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Titel: Erinnerungen an Paganini
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aus: Die Gartenlaube, Heft 7, S. 121
Herausgeber: Ernst Ziel
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Erinnerungen an Paganini.

Die Triumphe, welche der „Wundermann auf der G-Saite“ einst in allen Ländern Europas erzielt hatte, wurden von einer berufenen Feder in ausführlicher Weise und zu wiederholten Malen den Lesern der „Gartenlaube“ vorgeführt. Darum müssen wir jetzt, da die musikalische Welt am 18. Februar den hundertjährigen Geburtstag des Geigerkönigs Nicolo Paganini feiert, von einer Würdigung seines wunderbaren Spiels und von einer eingehenden Schilderung seines vielbewegten Lebens absehen. Aber ganz stillschweigend wollen wir diesen Gedenktag nicht an uns vorübergehen lassen und wenigstens einige charakteristische Züge mittheilen, die weniger den Künstler als den Menschen Paganini uns vorführen.

Der Sage nach, die das Leben Paganini’s mit vielen ihrer wunder- und geheimnißvollen Blüthen umrankt, hatte der Mutterstolz den Knaben zum größten Geiger der Erde bestimmt. Denn der Frau des genuesischen Hafenmäklers soll bald nach der Geburt Nicolo’s ein Engel im Traum erschienen sein und ihr erklärt haben, daß der Wunsch, den sie in diesem Augenblick dem himmlischen Sendboten mittheilen würde, sicher in Erfüllung gehen werde. Und da habe die Mutter alle Schätze der Welt von sich gewiesen und für ihren Sohn nur den Ruhm des größten Geigers verlangt. Dieser Ehrgeiz der italienischen Frau hat sicher auf Paganini’s Entwickelung einen großen Einfluß ausgeübt, schrieb sie ihm doch später, als er bereits viele Lorbeerkränze errungen hatte: „Mein Traum hat sich verwirklicht, und was Gott mir versprochen, ist zugetroffen. Thue Alles, was in Deiner Macht liegt, damit Dein Name unsterblich werde!“

In der That war es auch anfangs nur der praktische Vater, der das Talent seines Sohnes als melkende Kuh betrachtete und nach Kräften ausnützte. Der Jüngling selbst schätzte das Geld gering und wurde es namentlich im Hazardspiel los. Man erzählt sogar, daß er oft in Folge der Spielwuth seine Geige versetzen mußte und auf fremden, geliehenen Instrumenten Concerte gab. Nach eigenen Angaben des Künstlers hätte ihn folgender Vorfall von dieser Leidenschaft geheilt.

Ein Prinz hatte es auf seine Geige abgesehen und wollte den Preis derselben erfahren. Paganini hatte keine Lust sich seiner „Guarneri“ zu entäußern, und forderte 250 Napoleonsd’or. Der Prinz hielt diese Forderung für einen Scherz, bot aber dem Künstler 2000 Franken an. Nun hatte Paganini damals nur 30 Franken in der Tasche und gerieth in’s Schwanken. Da holte ihn ein Freund zu einer Spielpartie für den Abend ab, und er beschloß, seinen Vermögensrest einzusetzen, falls ihm das Schicksal ungünstig wäre, den Kaufpreis anzunehmen und nach Petersburg zu reisen, um dort sein Glück zu versuchen. Schon hatte er seine 30 Franken bis auf 3 eingebüßt und sah sich im Geiste bereits auf dem Weg nach Norden, als ihn der Zufall plötzlich 160 Franken gewinnen ließ und seine Geige wie ihn selbst vor einer ungewissen Zukunft rettete. „Seit diesem Tag,“ erzählt Paganini, „zog ich mich völlig vom Spiel zurück, dem ich einen Theil meiner Jugend geopfert, und entsagte dieser unseligen Leidenschaft in der Ueberzeugung, daß ein Spieler überall verachtet sein müsse.“

A. Niggli, auf dessen treffliche Abhandlung[1] wir gerade in diesem Augenblick empfehlend hinweisen möchten, zweifelt mit Recht an der Wahrheit dieses Berichtes, den wir hier wiedergeben, weil er ein charakteristisches Zeichen bildet für die Art und Weise, in welcher Paganini selbst über seine Lebensschicksale die seltsamsten Märchen verbreitete.

Von der Leidenschaftlichkeit seines Charakters zeugt auch ein anderer köstlicher Vorfall, der sich in Ferrara ereignete. Paganini beabsichtigte hier unter Mitwirkung einer berühmten Sängerin ein Concert zu geben. Als diese ihm jedoch plötzlich ihre Betheiligung absagen ließ, wußte er eine ihm bekannte Tänzerin Pallerini zum Auftreten zu bewegen. Leider wurde die sonst mit anmuthiger Stimme begabte Dame vom Lampenfieber ergriffen und trug ihre Arie sehr unsicher vor. Beim Abgange derselben von der Bühne ließ sich neben dem obligatorischen Beifallklatschen auch ein lautes Zischen hören. Paganini sann auf Rache, die er noch an demselben Abende ausführte. Er kündigte an, daß er nunmehr auf seiner Geige verschiedene Thierlaute nachahmen werde. Das Auditorium hörte nun das Gezwitscher einiger Vögel, das Miauen der Katze und das Bellen des Hundes, als Paganini, in den Vordergrund tretend, plötzlich das Ya des Esels ertönen ließ und laut in das Publicum rief: „Das für Denjenigen, welcher gezischt hat.“ Der Witz war ihm aber schlecht gelungen. Er wußte nicht, daß Ferrara in der Umgegend als Sitz der Dummköpfe verspottet und daß der unmelodische Yalaut als Spottruf der Ferraresen gebraucht wurde. Kaum waren also die seltenen Töne seiner Geige entlockt, als sich das Publicum wüthend erhob und auf die Bühne drängte. Nur durch schnelle Flucht konnte sich der Geigerkönig vor den Stürmenden retten und mußte sich dem Schutze der heiligen Hermandad anvertrauen.

Aber aus dem leichtsinnigen Künstler wurde er bald zu einem sparsamen Manne, der nicht nur vernünftig für sich selbst sorgte, sondern, wie man ihm nachsagte, sogar in die Untugend des Geizes verfiel.

Schon in Italien hatte er große Einnahmen für seine Concerte erzielt, die jedoch durch seine Einnahmen im Auslande bedeutend übertroffen wurden. In Wien hatte er an einem einzigen Abende 12,000 Gulden, in Warschau 11,000 polnische Gulden, in Berlin 2400 Thaler eingenommen etc. Und doch waren diese Summen unbedeutend im Vergleiche zu dem in Paris erzielten Gewinne, der an fünf Abenden 90,000 Franken betrug, oder gar zu dem Erlöse aus den fünf Londoner Concerten, die ihm nach unserem jetzigen Gelde 400,000 Mark eintrugen. Seine Kunst hatte in der That goldenen Boden, und so war es ihm auch leicht, ein Vermögen von 2 Millionen Franken zu hinterlassen.

Es ist oft versucht worden, die Behauptung von dem Geize Paganini’s zu widerlegen, und seine Freunde führten als Beweis seiner Freigebigkeit das großmüthige Geschenk an, welches er dem französischen Componisten Berlioz gemacht hat. In der „Gartenlaube“ (Jahrg. 1872 S. 32) wurde auch der Brief Paganini’s an den Componisten von „Romeo und Julie“ abgedruckt, der also lautete:

„Mein lieber Freund! Nachdem Beethoven entschlafen, konnte nur Berlioz ihn wieder aufleben lassen, und ich glaube nach dem Genuß Ihrer göttlichen Compositionen, die eines Genies wie des Ihrigen würdig sind, Sie bitten zu müssen, als Zeichen meiner Huldigung zwanzigtausend Franken anzunehmen, die Sie nach Vorzeigung des Beigeschlossenen von Herrn Baron von Rothschild ausgezahlt erhalten werden.“

Diese vielbesprochene Wohlthat Paganini’s wurde in letzter Zeit auf verschiedene Art gedeutet, und wir geben im Nachstehenden eine Stelle aus Hiller’s „Künstlerleben“ wieder, welche dem Streite über die 20,000-Frankenspende einen sonderbaren Abschluß verleiht und die wir in Folge unserer früheren Mittheilungen den Lesern der „Gartenlaube“ schuldig sind.

„Armand Bertin,“ sagt Hiller, „der reiche mächtige Besitzer des ‚Journal des Débats‘, hatte durch Berlioz selbst von der fanatischen Begeisterung des berühmten Geigers gehört und machte, da er den genialen Componisten liebte, Paganini den Vorschlag, sich ohne Unkosten als Spender der genannten Summe zu bekennen. Paganini that, was von ihm verlangt wurde.

‚Ist das denn wahr, sicher, möglich, glaublich?‘ frug ich Rossini.

‚Ich weiß es,‘ erwiderte der Maestro mit dem festen Ernste, der ihm nicht minder wohl anstand, als der scherzende Humor, in dem er sich meistens gefiel.“

Heute, wo so viel von Heinrich Heine geschrieben und gedruckt wird, wird es wohl am Platze sein, an jene sarkastische Schilderung zu erinnern, die der Dichter uns über das Auftreten Paganini’s in Hamburg gegeben. „Endlich kam auf der Bühne eine dunkle Gestalt zum Vorschein, die der Unterwelt entstiegen zu sein schien. Das war Paganini in seiner schwarzen Gala, der schwarze Frack und die schwarze Weste von einem entsetzlichen Zuschnitte, wie er vielleicht am Hofe Proserpina’s von der höllischen Etikette vorgeschrieben ist; die schwarzen Hosen ängstlich schlotternd um die dünnen Beine. Die langen Arme schienen noch verlängert, indem er in der einen Hand die Violine und in der andern den Bogen gesenkt hielt und damit fast die Erde berührte, als er vor dem Publicum seine unerhörten Verbeugungen auskramte. In den eckigen Krümmungen seines Leibes lag eine schauerliche Hölzernheit und zugleich etwas närrisch Thierisches, daß uns bei diesen Verbeugungen eine sonderbare Lachlust anwandeln mußte; aber sein Gesicht, das durch die grelle Orchesterbeleuchtung noch leichenartig weißer erschien, hatte alsdann so etwas Flehendes, so etwas blödsinnig Demüthiges, daß ein grauenhaftes Mitleid unsere Lachlust niederdrückte. Hat er diese Complimente einem Automaten abgelernt oder einem Hunde? Ist dieser bittende Blick der eines Todtkranken, oder lauert dahinter vielleicht der Spott eines schlauen Geizhalses? Ist das ein Lebender, der im Verscheiden begriffen ist und der das Publicum in der Kunst-Arena, wie ein sterbender Fechter, mit seinen Zuckungen ergötzen soll? oder ist es ein Todter, der aus dem Grabe gestiegen, ein Vampyr mit der Violine, der uns, wo nicht das Blut aus dem Herzen, doch auf jeden Fall das Geld aus den Taschen saugt?“

Und doch mußte Heine trotz dieses äußeren Eindruckes vor der Kunst des Mannes sein Haupt beugen. Aber in der scharfen Beurtheilung Paganini’s steht Heine nicht vereinzelt da.

Auch Goethe folgte nicht der großen Schaar der Bewunderer und schrieb an Zelter in einem Brief vom 13. November 1829 über Paganini’s Auftreten in Weimar: „Was die Aufmerksamkeit an diesem Virtuosen so in Beschlag nimmt, mag eine Vermischung sein des Grillenhaften mit der Sehnsucht nach Ungebundenheit. Es ist eine Manier aber ohne Manier; denn es führt wie ein Faden, der immer dünner wird, in’s Nichts. Es leckert nach Musik, wie eine nachgemachte Auster gepfeffert und gesäuert verschluckt wird.“

Daß Paganini diese harten Urtheile seiner Zeitgenossen durch sein schroffes Benehmen und die Schattenseiten seines Charakters oft herausgefordert, dafür möge nur folgendes Bruchstück aus dem oben angeführten Vortrage A. Niggli’s zeugen: „Im gleichen Athemzug, mit dem Paganini sich krampfhaft für seinen öffentlichen Ruf wehrte, nannte er das Volk verächtliche Canaille. ‚Was will denn das Thier?‘ war sein Ausdruck, wenn ein städtischer Arbeiter oder Bauer an ihn herantrat. War er mit seinem Postillon zufrieden, so sagte er wohl: ‚Das Rindvieh fährt gut.‘ Verlangte derselbe aber ein Trinkgeld von ihm, so setzte es italienische Redensarten ab, die sich kaum zur Wiedergabe eignen dürften.“

Darum fühlten sich auch edlere Naturen von Paganini abgestoßen und selbst einer seiner größten Verehrer und kein Geringerer als Franz Liszt hat über ihn folgendes Verdammungsurtheil abgegeben:

„Dieser Mensch, dem so viel Begeisterung entgegenjauchzte – er streifte die Menge, ohne sich traulich zu ihr zu gesellen; Niemand ahnte die Empfindungen, die sein Herz bewegten; seines Lebens Goldstrahl verklärte kein ander Leben, keine Gemeinschaft des Denkens und Fühlens verband ihn seinen Brüdern: fremd blieb er jeder Neigung, fremd jeder Leidenschaft, fremd selbst seinem eigenen Genius; denn was ist der Genius anders als die der Menschenseele ihren Gott offenbarende Priestermacht? – und Paganini’s Gott ist nie ein anderer gewesen als allein sein eigenes düstertrauriges Ich!“ – i.     



  1. Vergl. „Nicolo Paganini. Von A. Niggli“ abgedruckt in der „Sammlung Musikalischer Vorträge. Vierte Reihe“. (Verlag von Breitkopf und Härtel in Leipzig 1882.) Internet Archive