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Autor: Moritz Brosch
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Titel: Elisabeth und Leicester
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aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 5 (1891), S. 121–138.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung J.C.B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br
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Quelle: Scans auf Commons
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[121]
Elisabeth und Leicester.
Von
Moritz Brosch.


Um die Hand der Königin Elisabeth von England haben in den ersten zwei Jahren ihrer Herrschaft König Philipp II. von Spanien, Erzherzog Karl, Kronprinz Erich von Schweden und der Schottische Graf Arran vom Geschlechte der Hamilton’s, das die Thronfolge nach den Stuart’s beanspruchte, sich vergeblich beworben. Ausserdem werden als schneller abgethane Freier namhaft gemacht: der Herzog Adolf von Holstein und ein Bruder Johann Friedrich’s von Sachsen. Nachdem also Elisabeth ein halbes Dutzend von Körben ausgetheilt hatte, holte auch das Französische Königshaus der Valois sich den seinigen. Die Beziehungen zwischen England und Frankreich waren damals (Ende 1560) der Schottischen Wirren halber so gespannt, dass die Valois Bedenken trugen, sich der Königin direct mit einem Heirathsantrag zu nähern. König Franz II. und die ihn beherrschenden Guisen schoben den Herzog Emanuel Filibert von Savoyen als Brautwerber vor. Dieser entsandte Herrn v. Morette als seinen Botschafter nach England, angeblich mit dem Auftrage, der Königin zur Thronbesteigung Glück zu wünschen; Morette aber hatte auch Befehl, in Elisabeth zu dringen, sie möge einen Französischen Prinzen heirathen, und zwar den Herzog von Nemours[1]. Als Throckmorton, der Englische Gesandte [122] an Frankreichs Hofe, den Staatssecretär Cecil von dem Vorhaben in Kentniss setzte, mit dem Morette nach England gehe, liess er die Bemerkung einfliessen: die Könige von Spanien und Frankreich seien für die Werbung des Herzogs von Nemours; aber der päpstliche Nuntius habe ihm, dem Throckmorton, gesagt: Elisabeth stehe auf dem Punkte, ihren Stallmeister zu heirathen. Und dieser päpstliche Nuntius hatte mit dieser seiner Meinung in eben dem Zeitpunkte vollkommen Recht.

Der Oberst-Hofstallmeister der Königin war Lord Robert Dudley, den sie später zum Grafen von Leicester erhoben hat, unter welchem Namen er durch Schiller unsterblich gemacht ist. Dieser Lord, der „süsse Robin“, wie ihn Elisabeth halb kosend, halb spottend zu nennen pflegte, war drei Jahre vor ihr, aber gleichfalls am 7. September und in derselben Tagesstunde wie sie geboren und in früher Jugend ihr Spielgenosse gewesen. Die Beiden hatte unter Herrschaft von Elisabeth’s älterer Schwester, der Königin Marie Tudor, ein gemeinsames Schicksal verbunden: sie sassen im Tower gefangen – er als Sohn jenes Herzogs von Northumberland, der Johanna Grey auf ein paar Tage zur Königin gemacht hatte und dafür im Beginne der Regierung Mariens geköpft worden war; sie auf Tod und Leben processiert, weil sie der Theilnahme an einer gegen ihre Schwester gerichteten Rebellion verdächtig war. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist Elisabeth im Laufe dieser Gefangenschaft auch von Eros gefesselt worden und in heftiger Liebe zu ihrem Kerkergenossen entbrannt. Aber die erste urkundliche Erwähnung des Liebesverhältnisses zwischen beiden wird uns mehr als vier Jahre später, in einem Schreiben Feria’s, des Spanischen Botschafters in England, vom April 1559[2]; die zweite, sehr bedeutsame, vom Mai desselben Jahres datirt, in der Depesche des Venezianischen Botschafters an Philipp’s Hofe, welche die Meldung enthält, dass Lord Robert’s Frau krank sei und leicht sterben könne, worauf Elisabeth ihn wahrscheinlich zum Manne nehmen würde[3]. Wir ersehen hieraus, dass jenes am Englischen Hofe in Umlauf gesetzte Gerücht, welches Dudley’s Frau krank sagte, um ihren durch Gift geplanten Tod nicht auffällig erscheinen zu lassen, [123] ein Gerücht, über das Cecil anderthalb Jahre später gegen den Spanischen Botschafter Quadra sich ausliess, schon damals unter die Leute gebracht war und seinen Weg bis Brüssel gefunden hatte.

Verlieren wir den Gang des Liebeshandels zwischen Elisabeth und Dudley vorerst aus dem Auge, und beschäftigen wir uns mit diesem Gerüchte. Ganz unfraglich ist, dass es kursirte und dass Cecil, der Staatssecretär der Königin, es Quadra, dem Botschafter einer fremden Macht, gegenüber zur Sprache gebracht hat. Ob jedoch Cecil dies in dem Zusammenhange und mit den Elisabeth wie Lord Robert gleich sehr blossstellenden Aeusserungen gethan, die sich in Quadra’s Depesche finden[4], ist eine offene Frage. Cecil mag über Dudley’s grossen und immer wachsenden Einfluss noch so erbittert gewesen sein, mag noch so sehr mit dem Gedanken sich getragen haben, seinen Abschied zu nehmen, die Königin und England und den ihm theuern Protestantismus ihrem Schicksal zu überlassen: so unvorsichtig, ja leichtsinnig kann er nicht gewesen sein, dass er den Spanier zum Vertrauten gewählt und demselben Mittheilungen gemacht hätte, welche dieser in einem oder dem andern Falle auch gegen ihn, den Staatssecretär, zu verwerthen in der Lage war. Seine Worte müssen anders gelautet, eine andere, ungleich weniger schroffe Fassung gehabt haben, als Quadra sie verstanden und referirt hat. Wäre aber solch ein Missverständniss von Seite eines Botschafters in solch einem wichtigen Falle auch nur möglich? – Der Beweis, dass es möglich und durchaus nichts Unerhörtes war, lässt sich an einem flagranten Beispiele erbringen.

Der Venezianische Botschafter in Frankreich, Michiel Surian, berichtet einmal, es habe der dortige Englische Botschafter (Throckmorton) ihm gesagt, dass eine Heirath seiner Königin mit dem Prinzen von Oranien, dem grossen Schweiger, im Zuge sei, dass die Herzogin von Arschot, Oraniens Schwester, mit Katharina von Medici in Reims zusammengetroffen sei und die [124] Sache, die schon weit gediehen wäre, betrieben habe[5]. So hat Surian den Engländer verstanden; aber aus einem Schreiben Throckmorton’s an Elisabeth, vom gleichen Datum, erhellt, dass derselbe nicht also gesprochen haben kann, weil er vielmehr die Heirath des Oraniers mit Maria Stuart fürchtete und sich aus dem Grunde an den Besuch der Herzogin von Arschot am Französischen Hofe stiess[6]. Surian hat ihn genau so falsch verstanden, wie Quadra den Staatssecretär Cecil falsch verstanden haben kann. Und dies ist beide Male nicht so wunderlich, als es auf den ersten Blick aussieht. Surian verkehrte mit Throckmorton, Quadra mit Cecil in einer Sprache, welche die Muttersprache keines von ihnen gewesen ist: das in fremder Sprache Gehörte übersetzten sie dann in ihre heimische und brachten es so zu Papier. Es liegt auf der Hand, dass bei diesem Verfahren sich Irrthümer nicht nur einschleichen können, sondern auch gar schwer vermeiden lassen; denn es ist die aus dem Gedächtniss gemachte Uebersetzung eines in fremder Sprache Gehörten, und wer da glaubt, eine solche könne wort- und sinngetreu ausfallen, könne genau und nur dasjenige wiedergeben, was zu dem Uebersetzer in fremder Sprache gesprochen wurde, der setzt bei diesen Diplomaten eine Gedächtnisskraft, eine Ruhe und Sammlung bei der Abfassung ihrer oft in grosser Eile niedergeschriebenen Depeschen voraus, über die man billig in Erstaunen gerathen müsste. Noch erstaunlicher freilich wäre der Köhlerglaube, den es erfordert, die Aussagen auch der ehrlichsten, aber unter so schwierigen Umständen arbeitenden, so leicht dem Irrthum ausgesetzten Diplomaten für vollgültig und beweiskräftig anzusehen.

Wenn demnach Quadra dem Englischen Staatssecretär die Worte in den Mund legt: „Sie geben (und das „sie“ scheint auf Elisabeth und Dudley zu zielen) die Frau Lord Robert’s für krank [125] aus: aber dieselbe ist gesund und vor einer Vergiftung auf der Hut; Gott wird dieses Verbrechen nicht zulassen und eine dermassen verruchte Verschwörung hintertreiben; Dudley hat sich zum Gebieter gemacht über den Staat und die Königin; er will diese heirathen, richtet sie aber unfehlbar zu Grunde“ – so sind das eben Ausdrücke, wie Quadra sie sich zurechtgelegt oder sich ihrer erinnert hat, erinnert haben will. Sie bilden seine Version von Cecil’s Worten und sind nicht die eigenen Worte des letzteren.

Dass Quadra den Staatssecretär missverstanden, vielleicht absichtlich missverstanden hat, lässt sich denken und würde mit des Spaniers vorgefassten Meinungen übereinstimmen. Zählte er doch zu jenen Spanischen Staatsmännern, die Elisabeth’s Handlungen auf die Eingebung nackter Verruchtheit und diabolischer Berechnung zurückführten, oder auch, sich selbst widersprechend, als unbegreifliche Thorheiten erkennen wollten. Von einem Diplomaten dieses Schlages wurde sicherlich im schlimmsten Sinne ausgelegt, was in Cecil’s Worten eine doppelte Deutung zuliess.

Dass aber Cecil die eigene Königin einem fremden Botschafter mittelst durchsichtiger Andeutung als Mitschuldige an einem geplanten Giftmord oder wenigstens, falls man der Depesche Quadra’s eine mildere Auslegung geben will, als diejenige Person bezeichnet habe, die aus dem Verbrechen Nutzen zöge, indem sie den Verbrecher heirathen würde, klingt ganz unglaublich, ist kaum für möglich anzunehmen. Eine solche Handlungsweise bei ihm voraussetzen, hiesse alle unsere historische Kenntniss von seinem Charakter vergessen. Dagegen um Quadra des Missverständnisses, der Entstellung und Steigerung gehörter Worte, der kritiklosen Aufnahme jeder Beschuldigung Elisabeth’s für fähig zu halten, bedarf es nur der Auffrischung alles dessen, was wir von seinem Charakter, seinen Ansichten und Leistungen wissen. Die Depesche des Spaniers würde nicht den geringsten Glauben verdienen, wenn ihr am Schlusse und in einer Nachschrift nicht der Bericht über eine Thatsache angehängt wäre, die den Inhalt des ganzen Schreibens zu bekräftigen scheint.

„Den Tag nach diesem Gespräche (mit Cecil)“ – so schreibt Quadra – „sagte mir die Königin, von der Jagd zurückkehrend, das Lord Robert’s Frau todt oder im Sterben sei, und bat mich, [126] davon zu schweigen. Es ist sicherlich eine Sache voll Schmach und Schande – – –. Seitdem dieses hier geschrieben worden, hat die Königin den Tod von Lord Robert’s Frau öffentlich bekannt gegeben. Die Königin sagte auf Italienisch, que si ha rotto il collo: sie hat den Hals gebrochen. Es scheint, dass sie über eine Treppe hinabgestürtzt sei.“

Amy Robsart, Dudley’s Frau, hat am 8. September 1560, auf einem, etwa drei Englische Meilen von Oxford gelegenen Herrensitz, wo sie getrennt von ihrem Mann lebte, durch einen Sturz von der Treppe den Tod gefunden. Am 9. oder 10. desselben Monats, als die Königin mit dem Botschafter sprach, war die Sache bloss als Gerücht an den Hof gedrungen, oder aber wollte Elisabeth sie geheim halten; doch vor Ablauf des 11. Sept., welches Datum Quadra’s Depesche trägt, hat die Königin selbst die Veröffentlichung der Nachricht angeordnet.[7].

Es bedarf geringen Scharfsinns, um sich die Meinung zu bilden, dass diese Thatsachen einer Bestätigung dessen gleichkommen, was Quadra über kurz vorher gefallene Aeusserungen Cecil’s berichtet. Der Englische Staatssecretär, heisst es bei Quadra, habe gesagt, die Frau Lord Robert’s nehme sich vor einer Vergiftung in Acht, und sie hat sich offenbar so gut in Acht genommen, dass ihr Gift nicht beizubringen war; sie fand dennoch ein gewaltsames Ende, das Lord Robert, den Cecil durchschaut und dem Spanier richtig geschildert hatte, durch eine ihm befreundete oder von ihm bezahlte Hand ihr bereiten liess. So viel wäre aus Quadra’s Depesche, wenn man sie in Zusammenhang bringt mit den soeben verzeichneten Thatsachen, ohne viel Mühe herauszulesen. Allein, was ohne viel Mühe gewonnen ist, zerrinnt einem oft zwischen den Fingern; was für eine leicht fassbare geschichtliche Wahrheit gilt, ist oft nur die Frucht einer Täuschung, deren wesenloser Bestand sich nach genauer Prüfung des Objectes herausstellt.

Auch wenn nicht bekannt wäre, dass Robert Dudley von jeder Schuld am Tode seiner Frau durch gerichtliche Erhebung entlastet wurde, müsste es auffallen, dass nichts von dem eingetreten ist, was mit dem Verbrechen, wenn es begangen worden wäre, beabsichtigt sein konnte. Der einzige Beweggrund, [127] der Lord Robert zu der grauenvollen That getrieben hätte, wäre die Hoffnung gewesen, Elisabeth zu heirathen, wenn er erst zum Wittwer geworden. Nun waren sie am Ziele, er und die Königin, nun stand ihrer Ehe die Amy Robsart nicht mehr im Wege; dennoch aber kam es zu dieser Ehe nie. Sich leidenschaftlich lieben, aus Leidenschaft ein Verbrechen begehen und, nachdem es vollendet ist, während die Leidenschaft fortglüht, die dazu getrieben, nicht die Hand ausstrecken nach dem Preise, um den man gerungen hatte und der jetzt so leicht zu erreichen war: alles dieses heisst dem Wilden gleich einen Baum fällen, um dessen Früchte zu pflücken, aber auch dem rohesten Wilden sehr ungleich die Früchte liegen lassen, wenn der Baum schon gefällt ist.

Dudley selbst drang brieflich auf die eingehende Untersuchung des tragischen Ereignisses, gab sich mit dem Verdict der Jury, demzufolge der Tod seiner Frau durch reinen Zufall herbeigeführt worden, nicht zufrieden, ordnete eine wiederholte Untersuchung an – und er pries sich glücklich, dass die Jurymänner, die ihr Verdikt abzugeben hatten, ihm sämmtlich Fremde seien. Nebstdem sandte er Appleyard, den Halbbruder, und Arthur Robsart, den Bastardbruder seiner Frau, an Ort und Stelle, auf dass sie durch ihre Gegenwart bei Vornahme der Untersuchung dem Verdachte, als würde dieselbe zu seinen Gunsten geführt, zuvorkämen. Dem gegenüber lässt sich nicht sagen, dass er bei Zusammensetzung der Jury seine Hand im Spiele gehabt, oder den Spruch, mit dem sie ihre Thätigkeit abschloss, beeinflusst habe. Und wenn Froude eine nach Jahren gefallene Aeusserung jenes Appleyard in entgegengesetztem Sinne deutet, so ist ihm nachgewiesen worden[8], dass diese seine Deutung auf Heranziehen einer einzelnen Stelle aus einer Handschrift beruhe, während das Ganze der Handschrift vielmehr den evidenten Beweis enthält, dass Appleyard gestanden habe, die Untersuchung über den Tod seiner Schwester sei mit voller Unparteilichkeit geführt worden. Wollte man auch alle diese Zeugnisse in den Wind schlagen, es stünde doch Eines fest: Lord Robert konnte und durfte in die Untersuchung sich nicht einmischen; denn er [128] hatte viele und mächtige Feinde bei Hofe, die aus jedem Versuche seiner Einmischung Kapital gegen ihn geschlagen hätten.

Zieht man heutzutage die über den Fall erhaltenen Nachrichten unbefangen in Erwägung, so kann man sich der Einsicht nicht erwehren, dass ein Beweis für Lord Dudley’s Schuld nicht vorliegt. Wie aber dachten Dudley’s Zeitgenossen in dem Punkte? – Die es zunächst angeht und die ihre Kenntniss aus Berichten erster Hand schöpfen, nehmen seine Beschuldigung ziemlich ungläubig auf; die nach Hörensagen urtheilen, machen Andeutungen, geben Winke, aus denen sich schliessen lässt, dass sie an seine Schuld glauben, oder den Glauben an dieselbe vorgeben und bei anderen voraussetzen. Für beide Sorten fehlt es nicht an, sozusagen, classischem Zeugnisse.

Als im Jahre 1565 der zum Grafen von Leicester erhobene Robert Dudley der Königin Maria Stuart von Elisabeth zum Gemahl vorgeschlagen war, äusserte Chantonnay, der Spanische Gesandte am Wiener Hofe, zum Kaiser: Es sei anzunehmen, die Königin von Schottland werde sich des Sturzes erinnern, den die Frau Mylord Robert’s über die Treppe gethan habe. Der Kaiser erwidert darauf scherzend: Maria Stuart würde einen Gemahl nicht geschenkt, sondern nur auf einige Zeit geliehen erhalten[9]. Man sieht, dass Chantonnay mit seiner Erwähnung des Treppensturzes auf Leicester’s Schuld hinzielt und der Kaiser dies weder ablehnt noch gutheisst. – Um dieselbe Zeit, in welche dieses Gespräch fällt, wurden die Unterhandlungen über die Heirath Erzherzog Karl’s mit Elisabeth, auf welch letztere jede Schuld Leicester’s einen Schatten geworfen hätte, kaiserlicherseits wieder aufgenommen und durch Entsendung eines eigenen Botschafters nach London ernstlich betrieben.

Als die Statthalterin der Niederlande, Margaretha von Parma, durch deren Hände die Correspondenz der Spanischen Botschaft in England mit Philipp II. ging, die Depesche Quadra’s vom 11. September zu lesen bekam, hat sie ihre Gedanken darüber in einem Schreiben an den König Philipp niedergelegt[10]. Von Entrüstung oder Erstaunen über den durch Quadra mitgetheilten [129] Vorsatz einer Ermordung der Frau, die der Ehe Dudley’s mit Elisabeth hinderlich war, zeigt dasselbe kaum eine Spur. Ebensowenig verräth es von dem Glauben an Quadra’s Wahrhaftigkeit. Elisabeth – so schreibt Margaretha – ist jetzt der Versuchung ausgesetzt, Dudley zu heirathen; aber sie ist sehr veränderlich, ohne sich irgendwie Zügel anzulegen. Wenn man sie richtig behandelt, wird sie gegen Lord Robert sich ändern: König Philipp wolle desshalb Elisabeth ermahnen, einen Prinzen zu nehmen, dessen Verwandtschaft ihr Unterstützung leihen kann, wo möglich einen Erzherzog. Ist das, frage ich, ein Rath, den die Herzogin hätte geben können, wenn ihr Quadra’s Insinuation einer Mitschuld Elisabeth’s am Tode von Dudley’s Frau auch nur das Geringste bedeutet hätte? Es wäre dann ein Rath gewesen, der, wenn er befolgt wurde, so gut wie keinen Erfolg verhiess, und wenn er, wider Erwarten, guten Erfolg gehabt hätte, dazu führen musste, ein Mitglied des Hauses Habsburg einer Mörderin zu vermählen. Man kann nicht anders als annehmen, dass Margaretha von Parma durch Quadra’s Depesche nichts weniger als überzeugt worden ist, dass sie Dudley’s Schuld dahingestellt sein und vollends die angebliche Thatsache einer Mitschuld Elisabeth’s ganz ausser jeder Berechnung liess und als erträumt behandelte.

Kehren wir nach dieser nothgedrungenen Abschweifung zur Betrachtung der mehr heiteren Seite zurück, welche das Verhältniss Elisabeth’s zu ihrem Oberst-Hofstallmeister darbietet. Die Königin hatte ihn seit ihrer Thronbesteigung so augenfällig bevorzugt, dass es in Hofkreisen Aergerniss erregte und bald auch in Volkskreisen bekannt wurde. Es kam zur Ausstreuung von Gerüchten, welche zusammengefasst eine Skandalchronik ergeben, die aus Wahrheit und Dichtung gewoben und in diese ihre Bestandtheile nicht mehr zerlegbar ist. Elisabeth konnte nicht umhin, von dem Gerede der bösen Zungen Notiz zu nehmen, demselben entgegenzutreten, wenn es sich gar zu unbequem machte; doch es ward ihr die Erfahrung, dass sie zwar über die Herzen der Engländer herrsche, aber nicht über ihre Zungen, und dass es vergeblich sei, diesen Ruhe zu gebieten, während ihnen Stoff zur Bewegung immerfort geliefert wurde.

Einmal will die Königin dem Spanischen Botschafter so recht vor Augen führen, dass die Fama, welche sie und Lord [130] Robert schon wie Mann und Frau zusammenleben lasse, übertreibe: sie zeigt dem Spanier, dass Lord Robert’s Schlafzimmer im Palaste von dem ihrigen entfernt gelegen sei. Was half dies aber? – sein Schlafzimmer ward kurz darauf feucht und ungesund befunden und ein anderes ihm angewiesen, nächst dem ihrigen. Ein andermal, während die Unterhandlung betreffs der Heirath mit Erzherzog Karl im Zuge war, drückt die Königin gegen Quadra die Besorgniss aus: wenn der Erzherzog nach England komme, werde er vielleicht an den Scandalen Anstoss nehmen, die hier über sie verbreitet würden. Der gewandte Diplomat redet ihr das aus, findet aber doch für gut, in dem Berichte, den er an den Kaiser leitet, um diesen nicht kopfscheu zu machen, lieber von der Sache zu schweigen. Den üblen Ausstreuungen zuvor zu kommen, hätte Elisabeth ihrem Oberst-Hofstallmeister den Abschied geben müssen; allein der Entschluss dazu ging vielleicht über ihre Kräfte und lag sicherlich nicht in ihrem Willen. „Kein Mensch wagt es“, schreibt Throckmorton an Cecil[11], „ihr den Rath zu geben, dass sie von dieser Thorheit lasse"; Cecil möge es thun. Aber auch Cecil liess das fein bleiben. Wer dieses Liebesverhältniss stören wollte, hielt es noch für das Gerathenste, jeder Einwirkung auf Elisabeth zu entsagen und Lord Robert in’s Gewissen zu reden oder ihm Angst zu machen, ihm etwa den Text zu lesen, weil er sich herausnehme, der Königin beim Ankleiden das Hemd zu reichen und sie unaufgefordert zu küssen[12].

Namentlich der Herzog von Norfolk liess in den Versuchen, dem Günstlinge Vernunft zu predigen, nicht nach, und Lord Robert gab sich zuweilen die Miene, auf ihn zu hören, seinen Ermahnungen Folge zu leisten, sich gar vom Hofe zu entfernen: aber dies letztere stets nur auf kurze Zeit, nach deren Verlauf er der Königin doppelt willkommen war. Eine der Scenen zwischen diesen Lords ist zu kostbar, als dass ich sie übergehen dürfte, was um so weniger gerechtfertigt wäre, als sie bisher nirgends erzählt ist. Norfolk und andere Herren nahmen Lord Robert ins Gebet und setzten ihm mit Bitten zu, die auch mit [131] Drohungen untermischt waren: er möge in sich gehen und ihre Majestät durch seine fortwährende Huldigung nicht länger verhindern, einen Gemahl zu wählen, auf dass dem Königreiche endlich ein legitimer Erbe werde. Gerührt oder eingeschüchtert zog sich Lord Robert, „schmerzerfüllt über den Verlust des Anblicks einer so grossen Fürstin“, vom Hofe zurück; doch nach 14 Tagen ward ihm seitens der Königin Befehl, wieder zu erscheinen. Nun aber bestürmten ihn Norfolk und die übrigen mit so heftigen Vorstellungen, dass er sich neuerdings entfernte und über einen Monat ausblieb. Als er hierauf zum zweiten Male wiederkehrte, wollte man bemerken, dass zwischen ihm und der Königin, „die Sachen bedeutend abgekühlt wären; allein viele glaubten, es sei dies nur scheinbar der Fall“.

So weit der Bericht eines Venezianischen Botschafters in Frankreich[13], dem die Geschichte von dem dort beglaubigten Englischen anvertraut worden; anderen Nachrichten zufolge wäre die hier erwähnte zeitweilige Entfernung Lord Robert’s aus Eifersucht erfolgt, die er, wirklich oder zum Scheine, auf den Grafen Ormond geworfen hätte[14]. Wie dem auch sein mag, des Günstlings Stellung blieb unerschüttert, der Königin Liebe zu ihm hielt unverändert Stand.

Diese Liebe muss sinnlichen Ursprungs gewesen sein; denn an ihm war überhaupt nichts als seine Schönheit, und wenn Schönheit gleich auf den äussern wie den innern Sinn wirkt, „so dass, wer sie erblickt, sich mit sich selbst und mit der Welt in Uebereinstimmung fühlt und nichts Uebles ihn anwehen kann“[15], so stellt sich doch das Uebel von selbst ein und hört jene Uebereinstimmung auf, wenn zur reinen Wirkung der Schönheit der Reiz der Begierde hinzutritt. Ob nun Elisabeth durch solche natürliche Begierde auch bis zu sinnlicher Hingebung getrieben worden, ist keineswegs ausgemacht. Es fehlt nicht an der Behauptung, dass sie des Sinnengenusses dieser Art gar nicht fähig war. Am deutlichsten und anatomisch am begreiflichsten hat Ben Jonson, der Zeitgenosse Shakespeare’s, dies ausgesprochen[16]. Man muss [132] sich bescheiden, seine Aussage einfach zu verzeichnen und die Frage nach Elisabeth’s Eignung zu Zwecken der Geschlechtsliebe als ein unlösbares Problem stehen zu lassen. Aber die Zeitgenossen der Königin haben die Lösung sich sehr leicht gemacht: was an Einsicht und Augenschein ihnen fehlte, hatten sie an Vermuthung und Lästerung die Fülle.

Schon im August 1560 kam das Gerücht auf, dass Elisabeth in Folge ihres Verkehrs mit Dudley guter Hoffnung sei[17]; vom Januar 1563 wird uns der Bericht über eine Untersuchung, die wegen der verleumderischen Ausstreuung geführt worden, dass die Königin Lord Robert’s Geliebte sei und während ihres Aufenthalts in Ipswich ein Aussehen gehabt habe, als ob sie gerade vom Kindbett aufgestanden wäre[18]; im Jahre 1581 wurden ihr schon fünf Kinder gegeben, die ihr sämmtlich Graf Leicester gemacht hätte: wenn sie auf Reisen gehe, so geschehe es nur, um insgeheim zu entbinden[19]. Selbst das absurde Gerücht fand Gläubige, dass Leicester einen dieser Bastarde zur Thronfolge bringen wolle; gierig hat der katholische Sander es aufgegriffen und der kirchliche Annalist Raynald, welcher das doch besser wissen konnte, ihm nachgeschrieben[20].

Alles solches, das in England bekannt genug war, muss schlechterdings auch den vielen fürstlichen Persönlichkeiten, die sich als Freier um Elisabeth bemühten, zur Kenntniss gekommen sein: sie mochten es nicht glauben, weil sie vielleicht besser unterrichtet waren, und wenn sie auch nur den zehnten Theil davon geglaubt hätten, wäre es unerklärlich, dass sie trotzdem nicht nachgelassen haben, die Königin mit Heirathsanträgen zu bestürmen. Das notorische Verhältniss zu Leicester mag ihnen immerhin, wie Goethe in einem ähnlichen Falle es ausdrückt, eine „harte Mitgift“ [133] gewesen sein, aber eine Mitgift, die eben durch grosse Vortheile aufgewogen werden kann. Und ob dieses Verhältniss ein reines war oder nicht, wer konnte es damals wissen und wer weiss es heute? – Damals vielleicht Frau Ashley, der Königin intimste Vertraute; heute kein Mensch. Zwar hat Cecil dem Französischen Gesandten de Foix, als dieser für Karl IX. um Elisabeth’s Hand geworben hat, betheuert, dass Leicester von der Königin nur wie ein Bruder geliebt werde; ja Elisabeth selbst hätte, wie Quadra vermeldet[21], als sie blatternkrank aus einem Fieberparoxismus erwachte und sich im Sterben wähnte, es ihr erstes Wort sein lassen, dass sie Lord Robert liebe, aber zwischen ihnen niemals etwas Unschickliches vorgekommen sei. Allein Cecil war ganz der Mann, im Laufe einer diplomatischen Unterhandlung Dinge vorzubringen, die, auch ohne strict wahr zu sein, ihm zweckdienlich schienen, und Quadra war ganz der Mann, kritiklos niederzuschreiben, was ihm erzählt wurde. Nach seinem Berichte hätte Elisabeth, wieder zu Sinnen gekommen, jenes Wort gesprochen und die Bitte hinzugefügt, dass Lord Robert nach ihrem Tode zum Protektor des Königreichs ernannt werde. Eins von beiden muss da unwahr sein: entweder sie war bei Sinnen, und dann kann sie die Bitte nicht gestellt haben, weil Lord Robert als Protector ebenso unmöglich war wie der Papst; oder sie war nicht bei Sinnen, und dann hat Quadra Erlogenes berichtet, wenn er sagte, dass sie es sei. Wir stehen demnach rathlos vor der Frage, wie weit die zwei Liebenden, die Königin und ihr Oberst-Hofstallmeister, sich miteinander eingelassen haben. Wir wissen nur, dass er ihre Liebe niemals verdient und doch unwandelbar durch lange Zeit besessen hat.

Nachdem Lord Robert’s erste Frau ihr plötzliches Ende gefunden hatte, mussten diejenigen, welche früher Dudley’s Einfluss bekämpft, an seinem Verhältniss zur Königin Aergerniss genommen hatten, ernstlich mit der Eventualität rechnen, dass Elisabeth ihn heirathen werde. Die vorsichtigsten unter ihnen beeilten sich desshalb, ihren Uebergang auf Seite des glücklichen und, nach ihrer Meinung, zum höchsten Glücke bestimmten Wittwers zu bewerkstelligen, seinen Hoffnungen nicht weiter entgegenzutreten, seine Pläne nicht zu durchkreuzen. Ja, sie [134] scheinen in dem Grade, in welchem sie ehedem sich gegen ihn erhitzt haben, nun für ihn und seine Sache in Hitze gerathen zu sein. Was sie nicht hindern konnten, das wollten sie fördern helfen, um solche Förderung bei dem künftigen Königin-Gemahl sich als Verdienst anzurechnen.

Cecil machte noch im Todesmonat der Amy Robsart, September 1560, seinen Frieden mit ihrem Wittwer. Graf Sussex, der die Heirath Elisabeth’s mit ihrem Stallmeister widerrathen und bekämpft hatte, ward jetzt vorübergehend anderer Meinung und sprach sich für diese Verbindung aus, um freilich später abermals mit Leicester zu zerfallen. So oder ähnlich hielten es auch andere. Im November wollte der Spanische Botschafter, wenn wir ihm glauben dürfen, von Cecil erfahren haben, dass Elisabeth und Dudley, in Gegenwart eines Bruders des letzteren und zweier Kammerfrauen, bereits die Ehe geschlossen hätten – was dem Vorhaben Cecil’s, welcher die Königin um die Krone bringen und statt ihrer den Grafen von Huntingdon auf den Thron setzen wolle, zu gute kommen werde. Aber ach, wenn wir Quadra glauben dürften! Was er von Huntingdon erwähnt, beruht sicherlich auf einem abermaligen totalen Missverständniss; nicht weil dieser Graf, der ein eingefleischter Protestant war[22], dem Staatssecretär äussersten Falls nicht als König gepasst hätte, sondern weil Cecil, wenn er in solche hochverrätherische Machenschaften verflochten gewesen wäre, vor allen Dingen Sorge getragen hätte, dass sie dem Spanier nicht bekannt würden. Was aber Quadra von Elisabeth’s und Lord Robert’s geheimer Ehe berichtet, stellte sich binnen kurzer Frist als unwahr heraus. Zu jener geheimen Ehe war es nie gekommen, vielmehr wurde alsbald eine öffentliche alles Ernstes betrieben.

Dudley’s Aussichten hatten sich zwar gebessert, die Reihen seiner Gegner gelichtet. Aber was von diesen übrig geblieben war, hielt um so fester zusammen. Es fehlte nicht an ernster Warnung vor den Gefahren, welche die geplante eheliche Verbindung dem Throne bringen müsse, nicht an der Befürchtung, [135] dass die Warner selbst Hand anlegen würden, solche Gefahren heraufzubeschwören oder zu erhöhen. Woche um Woche, Monat um Monat verging, und Lord Robert rückte seinem Ziele nicht näher. Im Januar 1561 wurde er ungeduldig, Elisabeth wurde es gleichfalls: die Beiden kamen zu dem Entschlusse, allen Widerstand, dem sie da noch begegneten, mit Hilfe einer auswärtigen Allianz niederzuwerfen. Durch Vermittlung seiner Schwester, Lady Sidney, liess Dudley dem Spanischen Botschafter den Antrag stellen: Philipp II. möge seine, Lord Robert’s Heirath mit Elisabeth befürworten und vermitteln; dagegen würde die Königin bereit sein, den Katholicismus wieder herzustellen und eine politische Richtung einzuschlagen, mit der dem Spanischen Herrscher gedient wäre. Der Botschafter, es war der oben öfter erwähnte Bischof Quadra, legte Elisabeth die Frage vor, ob der Antrag mit ihrem Einverständniss erfolgt sei, und sie bestätigte dies oder gab eine Antwort, die als Bestätigung sich wenigstens deuten liess, wenngleich ihre Versicherungen im Punkte der Religion nicht so weit gingen, als Quadra gewünscht hätte. Die Sache wurde natürlich nach Spanien vermeldet, und König Philipp hatte nun zu überlegen, was er thun solle. Seiner Gewohnheit gemäss übereilte er sich nicht – erst im März wurden die erforderlichen Weisungen nach England gesendet. Sie lauteten wie folgt:

Elisabeth möge durch eigenhändige schriftliche Erklärung sich verpflichten, in den Schooss der Kirche zurückzukehren; möge ferner die auf ihren Befehl gefangen genommenen katholischen Bischöfe in Freiheit setzen und der Feier des katholischen Gottesdienstes auf Englischem Gebiete stattgeben. Dann werde der König ihrer Ehe mit Lord Robert alle mögliche Förderung angedeihen lassen[23]. Dass Philipp mit der also getroffenen Entscheidung nur gethan, was er nicht lassen konnte, sagt uns seine Schwester, Margaretha von Parma, als später das ganze bei Quadra angeregte Project ins Wasser gefallen, aber doch noch immer von einer ehelichen Verbindung der Königin mit ihrem Stallmeister die Rede war: auch wenn Eure Majestät, schreibt sie dem Könige, sich in die Sache nicht einmischen, ist es doch wahrscheinlich, dass sie zu Stande kommt und die Heirath [136] geschlossen wird; sich da den Lord Robert zum Danke verpflichten, wäre doch das kleinere Uebel[24].

Aber Philipp, Margaretha, Quadra, Lord Robert, sie alle rechneten mit Wahrscheinlichkeiten, die Königin mit gegebenen Grössen. Die Bedingungen Philipp’s begegneten einer Wendung der Englischen Politik: Elisabeth verzichtete auf die von ihr ehedem begehrte Heirathsvermittlung, wie auf die Heirath selbst, und Lord Robert musste sich trösten. Sie liebte ihn, mag ihre Hand ihm versprochen haben, in der Absicht vielleicht das Versprechen zu halten; aber ihre Liebe zu ihm kämpfte mit ihrem Hass gegen den Ehestand und ihrem tiefgehenden Verständniss der Englischen Interessen. Die Entscheidung dieses Kampfes mag durch Augenblicke geschwankt haben, nicht weil Elisabeth in Ungewissheit war, welchen Entschluss sie fassen solle, sondern weil es ihr widerstrebte, einen von vornherein feststehenden Entschluss auszusprechen. Sie ist unverkennbar eine von jenen Englischen Damen, deren Byron spottet, weil ihnen die Liebe im Kopfe sitze[25]: im Herzen sass ihr die Herrschsucht. Von dieser Leidenschaft ganz erfüllt, wollte sie keinen Gatten, der seinen Theil an der Herrschaft begehre. So beiläufig äussert von ihr der Cardinal Bentivoglio[26], und er hat in dem Punkte sehr richtig geurtheilt. Man kann diese Königin so wenig eine Heilige als eine genusssüchtige Frau nennen. Der Besitz der Macht war ihr Wirklichkeit, der Liebe Lust und Schmerzen waren ihr ein Traum. Sie träumte ihn noch durch Jahre mit Leicestern, dann mehr spielend und zum Zeitvertreib mit Anderen, aber stets wachenden Auges, das unverwandt hinüberblickte auf das, was ihr Nutzen bringe und England vor Schaden bewahre.

Als Elisabeth im Jahre 1565 in ernsten Verhandlungen mit dem Kaiser stand, die den Abschluss einer Ehe zwischen ihr und dem Erzherzog Karl bezweckten, tröstete man sich am kaiserlichen Hofe mit der Nachricht, dass Leicester, der schon graue Haare bekomme, als Concurrent nicht mehr zu fürchten sei. Allein die grauen Haare des Grafen hinderten nicht, dass des [137] Erzherzogs grüne Hoffnung auch diesmal eine trügerische war: sie hinderten ebenso wenig, dass die Huld und Gnade der Königin auch dem Graugewordenen bewahrt blieben. Durch volle 30 Jahre, bis zu seinem Tode hat er sich seiner bevorzugten Stellungen und der königlichen Gunst erfreut. Was er immer sündigen mochte, durch zwei heimliche Vermählungen, die seine Untreue ausser Zweifel setzten, durch Unbotmässigkeit in politischen Dingen und Unfähigkeit in militärischen – alles wurde ihm verziehen. Selbst als Elisabeth's Bedarf an Schwärmerei oder Genuss durch jüngere Kräfte gedeckt wurde, hat dies an Umfang und Nutzungen seiner Günstlingschaft nichts geändert. Es ist unleugbar, dass solches von seiner Seite einige Geschicklichkeit und Kunst erforderte, auf Elisabeth’s Seite aber eine grosse Liebe zur Voraussetzung hatte – eine Liebe, die dem Spott der Feinde, der Warnung ergebenster Freunde Trotz geboten, und was ungleich mehr sagen will, sich stärker erwiesen hat, als die Wirkungen der Zeit.




Nachdem Vorstehendes zum Druck gegeben war, kam mir Bekker’s Essay über Elisabeth und Leicester zur Hand[27]. Es sei mir desshalb gestattet, mit dessen Verfasser mich hier in kurzem auseinanderzusetzen.

Der Punkt von Belang, in dem wir differiren, betrifft den Tod Amy Robsart’s und die Frage nach Leicester’s und Elisabeth’s Schuld an demselben. Was Bekker dessfalls aus dem Leicester-Blount’schen Briefwechsel und den Bekenntnissen Appleyard’s folgert, kann ich wohl auf sich beruhen lassen. Diese Actenstücke lassen, wie aus Gairdner’s oben citirtem Aufsatz erhellt, eine der Bekker’schen völlig entgegengesetzte Auslegung zu, und es will mir scheinen, dass sowohl Bekker als auch Gairdner mit ihren Auslegungen einen Beweis erbringen wollen, für welchen es in den Briefen, wie in dem Bekenntnisse an einem festen, über alle Zweifel erhabenen Anhaltspunkte fehlt. Wer billig urtheilen will, darf nicht übersehen, dass weder Froude noch Bekker aus dem Briefwechsel und Appleyard’s Confession ihre Schlüsse auf Leicester’s Schuld gezogen hätten, wenn die Aeusserungen [138] des Span. Botschafters de Quadra unbekannt geblieben wären. Ich sehe diese Aeusserungen mit kritischem Auge an, Bekker dagegen glaubt dem Quadra aufs Wort. Und doch kann uns eine gerade von Bekker (S. 108) citirte Stelle aus Quadra’s Depeschen belehren, dass dieser Diplomat Irrthümern, selbst groben Irrthümern unterworfen war: wir sehen ihn von einem Bischof von Windsor sprechen – und es hat niemals einen solchen gegeben; Windsor war kein Bischofssitz. Liegt es da nicht nahe anzunehmen, dass Quadra, wie er in diesem Falle geirrt, auch in manch’ anderem Irrthümliches berichtet habe? dass die betreffende Aussage Cecil’s von ihm falsch verstanden oder auch maliziös zugerichtet worden? dass Cecil ihm die Nachricht von dem meuchlerischen Vorhaben gegen Amy Robsart nicht als feststehende Thatsache, die er, der Staatssecretär, für wahr halte, sondern als ein Gerücht mitgetheilt habe, welches in Folge der Intimität zwischen Elisabeth und Leicester seinen Lauf genommen? – Die Erklärung, wie solche Versehen und Verkehrtheiten in diplomatische Depeschen sich einschleichen konnten, glaube ich oben gegeben zu haben, wie nicht minder den Beweis, dass sie thatsächlich vorgekommen sind. Ich halte auch dafür, dass es, behufs Ermittelung der historischen Wahrheit, weniger gefährlich ist, die Aussagen eines Diplomaten scharf ins Verhör zu nehmen, als – wie Bekker es thut – der eigenen Phantasie die Zügel schiessen zu lassen. Denn was er (S. 61) als Thatsache gibt, dass die Leiche der Amy Robsart mit gebrochenem Genick an den Fuss der Treppe gelegt worden, kann doch nur Ausgeburt der Phantasie sein und entbehrt jedes wie immer gearteten quellenmässigen Beleges.



Anmerkungen

  1. Ueber die Sendung Morette’s vgl. Miscellaneous State Papers (Hardwicke Pap.) Lond. 1778, I, 146. – Mignet, Hist. de Marie Stuart. Vol. I cap. 2. – Ricotti, Storia della Monarchia Piemontese. Firenze 1861. II, 206. – Calendar of St. Pap. Foreign 1560–1561 p. 545.
  2. Bei Mignet, a. a. O. I cap. 4; ausführlicher bei Froude, Hist. of Engl. since the Fall of Wolsey. VII, 85.
  3. Depesche d. P. Tiepolo, Brüssel 4. Mai 1559, im Venet. Archive.
  4. Den Text dieser Dep. gibt in Engl. Uebersetzung Froude VII, 277 ff. Die leichten Uebersetzungsfehler, die sich bei ihm eingeschlichen haben, sind zu corrigiren nach Gairdner, The Death of Amy Robsart, in der Engl. Historical Review, Apr. 1886 p. 235 ff. – Das Spanische Original ist jetzt allgemein zugänglich, in Kervyn de Lettenhove’s Relat. pol. des Pays-Bas et de l’Anglet. II, 529 ff.
  5. L’Ambasciator de Inghilterra, il qual mette gran diligentia, per intender le cose dove la sua Regina puo haver qualche interesse, mi ha fatto intender, che si tratta di maritarla nel principe d’Oranges. – – – Ha inteso che la duchessa d’Arescot, la qual è sorella del principe d’Oranges è stata ultimamente a Reims, et questo fa credere, che la cosa sia molto avanti. Dep. Mich. Surian, Paris ult. März 1561.
  6. Throckmorton an Elis. 31. März 1561: Cal. of St. Pap. For. 1561 bis 1562 p. 45.
  7. Ueber die Chronologie dieser Vorgänge s. Gairdner a. a. O. p. 242.
  8. Von Gairdner a. a. O. p. 249 ff.
  9. Granvelle, Pap. d’Etat, ed. Weiss. IX, 132.
  10. S. dasselbe, vom 7. Oct. 1560, bei Gachard, Correspond. de Marg. d’Autriche, Duchesse de Parme avec Phil. II. Bruxelles 1867. I, 310 ff.
  11. Cal. of St. Pap., For. 1560–61 p. 475.
  12. La Mothe Fénélon, Corresp. diplom. ed. A. Tenlet, London–Paris 1840. II, 120 f.
  13. Dep. Giac. Surian, Paris 11. Mai 1566.
  14. Mignet, Hist. de Mar. Stuart I ch. 4.
  15. Wahlverwandtschaften I, Cap. 6.
  16. Notes on Ben Jonson’s Conversations with Will. Drumond. (Lond., Shakespeare Soc. 1842) p. 23: She had a membrana on her, which made her incapable of man, though for her delight she tryed many. At the comming over of Monsieur (Alençon) ther was a French chirurgion who took in hand to cut it, yett fear stayed her, and his death. – Und das klingt etwas wahrscheinlicher als die Aussage des Cardinais D’Ossat, Lett. ed Amelot de la Houssaie. (Amsterdam 1708) I, 399: Elle n’avait point de vulve.
  17. Cal. of St. Pap., Domest. 1547–80 p. 157.
  18. Cal. of St. Pap., Domest. Addenda 1547–65 p. 534.
  19. St. Pap. Domest. 1581–90 p. 12.
  20. Annal. Eccl. ad a. 1565. § 22.
  21. Bei Froude VII, 430.
  22. Huntingdon war dem königl. Hause York verwandt, ein Neffe des Cardinals Pole und steifer Protestant; später ein Parteigänger der Puritaner. Darum nennt ihn Sander, Schism. Anglic. L. 3: Optimi Card. Poli pessimus nepos.
  23. Froude VII, 308 ff.; 326 ff.
  24. Gachard, Corresp. de Marguérite I, 546.
  25. Don Juan C. 11 st. 34.
  26. Ella, piena di spiriti dominanti, senza curarsi di prole non haveva mai voluto ricever compagnia di marito, per non avere appresso di se compagno di regno. Guerra di Fiandra. P. 3, L. 6 in fine.
  27. Giessener Studien auf dem Gebiet der Geschichte V: Elisabeth und Leicester. Beiträge zur Geschichte Englands in den Jahren 1560–1562. Giessen, Ricker. 1890. 131 p. 3 M.