Enthüllungen zur Konitzer Mordaffaire/Fehler des Judentums
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|[68] Allerdings hätte die Morduntersuchung trotz der eben gerügten bureaukratischen Schwerfälligkeit noch nicht diesen traurigen Ausgang zu nehmen brauchen, wenn nicht die Bemühungen derjenigen Kreise, die ein berechtigtes Interesse an der Aufklärung der Mordthat hatten, an denselben Fehlern und Gebrechen gelitten hätten. Unter diesen berechtigten Interessenten verstehe ich das Judenthum im Allgemeinen und die jüdischen Schutzvereine gegen den Antisemitismus im Besonderen. Von antisemitischer Seite ist ja bekanntlich die Thatsache, daß die leitenden jüdischen Kreise der Konitzer Affaire fortgesetzt ein besonderes lebhaftes Interesse entgegenbrachten, als ein, das gesammte Judenthum stark verdächtigendes Moment bezeichnet worden. Ein direkt aus dem Narrenhause bezogenes Argument. Denn nachdem die Juden von der aufgehetzten, fanatisirten Bevölkerung einmal jenes Mordes beschuldigt waren, wird es ihnen wohl kein zurechnungsfähiger Mensch verdenken können, wenn sie sich gegen diese ungeheuerlichen Beschuldigungen zur Wehr setzten und auch ihrerseits mit allen Mitteln dahin strebten, durch eine Aufklärung der traurigen Angelegenheit die völlige Haltlosigkeit dieser Gerüchte zu erweisen. Der einzige Vorwurf, der ihnen in dieser Beziehung wirklich zu machen ist, ist eben der, daß sie diese Versuche nicht mit der nöthigen Energie und vor allen Dingen mit völlig unzulänglichen Mitteln unternommen haben. Die antisemitische Phantasie hat ja die Rechercheure der jüdischen Vereine in Konitz nur so mit den Tausenden herum werfen lassen; in Wahrheit waren auch hier, ebenso wie bei den Staatsbehörden, die für die eigentlichen Ermittelungen bestimmten Mittel so kärglich bemessen, daß sich dadurch die Verwendung und Entsendung der für die Aufklärung eines solchen Falles benöthigten Anzahl genügend geschulter, erfahrener Privat-Detektive ganz von selbst verbot. Man war in dieser Beziehung von vornherein auf die Mittelmäßigkeit angewiesen, und mehr wie mittelmäßig waren thatsächlich die „Kriminalisten“ von deren Thätigkeit in Konitz die Juden die Aufklärung der traurigen Affaire erwarteten. Die jüdischen Zentralstellen hätten doch wohl eigentlich schon von Skurz, Xanten und Polna her wissen müssen, daß die Aufklärung und Bearbeitung einer Ritualmordaffaire kein ganz alltägliches Stück Arbeit ist. Wie man die Lösung einer solchen Aufgabe von einem subalternen Kopf, wie dem mit der Leitung der |[69] dortigen Ermittelungen jüdischerseits betrauten Privat-Detektiv Schiller erwarten konnte, ist einfach räthselhaft. Es gehörte doch, wirklich keine große Menschenkenntniß und Welterfahrung dazu um heraus zu finden, daß dessen kriminalistische Fähigkeiten für die Bewältigung dieser Riesenaufgabe in keiner Weise ausreichten. Die selbstständige Leitung der Ermittelungen in dieser Affaire erforderte denn doch ein etwas größeres Maß universalen Wissens und Könnens als es jener besaß. Wenn die antisemitische Richtung dort in Konitz auf der ganzen Linie einen so leichten und mühelosen Sieg erringen konnte, so liegt das nicht zum Wenigsten auch mit daran, daß die in ihrem Interesse dort thätigen Herren Werner und Zimmer sich die ganzen jüdischen Rechercheure, was geistige Kapazität anbelangt, bequem als Berloque an die Uhrkette hängen konnten. Ich habe gewiß keine besondere Ursache, das Lob dieser Personen zu singen. Im Gegentheil. Ihre Thätigkeit in Konitz war, was die eigentliche Untersuchung anbelangt, die unheilvollste und schädlichste, die man sich denken kann. Sie haben – immer unter dem Vorgeben, die Mörder entdecken zu wollen – nicht blos die Bevölkerung, die ihnen ein geradezu blindes Vertrauen entgegen brachte, sondern oft genug selbst die Behörden wissentlich und absichtlich in der frivolsten Weise irre geführt. Sie haben in Konitz nicht nur agitatorisch das Verhetzungswerk in der schlimmsten Weise betrieben: sie waren auch – rein kriminell betrachtet – unermüdlich in der geschickten Lanzirung immer neuer unsinniger Gerüchte durch welche die Behörden irre geführt werden mußten und sollten und die in nicht wenigen Fällen den wesentlichen Kern so mancher leichtfertig beschworenen Aussage bildeten. Ich erinnere da nur an die vielerörterte Blumen-Bouquet Geschichte, nach welcher ein Gärtnerlehrling von dem in dieser Affaire oft genannten jüdischen Kaufmann Tuchler angeblich 500 Thaler Schweigegeld erhalten haben sollte. Diese eingestandenermaßen von Herrn Werner frei erfundene Geschichte war durch die „Staatsbürger-Zeitung“ der Konitzer Bevölkerung in so geschickter Weise suggerirt worden, daß ihre völlige Aufklärung und Zurückführung auf den wahren Ursprung den Behörden später trotz aller Anstrengungen nicht recht gelang, und jener unglückliche Gärtnerbursche in Folge der dadurch heraufbeschworenen Anfeindungen seitens der Konitzer Bevölkerung bis zu Selbstmordversuchen getrieben wurde. Aehnliche Geniestreiche ließen sich noch eine ganze Anzahl aufzählen. Trotz oder vielmehr gerade wegen ihrer hierbei bewiesenen Gewissenlosigkeit resp. der daurch bedingten Gefährlichkeit betrachte ich es noch heute als einen schweren Fehler, den die Vertreter der jüdischen Interessen gemacht haben, daß sie es unterließen, |[70] diese beiden Personen in das eigene Lager hinüber zu ziehen, als sich die Gelegenheit dazu bot. Denn käuflich waren Beide. Bei Werner zeigte sich das in der eklatantesten Weise anläßlich des von mir bereits kurz erwähnten Akten-Angebots, von welchem ich, nachdem die Behörden sich vollständig ablehend geäußert hatten, auch jüdischen Interessenten Mittheilung gemacht hatte. Gerade die Art und Weise, wie von dieser Mittheilung Gebrauch gemacht wurde, zeigt übrigens, daß die betreffenden Kreise in der rechtzeitigen Erkenntniß und Ausnutzung der Situation mit den Staatsbehörden auf einer Stufe standen. Denn selbst wenn man darauf verzichtete Herrn Werner im eignen Interesse in Konitz weiter zu beschäftigen, bot doch jener von ihm proponirte Kuhhandel die beste Gelegenheit, den – milde gesagt – höchst unbequemen Gegner für Konitz dauernd unschädlich zu machen. Unter den mir zum Verkauf angebotenen Schriftstücken befand sich nämlich auch Material, das der Schlächtermeister Hoffmann dem Werner vertrauensvoll übergeben hatte. Das richtige Bekanntwerden dieses Judastreiches des antisemitischen Führers gegenüber dem in Konitz ungemein populären Hoffmann hätte das Vertrauen der irre geleiteten Bevölkerung zu den führenden Männern der antisemitischen Nebenuntersuchung arg erschüt ert und damit wäre schon für eine ruhigere Würdigung der augenblicklichen Verhältnisse viel gewonnen gewesen. Man hat diesen ganzen Vorfall aber ebenso wenig beachtet, wie etwas später den von Herrn Zimmer Herrn Rechtsanwalt Appelbaum gegenüber gemachten Vorschlag, die Verurtheilung des unglücklichen Moritz Levy rechtzeitig zu hintertreiben. Denn auch dieser Vorschlag war zweifellos bitter ernst gemeint. Herr Zimmer hatte sich thatsächlich in Konitz eine Position geschaffen, die es ihm ermöglichte über derartige heikle Sachen ganz ernsthaft zu verhandeln. Als er sich zur Rettung des Moritz Levy erbot, war er sicher noch in der Lage, sein Versprechen zu halten, und wenn er später wiederum noch vor der gerichtlichen Verurtheilung des Levy in einem vertraulichen Pourparler erklärte, jetzt sei er dazu selbst gegen Zahlung von 20,000 Mark nicht mehr in der Lage, so zeigt das wiederum, daß er jederzeit die Grenze seiner Leistungsfähigkeit genau kannte. Begreiflich! Er war ja der eigentliche Regisseur der Moritz Levy-Tragödie und hatte als kluger, vorsichtiger Mann die Fäden dieser Episode der Konitzer Affaire so lange als möglich in der Hand behalten. Die Konitzer Justizbehörden werden es ja vielleicht nicht Wort haben wollen, daß Herr Zimmer wirklich eine so unheimliche Macht besessen haben soll[t]e; aber jeder mit den damaligen dortigen Verhältnissen Vertraute wird mir beipflichten, wenn ich behaupte, daß die Verurtheilung des Moritz Levy, dieser größte Schandfleck der ganzen Affaire, die später trotz der glänzendsten Vertheidigung |[71] und der größten Opfer an Mühe und Geld nicht zu verhindern war, bei einer rechtzeitigen Acceptirung der angebotenen Dienste des Herrn Zimmer wahrscheinlich nicht erfolgt wäre. Er ist ja allerdings auf mein Betreiben von Schiller auf kurze Zeit verpflichtet geworden und hat auch während dieser Zeit den Herrn Antisemiten in aller Stille ein paar artige Kukukseier ins Nest gelegt. Gerade die Art und Weise, wie er während dieser kurzen Thätigkeit die öffentliche Meinung in Konitz durch Zeitungsartikel und hingeworfen flüchtige Bemerkungen sofort im günstigen Sinne zu beeinflussen verstand, ist mir noch heute der vollgültigste Beweis dafür, daß dieser Mann thatsächlich für die Interessen des Judenthums die werthvollste Aquisition gewesen wäre. Eine um so werthvollere natürlich, je länger man der fanatisirten Bevölkerung sein Abschwenken ins gegnerische Lager zu verheimlichen verstand. Daß sein Verhältniß zu Schiller nicht von Dauer sein konnte, lag auf der Hand. Die ihm hier zugedachte sekundäre Stellung unter einem geistig tief unter ihm Stehenden konnte diesen Mann wirklich nicht reizen, zumal die ihm von diesem gewährte Bezahlung wirklich nicht zum dauernden Abfall verleiten konnte. Wollte man diese für die Konitzer Verhältnisse thatsächlich unbezahlbare Kraft dauernd für seine Interessen gewinnen, dann hätte man ihn nicht nur ausreichend bezahlen müssen, sondern man hätte ihm auch vor allen Dingen nicht von vornherein mit so unverhohlenem Mißtrauen entgegen treten dürfen, wie es leider thatsächlich geschehen ist. Möglich, daß dem Ueberläufer gegenüber zunächst wirklich etwas Vorsicht ganz am Platze war. Aber das hätte man ihm dann unter keinen Umständen so deutlich zeigen dürfen, denn gerade Elemente dieses Schlages pflegen gegen solche kleinen Nadelstiche gewöhnlich sehr empfindlich zu sein und sich später dafür auf ihre Weise zu rächen. Bei seiner damaligen gereizten Stimmung gegen seinen bisherigen Auftraggeber, Herrn Bruhn war aber Tausend gegen Eins zu wetten, daß man ihn bei nur einigem Entgegenkommen wirklich für die jüdische Sache, die in diesem Falle zweifellos die des Rechtes war, gewann. Das wäre im Interesse der ganzen Affaire sehr wünschenswerth gewesen, denn Herr Zimmer hatte die leitenden Persönlichkeiten des Konitzer antisemitischen Nebenuntersuchungsausschusses viel zu sehr an der Strippe gehabt; er kannte die internen Redaktionsgeheimnisse der Staatsbürger-Zeitung viel zu gut, um nicht dem ferneren wüsten demago[gi]schen Treiben dieser Elemente heilsame Dämpfer aufsetzen zu können. Solchen Aussichten gegenüber waren ästhetische Bedenken wirklich nicht angebracht. Zimmer war – das muß ihm der Neid lassen - jedenfalls unter Berücksichtigung der ganzen eigenartigen Sachlage die zur Bearbeitung der Konitzer Mordaffaire berufenste Privatperson. Er war dieser Aufgabe zweifellos in jeder Beziehung besser gewachsen wie Herr Schiller. |[72] Das hartnäckige Festhalten der leitenden jüdischen Persönlichkeiten an diesem Chef-Rechercheur ist auch, ganz abgesehen von seinem mangelnden kriminellen Fähigkeiten, schon deswegen ein grober Fehler gewesen, weil die – milde gesagt – gewagten Experimente und Detectivkniffe dieses Mannes bei ihrem Ruchbarwerden seine Hintermänner in unangehmene Verlegenheit bringen mußten. Die Konitzer Mordaffaire war nun einmal zum Spielball der Parteileidenschaft geworden und es gehörte wahrlich nicht viel Erfahrung dazu, um sich sagen zu müssen, daß bei einer etwaigen Gerichtsverhandlung gegen die muthmaßlichen Mörder jede Handlung des das Belastungsmaterial herbeischaffenden Rechercheurs von der Gegenpartei durch die Lupe auf ihre Lauterkeit geprüft worden wäre. Welche Wonne alsdann, wenn man dem Betreffenden auch nur eine einzige Handlung hätte nachweisen können, wie sie Schiller im Laufe seiner Recherchen notorisch unzählige Male sich hat zu Schulden kommen lassen. Die spätere Verurtheilung dieses Mannes zu 2 ½ Jahren Zuchthaus wegen Verleitung zum Meineide hat ja in der Oeffentlichkeit eine grundverschiedene Beurtheilung erfahren, je nachdem, ob man die Sache vom philosemitischen oder antisemitischen Standpunkt betrachtete. Es ist ja möglich, daß die Strafe, wenn man den geistigen Horizont des Verurteilten berücksichtigt, ziemlich hart erscheint, - eine unverdiente Strafe war es aber jedenfalls nicht. Schiller hat thatsächlich während seiner ganzen dortigen Thätigkeit in der leichtfertigen und frivolsten Weise mit Mitteln gearbeitet, von denen die beiden, seiner Verurteilung zu Grunde liegenden angeblichen Zeugenbeeinflussungen nur einen schwache Probe sind. Und was das Bedenklichste an der Sache war: seine Auftraggeber hatten schließlich von diesen gewagten Manipulationen Kenntniß erlangt, ohne es aber für nötig zu befinden, ihn seines Vertrauenspostens zu entheben. Ich war nur kurze Zeit von Ende August bis Anfang September mit Schiller zusammen in der Konitzer Affaire thätig und habe meine Beziehungen zu ihm schleunigst wieder abgebrochen, nachdem ich einen näheren Einblick in die Art seiner Thätigkeit gewonnen hatte. Ich habe es dann später für meine Pflicht gehalten, auch seine Geldgeber in der Beziehung zu informiren, und habe ihnen die bündigsten Beweise für die absolute Unzuverlässigkeit des Schiller geliefert. Ich habe ihnen unter Klarlegung ganz bestimmter Vorgänge erklärt, daß ich keine Lust hätte, wegen Herrn Schiller ins Zuchthaus zu gehen und habe ihnen den guten Rath gegeben, auch ihrerseits beizeiten die Beziehungen zu Schiller abzubrechen, da sie selbst bei einem Bekanntwerden derartiger Vorkommnisse der öffentlichen Meinung gegenüber in ein schiefes Licht geraten würden. Die späteren Ereignisse haben jedenfalls gezeigt, daß ich Recht hatte mit meiner Warnung, und wenn den betreffenden Herren in |[73] der Folgezeit Herr Schiller und seine Handlungsweise von ihren Gegnern an die Rockschöße gehängt worden sind, so haben sie sich das im Grunde selbst zuzuschreiben. Die Herren kapricirten sich immer darauf, nur mit einer Person zu verhandeln, nur von einem Beauftragten Berichte entgegen zu nehmen und haben mit ihrer übergroßen Scheu, öffentlich mit aller Energie die in Konitz schwerbedrohten Interessen ihrer Glaubensgenossen zu vertreten, nicht wenig zu den Erfolgen der antisemitischen Agitation beigetragen. Hätte die philosemitische Richtung in Konitz stadtbekannte, zielbewußte Führer gehabt, wäre ein deutlich erkennbarer Mittelpunkt vorhanden gewesen, um welchen sich die auch in der ärgsten Zeit, gottlob, immer noch ziemlich zahlreich vorhandenen anders denkenden Elemente hätten scharen können, und wäre vor allen Dingen die dem jüdischen Einfluß in so reichem Maße zugängliche Presse in der richtigen Weise für diesen Feldzug mobil gemacht und ins Feld geführt worden: die antisemitische Partei hätte sicherlich nicht so leicht die Herrschaft in Konitz errungen, wie es thatsächlich leider der Fall war. Man rühmt im Allgemeinen den Privat-Institutionen in Bezug auf Handeln und Entschließen eine größere Beweglichkeit nach als den Staatsbehörden. Ich glaube nun bereits gezeigt zu haben, daß die amtlichen Maßnahmen in der Konitzer Mordaffaire sämmtlich die Signatur tragen: „Nur keine Ueberstürzung!“ Trotzdem konnten die Konitzer Behörden den ihnen freiwillig sekundirenden jüdischen Schutzvereinen in der Beziehung immer noch einige Points vorgeben. Um nur ein Beispiel anzuführen: die Presse. Ueber die Bedeutung der Presse bei der Erörterung öffentlicher Angelegenheiten vom Schlage der Konitzer Affaire brauche ich wohl kein Wort zu verlieren. Die antisemitische Partei hat diese Bedeutung auch keinen Augenblick verkannt und vom Anbeginn der Affaire an nicht nur die Stadt Konitz sondern die ganze Provinz West-Preußen mit antisemitischen Flugschriften und der Staatsbürger-Zeitung förmlich überschwemmt. Von jüdischer Seite hat man nicht nur versäumt, rechtzeitig einen entsprechenden Gegenfeldzug zu insceniren: man hat geradezu mit verschränkten Armen zugesehen, wie Zeitungen, welche anfangs einen durchaus wohlwollenden Standpunkt einnahmen, später unter dem Druck der Ereignisse in das antisemitische Lager getrieben wurden. Das Konitzer Tageblatt beispielsweise, die wichtigste Lokalzeitung, hat noch bis Anfang Mai der Affaire ganz neutral und objektiv gegenüber gestanden, und es wäre jedenfalls dem Judenthum mit einigen financiellen Opfern ein Leichtes gewesen, der Zeitung diese Färbung zu erhalten. Daß man dieses alteingeführte Lokalblatt in die Hände der Antisemiten übergehen ließ, um später als nichts mehr zu retten war, mit viel größeren pekuniären Opfern eine neue Ortszeitung zu gründen, anstatt diese undankbare Aufgabe den Gegnern zu überlassen, ist einer von |[74] den vielen nicht wieder gut zu machenden Versäumnißfehlern der berufenen Vertreter der jüdischen Interessen. Sollte diese Zeitung überhaupt irgendwelchen Nutzen stiften, dann hätte man sie mindestens 6-9 Monate früher ins Leben rufen müssen, auch hätte sie alsdann von vornherein eine weit schärfere Tonart anschlagen müssen, wenn sie in der bereits an die gepfefferten Berichte der antisemitischen Organe gewöhnten Konitzer Bevölkerung irgendwelchen Einfluß gewinnen wollte. Ließ sich aber die Neugründung eines eigenen, sich hauptsächlich dieser Affaire widmenden Organs nicht so schnell ermöglichen, dann hätten die leitenden Kreise doch mindestens für die Massenverbreitung einer anderen ihrem Einflusse zugänglichen judenfreundlichen Zeitung in Konitz und Umgebung sofort Sorge tragen müssen. Denn ohne die Unterstützung einer gut informirten, den Verhältnissen verständnisvoll Rechnung tragenden Presse waren eben alle Versuche vergeblich, den zum Schaden der ganzen Affaire bereits übermächtigen Einfluß der antisemitischen Agitatoren auf ein natürliches Maß zurück zu führen. Ich habe bereits Ende Mai 1900 Veranlassung genommen, einer maßgebenden Berliner Persönlichkeit den Vorschlag zu unterbreiten, durch ein Abkommen mit einer der radikaleren liberalen Zeitungen für eine entsprechende Vertretung der jüdischen Interessen Sorge zu tragen, denn das im Kampf gegen die Staatsbürger-Zeitung immer in erster Linie genannte „Kleine Journal“ eignete sich schon seiner höfischen Schreibweise wenig zu dieser Aufgabe, abgesehen davon, daß auch für die Verbreitung desselben in Konitz selbst so gut wie nichts gethan wurde. Denn wenn eine solche Zeitung bei der damaligen oppositionellen Stimmung der Bevölkerung von der letzteren überhaupt gelesen werden sollte, mußte sie schon auf einen den Behörden gegenüber sehr kriegerischen Ton gestimmt sein. Eine Bedingung, die zu erfüllen unseren radikaleren Organen entschieden nicht so schwer geworden wäre als dem „Kleinen Journal“ und dem noch zahmeren, unter dem Druck der Ereignisse später gegründeten Organ. Die Summen, welche die Gründung dieses Unternehmens verschlungen hat, hätten zweifellos ihren Zweck besser erfüllt, wenn man dafür bei einer bestimmten Zeitung ein paar Tausend Abonnements behufsu nentgeltlicher Verbreitung in Konitz und Umgegend genommen hätte, unter der Voraussetzung natürlich, daß die betreffende Redaktion sich verpflichtete, die traurige Affaire in derselben eingehenden Art und weise zu poussiren, wie dies – allerdings im entgegengesetzen Sinne – von der Staatsbürger-Zeitung geschah. Der Triftigkeit meiner für diesen Vorschlag ins Feld geführten Gründe hat man sich ja nicht verschließen können, näher getreten ist man demselben trotzdem nicht. Die ganzen Ritualmordaffairen der letzten Jahrzehnte sind |[75] nicht im Stande gewesen, das an einer Aufklärung derselben besonders interessirte und deshalb zu einer Mitwirkung bei den Ermittelungen in erster Linie berufne Judentum zu bewegen, für einen solchen – wie die Erfahrung doch zeigt – von Zeit zu Zeit unvermeidlichen Waffengang mit ihren erbittersten Gegnern schon im Voraus immer gerüstet zu sein. Man fing in jedem neuen Fall wieder von vorne an; man experimentirte mit immer neuen Kräften, und wunderte sich dann, daß die bösen Antisemiten immer einen so leichten Sieg davon trugen. Als sich vor einigen Monaten in Berlin die Zahl der nicht aufgeklärten Morde in unheimlicher Weise mehrte, da wurden in der Presse vielfach Meldungen von der Bildung und Einsetzung einer besonderen Mordkommission kolportirt. Der Gedanke, für die Aufklärung des schwersten aller Verbrechen ebenso wie für jede andere Verbrecherspecialität besonders tüchtige Beamte zu designiren, die sich ausschließlich mit der Aufhellung von Morden zu befaßen haben, hat etwas Bestechendes. Bei der Berliner Polizei ist es bekanntlich in der Beziehung bei dem frommen Wunsch geblieben. Die jüdischen Schutzvereine thäten aber wahrscheinlich gut, wenn sie den Gedanken der Einsetzung einer ständigen Ritualmordkommission in ernsthafte Erwägung zögen und – wenn irgend möglich – in die That umsetzen. Die 3 deutschen, angeblichen Ritualmorde haben doch unstreitig den deutschen Staatsbürgern jüdischer Konfession bereits soviel gekostet, daß auch die ständige Unterhaltung eines eigens auf diese merkwürdigen Verbrechen und ihre Begleitumstände dressirten Kriminalisten die Sache nicht mehr wesentlich vertheuern könnte. Dieser Privat-Detectiv hätte sich vorläufig durch eifriges eingehendes Studium aller in den bisherigen Ritualmordaffairen zu Tage getretenen Momente auf die nächste Kampagne [1] vorzubereiten, um dann im entscheidenden Augenblick die Leitung der sicher auch in der nächsten Affaire wieder nötig werdenden privaten Ermittlungen zu übernehmen. Es wird ja nicht ganz leicht sein, für diese Aufgabe eine in jeder Beziehung wirklich geeignete Kraft zu finden. Denn der Betreffende muß nicht nur ein ausgezeichneter Kriminalist, sondern auch ein halber Demagoge und sonst noch Verschiedenes sein. Man darf sich auch nicht verhehlen, daß die amtlicherseits approbirten Kriminalisten diesem Privatkollegen zunächst sein Amt nicht gerade erleichtern werden. Die maßgebenden jüdischen Kreise sollten sich aber trotzdem durch derartige Bedenken dieses Projekt nicht so ohne weiteres verleiden lassen. Mit so ungeschulten Kräften, wie sie gerade von jüdischer Seite in Konitz verwendet worden sind, läßt sich die Aufhellung eines solchen Verbrechens nun und nimmermehr erreichen und die völlige, zweifelfreie Aufklärung einer einmal als Ritualmord angesprochenen [2] Blutthat ist und bleibt nun |[76] einmal das einzige Mittel diesem traurigen Aberglauben auf lange Zeit hinaus wirklich den Garaus zu machen. Man versteife sich nicht zu sehr darauf, das Vorkommen solcher Ritualmordaffairen immer mit der krassen Unwissenheit der Bevölkerung des betreffenden Landstriches zu erklären. Die Konitzer Bevölkerung unterschied sich meiner Ueberzeugung nach in Punkto Bildung und Intelligenz durchaus nicht zu ihrem Nachtheil von denen anderer Deutscher Städte. Wer zur Zeit eines der großen Konitzer Sensationsprozesse Gelegenheit hatte, in den niederen und auch mittleren Schichten der Berliner Bevölkerung den Gedankenaustausch über jene Affaire mitanzuhören, der wird wissen, daß die hauptsächlichste Vorbedingung für das Zustandekommen einer solchen Affaire in der vielgerühmten Stadt der Intelligenz thatsächlich ebenso gegeben ist, wie in jenem, anläßlich dieser Affaire in diesem Punkte arg verlästerten westpreußischen Landstädtchen. Selbst der Umstand, daß die bei der Arbeiterbevölkerung unserer Großstädte heute ausschlaggebenden Führer der Socialdemokratie für diese Ideen absolut nicht zu haben sind, bietet meiner Ansicht nach noch keine Garantie dafür, daß sich nicht eines Tages auf dem Boden einer Deutschen Großstadt dieselben Vorgänge abspielen, wie jetzt zuletzt in Konitz. Die antisemitische Bewegung ist thatsächlich infolge der nun einmal, wie es scheint, unzertrennlich mit ihr verbundenen Radauscenen bei der großen Masse weit populärer, als sich vielleicht mancher träumen läßt. Eine sich radikal gebärdende antisemitische Agitation – die Devise: Für Thron und Altar! Erfeut sich nun einmal bei dem großstädtischen Janhagel[3] keiner sonderlichen Beliebtheit – würde wahrscheinlich auch in Berlin das Kunststück fertig bringen bei passender Gelegenheit eine erschreckend große Gemeinde für das Dogma vom Ritualmord zu gewinnen. Eben darum kann die Forderung nach einer endlichen Aufklärung eines dieser Verbrechen gerade im Interesse des Judentums garnicht engerisch genug erhoben werden. Es ist die thörichste Politik, die man sich denken kann, wenn sich die maßgebenden jüdischen Kreise heute in Bezug auf Konitz auf den Standpunkt stellen, daß es besser sei, die Affaire endlich zur Ruhe kommen zu lassen, da durch das immer wieder Aufwühlen der Ereignisse nur der Haß der Bevölkerung gegen die dortigen Juden lebendig erhalten wird. Möglich, daß man es durch diese zarte Rücksichtnahme erreicht, daß augenblicklich ein jüdischer Hausirer weniger von der fanatisirten Bevölkerung verhauen wird: sicher ist aber, daß das ein ganz fauler Frieden ist, daß dadurch nur für die nächste Ritualmordaffaire der Boden gedüngt wird, und daß alsdann für den einen verschont gebliebenen Bündeljuden Hunderte von jüdischen Familien bluten müssen. |[77] Man will endlich Ruhe haben! Diese Erkenntnis, die sich einen bei der Betrachtung verschiedener behördlicher Maßregeln der letzten Zeit aufdrängt, tritt uns leider auch als der Weisheit letzter Schluß bei den Maßnahmen der jüdischen Korporationen auf Schritt und Tritt entgegen. Die Rührigkeit und Lebendigkeit der Antisemiten, die bis in die aschgraue Möglichkeit hinein in der Presse und in Volksversammlungen mit dem Konitzer Ritualmord krebsen gehen, einerseits, und die vornehm sein sollende Ignorirung der antisemitischen Agitation andererseits, - und da wundert man sich immer noch, daß trotz der vielgerühmten Aufklärung unserer Zeit die große Masse immer noch in hellen Haufen der Rattenfängerpfeife der die Lehre vom Ritualmord verkündigenden antisemitischen Hetzapostel nachläuft. Man sollte doch meinen, daß den Juden ihre konfessionelle Ehre so hoch steht, daß ihnen kein Opfer zu groß ist, wenn es darauf ankommt, ihren Gegnern die Absurdität einer solchen wahnwitzigen Beschuldigung einmal klipp und klar nachzuweisen. Allerdings sind ja die Juden nicht die einzigen Leute, welchen der berechtigte Vorwurf zu machen ist, daß sie in diesem Falle die Wahrnehmung ihrer Interessen stets in der gröblichsten Weise vernachlässigt haben. Die Zahl der Leute, welche diese Unthaten den Juden in die Schuhe schieben ist wahrhaftig schon groß genug, noch größer ist aber die Zahl derjenigen, welche den Thäter nur unter den Angehörigen des Schlächtergewerbes suchen. Die beiden Parteien streiten sich ja immer nur darum, ob es ein jüdischer oder christlicher Fleischer war, darüber, daß es ein Fleischer gewesen sein muß, sind sie sich aber stets einig. Das Schlächtergewerbe hat also mit Rücksicht auf seine Standesehre einen mindestens ebenso berechtigtes Interesse an der Aufklärung dieser Blutthat wie die Juden. Wie tief dieses von mir bereits an anderer Stelle beleuchtete unsinnige Vorurtheil im Herzen des Volkes sitzt, beweisen am besten die erst in letzter Zeit wieder gebrachten spaltenlangen Berichte der Tagespresse über das angebliche Geständniß eines französischen Fremdenlegionärs. Immer bildet in diesen und ähnlichen Fällen das angebliche oder wirkliche Gefasel eines betruknen Fleischergesellen den Kern solcher Märchen, die von der großen Masse immer gläubig aufgenommen werden, obgleich man sicher sein kann, daß in all den bisherigen angeblichen Ritualmorden ein Fleischer wahrscheinlich nicht der Thäter ist. Bedauerlich ist nur, daß die Mitglieder dieses ehrsamen Handwerks, anstatt gemeinsam gegen diese immer wiederkehrende unsinnige Vermuthung Front zu machen, sich gewöhnlich noch lebhaft an dem Austragen des Streites betheiligen, wer von den beiden, durch die streitenden Parteien |[78] auf den Schild erhobenen Kollegen eigentlich der Mörder ist. Da darf man sich dann freilich nicht wundern, wenn auf die in Skurz zu Mördern gestempelten Schlächtermeister Behrend und Josephsohn in Konitz Levy und Hoffmann, und in der noch im Schooße der Zukunft ruhenden nächsten Affaire sich vielleicht ein Cohn und Müller als Mordkandidaten gegenüberstehen. Es ist ja möglich, daß in dem einen oder anderen Punkte die noch ausstehende, gegen mich schwebende Beleidigungsklage des Lehrers Weichel einige Klarheit bringt. Jedenfalls war das in erster Linie der Zweck meines früheren provokatorischen Vorgehens gegen denselben, das bekanntlich, je nach dem Parteistandpunkt in der Oeffentlichkeit eine so grundverschiedene Beurtheilung erfahren hat. Anmerkungen (Wikisource)Bearbeiten
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