Textdaten
<<< >>>
Autor: Anna Louisa Karsch („A. L. Karschin“)
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Epistel an das Leben
Untertitel:
aus: Thalia – Erster Band,
4. Heft (1788), S. 3–6
Herausgeber: Friedrich Schiller
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1788
Verlag: Georg Joachim Göschen
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld = Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[3]

II.

Epistel an das Leben.






Gabe! die mir ward gegeben,
als mein Auge, halbgebaut,
noch mit Dunkel war umgeben,
Huldgeschenk! mir anvertraut,

5
Schöpfergabe, süßes Leben!

dich besiz ich lange schon
und ward dich nicht überdrüßig,
sprach dir keinen bittern Hohn,
wenn das Unglük riesenfüßig

10
mich verfolgte, wenn der Gram

mir mein Herz zernagen wollte,
und der Tag mich wekken kann
daß ich Kummer weinen sollte;
niemals hab ich meinen Haß

15
dir gezürnt, wenn mich getreten

wer von meinem Bissen aß;
niemals hab ich Gott gebeten
dich zu nehmen, wenn ein Sturm
über mir ist losgebrochen,

20
oder über Nacht ein Wurm

einen Kürbis hat gestochen
dessen Laub mir Schatten gab.

[4]

Einmal nur hab ich dich minder
lieb gehabt, du theures Gut!

25
bei den Gräbern meiner Kinder

bei mithingesunknem Muth
warst du mehr als dreißig Tage
mir gleichgültiger als jezt
da ich Alterslasten trage,

30
weniger wardst du geschäzt

etwas weniger, als heute,
aber in der Seele blieb
doch die Hofnung dir zur Seite,
flüsterte so sanft, so lieb

35
dir zum Vortheil, und zerstreute,

das Gewölk der Traurigkeit,
wie am Firmament die Sonne
dikken Erdedunst zerstreut
wenn ihr Lichtstrom neue Wonne

40
allen Wesen mitgetheilt.

Hofnung flüstert dir zum Besten
wenn, gleich unwillkommnen Gästen,
Gicht und Fieber in mir weilt
und Geschmak und Schlaf entfliehen,

45
o, dann flüstert sie mir zu:

daß die Rosen wieder blühen,
daß durch ihren Balsam du
frische Kraft wirst in dich saugen,
daß bei junger Weste Wehen

50
ich den Hain mit muntern Augen

wieder schatticht würde sehn,

[5]

wieder grün die Lindenwipfel
und der Freundschaft Laubendach,
und der Traubenberge Gipfel

55
und den Rand am Silberbach.

Ihr Geflüster nimmt zur Hülfe
noch das Lispeln der Geduld
lieblich, wie die Luft im Schilfe
unter Frühlingssonnenhuld. ─

60
Darum werd ich dein genießen

nimmer müde, nimmer satt;
Leute, die dich von sich stießen,
weil ihr Kopf geschwindelt hat
das zu tragen, was dein Geber

65
zuzulegen nöthig fand,

nenn ich tolle Widerstreber
seiner väterlichen Hand,
oder, blöde, feige Memmen
die, verzagtes Herzens, nicht

70
ihren Arm beim Sturme stämmen

an den Stab der Zuversicht,
und aus deinem Gleise wanken
unbefohlen in ihr Grab.
Ich behalte dich mit Danken,

75
gebe dich mit Ehrfurcht ab

und mit willigem Entschlusse
wenn dein Herr dich wieder nimmt,
der tief unter seinem Fuße
aller Sterne Gang bestimmt,

[6]
80
und hoch über allen Sternen

mir ein Leben giebt, so lang,
daß ich ganz kann kennen lernen
seinen, hier verborgnen, Gang.

A. L. Karschin.