Erinnerungen aus meinem Leben/Bei Unserer Lieben Frau von Laach

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aus: Erinnerungen aus meinem Leben
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von: Willibrord Benzler
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Bei Unserer Lieben Frau von Laach
(1892–1901)

Am 23. November 1892 sollte der größere Teil der für die Neugründung bestimmten Kommunität Beuron verlassen. Ich war zum Prior derselben ernannt worden. Erzabt Plazidus begleitete uns selber zum Bahnhof und nahm in sichtlicher Ergriffenheit von uns Abschied. So hieß es denn zum zweiten Male vom lieben Beuron scheiden. Diesmal ging es allerdings nicht in die Verbannung, sondern es galt, einen Herd des Gotteslobes wieder zu entzünden, ein ehrwürdiges Gotteshaus unseres heiligen Ordens zu neuem Leben zu erwecken. Der Segen des geistlichen Vaters, der uns begleitete, war uns Unterpfand des göttlichen Segens.

Nach einer Tages- und Nachtfahrt langten wir in aller Frühe des folgenden Tages in der neuen Heimat an. Am Feste der heiligen Katharina, dem Namensfeste der Stifterin Beurons, wurde mit dem Hochamte in der ehemaligen Hauskapelle der Patres Jesuiten das liturgische und monastische Leben begonnen. Die Kirche stand uns noch nicht zur Verfügung, da die offizielle Erlaubnis zu ihrer Benützung noch nicht eingetroffen war. Erst zu Ostern konnten wir in die Kirche einziehen. Der jubelnde Invitatorialgesang: »Surrexit Dominus vere, alleluja« (Der Herr ist wahrhaft auferstanden, Alleluja) nahm nach neunzig Jahren des Schweigens das feierliche Chorgebet wieder auf; die ehrwürdige alte Abteikirche war gleichsam mit Christus zu neuem Leben erwacht.

Der heilige Joseph hatte unser Gebet um eine neue klösterliche Heimstätte wirklich glänzend erhört. Ein schöneres Plätzchen als Maria-Laach[1] hätten wir uns nicht wünschen können. Hier hatten die alten Mönche eine Ausnahme gemacht von der bekannten Regel: »Benedictus montes amabat« (Benedikt liebte die Berge); aber sie [76] hatten, wie immer, eine vortreffliche Wahl getroffen. Die Lage der Abtei am schönen Laacher See, dort wo die Berge ein wenig zur Seite treten, um das Kloster in ihre Mitte zu nehmen, ist einzig schön. Die prächtigen Wälder, mit zum Teil hundertjährigen Stämmen, die lachenden Fluren, die sich am See hinziehen, der liebliche Hügelkranz, der das ganze Bild umrahmt, zaubern ein Idyll hervor, wie es kaum ein zweites gibt.

Die Kirche ist bekannt als ein Juwel der romanischen Baukunst. Welche Poesie in den ragenden Türmen, welch reiche Abwechslung und doch welch harmonischer Zusammenklang in dem ganzen eindrucksvollen Bauwerk! Die Klostergebäude stammen aus verschiedenen Perioden und harmonieren wenig mit der Kirche; sie hatten mannigfache Umbauten erfahren und mußten allmählich, und nicht ohne Schwierigkeiten, den neuen Verhältnissen angepaßt werden. Die ausgedehnten Ökonomiegebäude waren in gutem Zustande. Den das Kloster weit umgebenden Garten mit seinen schattigen Gängen und lauschigen Plätzchen konnte man sich kaum anmutiger wünschen.

Kloster Laach ist eine Gründung des Pfalzgrafen Heinrich II. († 23. Oktober 1095). Die Anfänge des Klosters gehen in das Jahr 1093 zurück. Die ersten Mönche kamen aus der flämischen Abtei Afflighem. Im Jahre 1127 erhielt Laach seinen ersten Abt Gilbert († 1152), und im Jahre 1156 wurde die Kirche von Erzbischof Hillin von Trier feierlich eingeweiht. Mehr als 700 Jahre bestand das Kloster; dann fiel es im Jahre 1802 der Konfiskation durch die französische Republik anheim. Im Jahre 1862 wurde in den ehemaligen Klostergebäuden ein Kolleg und Studienhaus der Gesellschaft Jesu errichtet, das schon nach zehn Jahren im traurigen Kulturkampf sein Ende fand. Nun sollte nach zwanzig Jahren wieder benediktinisches Leben in die alten Mauern einziehen.

Unsere Anfänge in Maria-Laach waren bescheiden. Wie seiner Zeit in Seckau, so bildeten auch jetzt im Kloster am See die Scholastiker einen beträchtlichen Teil der Kommunität. Sie fuhren fort, [77] unter der Leitung ihrer Professoren den theologischen Studien zu obliegen. Bald traten auch seelsorgerliche Arbeiten in und außer dem Kloster an uns heran. Die Pfarrer der Umgegend erbaten Aushilfe, die Gläubigen fanden den Weg zur Klosterkirche. Namentlich in der Osterzeit war die Arbeit im Beichtstuhl keine geringe; mitunter war der Zulauf so stark, daß anfangs viele unverrichteter Sache heimkehren mußten. Später, als die Kräfte sich mehrten, konnte auch in der Seelsorge mehr geleistet werden. An Gelegenheit dazu fehlte es keineswegs. Nicht unmittelbar im Weltverkehr gelegen und doch nicht zu weit von den Verkehrsadern entfernt, bietet Maria-Laach fürs monastische Leben die erwünschte Ruhe und Einsamkeit, zugleich aber auch vielfache Möglichkeit zur Betätigung des apostolischen Eifers.

Am 15. August 1893, dem Feste Mariä Himmelfahrt, begingen wir die achthundertjährige Jubelfeier der Gründung des Klosters Laach. Bischof Dr. Korum von Trier hielt das Pontifikalamt und eine begeisterte Predigt. Geistlichkeit und Volk waren in großer Zahl zum Feste gekommen. Die bei dieser Gelegenheit von uns herausgegebene Schrift »Die Benediktiner-Abtei Maria-Laach. Gedenkblätter aus Vergangenheit und Gegenwart«[2] fand guten Anklang und erlebte rasch drei Auflagen.

Aus demselben Jahre ist ein anderes, für die innere Entwicklung des Klosters bedeutungsvolles Ereignis zu verzeichnen. Am 15. Oktober, dem Feste der heiligen Theresia, erhob Erzabt Plazidus kraft apostolischer Vollmacht das Kloster Maria-Laach zur Abtei und ernannte seinen Prior zum ersten Abte.

Ich hatte diesen Verlauf der Dinge kommen sehen, so daß es mich nicht überraschte. Ich fühlte aber trotzdem die ganze Schwere des Kreuzes, das mir auferlegt wurde. Wußte ich doch, daß mein Leben, [78] von nun an, mehr als bisher, ein Kreuzweg sein werde[3]. So lebhaft war dieses Gefühl in meiner Seele, daß ich bei der feierlichen Abtsweihe, die Bischof Wilhelm von Reiser von Rottenburg zu Beuron (am Feste Mariä Empfängnis 1893) vollzog, als ich mit Mitra und Stab unter dem Gesange des Te Deum vor dem Altare Platz nehmen mußte, mir vorkam wie der Heiland, da er am Kreuze erhöht wurde.

Das Amt des Abtes ist immer schwer. Der heilige Benedikt erinnert den Abt daran, »eine wie schwierige und harte Aufgabe er übernommen habe, Seelen zu leiten und den verschiedensten Charakteren [79] zu dienen« (Hl. Regel, Kap. 2). In einem Kloster, das erst im Werden begriffen ist, mußte der Obere noch besonderen Schwierigkeiten begegnen.

Anfangs machten die finanziellen Lasten Sorge. Doch Gott half. Unser P. Ökonom tat das seinige, und so hat es uns am Nötigen nie gefehlt.

Es galt zunächst, dem materiellen Gebäude meine Aufmerksamkeit zuzuwenden. Wir hatten eine herrliche Kirche, baulich in gutem Zustande, allein im Innern war sie öde und leer; eine graue Tünche war ihr Armutsgewand, die Ausstattung fehlte vollständig. Von den Glocken, die ehemals die prächtigen Türme belebten, war auch nicht eine einzige übrig geblieben.

Man mußte sich zunächst klar werden über die Art und Weise der Wiederherstellung. Schon war ein Entwurf über die Bemalung der kahlen Kirchenwände ausgearbeitet worden, als ein Mitbruder die Vermutung aussprach, die Kirche sei wie von außen, so wohl auch im Innern in verschiedenfarbigen Hausteinen hergestellt. Die vorgenommene Untersuchung bestätigte die Richtigkeit dieser Annahme und wies damit den Wiederherstellungsarbeiten den Weg. Der Bewurf mußte entfernt und die Kirche in den früheren Zustand zurückversetzt werden. Es war das eine große und mühevolle Arbeit, da an mehreren Stellen das Mauerwerk sehr schadhaft war, und man überdies zur Anbringung des Verputzes die Steine mit dem Hammer eingehauen hatte. Es mußten also sämtliche Steine wieder geglättet und die vielen schadhaften oder fehlenden Steine durch neue ersetzt werden.

Der liebe Gott kam uns da in besonderer Weise zu Hilfe, indem er uns einen vorzüglichen Architekten sandte. P. Ludger Rincklake, der Erbauer der prächtigen Ludgerikirche in Billerbeck, hat sich seitdem um die Restauration der Kirche und des Klosters die größten Verdienste erworben. Er verstand es, aus den Laienbrüdern tüchtige Arbeitskräfte auszuwählen oder auch unter ihnen heranzubilden, so daß sich die Kosten bedeutend verminderten und dem [80] Kloster nicht zur schweren Last wurden. Nach und nach wurde der Chor eingerichtet und mit kunstgerechtem Gestühl ausgestattet; das Refektorium wurde mit einem Kreuzgewölbe versehen, und der Kapitelsaal erhielt nach den Plänen des P. Mauritius Gisler eine monumentale Ausgestaltung.

Die Sakristei hatte in der verwitweten Frau Eduard Puricelli aus Trier eine hochherzige Wohltäterin gefunden. Manches schöne Stück, darunter ein Kelch, eine Monstranz, ein Abtsstab usw. wird noch in späten Zeiten die Erinnerung an die Spenderin wach erhalten; ihr verdankt auch die Abtskapelle den prächtigen Altar aus Marmor und Metall. Frau Puricelli war dem heiligen Vater Benedikt treu ergeben und weihte sich ihm als Oblatin. Als solche wurde sie auf ihren ausdrücklichen Wunsch im Ordenshabit begraben.

Begreiflicherweise wünschten wir den stummen Türmen ehestens ihre metallenen Stimmen zurückzugeben. Die Unterstützung edler Wohltäter ermöglichte die Verwirklichung dieses Wunsches. Wir hatten den großen Vorteil, in unserer Mitte einen hervorragend tüchtigen Glockenkenner zu besitzen. P. Johannes Blessing († 24. Februar 1913 in Beuron), der bereits die Beschaffung des Geläutes für die Abteikirche in Maredsous geleitet hatte, ließ durch Meister Causard in Tellin (Belgien) für uns prächtige Glocken gießen, nicht nach modernem System, das mit möglichst wenig Material recht tiefe Töne erzielen will, sondern nach mittelalterlichem Muster, das jedem Tone das Metall gibt, das nötig ist, damit der Ton satt und kraftvoll klinge. Das Ergebnis der Arbeit war ein hocherfreuliches. Die Laacher Glocken zu hören, ist ein wahrer Genuß. Wenn am Vorabende eines Festes das ganze Geläute ertönt, dann greift es einem mit Macht an die Seele; sie singt unwillkürlich mit und jubelt in heiliger Freude. Von Bonn bis Mainz dürfte kein Geläute dem der Laacher Abteikirche gleichkommen.

Daneben verlor ich die wichtigste, mir anvertraute Aufgabe, den geistigen Bau des Klosters zu fördern, nicht aus dem Auge: mit dem äußeren Aufbau ging der innere Hand in Hand. Die Kleriker [81] vollendeten ihre Studien und empfingen die heiligen Weihen. Bischof Dr. Korum von Trier und Weihbischof Graf Galen von Münster erteilten feierlich die Priesterweihe in der Abteikirche. Das Noviziat, diese Hoffnung der Zukunft, segnete der Herr: er sandte uns eine Anzahl junger Leute, die guten Beruf mitbrachten und für später das Beste versprachen. Es galt, so in Geduld den Samen auszustreuen für die zu erwartende Ernte. Auch die Zahl der Gäste, die das Kloster besuchten oder hier die heiligen Exerzitien machten, mehrte sich. Die Arbeiten in der Seelsorge nahmen ihren Fortgang. Die Geistlichkeit der Umgegend unterhielt gute Beziehungen zum Kloster. Die Neugründung hatte sich bald eingelebt und Wurzel geschlagen.

Im Jahre 1894 fand das Generalkapitel der Beuroner Kongregation in der Abtei St. Benedikt zu Maredsous statt. Ich hatte einige Jahre vorher dieses belgische Kloster zum ersten Male besucht und in der Folgezeit wiederholt Gelegenheit, dorthin zurückzukehren. Man kann nicht umhin, die Glaubenskraft zu bewundern, die diese monastische Gottesstadt auf den wallonischen Höhen geschaffen hat. Im Stile des dreizehnten Jahrhunderts erhebt sich der mächtige Bau der Abtei, die hochherzige Stiftung der Brüder Henri und Jules Desclée, der bekannten Tournaier Industriellen. Die Kirche gleicht einer Kathedrale, das Kloster schmiegt sich ihr an, wie aus dem Felsen gehauen, für die Ewigkeit gegründet. Jenseits der Kirche liegt die Abteischule, in der Kinder der angesehensten Familien des Landes ihre Erziehung finden. Auf der Klosterseite erblicken wir in einiger Entfernung die Kunst- und Gewerbeschule St. Joseph, in der eine Anzahl Knaben in den feineren Industriezweigen unterrichtet werden. Setzen wir unseren Weg fort, am Klosterhotel vorbei, so sind wir in einigen Minuten an der weiten Umfassungsmauer der Frauenabtei St. Scholastika zu Maredret. Während die Abtei St. Benedikt und die Klosterschule den berühmten Gotiker Baron Béthune zum Erbauer haben, sind die Pläne für die Gewerbeschule und für St. Scholastika von Abt Hildebrand de Hemptinne entworfen [82] worden. Kommt in den Formen von St. Benedikt Kraft und Festigkeit zum Ausdruck, so zeigt das Frauenkloster, zumal die Kirche, eine Lieblichkeit und Anmut, die wohltun und als angemessen empfunden werden. Abtissin von St. Scholastika ist Cäcilia de Hemptinne, die leibliche Schwester des Abtes Hildebrand.

Das Generalkapitel vom Jahre 1894 ist dadurch bemerkenswert, daß auf ihm, einem Wunsche des apostolischen Stuhles entsprechend, die Wiederbelebung der brasilianischen Kongregation beschlossen wurde. Der spätere Erzabt und Bischof Gerard van Caloen hat unter unsäglichen Opfern und Mühen diese Aufgabe erfüllt.

Auch aus Portugal war eine Bitte um Hilfe gekommen. Die junge Abtei St. Martin zu Cucujaes hatte ihren Gründer und ersten Abt durch den Tod verloren und erbat sich nun von Beuron Leitung und Unterstützung. Der Bitte wurde entsprochen. Doch die traurigen politischen Ereignisse in jenem Lande haben das Pflänzlein in der Entwicklung gehemmt und ihm fast jede Lebensmöglichkeit genommen.

In den Frühling des gleichen Jahres (1894) fällt eine bedeutsame Reise nach Berlin und Potsdam. Die Entwürfe für die innere Ausstattung unserer Kirche bedurften der staatlichen Genehmigung. Bei dem besonderen Interesse des Kaisers für die Denkmale der romanischen Baukunst hielt ich es für angezeigt, die Pläne an höchster Stelle vorzulegen. Die mehr als einstündige Audienz im Neuen Palais war sehr interessant. Eingehend prüfte der Kaiser die Entwürfe und zeigte sich von ihnen befriedigt. Dabei kam die Rede auf manche andere Dinge. Von Papst Leo XIII. sprach er mit wohltuender Ehrfurcht; er nannte ihn stets »den heiligen Vater«. Auf mich machte der Kaiser den Eindruck eines lebhaften, für alles Hohe und Ideale empfänglichen Mannes. Er äußerte den Wunsch, Maria-Laach einmal zu sehen, und stellte seinen Besuch in Aussicht.

Drei Jahre später, am 19. Juni 1897, führte der Kaiser seinen Plan aus und besuchte mit der Kaiserin unsere Abtei. Wohl zwei [83] Stunden verweilten die Majestäten im Kloster und nahmen alles Sehenswerte mit lebhaftem Interesse in Augenschein. »Der Hochaltar«, sagte Seine Majestät zu mir, »ist meine Sache. Den werde ich anfertigen lassen, und er soll schön werden, aus Marmor, Porphyr, vergoldetem Erz und Mosaik. Er wird das Andenken an meinen Besuch in Laach sein.«

Schon am 27. März 1899 konnte Generaloberst von Loë im Namen des Kaisers den Altar der Abtei Laach feierlich übergeben.

Zwei Jahre später, am 25. April 1901, besuchte Seine Majestät unser Kloster zum zweiten Male, diesmal in Begleitung des Kronprinzen, der eben die Universität Bonn bezogen hatte. Auch dieser Besuch dauerte etwa zwei Stunden und vollzog sich in huldvoller Herablassung und Herzlichkeit. Der prächtige Baldachinaltar fand die volle Anerkennnng des Kaisers.

Gewiß ist die Stiftung dieses Altars ein einzigartiges Ereignis, das den spätesten Zeiten erzählen wird von der idealen Hochherzigkeit und dem tiefen religiösen Sinn eines Hohenzollernkaisers inmitten einer mehr und mehr auf das Materielle gerichteten Zeit.

Da sich ein lästiges Magenübel einstellte, ließ ich mich zu einer längeren Kur bewegen. Im Sommer des Jahres 1898 und 1899 ermöglichte es mir ein freundlicher Wohltäter, mich zur Herstellung der angegriffenen Gesundheit nach Paris zu begeben zu einem Spezialisten. Ich mußte hier jedesmal mehrere Wochen verbringen. In der ersten Zeit fand ich liebevolle Aufnahme bei den Patres Jesuiten, die in der rue Lafayette die sogenannte deutsche Mission St. Joseph leiteten. Leider liegt das Haus in einem so unruhigen Stadtteil, daß es mir unmöglich war, länger dort zu bleiben. So war ich herzlich froh, als ich die Einladung erhielt, bei den Benediktinerinnen der rue Monsieur Wohnung zu nehmen. Dankbar ging ich auf das Anerbieten ein und fand im Kloster von St. Louis du Temple, was ich suchte. Wie der Name besagt, war das Kloster ursprünglich im alten Staatsgefängnis des Temple eingerichtet, wo Ludwig XVI. gefangen gehalten wurde; später ward es an die jetzige Stelle übertragen.

[84] In dieser stillen Einsamkeit verlebte ich mehrere Wochen. Sie brachten mir zwar nicht die volle Gesundheit, boten mir aber doch Gelegenheit, Paris, zumal nach seiner kirchlichen Seite, gründlicher kennen zu lernen, als dies bei einem kurzen Besuche möglich ist.

Frankreich ist das Land der Gegensätze. Während französische Missionäre in großer Zahl den Heidenvölkern die Segnungen des Christentums brachten, verstanden es die Katholiken nicht, ihrer Religion in der Heimat die gebührende Freiheit zu wahren. An einem schönen Sommermorgen kam ich durch die Champs Elysées und bewunderte die prächtigen, sich weit hinziehenden Alleen. Es war der Fronleichnamstag, und unwillkürlich drängte sich mir der Gedanke auf: Wie schön wäre es, wenn der Erzbischof von Paris das heilige Sakrament in feierlicher Prozession durch diese herrlichen Anlagen tragen könnte! Aber ach! so etwas ist in Paris nicht möglich; die Prozessionen sind auf das Innere der Kirchen beschränkt oder können höchstens den Weg um die Kirche nehmen, wenn dieser kirchliches Eigentum ist. Seit jener Zeit sind die Beschränkungen der kirchlichen Freiheit in Frankreich noch vermehrt worden. Ohne eine tiefgreifende Erneuerung des christlichen Geistes wird es nicht möglich sein, die Bande zu sprengen, welche die Kirche fesseln.

Die stillen Stunden, die ich im trauten Klösterlein der rue Monsieur zubrachte, wurden mir überaus angenehm durch die Lektüre der schönen Lebensbeschreibung der heiligen Franziska von Chantal von Bougaud; kaum jemals hat mir ein Heiligenleben solche Freude bereitet. Ich versuchte mich auch im Französischen und hatte sogar den Mut, den Klosterfrauen einige Konferenzen zu halten.

Hier machte ich die Bekanntschaft des Abtes der Grande Trappe, der Wiege des Trappistenordens, der mich freundlich zum Besuche seines Klosters einlud. Ebenso lernte ich hier den späteren Kardinal Mathieu, damaligen Erzbischof von Toulouse († 26. Oktober 1908), kennen. Er erbaute mich nicht wenig durch seine Demut. Als ich nämlich beim Abschied um seinen Segen bat, erteilte er mir ihn, kniete dann aber selbst nieder und nötigte mich, ihm gleichfalls den [85] Segen zu geben. Den heiligmäßigen Kardinal Richard, Erzbischof von Paris († 28. Januar 1908), besuchte ich in Begleitung eines aus Paris gebürtigen Ordensmitbruders.

Einmal in Paris, wollte ich nicht heimkehren, ohne der Abtei Solesmes einen Besuch abgestattet zu haben. Es drängte mich, die Stätte zu sehen, wo Dom Guéranger gelebt und gewirkt hatte, wo unsere Gründer und Väter, die Erzäbte Maurus und Placidus in die Schule gegangen waren und sich hatten einführen lassen in die alten monastischen Überlieferungen. Beuron verdankte Solesmes sehr viel, so daß ein Besuch daselbst mir ein Akt der Dankbarkeit zu sein schien.

In der lieblich an der Sarthe gelegenen Abtei St. Peter zu Solesmes fand ich die herzlichste brüderliche Aufnahme. Ich betete am Grabe Dom Guérangers († 30. Januar 1875), betrachtete die interessanten Sculpturen der Abteikirche und bewunderte den gewaltigen Neubau, den die Mönche in kräftigen romanischen Formen aufgeführt hatten.

In der Frauenabtei St. Cécile, der Lieblingsschöpfung Dom Guérangers, begegnete ich einer deutschen Ordensfrau, der Prinzessin Agnes von Löwenstein, die hier mit ihrer bereits verstorbenen Schwester Marianne eingetreten war. Später nahm hier auch ihre Tante, die Herzogin von Braganza, Schwester des Fürsten Karl zu Löwenstein und Mutter der Großherzogin Adelgunde von Luxemburg, den Schleier († 16. Dezember 1909). Erhebend war der Chorgesang der Klosterfrauen; von freudiger Begeisterung getragen, hatte er nichts Weichliches an sich, sondern etwas Festes, fast Männliches, was auf eine ähnlich geartete aszetische Bildung schließen ließ.

Jetzt, wo ich dieses schreibe, ist in Solesmes längst alles verödet; die friedlichen Klosterbewohner haben ihre Heimstätte verlassen und in der Fremde ein Unterkommen suchen müssen[4]. Armes Frankreich, das also seine besten Söhne und Töchter verbannt!

Auch der Grande Trappe in der Diözese Séez machte ich bei dieser Gelegenheit einen Besuch. Es ist das Stammkloster der Trappisten, das der Abt de Rancé reformierte. Noch erinnert eine von [86] ehrwürdigen Bäumen beschattete Allee an die Zeiten, da sich de Rancé und Bossuet darin ergingen. Das Grab de Rancés erfüllt die Seele mit Ehrfurcht; es birgt die Reste eines hochbegabten Mannes, der auf eine glänzende Laufbahn verzichtete und hier in strengster Buße sein Leben verbrachte. Die Mönche leben vom Ackerbau und vom Erlös einer vortrefflichen Schokolade, die sie bereiten. Neben dem Kloster unterhalten sie ein Waisenhaus.

Im Jahre 1898 machte Kaiser Wilhelm II. seine Pilgerfahrt nach Palästina. Er erwarb bei dieser Gelegenheit die sogenannte Dormitio, die Stätte des Heimgangs der allerseligsten Jungfrau, und überließ diese dem Vereine vom heiligen Lande, damit er daselbst eine Kirche errichte. Die Beuroner Benediktiner wurden ausersehen, die Hüter dieses neuen Heiligtums zu werden.

Als im Oktober 1900 die Grundsteinlegung der Kirche Mariä Heimgang stattfinden sollte, beauftragte mich Erzabt Plazidus bei diesem feierlichen Akte die Beuroner Kongregation zu vertreten. Von einem Mitbruder begleitet, schloß ich mich in Straßburg dem Kölner Pilgerzug an. Die Fahrt ging ohne Unterbrechung bis Genua. Dort bestiegen wir das Schiff. In Civitavecchia gingen wir ans Land. Leider verzögerte sich die Weiterreise nach Rom derart, daß, als wir vor St. Peter ankamen, die Pforten der Basilika sich öffneten, und die Menge herausströmte, ein Zeichen, daß der von Leo XIII. erteilte feierliche Empfang, dem auch wir hätten beiwohnen sollen, beendigt war. Eine neue Audienz zu erlangen, war damals nicht leicht. Doch die Leitung des Pilgerzuges wußte nach einigen Tagen des Wartens gleichwohl zum Ziele zu kommen. Wir wurden mit einem ungarischen Pilgerzug zur Audienz zugelassen. Es war dies das erste Mal, daß ich Leo XIII. sah. Der Eindruck, den diese hoheitsvolle, fast ätherische Erscheinung auf mich machte, ist unbeschreiblich. Ich war tief ergriffen und konnte mich der Tränen nicht erwehren. Mir ward gestattet, zum päpstlichen Throne hinzutreten und dem Heiligen Vater meine Ehrfurcht zu bezeugen. Mit weit ausgebreiteten [87] Armen erteilte uns Leo XIII. seinen Segen. Dem Gesange des »Großer Gott« hörte er mit sichtlicher Freude zu.

Nach der Audienz bestiegen wir sogleich den Zug nach Civitavecchia, um von da aus die Seereise fortzusetzen. In der Nacht vom 3. auf den 4. Oktober stellte die Schiffsmaschine ihre Arbeit ein; wir lagen vor dem Hafen von Jafa. Als ich auf Deck stieg, war es noch finster.

Da lag das heilige Land vor mir, ein dunkler Streifen, darüber erglänzte der Morgenstern. Tief ergriffen, überließ ich mich den Eindrücken, welche die Seele bestürmten. Dort also war Gottes Sohn auf die Erde herniedergestiegen, dort ward er geboren, dort hatte er gelehrt und Wunder gewirkt, dort war er für uns am Kreuze gestorben. Nirgends wohl treten alle diese Wahrheiten unseres Glaubens so mächtig vor die Seele, als beim erstmaligen Anblick des heiligen Landes. Als ich nach der heiligen Messe wieder hinaufstieg, erglänzten Stadt und Küste im Morgenlicht.

Nach mehrstündiger Eisenbahnfahrt langten wir in Jerusalem an. Es folgten Tage tiefster religiöser Erbauung. Wir besuchten nach und nach alle Heiligtümer der heiligen Stadt und ihrer näheren und entfernteren Umgebung. Unauslöschliche Eindrücke nahmen wir in uns auf.

Die Feier der Grundsteinlegung auf der Dormitio ging in würdiger Weise vor sich. Der Weihbischof von Jerusalem vollzog die Ceremonie; Propst Scheuffgen von Trier las die heilige Messe; mir war die Festpredigt zugefallen.

Die Dormitio, auf dem Sion außerhalb der Stadtmauern gelegen, ist eine der ehrwürdigsten Stätten Jerusalems. Dorthin verlegt die Tradition den Saal, in dem der Herr die heilige Eucharistie, die Priesterweihe und das Bußsakrament eingesetzt hat. Dort war es, wo der Heilige Geist auf die Apostel herabkam, und wohl auch die heilige Jungfrau aus diesem Leben schied. Hier erbaute vielleicht schon der heilige Jakobus der Jüngere als Bischof von Jerusalem die erste christliche Kirche, welche die Zerstörung der heiligen Stadt [88] überdauerte. Unter Kaiser Konstantin erstand an ihrer Stelle eine mächtige Basilika, ähnlich der zu Bethlehem. Der konstantinische Bau ist längst verschwunden. Eine zur Zeit der Kreuzfahrer an die Kirche angebaute Kapelle ist erhalten geblieben und trägt den Namen Cönaculum. Auf dem vorderen Teile des einst von der alten Basilika eingenommenen Raumes wurde der Grundstein zur neuen Kirche »Mariä Heimgang« gelegt, die zehn Jahre später ihre feierliche Konsekration erhielt[5].

In letzter Stunde vor unserer Abreise entwickelte mir Professor Heidet vom Patriarchalseminar einen interessanten Gedanken. Der zum Bau der Kirche Mariä Heimgang bestimmte Platz, sagte er, ist zu klein; er umfaßt nur einen Teil des Grundrisses der ehemaligen Basilika. Wenn etwas Rechtes zustande kommen solle, so müsse der ganze Platz, den die Basilika eingenommen habe, erworben und diese in ihrer ursprünglichen Größe wiederhergestellt werden. Damit werde das katholische Deutschland den anderen Nationen ebenbürtig zur Seite treten. Die Richtigkeit dieses Vorschlages war einleuchtend. Die Wiederherstellung der konstantinischen Basilika an der Stätte der ersten christlichen Kirche war ein zu schönes Ideal, als daß man nicht wenigstens die Möglichkeit seiner Verwirklichung hätte ins Auge fassen sollen. Ich tat denn auch nach meiner Heimkehr die nötigen Schritte in Berlin, um zum Ziele zu gelangen. Leider scheiterte der Plan an der Erklärung der deutschen Vertretung in Jerusalem und in Konstantinopel, die Erwerbung des ganzen Platzes der ehemaligen Basilika sei bei dem mohamedanischen Fanatismus nicht möglich.

Die Heimreise war ebenfalls vom besten Wetter begünstigt. Trotzdem wurde sie für mich zur wahren Bußfahrt, da mich die Seekrankheit die ganze Zeit der Überfahrt nicht verließ und mir die Feier der heiligen Messe unmöglich machte. Wir landeten in Genua. Von hier ging ich mit meinem Begleiter wieder nach Rom, wo am [89] 11. November die Kirche des neuerrichteten Benediktinerkollegs von St. Anselm feierlich eingeweiht, und zu gleicher Zeit eine Versammlung der Äbte des Ordens abgehalten werden sollte.

St. Anselm ist eine Stiftung Leos XIII., des großen Gönners und Wohltäters des Benediktinerordens. Durch die Schaffung eines gemeinsamen Zentrums wollte der Papst nach seinen eigenen Worten »die wahren und echten monastischen Grundsätze wieder allgemein zur Geltung bringen und dem Baume des Ordens die Kraft der alten Zeiten zurückgeben, daß wiederum wie ehemals seine segenspendenden Zweige sich ausdehnen bis zu den Grenzen der Erde.« Zu diesem Zwecke hatte Leo XIII. im Jahre 1893 einen Primas für den ganzen Orden ernannt und ihn zugleich zum Abt von St. Anselm und zum Leiter des mit der Abtei verbundenen Studienkollegs eingesetzt. Die Wahl des Papstes für diesen neuen, ebenso wichtigen als schwierigen Posten war auf meinen väterlichen Freund, Abt Hildebrand von Maredsous, gefallen. Schon vorher hatte ihm der heilige Vater die Anfertigung der Pläne für die neue Abtei übertragen, ein Auftrag, dessen er sich in glänzender Weise entledigte.

Der stattliche Bau, im Stile der römischen Basiliken gehalten, ist ein wahres Meisterwerk, dem unter den neueren Bauwerken Roms unzweifelhaft die Palme gebührt, ja das mit den besten Schöpfungen der älteren Zeit wetteifert. Die ausgedehnten Baulichkeiten von St. Anselm gewähren dem Beschauer einen wahren Genuß, mag er sie nun aus der Ferne bewundern, wie sie majestätisch die alte Höhe des Aventin krönen, oder mag er sie in ihren malerischen Einzelheiten betrachten. Die dreischiffige Basilika hatte einstweilen keinen anderen Schmuck als ihre prächtigen Säulen und den schönen Bodenbelag in Marmor und Mosaik; desgleichen die ebenso große Krypta, deren zahlreiche Altäre alle aus einem einzigen Granitblock bestehen.

Kardinal Rampolla vollzog die Einweihung der Kirche, während Bischöfe und Äbte des Ordens die Konsekration der Seitenaltäre und der Altäre der Unterkirche vornahmen. Leo XIII. gewährte den Äbten eine besondere Audienz und richtete an sie eine längere lateinische [90] Ansprache; Kardinal Rampolla, dem sie darauf ihren Besuch abstatteten, feierte in begeisterter Rede die Verdienste des Benediktinerordens.

Während der Wochen, die ich so in der ewigen Stadt zuzubringen das Glück hatte, konnte ich mit meinem ortskundigen Begleiter die Herrlichkeiten des antiken und des christlichen Roms mit Muße genießen. Die großen Basiliken und so viele andere ehrwürdige und interessante Gotteshäuser wurden eingehend und auch wiederholt besichtigt. Desgleichen das Forum, der Palatin, das Kolosseum, die Katakomben. Wie wohltuend und erfrischend diese Besuche wirken, wie sehr sie der Frömmigkeit Nahrung geben, das weiß jeder, der sie einmal machen durfte.

Wir waren im Jubeljahre. In St. Peter durchschritten wir die »Heilige Pforte«, die Leo XIII. geöffnet hatte und die er auch schließen sollte, und bemühten uns, den ausgeschriebenen Jubelablaß zu gewinnen. Das Jubeljahr brachte natürlich viele Pilgerzüge nach Rom. Wir wohnten dem Empfange eines solchen – er kam aus der Sabina – in St. Peter an. Es mochten an die zehntausend Pilger gewesen sein. Wir hatten unseren Platz nahe dem Altare der Confessio. Als der Papst durch die Sakramentskapelle in die Basilika einzog, erhob sich machtvoll der Jubelruf: Evviva il Papa Re! Hoch auf der Sedia gestatoria schwebte die weiße Gestalt Leos XIII. nach allen Seiten den Segen spendend. Die Jubelrufe pflanzten sich fort, dem Brausen des Meeres gleich, und begleiteten den Papst bis zum Altare. Während des Gesanges der Litanei lag der hohepriesterliche Greis auf den Knien. Ich kann nicht sagen, daß diese lauten Kundgebungen mein Empfinden irgendwie verletzt hätten, im Gegenteil, man fühlte, daß sie aus der Tiefe echt katholischer Gesinnung kamen; darum drang der Jubel in die Seele und erfaßte sie mit unwiderstehlicher Gewalt. Es war, als ob diese Stimmen uns zuriefen: Welch ein Glück ist es, katholisch zu sein und den Statthalter Christi zum Vater zu haben!

Reich an großen Eindrücken und Lebenserfahrungen kehrte ich von der weiten Reise in die nordische Heimat zurück, wo bald wichtige Ereignisse an mich herantreten sollten.


  1. K. Kniel, Die Benediktinerabtei Maria-Laach. 3. Aufl. 1902. A. Schippers, Maria-Laach, Benediktinisches Klosterleben alter und neuer Zeit (1917). Ders., Die Stifterdenkmäler der Abteikirche Maria-Laach im 13. Jahrhundert (1921).
  2. Herausgegeben von K. Kniel. Der erste Abschnitt des Buches über den Benediktinerorden stammt aus der Feder des Abtes Willibrord.
  3. Welche Gefühle ihn damals beseelten, zeigt ein Brief an seine Schwester vom 14. Oktober 1893:
    »Diesmal habe ich Dir eine wichtige, ernste Nachricht zu geben; es handelt sich um eine Sache, die mir sehr nahe geht und darum auch Dein Interesse finden wird.
    Der hochwürdigste Vater Erzabt hat mir vor einiger Zeit seinen bestimmten Entschluß mitgeteilt, die Leitung des hiesigen Klosters ganz auf meine Schultern zu legen, und wie er mir heute sagte, will er mich morgen zum Abte von Maria-Laach ernennen. Ich kann Dir nicht sagen, wie schwer es mir wird, diese Bürde auf mich zu nehmen, der ich mich so gar nicht gewachsen fühle; aber was kann ich tun, als im Gehorsam mich unterwerfen? Gott weiß, wie sehr ein solches Amt meinen Wünschen und Neigungen widerstrebt, und wie gerne ich mich ihm entziehen würde, wenn es geschehen könnte, ohne Seinem heiligen Willen zuwider zu handeln. Wenn es aber Gott gefällt, dies schwere Kreuz mir aufzuerlegen, dann darf ich auch zuversichtlich hoffen, daß Er mir die Gnade geben wird, es nach Seinem Wohlgefallen zu tragen. So will ich denn den Kelch nicht zurückweisen, den der Herr mir darreicht, ich will ihn trinken, wenn er auch bitter ist, hoffend, daß er mir nicht zum Tode, sondern zum Leben sein wird. Dich aber, liebe Schwester, bitte ich recht herzlich, mehr als sonst für mich zu beten, da ich der Hilfe von oben so sehr benötige. – Ich denke, daß der noch übrige Teil meines Lebens, mehr noch als bisher ein Kreuzweg sein wird. Möge der göttliche Heiland mir beistehen und durch sein Beispiel mich lehren, durch seine Gnade mich stärken, auch in der neuen, verantwortungsvollen Stellung ihm nachzufolgen, daß, wenn endlich die Prüfungszeit abgelaufen ist, ich nicht als unnützer Knecht befunden werde. Also nochmals, bete recht für mich!
    Der morgige Tag wird für Maria-Laach ein denkwürdiger sein. Vom Heiligen Vater bevollmächtigt, wird der hochwürdigste Herr Erzabt das hiesige Kloster wieder als Abtei errichten und nach einundneunzigjähriger Unterbrechung die Reihe der Äbte wieder eröffnen. Alles dies wird ganz still und einfach vor sich gehen. Die Abtsweihe soll ich später, wahrscheinlich an Mariä Empfängnis, im Mutterkloster empfangen, doch ist diese Bestimmung noch keine definitive…«
  4. Beide Klöster fanden eine Zufluchtsstätte auf der Insel Wight.
  5. Vgl. die Festschrift: Das Heiligtum Mariä Heimgang auf dem Berge Sion (Prag 1910).