Emanuel Geibel † 6. April 1884

Textdaten
<<< >>>
Autor: Emil Rittershaus / Franz Muncker
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Emanuel Geibel † 6. April 1884
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 17, S. 280–283
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[280]

Emanuel Geibel
† 6. April 1884.


„O Frühling, Frühling, der in mildem Thauen
Voll Schöpfungswonne du das All durchdringst,
Der du das Meer, den Himmel lässest blauen
Und rauschend mit dem Bach vom Felsen springst –
O Frühling, tiefer, süßer Gotteshauch,
Sei mir gegrüßt und fülle du mich auch,
Wie eine Welle leg’ dich an mein Herz
Und spüle sanft hinweg den letzten Schmerz.“

So ist Dein „Frühlingshymnus“ einst erklungen,
So hast einmal den Lenz Du angefleht. –
Er hat erhört Dich! Du hast ausgerungen;
Es ist der letzte Schmerz hinweg geweht
Vom Gotteshauch. – Früh wie fast nie zuvor
Kam nun der Lenz im bunten Blumenflor,
Doch, eh’ der Philomele Lied erschallt’,
Starb eine Nachtigall im Dichterwald.

Dein Mund verstummte. – Solche süße Weise,
Wie sie gequollen, Freund, aus Deiner Brust,
Hat schon seit Jahren in dem Sängerkreise
Zu singen, ach, kein Einz’ger mehr gewußt!
Wie von des Maimonds Blüthenduft berauscht,
Im Wohllaut schwelgend, haben wir gelauscht.
Der Schönheit Evangelium, es klang
Wie Nachtigallenlied in Deinem Sang!

So tönte hell Dein Festgesang der Minne
Und griff an unser Herz mit heil’ger Macht,
Doch zu dem wüsten Bacchanal der Sinne
Hast nie, ein Spielmann, Du Musik erdacht!
Nie hast Du, buhlend um des Eintags Ruhm,
Entweiht des Dichters hohes Priesterthum,
Und nie verhüllt vor Dir in Schleier dicht
Die keusche Scham ihr holdes Angesicht!

Doch mehr noch! Nicht allein zum sanften Kosen
War, Sänger, Deine Muse nur geschickt,
Dein Aug’ hat durch der Zeitenstürme Tosen
Prophetisch Reich und Kaiser längst erblickt!
Ein Dreigestirn in Deiner Seele stand:
Gott, Freiheit und das deutsche Vaterland,
Die Drei, Dir über Alles hoch und werth –
Und unter Blumen trugst Du auch ein Schwert! –

Ja, Du warst fromm, doch durftest du bekennen
Dich frei von jeder Dogmensclaverei!
„Der Freiheit eigen“ mochtest Du Dich nennen,
Doch warst Du nie der Diener der Partei.
Ein deutscher Mann in tiefsten Wesens Grund,
Ein deutscher Mann bis in die letzte Stund’ –
Und doch ein Mann, dem offen allerwärts
Für jedes Volkes Bestes Geist und Herz! – –

Dein Freund, der Frühling, er ist nun gekommen.
Man trug Dich zu des Friedhofs Ruheplatz.
Der Zeiten Welle hat Dich fortgenommen,
Doch bleibt uns Deines Schaffens Perlenschatz!
Er leuchtet hell in Deutschlands Dichterkron’
In reinem Glanze, theurer Musensohn,
Und über Deinem Todtenhügel steht
Ein Stern des Ruhmes, der nicht untergeht. –
 Emil Rittershaus.

*               *
*


Als ob ein ruhmgekrönter Feldherr sein Auge geschlossen hätte zum ewigen Schlafe, oder ein Führer des Volkes für immer geschieden wäre von seiner getreuen Schaar, so trauert heute Alldeutschland um Emanuel Geibel. Und in der That verliert in ihm die deutsche Dichtung der Gegenwart einen wohl erprobten Feldherrn, verliert die Nation einen geistigen Führer, dessen sangreicher Mund ihr einst Einheit und Macht prophezeit. Wie tief aber auch unsere Trauer sein mag, sie wird verklärt durch das Bewußtsein, daß der Heimgegangene, dessen frisches Grab wir bekränzen, ein Liebling des Volkes war und, da er noch unter uns weilte, die Siegespalme erhielt. Ja, in den Tagen, wo der unerbittliche Tod ihn dahinraffte, bereiteten wir uns vor, mit Geibel ein Fest zu feiern, wie es nur selten einem Dichter beschieden wird.

Für den 19. April war eine Jubelausgabe der „Jugendgedichte“ von Emanuel Geibel angekündigt; in hundertster Auflage sollte der Dichter das Büchlein, das ihm die Herzen seines Volkes erobert, erscheinen sehen und in ihm den festlich geschmückten Zeugen des frühen Kampfes und des endlichen Sieges begrüßen.[1]

Die zeitgenössischen Kritiker urtheilten freilich anders über das Büchlein und dessen Verfasser. Wie gar mancher übergescheidte Recensent hätte höhnisch lächelnd die Achseln gezuckt, wenn man ihm 1840 gesagt hätte, daß Emanuel Geibel, der Verfasser des Bändchens lyrischer Versuche, das vor ihm auf dem Schreibtische lag, in zwanzig Jahren als Führer einer angesehenen Dichterschule, in vierzig Jahren als Altmeister unserer gesammten poetischen Literatur verehrt werden würde! Wer war denn damals, im Herbste 1840, Emanuel Geibel? Was wußte man von ihm? Wie stellten sich seine Gedichte dar? Ei nun, Geibel war in der Welt eben eigentlich noch gar nichts. Ein junger Philologe, der eine Zeitlang in Griechenland Hofmeister im Hause eines vornehmen Russen gewesen, vor Kurzem aber wieder in die Heimath zurückgekehrt und nun ohne Stelle und Brod war. Von gelehrten oder literarischen Arbeiten des jungen Mannes war noch nichts bekannt geworden. Doch ja, er hatte vor wenigen Monaten gemeinsam mit seinem Freunde Ernst Curtius unter dem Titel „Classische Studien“ recht gute Uebersetzungen aus antiken Lyrikern herausgegeben; allein wie Viele hatten sich denn überhaupt schon um das dünne Bändchen gekümmert? Dagegen ließ sich nicht leugnen, daß das Glück dem jungen Poeten in seinem Privatleben bisher hold gewesen war und ihm die Gunst einflußreicher Männer und Frauen beschert hatte.

Friedrich Emanuel Geibel war am 18. October 1815 zu Lübeck als siebentes Kind seinem würdigen Vater, dem Pastor der reformirten Gemeinde daselbst, geboren worden. Im frommen Glauben hatte ihn der Vater ernst und streng erzogen; die Mutter aber, emsig sorgend um ihren Liebling bemüht, hatte schon dem Kinde das Auge für den Reiz der Natur und das Ohr für den des schlichten Volksgesanges geöffnet. Die alten deutschen Märchen, welche jüngst erst von den Brüdern Grimm aus dem Schachte [281] literarischer Vergessenheit an’s Tageslicht heraufgeholt worden waren, bekam der Knabe frühzeitig zu lesen. Daneben bildeten Schiller’s Dramen und die Werke eines viel neueren und viel geringeren, damals aber hochgeschätzten Dichters, de la Motte-Fouqué’s, seine erste poetische Lectüre. Gründlich, jedoch nicht engherzig, wurde der Unterricht im Lübecker Gymnasium geleitet; frei und frisch, ohne dumpfen Zwang, konnte auch hier Geibel’s Jugendleben erwachsen. Und schon rührte sich der Trieb zum Dichten in der Seele des Jünglings. Freiwillig fügten sich im erregten Gemüthe dem Entzückten die Reime; ohne Regel glückten ihm die Verse. Kein Geringerer als Chamisso druckte das erste Gedicht des Achtzehnjährigen, der sich hinter dem Pseudonym L. Horst verbarg, in seinem deutschen Musenalmanach für 1834 ab. Im Frühlinge 1835 bezog der angehende Philologe die Universität Bonn, ein Jahr später die Berliner Hochschule. Sein Vater dachte sich ihn schon als künftigen Lehrer am Gymnasium der alten Hansastadt. Aber die Glücksgöttin meinte es besser mit Geibel. Hitzig, Houwald, Franz Kugler und Andere, vor Allem aber Chamisso und Bettina von Arnim nahmen sich in Berlin freundlich des jungen Studenten an. Der hatte nun freilich andere Wünsche und Pläne, als sein alternder Vater. Zumeist war es das Verlangen nach dem Anblicke Griechenlands, der altehrwürdigen, jetzt wieder vom vielhundertjährigen Joche der Sclaverei befreiten Heimath ewiger Schönheit, was den heranwachsenden Poeten in hoffnungsloser Sehnsucht verzehrte. Bettina schaffte Rath. Durch ihre und des berühmten Rechtsgelehrten Savigny Vermittelung erhielt Geibel eine Hofmeisterstelle bei dem russischen Gesandten am griechischen Hofe, dem Fürsten Katakazi. Im Mai 1838 traf er in Athen ein.

Emanuel Geibel.
Nach einer Photographie auf Holz gezeichnet von Adolf Neumann.

Er hatte sich über die Kinder, die seiner Obhut anvertraut waren, nicht zu beklagen; und die Eltern behandelten ihn auf die freundlichste und wohlwollendste Weise. Aber den ganzen Tag von früh bis spät nahm das leidige Hofmeistern ihn in Anspruch; nur wenige Abendstunden und dann und wann ein Sonntag blieben dem Dichter für sich und seine Studien übrig. Auf die Dauer konnte sich Geibel nicht darein finden. Schon nach Jahresfrist löste er seinen Dienstvertrag mit Katakazi, beschränkte zunächst die Anzahl der Stunden, die er in seinem Hause gab, machte sich dann ganz davon los und unternahm im August 1839 eine Reise nach den Inseln des Archipels. Mehr und mehr befestigte [282] sich in ihm der Entschluß, sich fürderhln nicht wieder in den Dienst des bürgerlichen Berufes zu begeben, sondern einzig der Kunst zu leben.

Auch die Liebe drohte jetzt ernstlich Geibel’s Herz in Fesseln zu schlagen. Im täglichen trauten Umgange mit der reizenden Nichte des Fürsten entzündete sich eine Neigung, die für den Dichter wie für die Prinzessin gleich verderblich zu werden schien. Aber Geibel rang von Anfang an männlich und endlich siegreich gegen seine Leidenschaft. Und der Poet kam dem Menschen in diesem Kampfe zu Hülfe. Indem er dem unerreichbaren Ziele seiner Wünsche entsagte, sprach er den Schmerz über seinen Verlust nur in wenigen Gedichten unmittelbar aus. Und doch befreite auch er sich, wie einst Goethe im „Werther“, im „Tasso“, in den „Wahlverwandtschaften“, durch die Poesie von der Gewalt der Leidenschaft. Er stellte, was er selbst erlebt hatte, objectiv im idealen Kunstwerke sich gegenüber. So entstand die Idylle „Das Mädchen vom Don“.

Gleichwie zu Athen im Kampfe mit dem Herzen der menschlich-sittliche Charakter Geibel’s feste Kraft und sein dauerndes Gepräge gewann, so gelangte dort auch sein dichterisches Talent erst zu seiner vollen, eigenartigen Reife. Auf griechischem Boden im beständigen Geistesverkehre mit der Schönheitswelt des hellenischen Alterthums bildete sich Geibel erst ganz und vollkommen zum echten deutschen Dichter. In Deutschland hätte sich Geibel schwerlich von dem Einflusse der herrschenden Modedichtung losmachen können; in Griechenland vollzog sich alsbald der Umschwung. Bereits wenige Monate nach seiner Ankunft in Athen, als er die Nachricht von Chamisso’s Tod vernahm, vermochte ihn der Gedanke, daß Heine noch in voller Kraft wirke, über den Verlust des entschlafenen liebenswürdigen Sängers nicht mehr zu trösten. Ja, Platen zu vertheidigen, wandte sich Geibel sogar zornglühend direct gegen den frechen Streich, den Heine nach „der Schulter, die den Purpur trug“, geführt hatte. So wurde er Platen’s Schüler. Er eignete sich die Formenstrenge und die Formenschönheit seines Lehrers an. Allein er wurde nicht, wie Platen der einseitige Nachahmer der antik-classischen Poesie geworden war, ebenso wieder der sclavische Nachahmer Platen’s. Nur in seltenen Ausnahmsfällen entschloß er sich zum Gebrauche fremdartiger griechisch-lateinischer Versmaße. Nach wie vor betrieb er sein Dichten deutsch. Er ging den Weg, den ihm der Geist seiner Muttersprache mit „ahnungsvollem Laute“ wies; einheimischer Formen Reichthum machtvoll zu beseelen, vom Munde seines Volkes sein Gesetz zu empfangen, galt ihm als Pflicht des deutschen Sängers.

So kehrte er im Mai 1840, als Mann und als Dichter gereift, keines Amtes Sclave, in das Vaterland zurück. Um Michaelis veröffentlichte er hier das erste Bändchen seiner „Jugendgedichte“. Schon vor zwei Jahren bei seiner Abreise nach Griechenland hatte er eine Sammlung lyrischer Versuche druckfertig zurückgelassen. Das Manuscript war aber bei einem Brande der Druckerei umgekommen. Geibel hatte den Unfall damals überaus leicht verschmerzt. Jetzt entschädigte ihn für jenen Verlust und zugleich für die Mißgunst der Kritiker der wachsende Beifall des Publicums, das bald Jahr für Jahr neue, vermehrte Auflagen seiner Gedichte verlangte.

Woher diese Theilnahme der Leser an einem Buche, das die berufsmäßige Kritik im Großen und Ganzen zu verwerfen schien? Es waren eben „Jugendgedichte“, Gedichte für die männliche und besonders für die weibliche Jugend. Mädchenlieder, Frauenpoesie! – hat man oft auf jene Frage geantwortet und spöttisch hinzugefügt, Geibel werde so lange Leserinnen und Verehrerinnen finden, als es Backfische geben werde. Gewiß, Geibel wußte das innig-zarte, weiblich-weiche Empfinden in seiner Dichtung auszusprechen wie wenige Poeten vor ihm. Aber er verstand es nicht minder, der stürmischen Leidenschaft die rechten Worte und Töne zu leihen. Er vermochte auch männlich-festen Sinnes den patriotischen Gesang kraftvoll anzustimmen. Zeugt nicht davon der prophetische Ruf, den er im Jahre 1868 in der „Gartenlaube“ erschallen ließ? – das politische Bekenntniß des Dichters, dessen Schlußstrophen so kraftvoll ausklingen:

„In’s Brausen der Quellen, wie pocht der Hämmer Schlag!
Da födern die Gesellen das Eisen zu Tag,
Da wächst in rother Erde das Schwert für den Feind,
Der noch am deutschen Herde uns dreinzureden meint.

Nun kommst auch du geschwommen im Kranze von Wein,
Willkommen, willkommen, du königlicher Rhein!
Du tränkst mit goldner Freude dein blühend Geländ,
Und weißt von keiner Scheide, die seine Stämme trennt.

Wie lang wird es währen, Altvater, so preßt
Man wieder deine Beeren zum Kaiserkrönungsfest!
Da kommt auf deinen Wogen im Purpurgewand
Der Hort des Reichs gezogen, das Banner in der Hand.

Dann ruh’n Wehr und Waffen, dann ist es vollbracht,
Dran tausend Jahr geschaffen, das Werk deutscher Macht,
In Norden und Süden der letzte Zwist gesühnt,
Und Freiheit und Frieden, so weit die Eiche grünt!“

Die reine Lauterkeit seines Gemüthes, die gesunde Tüchtigkeit seines Charakters war es, was der Lyrik Geibel’s ihren bleibenden Werth und zugleich ihren unvergänglichen Reiz gab.

In den allerersten Jahren blieb freilich nicht blos die Kritik meistens stumm, sondern auch die Masse des Publicums kalt gegen den jungen Lyriker. Die Liebe und Gunst trefflicher Freunde mußte Geibel über die Gleichgültigkeit der deutschen Leserwelt vorläufig trösten. Im Frühling 1841 lud ihn der gastfreie Karl von der Malsburg auf sein Schloß Escheberg bei Kassel. Geibel verlebte dort ein glückliches Jahr, reich an Gewinn für sein Gemüth und an Anregung für seine Poesie. Aus den Schätzen der Schloßbibliothek lernte er die spanische Romanzenliteratnr eingehend kennen: ein Band Uebersetzungen war die künstlerische Frucht dieses Studiums. Als origineller Lyriker veröffentlichte er die erste Sammlung seiner politischen Gedichte, die „Zeitstimmen“. Zu Lübeck im Winter 1842 bis 1843 arbeitete er seine erste Tragödie, „König Roderich“, aus, ein Schmerzenskind seiner Muse, das aber bei den Lesern wie auf der Bühne wenig Beifall errang. Um Neujahr 1843 verlieh ihm König Friedrich Wilhelm IV. ein Jahresgehalt, zwar mäßig an sich, doch immer groß genug, daß der Empfänger wegen seines Unterhaltes sich nicht mehr in den widerwärtigen Zwang eines lästigen Amtes zu begeben brauchte. Den Sommer 1843 verbrachte Geibel im innigen Freundschaftsverkehr mit Freiligrath zu St. Goar am Rhein, den Spätherbst und Winter darnach bei Justinus Kerner in Weinsberg und in Stuttgart. Bald nach Ostern 1844 suchte er die norddeutsche Heimath wieder auf. Selten hielt er es in Lübeck lange Zeit ruhig aus. Er unternahm größere Ausflüge nach Berlin, bereiste den Harz, besuchte Hannover, Dresden und andere Orte, durchwanderte 1847 mit Kugler sogar den größten Theil von Süddeutschland, immer aber kehrte er nach der trauten Vaterstadt zurück. Auf längere Zeit vermochte er sich erst 1852 von seinem lieben Lübeck zu trennen, als König Maximilian II. von Baiern ihn auf die ehrenvollste Weise als Honorarprofessor für deutsche Literatur und Aesthetik an die Universität München berief. Zugleich ward er zum Capitular des neugestifteten Maximilian-Ordens ernannt und in den persönlichen Adelsstand erhoben.

Hier in München, am Hofe des kunstsinnigen Fürsten, wurde Geibel bald der Mittelpunkt eines Dichterkreises, dessen Mitglieder, meist jünger als der Lübecker Sänger, jetzt in alle Provinzen Deutschlands verstreut, als angesehene und zum Theil hochberühmte Meister deutscher Poesie thätig sind. Paul Heyse, Hans Hopfen, Heinrich Leuthold, Felix Dahn, Hermann Lingg, Victor Scheffel, Friedrich Bodenstedt, Wilhelm Hertz, Adolf Friedrich von Schack, Julius Grosse, Melchior Meyr, Franz Kobell und Andere mehr wirkten damals in regem Dichtereifer neben einander in Baierns Hauptstadt, und Geibel unter ihnen, aufmunternd und anfeuernd, helfend und corrigirend, von allen verehrt und geliebt. Manchem, an dessen Worten und Weisen wir uns heute stets neu erfreuen, hat er zuerst die sternenhohen Ziele aller wahren Kunst gezeigt, die edlen Formen echter Poesie enthüllt. Nicht ohne Grund haben so oft ihm dankbar die jüngeren Dichter des Münchener Kreises die Erstlinge ihrer Muse gewidmet. Und was Felix Dahn begeistert von seinem Lehrer Geibel rühmte, das ist noch gar manchem Sänger vom deutschen Parnaß unserer Tage aus der Seele gesprochen:

„Mit Rückert und mit Platen
Hast Du mich treu berathen,
Und ist mein Vers gerathen,
Das dank’ ich Deiner Kunst.
0000000
Wer von uns Jüngern holprig nicht
Reime flicht und radebricht,
Der dankt es Dir, dem Weibel
Des Versturniers, o Geibel!“

[283] Auch sein häusliches Glück am heimlichen Familienherde begründete sich der Dichter in jenen Tagen. Er führte Amanda Trummer, mit der er sich im November 1851 verlobt hatte, als Gattin heim. Aber nur wenige Jahre blieb sein Glück ungestört. Schon 1855 entriß ihm der Tod Amanda. Seine eigene Gesundheit litt unter dem Münchener Klima. Bald sah er sich genöthigt, einen Theil des Jahres wieder in Lübeck zu verbringen. Als 1864 König Maximilian starb, kehrte Geibel nur noch zeitweise zu kurzem Aufenthalt nach München zurück. Im Jahre 1869 legte er seine Aemter ganz nieder und nahm von nun an seinen dauernden Wohnsitz in Lübeck, das er bis zu seinem am 6. April erfolgten Tode nicht mehr verlassen sollte. Für den Verlust seiner baierischen Pension entschädigte ihn König Wilhelm von Preußen durch ein Jahresgehalt.

Geibel hat sich nach seinem ersten Eintritt in die Reihen der deutschen Dichter noch oft und auf allen Gebieten der Poesie versucht, übersetzend und original schaffend, als Epiker und Dramatiker und namentlich als Lyriker. Er ist dem Ideal, das er sich von der Hoheit und Schönheit echter Kunst gebildet hatte, in seiner späteren Lyrik wohl im einzelnen näher gekommen, als in den Jugendgedichten, die er herausgab, da er noch im Ringen mit sich und seinem Genius begriffen war; eines so mächtigen Erfolges jedoch wie diese erste Sammlung hatte sich keine der übrigen mehr zu erfreuen, so herzlich das deutsche Volk auch sie alle begrüßt hat. Es ist, als ob die Nation ihren Dichter, dem man – unverständig genug – seine unvertilgbare Jugendlichkeit manches Mal zum Vorwurf gemacht hat, gerade durch besondere Ehrung seiner frühesten Jugendgabe rechtfertigen wollte. Und sie darf’s und soll’s auch. Denn wie viele neue Poeten auch die letzten Jahrzehnte in Deutschland haben erstehen sehen, wie zahlreich auch gerade auf dem Gebiete der Lyrik von Jahr zu Jahr junge Kräfte sich hervorwagen, mit der Siegespalme darf sich neben Geibel unter den Zeitgenossen kein anderer schmücken.

Franz Muncker.     




  1. Die Jubiläumsausgabe der „Jugendgedichte“ von Emanuel Geibel erscheint im Verlage der J. G. Cotta’schen Buchhandlung in Großoctav und ist mit dem Jugendportrait des Dichters geschmückt.