scheint, daß in der guten alten Zeit der Schöpfung die Regionen der Luft ausschließlich zwei oder drei gigantischen Fledermäusen angehörten – einer Art Luftschiffen, deren häutige Segel von einer Spitze zur andern zehn bis zwölf Ellen maßen. Diese Muster-Fledermäuse – welche von den Gelehrten Pterodactylen genannt werden, um nicht das Wort Cheiropteren wieder zu gebrauchen, welches aber ganz dasselbe bedeutet – diese Fledermäuse theilten mit dem Bär den Genuß unumschränkter Tyrannei. Ich habe gehört, daß diese gräßlichen Vampyre sich kein Gewissen daraus machten, ein armes Megatherium oder Dinotherium im Schlafe zu überfallen und ihm eine Kleinigkeit von fünfzig Kannen Blut abzuzapfen.