Eine gefährliche Nonne
Wenn es etwa funfzig Jahre früher wäre, die Zeit, wo die Kramer, Spieß und Genossen die Lesewelt mit ihren schaurigen Räuber-, Ritter- und Geisterromanen entzückten, wie könnte ich mir dann gratuliren, obigen Titel erfunden und den nachfolgenden Zeilen vorgesetzt zu haben! Die Zahl Derer, welche nach diesem Blatte gegriffen, um mit gierigem Leseverlangen den erhofften „Roman“ so bald und so schnell als möglich in sich aufzunehmen, wäre Legion gewesen! Ebenso gewiß ist es aber auch, daß die große Mehrzahl diesen Bogen enttäuscht, wo nicht verächtlich, wieder bei Seite geschoben hätte, sobald sie erst den wahren Inhalt, der allerdings nichts weniger als romanhaft ist, erkannte. Heutzutage kann das nur umgekehrt sein. Mancher Leser der Gartenlaube wird die Ueberschrift mit heimlichen Bedauern betrachten. Kommt er aber zum Kerne, so wird er sich gewiß freuen und der ihm mehr oder weniger neuen Schilderung das Interesse abgewinnen, welches sie in Anspruch nehmen darf, vorausgesetzt, daß der Erzähler nicht à la Mephisto „den Geist herausgetrieben hat“, wie er es doch nicht hofft und nicht glaubt.
Unsere „gefährliche Nonne“ hat noch verschiedene andere Namen. Der in der wissenschaftlichen Welt gebräuchlichste rührt von dem Altvater Linné her, und lautet Phalaena Bombyx Monacha. Mit diesem wollen wir uns begnügen, da er einem Jeden, der sich mit Naturwissenschaften beschäftigte, bekannt sein dürfte. Der Entomologe weiß, daß die Nonne ein Insect ist, welches zu den Schmetterlingen gehört, die Linné zu den Nachtfaltern und den Spinnern rechnet. Der Name Nonne oder Monacha rührt jedenfalls von der eigenthümlichen, weiß und schwarzen Zeichnung der Flügeldecken des Schmetterlings her. Wir nannten das Insect die verderbliche Nonne, weil dasselbe noch ganz neuerdings in dem kurzen Zeitraume von drei Jahren dem Staate und Privatpersonen einen Schaden zugefügt hat, der nicht nach Hunderttausenden, – der nach Millionen zu berechnen ist!
[57] Ehe wir hierauf zurückkommen, geben wir untenstehend eine genauere Beschreibung des Uebelthäters in seinen verschiedenen Zuständen.[1]
Dieser Raupe nun, oder vielmehr Milliarden dieser kleinen Raupen ist es gelungen, Verheerungen zu bewirken, wie solche durch andere Naturgewalten in so kurzer Zeit kaum erreicht, geschweige denn übertroffen worden sind. Denn selbst Wasser und Feuer werden in ihrer Macht aufgehalten durch Hindernisse, welche die Raupe mit Leichtigkeit überwindet.
Wenn die Gattung der Raupen, mit welcher wir uns hier beschäftigen, auch polyphag ist, das heißt, wenn sie auch keinen einzigen unserer Wald- und Gartenbäume verschont und in der Noth selbst mit Haidekraut und Gras vorlieb nimmt, so sind die Nonnen doch in gewisser Beziehung Feinschmecker, welche das Gute vom weniger Guten, das Zarte von dem Harten, das Saftige von dem Trocknen sehr wohl zu unterscheiden wissen. Dies gilt nicht allein von der Wahl der Holzarten, indem sie den Buchen den Vorzug geben vor den Birken und Eichen, diese indessen noch lieber annehmen, als Obstbäume, sämmtliche Laubhölzer aber so lange nicht berühren, als sie noch Nadelhölzer vorfinden, und unter letzteren wieder ganz besonders die Fichte (Rothtanne, pinus picea) vor Kiefer und Weißtanne auszeichnen; sie zeigen sich auch beim Fraße selbst an dem einmal ausgesuchten Baume ganz außerordentlich wählerisch und übermüthig. Und dabei machen sie die feinsten Unterschiede! Von dem Buchenblatte nimmt die Nonne am meisten. Sie beginnt an der Basis des Blattstieles ihren Fraß, geht an der Mittelrippe in die Höhe und löst die zarteren Theile des Blattes aus. Die Mittelrippe selbst zernagt sie erst dann, wenn die Nahrung knapp wird. Von Eichen- und besonders von Birkenblättern frißt sie nur äußerst wenig, versäumt aber nicht, den Blattstiel durchzubeißen, daß das Blatt zur Erde fällt und der Baum bald mit winterlichem Aussehen dasteht. Bei der Kiefer beginnt sie ihren Fraß an den zweijährigen Nadeln und geht erst, wenn der Hunger sie treibt, zu den einjährigen und ganz jungen über. Völlig unverantwortlich aber verfährt sie mit der Fichte. Wie schon gesagt, geben ihr die Nadeln dieses Baumes die liebste Nahrung. Und dennoch nimmt sie von diesen, ihrem Leckerbissen, nur den allergeringsten Theil zu sich. Fast unmittelbar über der Scheide, aus welcher die Nadeln hervorkommen, nagt sie dieselben durch und frißt dann nur den Stumpf derselben, welcher ihr besonders zusagen muß. Dadurch ist es aber auch stets um das Leben der befressenen Fichte geschehen, und der seiner Nadeln auch nur zum größeren Theile beraubte Baum wird eine sichere Beute des Todes, während sich die Laubhölzer immer, die Kiefer, sobald sie nicht zu arg mitgenommen ist, meist immer wieder erholt.
Einige wenige Exemplare dieser Raupe finden sich wohl zu jeder Zeit überall dort, wo es größere Waldungen im Zusammenhange gibt. Zum Glück ist aber ein solches Ueberhandnehmen derselben, wie es in den Jahren 1853–1856 in den Wäldern Litthauens stattfand, eine Seltenheit. Vor 30 Jahren wurden die ausgedehnten Kiefernbestände der Neuvorpommerschen Ostseeküste (Reg.-Bezirk Stralsund) von dieser Plage heimgesucht. Da aber, wie angedeutet, der Fraß in Kiefern nicht so gefahrbringend ist, als in Fichten, und da dort die außerordentlichsten Anstrengungen gemacht wurden, um den Verheerungen entgegenzutreten, gelang es, den größten Theil jener Bestände zu retten. Noch einmal trat dies Insect im Jahre 1838 in derselben Gegend auf, und zwar unter den merkwürdigsten Umständen.
Am 15. August des gedachten Jahres fährt der Tagelöhner Wieck auf einem Binnenwasser der Halbinsel Darß, hart an der Ostseeküste, welches eine beträchtliche Breite hat, mit mehreren anderen Leuten auf den Fischfang. Plötzlich zieht, von der Ostsee herkommend, bei ganz klarem und ruhigem Wetter, eine weiße Wolke auf, welche mit großer Schnelligkeit näher kommt und fast die Sonne verdunkelt. Bald erkennen die Leute, daß die vermeintliche Wolke nichts Anderes ist, als unglaubliche Mengen von weißen Schmetterlingen, welche wie die Schneeflocken herniederfallen und das Boot, sowie das Wasser ringsum bedecken. Die Fischer konnten sich der zudringlichen Gäste kaum erwehren; sie krochen ihnen in die Taschen und unter die Schürzen. Ganz bestürzt über dies seltsame Ereigniß, melden sie den Vorfall dem königlichen Oberförster auf dem Darß, und dieser entdeckt zu seinem unnennbaren Schrecken am folgenden Tage die sämmtlichen Kiefernbestände der Umgegend so dicht mit Nonnenschmetterlingen besetzt, daß er vier Ortschaften zu ihrer Vernichtung aufbieten mußte. Obwohl aber viele Scheffel derselben eingebracht wurden, konnten im nächsten Winter noch dreihundert Pfund Nonneneier gesammelt werden, und dennoch fand im Semmer darauf ein merklicher Fraß statt, der die Kiefernbestände lichtete.
In der Provinz Litthauen hatte die Nonne seit Menschengedenken nicht gewüthet, oder wenigstens nicht einen Ruin der Wälder herbeigeführt. Andere Calamitäten freilich, wie furchtbare Stürme und ein anderes Insect, „der Borkenkäfer“, von welchem weiter unten noch die Rede sein wird, haben die Nadelholzbestände in diesem Theile Preußens mehrfach heimgesucht, jedoch nicht in gleicher Ausdehnung und nicht mit ähnlichen nachhaltigen Wirkungen.
Im Sommer des Jahres 1852 zeigten sich in den enormen ostpreußischen Waldungen die ersten Spuren der Nonnenschmetterlinge. Dieselben wurden aber so vereinzelt gesehen, daß sich die Forstverwaltung noch nicht veranlaßt sehen konnte, Vernichtungsmaßregeln zu beginnen, wenn das Vorhandensein des Insectes auch keinerwegs ihrer Aufmerksamkeit entging. In den südwestlichen Theilen der Provinz, an der russisch-polnischen Grenze, erschienen die Raupen am häufigsten und fraßen daselbst schon, als in den nördlich und östlich gelegenen Waldkomplexen fast nach keine Spur derselben zu entdecken war. Man vermuthete damals gleich, wie es sich auch jetzt bestätigt hat, daß die Brutstätte des Insectes in den ungeheuren polnischen Waldungen gewesen war, und daß es der dortigen schlechten Forstverwaltung und ungenügenden Aufsicht zu danken sei, wenn die Vermehrung desselben in so fabelhafter Weise stattfinden konnte, daß spätere, auch noch so bedeutende Anstrengungen der Menschen zu ihrer Vertilgung erfolglos blieben. Denn auch dieser gewaltigen Naturerscheinung ist der Mensch gewachsen und kennt die Mittel zu ihrer Unschädlichmachung. Er muß nur an der Quelle anfangen und sich dem Strome nicht entgegensetzen wollen, wenn dieser ein Niagarafall geworden ist! – Dem Ueberflug der Schmetterlinge nach Litthauen ist es zuzuschreiben, daß im Jahre 1853 die ganze Provinz bis zur Ostsee hinauf mit der [58] Nonne in schon erschreckender Menge besetzt war. Jetzt wurde der allgemeine Vertilgungskrieg angeordnet, und noch wäre es, nach dem Urtheil aller Sachverständigen, möglich gewesen, des Insectes Herr zu werden und wenigstens der gänzlichen Vernichtung der Wälder vorzubeugen, wenn sich dasselbe nicht durch immer neue enorme Zuzüge aus Polen rekrutirt hätte. So aber wurde man schon im folgenden Jahre inne, daß Alles vergeblich, daß es „zu spät“ sei.
Man hat den verschiedenen Insecten gegenüber verschiedene Mittel der Vertilgung, welche aus ihrer Lebensweise und Oekonomie abgeleitet sind. Diese sind in allen vier Zuständen anzuwenden. Am wenigsten anräthlich, weil von ungewissem und unvollkommenem Erfolge, ist – wenn wir bei der Nonne stehen bleiben – das Einsammeln der Schmetterlinge. Dieselben sitzen meist so hoch am Stamme, daß man ihrer nur mit Mühe habhaft werden kann, sie sind unruhig und beweglich, und es werden mit den Weibchen eine gleiche Anzahl unschädliche Männchen eingefangen. Die Zeit der Einsammlung ist sehr kurz zugemessen, weil nach der Ablegung der Eier, also nach acht, höchstens vierzehn Tagen von der Erscheinung des Schmetterlings an, das Sammeln der nun doch dem Tode verfallenen Falter zwecklos ist, und weil daher die aufgewendeten Kosten noch nie durch Erfolge gerechtfertigt worden sind. Hiervon und von der Absuchung der meist schwer aufzufindenden Puppen sah man daher in Litthauen völlig ab und wendete sich mit desto größerer Energie der Sammlung der Eier und der Vernichtung der Räupchen zu.
Die Eier sind, wie oben gesagt, vermittelst ihrer Legeröhre in die Rindenschuppen geschoben und dort festgeklebt. Man findet sie daselbst gewöhnlich in Nestern von 20–80 Stück beisammen liegen, und das Auge gewöhnt sich bald an ihre Auffindung. Da solche Nester aber auch vielfach in einer dem Menschen nicht erreichbaren Höhe liegen, muß jeder Sammler mit einer Leiter versehen sein.
Als das Geschäft erst einmal im Gange war und die Arbeiter sich überzeugten, daß sie zu einem guten Verdienst kämen, waren in den einzelnen befallenen Revieren bald Hunderte von Arbeitern, Männer, Weiber und Kinder, mit dem Einsammeln der Nonneneier beschäftigt. Die Bezahlung erfolgte lothweise, der Preis wurde selbstredend nach dem Vorhandensein von Eiern abgemessen und im Laufe der Monate und Jahre immer geringer, bis zuletzt im Jahre 1855 das Loth mit vier und drei Pfennigen bezahlt wurde! Das Loth Nonneneier enthält erfahrungsmäßig mindestens 20,000 Stück. Wenn man nun bedenkt, daß mehr als 10,000 Pfund Eier eingesammelt worden sind, ja daß in einem einzigen, nicht einmal übergroßen Forstreviere fast 3000 Pfund in noch nicht ganz drei Jahren zusammengebracht sind, und daß trotz alledem die Nadelholz-Wälder ihrem fast vollständigen Untergange nicht entrissen werden konnten, so wird man einen ungefähren Begriff von der Menge der vorhandenen Raupen erhalten.
Die Productionskraft dieser, sowie überhaupt der meisten Insecten ist aber auch eine staunenswerthe, und eine Berechnung derselben verliert sich alsbald in Zahlen, welche nur auszusprechen, selbst für einen Dahse seine Schwierigkeit haben würde!
Ein Schmetterling legt durchschnittlich fünfzig Eier. Daraus entstehen im nächsten Jahre funfzig fressende Raupen, da die Witterung, sei es auch der allerhärteste Frost, keinen nachtheiligen Einfluß auf die Entwickelung des Insectes ausübt. Aus diesen funfzig Raupen entstehen funfzig Schmetterlinge, von welchen erfahrungsmäßig die Hälfte Weibchen sind. Im darauffolgenden Jahre kann man also mit Sicherheit 25 x 50 = 1250 Raupen erwarten und im Herbste hiervon 625 weibliche Schmetterlinge, und schon im dritten Jahre 31,250 gierig fressende Raupen, welche ihr Dasein sämmtlich nur einer, erst vor zwei Jahren erzeugten Stammmutter verdanken. Viele hundert Raupen fressen nun an einem einzigen Baume, viele tausend Bäume gehören dazu, um einen großen Wald zu bilden – doch wohin führt uns das? Wir müssen es der Phantasie des Lesers überlassen, sich das Weitere selbst auszumalen!
Man begnügte sich in den Wäldern Litthauens aber nicht allein mit der Sammlung der Eier, man setzte die Vernichtungsmaßregeln auch gegen die Raupen fort, welche, wie oben bemerkt, noch einige Tage nach ihrem Ausschlüpfen aus den Eiern auf demselben Flecke beisammensitzen und sich an der Luft stärken. Arbeiter, mit kleinen Stampfen versehen, mußten die Bestände durchwandern und Baum für Baum nach diesen Nestern – mit dem technischen Ausdrucke „Spiegel“ genannt – absuchen, um sie zu zermalmen. Unzählige Raupen sind durch dies Verfahren noch vernichtet worden, und doch mußte man sich im Jahre 1855 gestehen, daß menschliche Kräfte unzureichend seien; daß eine weitere Aufwendung von Geldmitteln nicht zu verantworden wäre, und daß man es jetzt der Natur allein überlassen müßte, dem von ihr hervorgerufenen Unheil auch wieder Einhalt zu gebieten.
Im Sommer des Jahres 1856 erreichte die Menge der vorhandenen Raupen ihren Höhepunkt. Sie ging nun in der That in das Unglaubliche. Näherte man sich einem Bestande, in welchem die Raupen hausten, so vernahm man schon in einiger Entfernung ein Knistern und Knastern, als ob ein leiser Wind durch die Wipfel führe, oder als ob ein Feuer nicht weit davon eben im Aufflackern begriffen wäre. Es waren nur Raupen, welche dies Geräusch hervorbrachten, theils durch das Zerbeißen und Zernagen der Nadeln, theils durch das Hinabwerfen dieser und durch ihren herniederfallenden Koth. Die Bäume waren schon fast völlig kahl gefressen, und an jedem Aste, an jedem Zweige hingen die Raupen klumpenweise. Der Erdboden war mit denselben wie besäet, so daß man kaum einen Grashalm dazwischen gewahren konnte. Kleinere trockene Gräben waren bis zum Rande angefüllt mit dem jetzt ziemlich matten und kraftlosen Insect, und darüber hinweg krochen andere Milliarden, um nach neuer Nahrung zu suchen. Die Wege waren so hoch mit Raupen bedeckt, daß ein Wagen tiefe Geleise in denselben zurückließ, welche freilich alsbald durch die nachrückenden Schaaren der Raupen wieder ausgefüllt wurden. Es war ein trauriger, entsetzlicher, ekelhafter Anblick! Das Wild hatte sich in die Brüche und die dichtesten Schonungen zurückgezogen, und selbst das Weidevieh konnte und mochte die spärlichen, übrig gebliebenen Gräser nicht fressen. Endlich aber war der ferneren Verbreitung der Raupen ein Ziel gesetzt. Der ungeheueren Mehrzahl nach schon krank, starben sie, ohne zuvor in den Zustand der Puppe überzugehen, indem sie einen widerwärtigen Verwesungsgeruch zurückließen. In der Luft aber lebte und webte es von Schaaren kleiner beflügelter Insecten, Fliegen und Mücken von den allerverschiedensten Formen und Gestalten, welche recht in ihrem Lebens-Element zu sein schienen.
Diese kleinen, meist der Ordnung der Zweiflügler angehörigen Insecten bilden das von der Natur selbst dargebotene Gegengewicht: sie – und sehr wahrscheinlich noch andere, uns nicht bekannte Ursachen – bewirken das auffallend schnelle Verschwinden der Raupen. Als Strafe für ihre Gier und das verübte Unheil, müssen sie einen qualvollen Tod sterben. Ihre Leiber sind die Brutstätten dieser Mücken und Fliegen und Schlupfwespen geworden, welche sich bis zur Vollwüchsigkeit in der Raupe selbst ernähren und dann den halbverzehrten, meist noch lebenden Körper verlassen, um andere, noch gesunde Raupen zu suchen, und auf oder in diese wieder ihre Eier zu einer neuen Generation abzulegen. Ihre Vermehrung hält mit jener der Raupen gleichen Schritt, und die Zahl ihrer Arten ist sehr bedeutend.[2] Es sind übrigens nicht allein die Raupen, welche diese lästigen Gäste beherbergen müssen, manche Species stechen die Puppen an und verhindern dieselben, sich zum Falter auszubilden, und wieder andere suchen die Eier auf, welche sie zerstören.
Außer diesen Ichneumonen und Schlupfwespen sind auf der Erde eine Menge von Raubkäfern, Ameisen und anderem Gewürm thätig, sich auf die Raupen zu werfen und sie zu vernichten. In der Luft aber schwirrt es von allerhand Vögeln, als besonders Krähen, Stahren, Spechten aller Art und vielen kleinen Sorten, welche in den Raupen wüthen und sich an dieser Speise fett mästen.
Alles dies wirkt zusammen, um in dem dritten Jahre des Hauptfraßes der Verwüstung ein Ziel zu setzen. Auch in den litthauischen Wäldern waren im Herbst des Jahres 1856 die Raupen verschwunden und nur sehr wenige Schmetterlinge zur Entfaltung gekommen, von welchen wiederum nur sehr vereinzelt Eier gelegt wurden.
Wie aber sahen die Wälder ans, nachdem die Raupen drei volle Jahre mit ihrer fabelhaften Gier und Verschwendung darin gehaust! Der Freund der Natur jammerte bei ihrem Anblicke. Und [59] welch’ ein ungeheurer, nach Millionen zu berechnender Schade war dem Staate und Privatwaldbesitzern zugefügt! In den Staatswäldern Litthauens sind, nach niedriger Schätzung, allein über zehn Millionen Klafter Holz trocken geworden, von denen, ungeachtet übermäßiger Anstrengungen, bis heute (Herbst 1859) kaum drei Viertheile aufgearbeitet und trotz der niedrigsten Preise verkauft und für die Bedürfnisse nutzbar gemacht worden sind! Und das Meiste von dem, was jetzt noch auf dem Stamme steht, wird leider auch nie zum Verbrauche kommen können, nicht einmal als Brennholz, weil es schon verdorben, gestockt und angefault, und deshalb auch nicht einmal für die Fällungskosten zu verwerthen ist.
Wer die prachtvollen litthauischen und masurischen Wälder vor einigen Jahren gesehen hat, der erkennt sie schwerlich wieder in ihrem jetzigen Zustande. Und doch ist der Anblick derselben an den meisten Orten für das Auge kein so widerwärtiger und ekelhafter, als man glauben sollte. Eigentliche Blößen und kahl gefressene Stellen kommen nur selten vor. In den allermeisten Fällen standen die Fichten nicht rein, sondern in der Vermischung mit allen möglichen Laubhölzern, besonders Eichen, Hainbuchen und Birken. Nachdem nun die todten Fichten herausgehauen sind, bilden die am Leben gebliebenen Laubhölzer immer noch einen, wenn auch nicht dichten, doch in den meisten Fällen noch geschlossenen Bestand. Unter denselben treibt eine wahrhaft üppige Vegetation empor, welche der sehr gute Boden, dessen Fruchtbarkeit durch die Raupendüngung für den Augenblick noch bedeutend erhöht ist, gleichsam als Ersatz für das Unglück bietet. Die ungeheure Masse von jungen, kräftigen Holzpflanzen, welche den Boden bedecken, bietet wenigstens die Garantie, daß ein eigentlicher Brennholzmangel nicht zu befürchten ist, wenn auch die Bauhölzer in den nächsten Jahrzehnten seltener und theurer werden dürften.
Die Frage, was mit den ungeheuren Holzmassen angefangen ist, wer sie gekauft, wozu sie benutzt sind, können wir hier nur oberflächlich beantworten. Es hat einmal die ganze Umgegend, von dem großen Gutsbesitzer herab bis zum kleinsten Häusler, die Gelegenheit, billiges Bauholz zu kaufen, benutzt und ihre Wohnungen neu- und umgebaut. Dann aber haben industrielle Unternehmer Werkstätten im Walde errichtet und mit Hunderten von Menschen die Bäume verarbeitet, zu Balken, Bretern und besonders Eisenbahnschwellen. Letztere sind besonders für die Königsberg-Eidkuhner Bahn und für russische Eisenbahnen verwendet worden; es sind aber solche auch nach Memel gegangen und von dort zu Wasser versendet, selbst bis nach Calcutta hin. Mit dem Brennholzabsatze ist man noch beschäftigt, und dies ist freilich ein sehr schwieriger Punkt, ja, wie man jetzt leider die Ueberzeugung hat, ist es auch unmöglich, die ganzen Bestände zu verwerthen, da die Fäulniß überhand nimmt. Die Preise haben sich im Durchschnitt für den Cubikfuß Nutzholz auf etwa 1 Sgr., für die Klafter Brennholz auf 20 Sgr. bis 1 Thaler gestellt, von welcher Summe man noch circa 10 Sgr. Hauungskosten in Abzug bringen muß. Gilt doch auf den Holzhöfen in Königsberg und Memel die Klafter Raupenfraßholz nur circa 3 Thaler. Das sind augenblicklich gute Zeiten für die frierenden Städter, denen es allerdings um so härter ankommen wird, in nicht allzuferner Zeit eine mindestens drei Mal so große Summe für dasselbe Quantum zu zahlen.
Als die Nonne endlich ausgewüthet hatte, athmete Alles hoch auf und betrachtete mit doppelter Liebe die wenigen übrig gebliebenen haubaren und nutzbaren Fichtenbestände. Kundige waren allerdings auch da noch besorgt und wollten prophezeien, daß das Verderben auch die jetzt verschonten Stämme ereilen würde, wenn auch nicht mehr durch die Raupen. Sie haben leider Recht gehabt. In manchen Reviertheilen und ganzen Revieren ist zur Zeit keine über 30 Jahre alte grüne Fichte zu finden, da die von der Raupe verschonten der Borkenkäfer vernichtet hat.
Dieser Borkenkäfer findet sich überall da ein, wo die Nadelhölzer durch den Sturm entwurzelt, durch Raupenfraß getödtet oder durch sonstige Calamitäten krank geworden sind. Der frische Harzgeruch zieht ihn an, und er vernichtet erbarmungslos, was seine Vorläufer noch übrig gelassen. Anfänglich nur das kranke Holz annehmend, geht er, wenn solches mangelt, zum gesunden über, bohrt sich zwischen Rinde und Holz ein, legt dort seine Eier ab, und die unglaublichsten Mengen dieser kaum zwei Linien langen Käferchen, welche in jedem Jahre eine doppelte Generation haben, machten es möglich, in wenig Monaten die ganze Rinde vom Baume abzulösen, was dessen unfehlbares Absterben verursacht.
So weit die Wissenschaft auch vorgeschritten ist, so gelehrt die Menschen auch sind, und so viele Mittel auch vorgeschlagen und angewendet wurden, solchen Unglücksfällen vorzubeugen oder dieselben, wenn sie trotzdem hereinbrechen, in ihrem Laufe wenigstens aufzuhalten, – derartigen ungeheuren Naturereignissen gegenüber muß auch der Stolzeste seine Ohnmacht bekennen und zugeben, daß die Natur mächtiger ist, als er. Ihre Kräfte können wir wohl uns dienstbar machen und sie benutzen, aber nur so lange sie selbst es für gut hält. Es scheint, als ob sie dem Menschen von Zeit zu Zeit in das Gedächtniß zurückrufen wolle, daß es ihr eigener freier Wille ist, wenn sie sich ihm dienstbar unterwirft, daß sie aber, weit entfernt davon, seine Sclavin zu sein, jeden Augenblick die angelegten Fesseln abwerfen und sich ihm in ihrer ganzen furchtbaren, majestätischen Kraft zeigen kann.
- ↑ Jedes Insect hat drei Zustände zurückzulegen, ehe es, nach der letzten Metamorphose, seine vollkommenste Form als Fliege (Schmetterling, Mücke, Käfer, Fliege, Biene etc.) erhält. In dieser Form erst ist es im Stande, seine Art fortzupflanzen, und es verschwindet, sobald diesem Gesetze der Natur Genüge geleistet worden ist. Während es nun fast bei allen übrigen Geschöpfen eine durchgehende Erscheinung ist, daß das männliche Geschlecht dem weiblichen an Größe, Kraft und Schönheit überlegen ist (man will ja, selbst den Menschen, auch im Schönheitspunkte, nicht ausnehmen), findet bei den Insecten in den allermeisten Fällen das Umgekehrte statt. So auch bei der Nonne.
Der weibliche Schmetterling hat oft bis zwei und ein halb Zoll Flügelspannung, das Männchen ist gut einen halben Zoll kleiner. Ersterer hat einen schonen, rosenrothen Hinterleib, welcher Schmuck dem Letzteren fehlt oder wenigstens nicht glänzend ist. Auch ist bei dem Männchen die Zeichnung der Flügeldecken nicht so schön, als beim Weibchen. Der einzige Vorzug des Männchens sind seine schönen buschigen, doppelt gekämmten Fühler, welche dem Weibchen abgehen. Schon von weitem, und selbst wenn sie hoch am Stamme sitzen, sind die beiden Geschlechter kenntlich, da noch das Merkmal hinzukommt, daß das Weibchen seine großen Flügel im Sitzen über einander schlägt, während diese bei dem Männchen sich nicht völlig decken, und noch einen Theil der Unterflügel sehen lassen.
Der verhältnißmäßig dicke Leib des Weibchens endigt mit einem langen Dorne, der sogenannten Legeröhre. Vermittelst dieser schiebt er Ende Juli oder Anfang August seine Eier tief in die Risse und Ritzen der Rinde von Baumstämmen, woselbst diese, ohne merkliche Veränderung, bis zum nächsten Frühjahre bleiben. Sehr bald nach dem Proceß der Eierablage stirbt das Weibchen, dessen Leib ganz zusammenschrumpfte, und das Männchen verschwindet zu gleicher Zeit.
Sobald Ende April oder Anfang Mai die Frühjahrssonne warm auf die Rinde der Bäume scheint, beginnt es auf derselben lebendig zu werden. Die Schalen der Eier öffnen sich, und eine Menge ganz kleiner schwarzer Räupchen kommt hervor und kriecht nesterweise zusammen. Zwei bis drei Tage verharren die Räupchen, welche an der freien Luft sehr zunehmen, auf demselben Fleck und steigen dann hinauf auf den Baum, um in den Blättern oder Nadeln desselben ihre Nahrung zu suchen. Mit einer fabelhaften Gierigkeit stürzen sie sich auf den Fraß und merkwürdiger Weise sind sie so verschwenderisch, daß sie nur den kleinsten Theil des Blattes oder der Nadel wirklich fressen, bei weiten das Meiste nur abbeißen und herniederwerfen. In wenig mehr als zwei Monaten sind sie ausgewachsen, etwa ein und einen halben Zoll lang, von blaugrauer Farbe, mit langen Haarbüscheln. und haben, als ganz charakteristisches Unterscheidungszeichen, einen auffallend sammetschwarzen Fleck zwischen dem zweiten und dritten Leibesringe. – Ende Juni oder Anfang Juli steigen sie vom Baume hernieder, um sich zwischen losen Fäden in den Ritzen der Rinde zu verpuppen. Der Zustand als Puppe ist der kürzeste, denn schon nach drei Wochen zerbricht die Hülle, um den Falter an das Tageslicht zu lassen.
Dies ist der gewöhnliche und regelmäßige Gang, von dem nur ausnahmsweise geringe Abweichungen stattfinden. - ↑ Ratzeburg, unser berühmter Entomologe, hat bis gegen tausend Species von Ichneumonen herausgefunden. Es entstehen jedoch begründete Zweifel, ob in der That so viele existiren und ob sich nicht dieser ausgezeichnete Gelehrte mitunter durch Spielarten täuschen ließ, welche er für besondere Species hielt.