Erst beten!
Aufmerksame Besucher der Museen und Gemäldeausstellungen werden sich, sehen sie einen Trupp stilllächelnder Frauen und Mädchen in der Anschauung eines Kunstwerks versunken, fast niemals täuschen, wenn sie vor der Versammlung ein Meyer’sches oder Meyerheim’sches Genrebild vermuthen. Die künstlerischen Gestaltungen einer zufriedenen und glücklichen Häuslichkeit, eines betenden Kindes, einer lehrenden Großmutter, eines durch Garnwickeln gebändigten Buben, und wie die Sujets noch alle heißen mögen,
[517]welche die beiden obengenannten Künstler auf eine so reizende, namentlich das Mutterherz so sehr ansprechende Weise zur Darstellung brachten, üben auf Alle, welche noch Sinn für das Innige und Anheimelnde des Familienlebens haben, einen ungemein wohlthuenden und erfrischenden Eindruck. Meyer’s und Meyerheim’s Bilder finden sich deshalb auch in schlechten und guten Nachbildungen in vielen tausend deutschen Familienzimmern und sind dort wegen ihrer Treue und Naturwahrheit Lieblinge Aller geworden.
Als Dritter in diesem Bunde ist vor Kurzem der Düsseldorfer Maler Otto Mengelberg mit dem reizenden Bilde „Erst [518] beten!“ aufgetreten. Das Gemälde, von dem wir mit Genehmigung des Herrn Mengelberg eine Nachbildung geben, macht augenblicklich in einer von dem Künstler selbst gefertigten Copie die Rundreise durch die deutschen Ausstellungen und findet überall durch die Innigkeit und Naivetät seiner Auffassung, durch die edle und einfache Composition und durch sein klares Colorit allgemeinen Beifall. Es trägt so durch und durch den Stempel des deutschen Gemüths an sich, daß es schon deshalb in allen Kreisen unseres Vaterlandes sehr ansprechen muß.
Der Künstler versetzt uns in eine einfache ländliche Wohnstube. Eine junge Bauerfrau sitzt mit dem Strickstrumpf in der Hand an dem bereits halb abgedeckten Tische, an dem sie selbst, vielleicht mit ihrem Manne, den die Arbeit wieder in’s Feld gerufen, eben ihre Mahlzeit gehalten hat. Der etwa zweijährige Knabe, jedenfalls kurz vorher aus der Wiege genommen, steht halbangekleidet (sein Kittelchen hängt über der Stuhllehne) auf einem kleinen Stuhle, sein Peitschchen liegt auf dem Tische, und eben ist sein Spielcamerad, das Hündchen mit der Schnur um den Hals, ebenfalls auf den Stuhl gesprungen, den verlangenden Blick auf die Schüssel gerichtet. Das Kind hatte schon zugegriffen; denn an dem Löffel, den es zwischen den nun gefalteten Händchen hält, ist etwas vom Milchbrei hängen geblieben. Aber die Mutter hat dem weiteren Schnabeliren des Söhnleins, mit der Hand das Tellerchen bedeckend und mit der freundlichen Warnung „Erst beten!“ einstweilen ein Ziel gesetzt, und so schaut denn der kleine Blondhaarige mit den hellen glänzenden Augen halb schelmisch, halb fromm verschämt zur Mutter hin, um sein Gebetlein, vielleicht das zur Situation passende „Laß, o Jesu, bei dem Essen uns doch Deiner nicht vergessen“, zu lallen.
Ob und wie weit die Gedanken des Kindes bei dem Gebet sind, und ob die Süßigkeiten des zu erwartenden Milchbreis für diesen Augenblick nicht alle gottesfürchtigen Gefühle in den Hintergrund drängen – das mögen die Leser der Gartenlaube aus dem Gesichte des Kleinen entziffern, dessen Bausbacken einen sehr gesunden Appetit und einen durch Nichts gestörten Stoffwechsel andeuten. Je länger man das Bild anschaut, je mehr tritt die Innigkeit des Gefühls und die Wahrheit, mit der es gemalt, glänzend hervor.
Mengelberg’s (geb. 1817 in Düsseldorf) Kunstrichtung war bisher eine streng biblisch-religiöse. Seine Gemälde aus dem neuen Testament sind gläubig erdacht und tief empfunden, die Darstellung ist edel und würdig, und selbst die strengste Kritik ist darüber einig, daß seine Bilder erhebend auf die Seele des Beschauers wirken. Die bedeutendsten darunter sind: „Der Tod Mosis“ für den rhein.-westph. Kunstverein; „Judith“ für denselben; eine Wiederholung desselben für den König von Hannover; nach derselben ist eine Lithographie als Vereinsblatt des hannöv. Kunstvereins erschienen; „der Erzengel Michael den Satan stürzend“, großes Bild für die Apostelkirche in Köln; „Kaiser Heinrich IV.“, ganze Figur in Lebensgröße für den Römer in Frankfurt a. M.; „Lorelei“, im Besitze Sr. Majestät des Königs von Preußen; „Ecce homo“ für den kölnischen Kunstverein; „der verlorne Sohn“, großes Bild für den rhein.-westphäl. Kunstverein; „die Buße Petri“ für den kölnischen Kunstverein; „Ecce homo“ für den König von Preußen, befindet sich in der H. Geistkirche zu Frankfurt a. d. O. Die Skizze dazu war an den „Verein der Kunstfreunde im preußischen Staate“ (Berliner Kunstverein) verkauft. Der König gewann dieselbe bei der Verloosung und bestellte darauf das lebensgroße Bild. Ferner „Melanchthon“, gemalt als Geschenk für den alten Pfarr-Jubilar Heilmann in Crefeld auf Bestellung der Gemeinde. Lessing sollte es malen, da er jedoch keine Zeit hatte, so empfahl er Mengelberg dazu. Dann „Christus in Gethsemane“, kleines Bild für den Kunstverein in Christiania, später als Folge gewonnener Concurrenz in anderer Weise lebensgroß ausgeführt für die Kirche zu Hirschberg in Schlesien. Sein neuestes Bild ist unser heutiges: „Erst beten!“
Mit einem schönen Talente als Künstler verbindet Mengelberg eine tüchtige wissenschaftliche Bildung und ein ganz besonderes Talent zur Heranbildung von Schülern. Sein richtiges schnelles Urtheil, die Gabe, dasselbe wohl und überzeugend zu begründen und die feinsten Nüancirungen der Gedanken und Empfindungen in Worten wiederzugeben, sowie das Talent, sich in alle möglichen Charaktere und ihre Bildungsstufen hineinzufinden, um daran anknüpfend seine Wirksamkeit als Lehrer zu fördern, machen ihn dazu vorzüglich geeignet. Mengelberg übt durch alle diese Eigenschaften einen bedeutenden anregenden Einfluß auf einen großen Theil der Düsseldorfer Künstlerschaft.
Für Freunde eines guten Zimmerschmuckes haben wir schließlich noch zu bemerken, daß unser heutiges Genrebild „Erst beten!“ auch in einer vortrefflichen Lithographie (à 1½ Thaler) existirt, die durch die Gestewitz’sche Kunsthandlung in Düsseldorf zu beziehen ist.