Erinnerungen aus dem Schleswig-Holsteinischen Kriege/Nr. 3. Der alte Torfbauer

Textdaten
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Autor: Graf A. Baudissin
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Titel: Erinnerungen aus dem Schleswig-Holsteinischen Kriege/Nr. 3. Der alte Torfbauer
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 4, S. 53–55
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1862
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Erinnerungen aus dem Schleswig-Holsteinschen Kriege.

Von Graf A. Baudissin.
Nr. 3.
Der alte Torfbauer.

Es war Jahrmarkt in Segeberg, und mit dem Jahrmarkt war kaltes, unfreundliches Wetter mit Schnee und Wind eingezogen in das friedliche Städtchen. Ich stand am Fenster meines Gasthofes und bewunderte bald einen Orgeldreher, welcher trotz des kalten Windes und trotz der Schneeflocken, die letzterer ihm in die hohlen Zähne trieb, das Mantellied absang, bald eine Schaar halberfrorener böhmischer Musikanten, die vor Kälte schaudernd den warmen Odem in die alten Trompeten hauchten, als meine Aufmerksamkeit auf einen alten Bauer gelenkt wurde, der langsam, Schritt vor Schritt ein krankes Pferd am Zügel führte. Der Bauer machte Halt vor dem Gasthofe und richtete Fragen an den Hausknecht, welche dieser entschieden abzulehnen schien. Das Aeußere[WS 1] [54] des Bauern, seine Haltung, sein leidendes, bekümmertes Aussehen erregten meine Neugierde, so daß ich trotz des schlechten Wetters das Zimmer verließ, um mich nach seinem Anliegen zu erkundigen.

Seine Geschichte war einfach genug, wurde aber von dem armen Menschen so rührend erzählt, daß ich nicht unterlassen konnte, mich seiner anzunehmen. –

„Sehen Sie, Herr Officier,“ sagte der Bauer, als ich sein Pferd in den Stall hatte führen lassen, „sehen Sie, der alte Braune ist krank. Du lieber Gott, ja, er ist recht krank. Na, nun habe ich den Braunen aber schon siebenzehn Jahre gehabt, zu Martini waren es gerade siebenzehn Jahre – ich habe ihn hier in Segeberg von Heinrich Ohlsen gekauft – aber den kennen Sie wohl nicht, Herr Lieutenant, denn er ist schon lange gestorben. Ostern werden es fünf Jahre, daß er starb. Na, nun habe ihn denn die siebenzehn Jahre gehabt, und er ist nie krank gewesen, es hat ihm nie ein Glied wehe gethan, und als ich gestern Abend in den Stall kam und er nicht wieherte, wie sonst – denn er wiehert immer, wenn ich komme, da denke ich: „Na, was fehlt dem Braunen, daß er nicht wiehert?“ Gut, ich hole ja die Laterne, und mein Hannes geht mit in den Stall, und da liegt der Braune und bläst und stöhnt, daß ich denke, er wird gleich sterben. Na, nun bin ich die ganze Nacht bei ihm geblieben und habe ihn gerieben und zugedeckt, und wie es Morgen geworden ist, da bin ich denn losgezogen mit dem alten Braunen. Du lieber Gott, ja! Neun Stunden haben wir gebraucht, um die zwei Meilen zu gehen, der Braune und ich, das Brod ist mir in der Tasche gefroren.“

„Was soll denn nun mit dem alten Braunen geschehen?“ fragte ich.

„Ja, sehen Sie, Herr Officier, wenn ich nur hier bleiben könnte und selbst aufpassen, dann wäre es schon recht; aber meine Frau liegt im Nervenfieber, und der Hannes, na, das wissen Sie ja, so ein Kind weiß dann auch nicht recht Bescheid, du lieber Gott, ja! Wenn der Curschmied denkt, daß er den Braunen für ein Fuder Torf curiren kann, und wenn der Wirth ihn hier behalten will im Stalle, na, dann will ich nur in Gottes Namen wieder nach Hause zu meiner kranken Frau und heute Nacht wiederkommen, wenn es Gottes allmächtiger Wille ist!“

„Wißt Ihr was?“ sagte ich, „der Curschmied soll den alten Braunen curiren, mein Bursche und ich wollen aufpassen, daß er seine Medicin regelmäßig einnimmt, und Ihr geht jetzt nach Hause und pflegt Eure Frau. In drei Tagen kommt Ihr wieder; der Braune wird dann ja wohl entweder gesund oder todt sein.“

„Ja, wenn es nur nicht zu viel kostet,“ erwiderte der Bauer; „die Kriegslasten sind so schwer, die Krankheit von meiner Frau hat mir auch schon viel gekostet; – aber mag es kommen, wie es will, der Braune soll sein Recht haben; er hat siebenzehn Jahre für mich gearbeitet und immer wieder frisch angezogen, wenn ich und der Hannes den Torf zusammen gefahren haben; der Braune soll curirt werden, das sagen Sie nur dem Curschmied, und wenn es auch zwei Fuder Torf kostet.“

Der alte Mann näherte sich dem stöhnenden Thiere, klopfte es auf den Hals, fuhr sich selbst über die Augen und wandte sich der Heimath zu.

Der inzwischen herbeigerufene Curschmied erklärte den Zustand des Braunen für ganz ungefährlich und verordnete einige einfache Mittel, die auch die gewünschte Wirkung hatten, so daß der alte Braune schon am folgenden Morgen etwas Weizenkleie mit Hafer vermischt aus der Krippe fraß, als ich ihm meine Visite machte.

Am dritten Tage kam der Bauer wieder. Ich begegnete ihm auf der Straße und wurde schon von weitem von ihm erkannt. „Herr Lieutenant!“ rief er, „wat maakt de ohle Bruune?“

„Der Braune ist munter und gesund,“ erwiderte ich, „kommt nur mit.“

„Ganz gesund?“ fragte der Bauer mit dem seligsten Lächeln.

„Ja, kerngesund! Ist ein hübscher, alter Gaul, der Braune.“

„Du lieber Gott, ja, ist ein rechtschaffenes Pferd, Herr Lieutenant, thut seine Arbeit und kennt die Gelegenheit beim Hause! Können’s mir glauben, er hat oft den Kopf durch’s“ Fenster gesteckt, wenn wir beim Essen waren, gerade als wenn er „gesegnete Mahlzeit“ sagen wollte. Du lieber Gott, ja! Sehen Sie, ich könnte ja leicht ein besseres und jüngeres Pferd bekommen, wenn ich das Geld dazu hätte, aber wollen Sie mir’s glauben, daß ich mich doch besinnen würde, ehe ich den alten Braunen vertauschte?“

Wir standen vor der Stallthür. Der alte Braune wieherte, als er den Tritt seines Herrn und Freundes erkannte; der Bauer verbiß sich die Thränen, als er die Stimme seines Lieblings hörte.

Ich hatte meinen Cameraden von dem braven, alten Bauer erzählt und war vom Commandeur des dritten Jägercorps, dem Major von Eickstädt, beauftragt worden, meinen Freund zum Mittagsessen einzuladen. Am obern Ende des Tisches, neben dem Major wurde ihm Platz gemacht; die Officiere tranken seine und seiner Familie Gesundheit; ich stieß ganz heimlich mit ihm an und wisperte ihm zu: „De ohle Bruune schall leewen.“

Lange hatte der Bauer gegen seine Verlegenheit angekämpft; endlich erhob er sich und sagte: „Ja, Kinners, danken kann ik nich; wüllt Se mi ober besöken und förleev nehmen mit Melk und Bookweten Grüt, denn so schüllt Se von Harten willkummen sin.“ (Danken kann ich nicht, Kinder; wollt Ihr mich aber besuchen und fürlieb nehmen mit Milch und Buchweizengrütze, so sollt Ihr von Herzen willkommen sein.)

Monate waren vergangen; wir standen im Herzogthum Schleswig auf der Idstedter Heide und erwarteten mit pochendem Herzen den Angriff des Feindes. Uns fehlten alle Bedingungen des Sieges, indem unser General dem weit überlegenen Feinde den Vortheil der Stellung eingeräumt,[1] den Bataillonen fremde, zum Theil unerfahrene und unfähige Offiziere gegeben hatte. Preußen hatte seine Commandeurs aus der schleswig-holsteinischen Armee abberufen; mit Thränen waren sie von den Soldaten geschieden, die sie zwei Jahre lang zu manchem Siege geführt hatten; die innere Organisation fehlte unserer Armee; wir waren nichts als eine Schaar von bewaffneten Männern, die bereit standen, für deutsche Ehre und deutsches Recht zu kämpfen. Zehn Tage lang hatten wir müßig auf der Haide geruht; nichts war geschehen, um unsere Stellung zu befestigen, nirgends war für die Batterien ein Aufwurf gemacht, nirgends eine Schanze errichtet. Nur ein einziger Befehl des General-Commando’s ging uns zu, aus dem wir entnehmen konnten, daß es sich ernstlich mit dem Wohle der Armee befasse: es wurde uns am 23. Juli 1850 befohlen – „die Haare kurz zu schneiden“!

Am 23. meldeten unsere Patrouillen den Anmarsch des Feindes, und am 24. Morgens begann der Kampf von fünfundzwanzigtausend Deutschen gegen fünfunddreißigtausend Dänen. Der Feind besetzte ohne Schwertstreich Punkte, die wir leicht uneinnehmbar hätten machen können, und jetzt, wo er sich festgesetzt hatte in Sümpfen und Wäldern, mußten wir ihn mit dem Bajonnete hinauswerfen. Ich stand während der Schlacht bei der zweiten Compagnie des dritten Jägercorps; meine Compagnie hielt vereint mit der dritten Compagnie des ersten Jägercorps die Ziegelei bei Engbrügg besetzt. Unsere Abtheilung kam am 24. wenig in’s Gefecht. Dafür hatten wir am folgenden Tage einen um so heißeren Kampf zu bestehen.

Wir lagen mit der Büchse im Arme auf dem Hofe der Ziegelei; eine Feldwache, unter dem Commando des tapfern, jugendlichen Lieutenant Bergin, eines Schweden, sollte uns gegen einen Ueberfall schützen; Patrouillen gingen unaufhörlich vor unserer Vorpostenkette auf und ab. Mit dem ersten Grauen des Morgens weckten uns die lang gezogenen Töne der dänischen Signalhörner; im Nu waren wir auf den Füßen, doch bevor wir uns rangiren konnten, überschüttete uns der Feind mit einer Saat von Kugeln. Drei dänische Bataillone – das dritte und fünfte Verstärkungsbataillon und das dritte Linien-Infanterie-Bataillon – waren zum Angriff auf unsere Stellung vorgegangen. Unsere kleine Feldwache war fast bis auf den letzten Mann zu Boden gestreckt; Lieutenant Bergin hatte einen Schuß in den rechten Arm bekommen; „das ist für Deutschland!“ rief der heldenmüthige Jüngling, – „vorwärts, Cameraden!“ Er stürzt mit seinen Jägern dem Feinde entgegen, wird mit ihm handgemein und stirbt mit fast allen seinen tapfern Burschen den Heldentod.

Der Widerstand der Feldwache hatte die Dänen nicht aufhalten können. Sie warfen sich mit lautem Hurrah auf die Ziegelei und gaben auf die zwei Compagnien Jäger Bataillonsfeuer.

Wir wichen dem überlegenen Feinde und suchten hinter den Hecken [55] und Knicken, hinter der Ziegelei Schutz. Dem tapfern Hauptmann von Hennings und dem braven Hauptmann von Binzer schuldet die Nachwelt volle Bewunderung; denn mit zwei furchtbar decimirten Compagnien stürmten sie zweimal die von drei dänischen Bataillonen vertheidigte Ziegelei! Zweimal warfen vierhundert Deutsche dreitausend Dänen mit dem Bajonnete zurück!

Der Kampf war zu ungleich, als daß wir ihn hätten fortführen können. Unsere Compagnie allein hatte ein volles Dritttheil ihrer Leute verloren; es fehlte uns nicht an Muth, wohl aber an Kraft, den Feind zu besiegen. In unserer höchsten Noth erschien das zweite Bataillon unter Hauptmann von Jeß; rasch wurden drei Compagnien als Tirailleure den Jägern zu Hülfe geschickt; die vierte Compagnie ging mit Trommelschlag auf die Ziegelei und das Buchholz vor. Mit lautem Hurrah sprangen die Tirailleure über Knicke und Zäune, und in einem einzigen Anlaufe hatten wir den Feind geworfen. Ein furchtbarer Kampf entspann sich. Mit Kolben und Bajonnet schlugen die Deutschen auf die dichten Massen der Dänen ein; hinter der dänischen Front spielte ihre Brigademusik den „tappern Landsoldat“, aber zum Takte des tappern Landsoldaten zerschmetterten deutsche Hiebe manch dänisches Hirn. Wir verloren in dem ungleichen Kampfe entsetzlich. Bergin, Waltersdorf, Arnstedt waren todt; Hauptmann Jeß fiel schwer verwundet vom Pferde; unser Feldwebel, Vicefeldwebel und neun Unterofficiere lagen entweder todt oder schwer verwundet auf dem Schlachtfelde, fast die Hälfte unserer Jäger war kampfunfähig. Aber auch die Dänen hatten Verluste erlitten! Bei der Ziegelei und im Buchholze war die Erde an einzelnen Stellen mit Todten und Verwundeten bedeckt. Es war nicht möglich, die Verwundeten fortzuschaffen, und wenn auch mancher brave Camerad flehend die Hände erhob und um einen Trunk, eine Aenderung seiner Lage bat, – wir konnten nicht helfen, denn mit neuen Bataillonen drangen die Dänen auf uns ein. Vier Stunden hatte der furchtbare Kampf gedauert, umsonst hatten wir um Hülfe gebeten – endlich kam der General-Major Graf Otto von Baudissin, der bravste und tapferste Mann der ganzen Armee, mit einer Abtheilung des vierten Bataillons zu unserer Unterstützung herbei.

Seine laute, sonore Stimme flößte den erschöpften Streitern neuen Muth ein.

„Uns Grof is do,“ riefen die Leute sich frohlockend zu, „nun man wedder förwarts!“ Ich höre ihn noch, wie er, als ginge es zum Festgelage, inmitten des furchtbarsten Gewehrfeuers seinen Leuten zuredete; ich sehe ihn noch, wie er kühn wie ein Löwe mit seinem Häuflein gegen den Feind stürmte und ihn zum Wanken brachte; ich sehe ihn noch, wie er schwer verwundet zu Boden stürzte und im Fallen seinen Leuten zurief: „Schlagt mit dem Kolben drein, Kinder.“ Ja, und sie schlugen mit dem Kolben drein, die braven, ehrlichen deutschen Jungen! Eine wahre Wuth war über uns gekommen; wir wollten siegen, und wir siegten. Die Dänen wichen unserm Angriff; wir hatten die Ziegelei und das dahinter liegende Gehölz mit Kolben und Bajonnet genommen! Eine Weile ruhte der Kampf – die Verwundeten wurden weggeschafft. Bauerwagen fuhren, von Dragonern mit dem Säbel vorwärts getrieben, in sausender Carriere über das Schlachtfeld und luden die verwundeten Krieger auf, um sie auf den Verbandplatz zu bringen.

Der Zug mit den ächzenden Cameraden kam dicht bei mir vorbei. Da plötzlich redete mich eine bekannte Stimme an; ich schlage die Augen auf und erblicke den ehrlichen Torfbauer, der mit seinem alten Braunen herbeigeeilt ist, um dem bedrängten Vaterland seine schwachen Kräfte zu widmen. „Herr Officier!“ rief er. „Heute danken wir Ihnen, was Sie an uns gethan – de ohle Bruune un ick.“ – Ich drückte dem ehrlichen Manne die Hand und klopfte den alten Braunen auf den Rücken. – Der Ausgang der Schlacht ist bekannt. Wir verließen das Schlachtfeld, als die dänische Armee ihr letztes, aus sechshundert Mann bestehendes Bataillon vorschickte, um ihren Rückzug zu decken.

Ich habe Segeberg wieder gesehen, den Freund auf der Haide aufgesucht und mit ihm Milch und Buchweizengrütze gegessen. Er und seine Frau haben mir die Hand darauf gegeben, daß Hannes ein Jäger werden und für das Vaterland kämpfen soll, wenn er ein Mann ist. Der alte Braune ist todt und wird tief betrauert von seinem Freunde und Herrn.




  1. Vorlage: Aeu-/sere
  1. General von Willisen schrieb dem dänischen General vor der Schlacht bei Idstedt: „Ich habe Ihnen den Vortheil der Stellung eingeräumt, um Sie von meinen friedlichen Absichten zu überzeugen.“ (!!!)