Erinnerungen aus meinem Leben/Zurück in die Heimat

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aus: Erinnerungen aus meinem Leben
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von: Willibrord Benzler
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Zurück in die Heimat
(1887–1892)

Am 4. Juli 1887 trat ich in Begleitung eines Mitbruders die Reise nach Beuron an. In Salzburg fanden wir liebevolle Aufnahme bei den Mitbrüdern von St. Peter, der ältesten Benediktinerabtei diesseits der Alpen (gegründet im 7. Jahrhundert vom heiligen Rupert). Wir konnten flüchtig die herrlich gelegene Stadt besehen und auf dem Friedhofe des Klosters die Höhlen besuchen, in denen die ersten Christen sich zur Feier des heiligen Opfers versammelt haben sollen[1]. Dann fuhren wir weiter über München dem lieben Schwabenlande zu.

Wie ging uns das Herz auf, als wir im Donautale die prächtigen Buchenwälder wiedersahen, deren Anblick uns in den Alpenländern so lange verwehrt geblieben war.

In Beuron herrschte noch Karfreitagsstille. Aber welche Freude, das liebe Kloster wieder betreten zu können! Im Kreuzgang schauten die trauten Bilder auf uns hernieder; die Kirche prangte im farbigen Festgewande, mit dem wir sie kurz vor der Aufhebung bekleidet hatten. Im Garten ragte wie ehedem hoch das Kreuz empor »Lignum vitæ in medio paradisi« (Das Holz des Lebens inmitten des Paradieses). Dort aus dem Gebüsch lugte die bekannte Steintafel mit dem Memento mori hervor; an der Wand im schönen Freskobilde grub der Mönch und Königssohn Radchis mit unermüdlichem Eifer. Alles wie in alten Tagen! Und die herrliche Natur, wie grüßte sie die Wiederkehrenden so freundlich, die junge Donau mit der alten, ehrwürdigen Holzbrücke, die grünen Wälder und die trotzigen Felsen, die so treu Wacht halten und hoch das Zeichen der Erlösung tragen! Wir waren wieder daheim! Wer hätte es gedacht, daß die stille Hoffnung auf Heimkehr sich schon so bald verwirklichen würde! Dem Herrn sei Dank für seine gütige Fügung!

Am 21. August fand die feierliche Wiedereröffnung des Klosters statt. Es war ein Fest- und Freudentag für die klösterliche Familie [63] und für das gute katholische Volk, das die Wege nach Beuron nie ganz vergessen hatte und nun in Scharen zur Feier herbeigeeilt war. Der Herr Erzabt sang das Pontifikalamt, dem die drei Äbte der Kongregation anwohnten. Die Festpredigt hielt Abt Benedikt von Emaus, der auf Erzabt Maurus die Worte des Patriarchen Jakob anwandte: »Mit einem Stabe überschritt ich seiner Zeit flüchtig diesen Jordan; nun komme ich zurück mit vervielfachten großen Herden! Dank Dir, Gott unserer Väter!« (1 Mos. 32, 10).

Nun lebte Beuron wieder. Es war dasselbe Leben wie vor zwölf Jahren, vor der Aufhebung, kaum weniger kräftig und jugendfrisch. Das Noviziat bevölkerte sich rasch; die theologischen Studien nahmen ihren Fortgang; in der Seelsorge mußte tüchtig gearbeitet werden. Nicht nur in der Klosterkirche waren wir tätig; die Pfarrer verlangten Aushilfe, und auch die damals einsetzende frische Missionstätigkeit forderte unsere Mitarbeit. Ich nahm an den Missionen teil, die um jene Zeit in Köln (Groß St. Martin) und in Düsseldorf (Maxkirche) abgehalten wurden, und hatte so Gelegenheit, diesen Zweig der Seelsorge praktisch kennen zu lernen und die Opfer zu werten, die er auferlegt. Nach einer dieser Missionen durfte ich die Rückreise über Westfalen machen. So sah ich nach fünfzehn Jahren zum ersten Male die Heimat wieder, zur großen Freude meiner Angehörigen.

In Beuron hatte ich auch meinen verehrten früheren Novizenmeister, P. Hildebrand de Hemptinne, wiedergefunden. Er war Prior in der Abtei Maredsous und im Kloster zu Erdington bei Birmingham gewesen. Erzabt Maurus hatte ihn zu seinem Sekretär erwählt; als solcher verlebte er in Beuron drei friedliche Jahre, die ihn auf sein späteres gesegnetes Wirken zum Wohle des gesamten Ordens vorbereiteten. Seine Liebe zu mir war die alte geblieben, so daß der Verkehr mit ihm für mich ebenso angenehm als lehrreich war.

Er leitete damals die Kunstschule, die in jener Zeit die Stationen des heiligen Kreuzwegs in der Marienkirche zu Stuttgart [64] schuf. Unter diesen Darstellungen des Leidens Christi sind wahre Meisterwerke christlicher Kunst von seltener Innigkeit und Tiefe, in klassischer Form. Als Bischof von Reiser (Rottenburg) gelegentlich eines Besuches in Beuron den Karton zur ersten Station sah, war er davon ganz entzückt und ermunterte die Künstler, so in ihrer Arbeit fortzufahren. In der Tat eine ergreifend schöne Szene! Wie glücklich hat der Künstler die lokalen Schwierigkeiten gelöst und seiner Aufgabe dienstbar gemacht! Im ersten Felde erblicken wir den heidnischen Richter, wie er die Hände wäscht zum Zeichen der Unschuld, während die Hohenpriester mit heftiger Handbewegung ihr »crucifige« rufen. Im zweiten Felde sehen wir inmitten der Häscher das Lamm Gottes, ein Bild der Sanftmut und willigsten Ergebung in den Beschluß des Ewigen Vaters: »Er ist geopfert worden, weil er selber wollte«, sagt die bezeichnende Überschrift. In dem beide Felder trennenden Tür-Tympanon führt uns der Künstler die Szene der Verspottung vor Augen, auf der einen Seite des Heilandes ein höhnender Henkersknecht, auf der anderen ein anbetender Engel.

Auch die letzte Station, die mit den gleichen räumlichen Verhältnissen zu rechnen hatte, ist einzig schön. Im mittleren Bogenfelde ruht der heilige Leichnam, von zwei Engeln, mit brennenden Lampen in den Händen, behütet. Im linken Felde die ergreifende Szene: Maria, von Johannes und zwei Frauen geleitet, verläßt das heilige Grab; rechts sitzen zwei andere Frauen in stummem Schmerze, während über ihnen der Auferstehungsengel das Kreuzeszeichen hochhält, aus dem die Strahlen der Verklärung hervorbrechen. »Sein Grab wird glorreich sein!« ruft uns die Aufschrift zu.

Es ist zu bedauern, daß infolge Erkrankung des leitenden Meisters, P. Gabriel Wüger, den Schülern bei der Ausführung mehr Freiheit gelassen werden mußte, als erwünscht gewesen wäre.

Auch für die älteren Schöpfungen der Künstler in der Kirche und im Kloster zu Beuron hatte ich jetzt tieferes Verständnis, als vor zwölf Jahren; mehr und mehr erschlossen sich mir ihre [65] edle Schönheit und ihr geistiger Gehalt. Welch herrliche Darstellung z. B. die der Krönung Mariä auf dem Hochaltare! Kann man sich etwas Schlichteres und Einfacheres und zugleich etwas Erhabeneres, Hoheitsvolleres denken, als diese Gestalten des Heilandes und seiner gebenedeiten Mutter? Welche Demut zeigt sich in dem leicht geneigten Antlitze Mariens, welch gütige Majestät leuchtet aus den Zügen des Erlösers, der seiner heiligen Mutter das goldene Diadem aufs Haupt setzt! Welche Anmut, welch klassische Schönheit entzückt uns in dem Faltenwurf der schneeweißen, goldverbrämten Gewänder!

Im Kreuzgang sind Begebenheiten aus dem Leben des heiligen Benedikt dargestellt, nur in den Konturen und mit ganz wenig Farbentönen. Aber welch ein Leben spricht aus diesen formvollendeten Bildern! Das Refektorium[2] schmücken in sinniger Weise zwei überaus schöne Freskogemälde zu beiden Seiten des Kreuzes: Engel bedienen den Herrn nach vierzigtägigem Fasten und die Jünger von Emaus erkennen den Meister am Brotbrechen; es sind wahre Meisterwerke von tiefer Auffassung und edelster Form.

Das Juwel der ersten Beuroner Kunstepoche ist ohne Zweifel die etwa dreiviertel Stunden talabwärts vom Kloster gelegene St. Maurus-Kapelle[3]. Der Weg dorthin, der rauschenden Donau entlang, an den ragenden Bergwänden vorbei, unter schattigen Bäumen ist einer der schönsten, die ich kenne.

Die Kapelle steht an der Berghalde, zur Seite eines dem Kloster gehörigen, idyllisch gelegenen Meierhofes. Sie ist ein Ex-voto der Fürstin Katharina von Hohenzollern, Beurons Stifterin, die in schwerer Krankheit durch den heiligen Maurussegen Genesung gefunden hatte.

Der Bau ist so einfach als möglich. Auf rechteckigem Grundriß erheben sich die Mauern fast ohne Gliederung, dazu bestimmt, der Malerei Raum zu gewähren. Das anspruchslose Satteldach [66] zeigt den offenen Dachstuhl und trägt vorn auf der Spitze eine in Bronze gegossene, klassisch schöne Engelsfigur, hinten ein offenes Glockentürmchen.

Außen zieht sich unter dem Dachgesimse ein Fries von Freskobildern hin, St. Benedikt mit seinen beiden Lieblingsschülern, den heiligen Maurus und Placidus, darstellend. Sie gehören zu dem Besten, was die Kunstschule geleistet hat; man wird nicht müde, diese Gestalten von Anmut, diese Szenen voll Leben zu betrachten.

Auf breiter Doppeltreppe steigt man zur lichten Vorhalle empor, aus der uns das hoheitsvolle Bild der Madonna mit dem königlichen Gotteskinde entgegenleuchtet. Welche Majestät und Güte zugleich! Welch zarte, klassisch schöne Linienführung! Es scheint undenk­bar, daß ein aufmerksamer Beschauer von solcher, fast überirdischer Schönheit nicht ergriffen werde.

Im Innern umfängt uns sogleich weihevolle Stimmung: aus der weiten Wandfläche tritt uns die große Opferszene auf Kalvaria in wunderbarer Erhabenheit entgegen. Der weißschimmernde, jungfräuliche Leib des Herrn ist von hoher Schönheit. Wir schauen aber nicht den Mann der Schmerzen, sondern den in majestätischer Ruhe über Sünde und Tod triumphierenden Erlöser. Nur das gesenkte, dornengekrönte Haupt und der breite, aus der Seitenwunde fließende Blutstrom weisen hin auf den schmerzvollen Opfertod. Unter dem Kreuze stehen Maria und Johannes, in Leid versunken. Das Antlitz der Gottesmutter ist überaus schön; es trägt den Ausdruck eines zurückgehaltenen, die Tiefen der Seele erfassenden Schmerzes. St. Joseph, St. Johannes der Täufer, die heiligen Katharina und Cäcilia laden den Beschauer ein, die Liebe zu bewundern, die sich für uns dahingibt. Über das Ganze ist der Zauber einer wunderbaren Farbenharmonie ausgegossen, die die Schönheit der Komposition vollkommen zur Geltung kommen läßt. Mächtig ist die Wirkung des Bildes; der Besucher steht wie gebannt vor ihm; schweigend verläßt er das Heiligtum. Draußen umfängt ihn die hehre Waldeinsamkeit; hoch oben auf steilem Felsen grüßt die alte Burg Wildenstein.

[67] Im Jahre 1888 ging das fünfte Lustrum seit der Gründung Beurons zu Ende. Das Jubelfest wurde mit allem Glanze gefeiert. Fünfundzwanzig Jahre sind in der Geschichte eine kurze Spanne Zeit. Aber für eine entstehende Ordensgenossenschaft bedeuten sie das Werden und Wachsen, das Sich-Festigen und Sich-Ausgestalten, das Legen der Fundamente für die ganze spätere Entwicklung. Wir hatten alle Ursache, Gott aus Herzensgrund zu danken für den reichen Segen, den er uns gespendet hatte. Das kleine Reis, das in Beurons Boden gesenkt worden, war gewachsen und zum Baume gediehen, der seine Zweige nach Belgien, England, Böhmen und Steiermark ausbreitete. Die vom apostolischen Stuhle approbierten Konstitutionen waren für alle Klöster der Kongregation Norm und Richtschnur. Das monastische Leben stand überall in schöner Blüte.

In der Abtei Maredsous wurde das Jubiläum durch die feierliche Einweihung der herrlichen Abteikirche gefeiert. Kardinal Schiaffino (+ 23. September 1889), selber ein Sohn des heiligen Vaters Benedikt, vollzog die Weihe am 19. August. Auf der Rückreise nach Rom besuchte der Kardinal Beuron und verweilte einige Tage bei uns.

Das Jahr 1890 sollte Beuron und der ganzen Kongregation einen schmerzlichen Verlust bringen; es sollte das Todesjahr ihres ersten Erzabtes und Gründers werden.

Zu Ostern hatte Erzabt Maurus sein großes Psalmenwerk »Psallite sapienter« vollendet; es war das für ihn eine große Freude und Genugtuung. Er unternahm dann die gewohnte Visitationsreise nach Emaus und Seckau und begann, nach Beuron zurückgekehrt, die Arbeiten des dritten Generalkapitels. Während desselben erkrankte er und starb, wenige Tage später, am 8. Juli 1890. Sämtliche Äbte der Kongregation waren mit der Klosterfamilie um das Sterbebett geschart und empfingen den letzten Segen des scheidenden Vaters.

Es war ergreifend, als nach eingetretenem Tode Abt Plazidus sich erhob und mit fester Stimme sprach: »Meine Brüder, hier an der Leiche unseres teuersten Vater Erzabtes, des Vaters von uns allen, [68] des Gründers unserer teuren Kongregation, versprechen wir ihm, seiner alle Tage unseres Lebens zu gedenken, versprechen wir ihm vor allem, seiner Worte, seiner Lehre eingedenk zu sein, seinen heiligen Grundsätzen, die das Fundament unserer Kongregation sind, treu zu bleiben, das, was er geschaffen hat, zu erhalten in seinem Geiste.«

Der Schmerz über den Verlust eines solchen Vaters war groß; er wurde gelindert durch die allgemeine Teilnahme, die uns bewiesen, und durch die vielen Zeichen der Hochschätzung, die dem Verstorbenen gegeben wurden. Mir als Prior kamen die Kundgebungen, die von auswärts eintrafen, zuerst zu. Ich staunte, und immer größer wurde die Gestalt des seligen Erzabtes vor meinem Geistesauge, je zahlreicher die Schreiben waren, die von nah und fern und aus den höchsten Kreisen kamen, Schreiben, in denen aufrichtigste Hochschätzung, ja wahre Bewunderung für den Heimgegangenen zum Ausdruck kamen. Fürst Leopold von Sigmaringen, Beurons edler Schirmherr, wollte persönlich dem Begräbnis beiwohnen. Im Mittelschiffe der Kirche, vor dem Chore, fand Erzabt Maurus seine letzte Ruhestätte; eine einfache Bronzeplatte deckt sein Grab.

Erzabt Maurus war ein außergewöhnlicher Mann, ein Werkzeug der göttlichen Vorsehung. Im Jahre 1825 zu Bonn geboren, wurde er nach glänzend beendigten Studien im Jahre 1850 von Kardinal von Geissel zum Priester geweiht. Seine Wirksamkeit als Lehrer am Progymnasium zu Jülich und als Rektor an der Domschule zu Aachen war eine sehr gesegnete. Viele Jahre nach seinem Tode erzählte mir ein Herr aus Aachen, der sein Schüler gewesen war, von der nachhaltigen Einwirkung seines Unterrichtes. Auch in der Seelsorge war er erfolgreich tätig. Aber er verzichtete auf die Aussichten, die das Wirken in der Welt ihm bieten konnte, folgte seinem jüngeren Bruder Ernst, P. Plazidus, und trat im Jahre 1856 in die Abtei St. Paul zu Rom in den Orden des heiligen Benedikt. Die Opfer und Mühen, die dieser, menschlich gesprochen, unver­ständliche Schritt ihm auferlegte, waren groß und zahlreich, aber sie waren nötig, um ihn auf seine spätere Mission vorzubereiten.

[69] Nach einer Wallfahrt ins heilige Land, welche die beiden Brüder Maurus und Plazidus als Begleiter der verwitweten Fürstin Katharina von Hohenzollern im Jahre 1860 unternahmen, erteilte ihnen noch im selben Jahre, am Feste des heiligen Erzengels Michael, Plus IX. die Sendung, den Benediktinerorden in ihrem Vaterlande wiederherzustellen. »Gehet dorthin, wo ihr viele Novizen findet«, hatte der Papst ihnen gesagt.

Nach drei Jahren voller Mühen und mannigfacher Enttäuschungen, nach einem vergeblichen Versuch in Materborn bei Cleve fanden die Brüder ein Heim im ehemaligen Kloster Beuron, das die Fürstin Katharina für sie erwarb. Damit hatte P. Maurus die eigentliche Stätte seiner Wirksamkeit erreicht. Die Neugründung erblühte hoffnungsvoll; schon im Jahre 1868 wurde Beuron zur Abtei erhoben und P. Maurus zu Rom von Kardinal von Reisach zum Abte benediziert. Den weiteren Verlauf seines Lebens und seines Wirkens haben wir bereits kennen gelernt.

Erzabt Maurus war eine hochbegabte, edel veranlagte Natur. Mit der ganzen Kraft und Innigkeit seines Geistes erfaßte er das monastische Ideal und erstrebte dessen Verwirklichung. Er verfügte über eine feine, allseitige Bildung. Die deutsche Sprache handhabte er mit Meisterschaft. Er schrieb ein klassisches Latein und sprach geläufig französisch, italienisch und englisch. Er besaß ein hervorragendes Rednertalent; die Ansprachen, die er bei besonderen Anlässen hielt, waren geist- und gehaltvoll, tief empfunden, voll Poesie und formvollendet.

Der heiligen Kirche und ihrem Oberhaupte war er in Liebe und Treue ergeben. Er suchte auch den Wünschen des apostolischen Stuhles zu entsprechen. Als es z. B. schien, daß die Römische Behörde die in der Kongregation eingeführte Ausgabe des Graduale von Dom Pothier nicht billige, schaffte er sie wieder ab.

Er war ein begeisterter Verehrer und Bewunderer des heiligen Vaters Benedikt und seiner Regel. Seine Kongregation immer mehr mit dem Geiste derselben zu durchdringen, war seine Lebensaufgabe. [70] Aber auch für die Interessen des ganzen Ordens hatte er ein warmes Herz; er ersehnte einen engeren Zusammenschluß der verschiedenen Kongregationen, lange bevor Leo XIII. diesen Wunsch verwirklichte.

Seinen Söhnen war er ein liebevoller Vater; jederzeit stand er ihnen zu Diensten. Mochte er auch noch so oft in der Arbeit gestört werden, stets legte er mit derselben Ruhe die Feder beiseite und empfing jeden gleich freundlich. Von seinen Söhnen hinwieder war er geliebt und hoch verehrt.

Die Kunst fand in Erzabt Maurus einen verständnisvollen Freund und Gönner. Er erkannte ihre hohe Bedeutung für das liturgisch-monastische Leben, und wenn die sogenannte Beuroner Kunstschule ins Leben treten und eine so reiche Tätigkeit entfalten konnte, so verdankt sie das seiner einsichtsvollen Förderung.

Auf wissenschaftlichem Gebiete war er unablässig tätig. Er pflegte allerdings die Wissenschaft nicht um ihrer selbst willen; auch sie sollte seiner Lebensaufgabe, der geistigen Ausbildung seiner Kongregation, dienen. Diesen Zweck verfolgte er in erster Linie bei der Abfassung seines großen Psalmenwerkes »Psallite sapienter«, das besonders eine reiche liturgisch-mystische Erklärung bietet. Außer den bereits erwähnten »Elementa vitæ monasticæ« verdient hier das schöne »Gertrudenbuch«[4] genannt zu werden, das die Exerzitien der heiligen Gertrud in vollendeter deutscher Übersetzung wiedergibt.

Seine Frömmigkeit war aufrichtig und tief. Nichts war erbaulicher, als ihn am Altare die heiligen Geheimnisse feiern zu sehen. Im Chore stimmte er mit Begeisterung in das Lob Gottes ein. Ein starker Glaube und ein unerschütterliches Gottvertrauen beseelten ihn. Menschlich gesprochen war eine Niederlassung in dem damals drei oder vier Stunden vom Bahnverkehr entfernten Beuron ein un­verständliches Wagnis. Er unternahm es im Geiste des Glaubens [71] und sah sich nicht getäuscht. Alle die Prüfungen des Kulturkampfes ertrug er mit voller Ergebung; sie sollten nur zur Förderung seines großen Werkes beitragen.

Erzabt Maurus war eine lebhafte Natur; aber niemals habe ich ihn aufgeregt gesehen. Mit großer Geduld ertrug er die Schmerzen seiner letzten Krankheit. Er betete fortwährend und verschied fast unmittelbar nach dem Empfang der heiligen Kommunion. Noch jetzt steht Erzabt Maurus in bestem Andenken bei allen, die ihn gekannt haben; möge sein Geist in seiner Kongregation stets lebendig sein.[5]

Aus der alsbald vorgenommenen Neuwahl ging der bisherige Abt von Maredsous, Plazidus Wolter, hervor. Derselbe, nur drei Jahre jünger als sein Bruder, Erzabt Maurus, war seit der Grün­dung Beurons dessen rechte Hand gewesen. Unter seiner Regierung sollte die Kongregation einen mächtigen Aufschwung nehmen.

Die nächste, dem neuen Erzabte obliegende Aufgabe war es, der durch seine Wahl verwaisten Abtei Maredsous einen neuen Vater zu geben, d. h. bei der Abtswahl daselbst den Vorsitz zu führen. Die Stimmen der Kapitulare vereinigten sich auf den Sekretär des Erzabtes Maurus, P. Hildebrand de Hemptinne. Vergebens machte der Erwählte seine geschwächte Gesundheit geltend, die unter der Last eines solchen Amtes schon nach einigen Monaten erliegen müsse. Seine Vorstellungen fanden kein Gehör, er mußte die Wahl im Gehorsam annehmen. Nun erinnerte er sich eines Wortes, das einst der selige Erzabt Maurus zu ihm gesprochen hatte, er werde auf Monte Cassino Genesung finden. So pilgerte er zum heiligen Berge und empfing daselbst aus der Hand des Kardinals Sanfelice, Erzbischofs von Neapel, der auch ein Sohn St. Benedikts war († am 3. Januar 1897), die feierliche Abtsweihe. Aber auch in seiner Hoffnung auf Genesung sollte er nicht getäuscht werden; der heilige Vater Benedikt erhörte das innige Gebet des neuen Abtes [72] und erlangte ihm eine solche Kräftigung seiner Gesundheit, daß er in den folgenden zwanzig Jahren seines Lebens eine fast übermenschliche Arbeitslast bewältigen konnte.

Im folgenden Frühjahr (1891) wurde in der Abtei Emaus das Generalkapitel fortgesetzt, das durch den Tod des Erzabtes Maurus unterbrochen worden war. Ich durfte den Herrn Erzabt dorthin begleiten. Während unseres Aufenthaltes in der böhmischen Hauptstadt hatte ich die Freude, an der Einweihung der Kirche des Frauenklosters St. Gabriel teilzunehmen.

St. Gabriel ist eine Stiftung der am 18. Februar 1884 verstorbenen Gräfin Gabriele Sweerts-Spork, einer edlen Dame, deren Andenken in Prag bei arm und reich im Segen ist. Besonders ergreifend war für mich, die bald nachher stattfindende Profeß und Jungfrauenweihe, die erste Feier dieser Art, der ich beiwohnte. Will man die ganze Bedeutung kennen lernen, die die heilige Kirche der gott­geweihten Jungfrauschaft beilegt, so gibt es kein besseres Mittel, als den erhabenen Gebeten und Zeremonien einer solchen Feier zu folgen. Noch heute klingt mir die ergreifende Melodie der Antiphon in der Seele nach: »Et nunc sequor ex toto corde, timeo te et quæro faciem tuam videre; Domine, ne confundas me!« (Und nun folge ich dir von ganzem Herzen, ich habe Ehrfurcht vor dir und verlange, dein Antlitz zu schauen. O Herr, laß mich nicht zu schanden werden).

Von Prag führte uns die Reise zunächst nach Wien; hier waren wir Gäste des Fürsterzbischofs Gruscha. Bei Gelegenheit eines Festmahles, an dem wir teilnahmen, sah ich den damaligen Nuntius Galimberti und sprach mit ihm. In Seckau war seit meinem Weggange fleißig gearbeitet worden. Die Türme der Kirche waren neu erstanden und grüßten freundlich in die Lande. Man fühlte, daß frisches Leben in die alten Klosterräume eingezogen war.

Auf der Rückreise besuchten wir das Benediktinerinnen-Kloster Frauenwörth im Chiemsee. Dieses ehrwürdige Gotteshaus ist eine Stiftung des Herzogs Tassilo III. von Bayern und hatte die selige Irmengard, eine Tochter Ludwigs des Deutschen zur ersten [73] Abtissin; ihr Grab befindet sich noch jetzt in der Klosterkirche. lm Jahre 1803 war auch Frauenwörth der Säkularisation zum Opfer gefallen, wurde aber 1837 von König Ludwig l. als Priorat wiederhergestellt. Endlich ward im Jahre 1901 dem Kloster auch der Abteititel zurückgegeben.

Einzig schön ist die Lage dieses lieblichen Inselklosters in dem größten der bayrischen Seen. Ich werde das Schauspiel nie vergessen, das die Natur uns hier darbot. Es war gegen Abend; wir machten eine Nachenfahrt um die Insel. Da, nach Sonnenuntergang, erglühte der Himmel in feurigem Rot und entzündete im Widerschein auch den See bis in seine tiefsten Tiefen, während auf der anderen Seite die mächtigen Alpenkolosse ihre Häupter emporreckten; vor uns das stille Inselchen mit dem alten Turme der Klosterkirche.

Was ehedem niemand für möglich gehalten hätte, das sollte nunmehr zur Wirklichkeit werden. Der Bau einer Eisenbahn von Tuttlingen (Württemberg) nach Sigmaringen wurde in Angriff genommen. Beuron, obwohl nur aus einigen Häusern bestehend, erhielt eine Station, die sich bald als die wichtigste für den Personenverkehr auf dieser Strecke erwies. Bei der feierlichen Eröffnung der neuen Bahnlinie durch den württembergischen Ministerpräsidenten Freiherrn von Mittnacht nahm Erzabt Plazidus mit Erlaubnis der Behörde am Bahnhofe Beuron die Einweihung vor und beteiligte sich sodann mit den übrigen geladenen Herren an der Probefahrt.

So war Beuron aus seiner bisherigen Abgeschlossenheit herausgetreten. Sollte man sich darüber freuen oder es bedauern? Gewiß brachte die Bahn in wirtschaftlicher Hinsicht viele Vorteile, und auch den Pilgern wurde durch sie der Besuch der Gnadenstätte sehr erleichtert, eine Vergünstigung, von der in reichem Maße Gebrauch gemacht wurde. Aber andererseits ging die stille Abgeschiedenheit, die wohltuende Einsamkeit zum großen Teile verloren, ein Verlust, der für das monastische Leben sich manchmal in unliebsamer Weise fühlbar machte. Doch es hieß, sich in die neuen Verhältnisse fügen und dieselben dem Guten möglichst dienstbar machen.

[74] Die Wirksamkeit des zweiten Erzabtes war reich gesegnet. Unter seiner Regierung wurde die von ihm als Abt von Maredsous bereits in die Wege geleitete Gründung der Abtei Mont-César in Löwen und des Frauenklosters St. Scholastika zu Maredret bei Maredsous ins Werk gesetzt. Er selber stellte die Abtei Maria-Laach wieder her, gründete das dritte Frauenkloster der Kongregation St. Hildegard zu Eibingen, die Abtei St. Josef bei Coesfeld und endlich eine kleine Niederlassung zu Kempen am Rhein.

Die Beuroner Klosterfamilie war inzwischen immer mehr gewachsen. Trotz eines bedeutenden, noch unter Erzabt Maurus aufgeführten Neubaus machte sich ein fühlbarer Platzmangel geltend. Es mußte ernstlich an eine Neugründung gedacht werden. Doch die Aussichten waren ungünstig; etwas Passendes wollte sich nicht bieten.

Da erinnerte ich den Erzabt daran, daß wir seiner Zeit in Volders jahrelang jeden Mittwoch zu Ehren des heiligen Josef ein Votiv­amt abgehalten hatten und so in den Besitz von Emaus gekommen waren. Der Vorschlag, jetzt ein gleiches zu tun, wurde angenommen und sogleich ausgeführt. Kaum zweimal mochten wir die Votivmesse zu Ehren des heiligen Nährvaters Christi gefeiert haben, als wir unser Gebet auch schon erhört sahen: es bot sich uns die Möglichkeit, die ehemalige Benediktinerabtei Maria-Laach zu erwerben.

Hocherfreut über diese Fügung der göttlichen Vorsehung beauftragte der Erzabt den Abt Hildebrand, der gerade in Beuron weilte, nach Maria-Laach zu gehen und daselbst die Verhandlungen einzuleiten. Ich begleitete den Herrn Abt und sah so am 15. Juli 1892 zum ersten Male das liebliche Kloster am See, das bald die Stätte meiner Wirksamkeit werden sollte. Die Verhandlungen nahmen einen befriedigenden Verlauf, und es erübrigte nur, die Erlaubnis zur Benützung der dem Staate gehörigen ehemaligen Abteikirche zu erwirken. Zu diesem Zwecke wandte sich Erzabt Plazidus persönlich an den Kaiser, der ihn in Audienz empfing und seine Bitte huldvollst gewährte. Damit war die Gründung in Maria-Laach gesichert.


  1. Vergl. hierüber Benediktinische Monatschrift 4 (1922) S. 199–213.
  2. Das frühere Refektorium.
  3. B. Wolff, St. Maurus und sein Heiligtum im Donautal (1871).
  4. 7. Aufl. 1907. 9. Aufl. unter dem Titel »Die geistlichen Übungen der heiligen Gertrud d. Gr.« herausgegeben von P. Hildebrand Bihlmeyer. Im gleichen Jahr 1863 erschien eine französische Übersetzung (von Abt Guéranger), eine englische (vom Oratorianer Pope) und eine deutsche (von Abt Maurus Wolter).
  5. Biographie über ihn von A. Schott (1891). G. v. Caloen, D. Maur Wolter (Bruges 1891).