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Titel: Eine Urkunde des Handwerks
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aus: Die Gartenlaube, Heft 12, S. 181, 191–192
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[181]

Ein Lehrbrief des Altonaer Zimmergewerks.

Wir Ober- & andere Meister des löblichen Zimmergewerks allhier in der königlich Preußischen Schleswig-Holsteinischen Kauf- und Handelsstadt Altona urkunden hiermit daß Franz Peter Schmidt, … gebürtig aus Altona … das Zimmerhandwerk bei unserem Mitmeister, Hernn P. H. Schmidt … während dreier Jahre wohl erlernt habe und daß derselbe am 31sten des Weinmonds, 1869, im Meisteramte vor offner Lade im Beisein der Altgesellen vom Burschenstande freigesprochen und zum Gesellen erhoben ist.

Zur Beglaubigung hat unser Obermeister diesen Lehrbrief mit seiner Unterschrift und unserm Innungssiegel versehen.

Altona den 9ten Januar, 1870.

H. Voß 

[191] Eine Urkunde des Handwerks. Mit Abbildung. Aus dem alten, streng geregelten Zunftleben haben einzelne Einrichtungen so tiefe Wurzeln in unserem Handwerks- und Kunstgewerkstande getrieben, daß sie selbst dem Nivellirungssturme der Gewerbefreiheit Trotz bieten. Ueberhaupt darf es einmal ausgesprochen werden, daß das Gute, das mit dem Veralteten des Innungswesens zu Grunde ging, durch das Neue der gegenwärtigen Einrichtungen noch nicht wieder ersetzt ist. Es ist wahr, man stieß auf viel Zopf, auf viel durch Beschränktheit Hemmendes, auf viel Lächerliches, das seinen Ursprung dem deutschen Urfehler, dem Hang zur Kleinlichkeit, verdankt, aber doch waren dies nur Auswüchse eines an sich ganz ehrenwerthen Stammes, der einem guten Kern entsprungen war: das war die Selbstregierung und der Selbstschutz jeder Innung, welche den später so üppig aufgeblühten Polizeieingriffen und der schreibseligen Vielregiererei nur selten Gelegenheit boten, sich gegen sie zu kehren.

Um dies nicht als leere Behauptung erscheinen zu lassen, sei uns wenigstens ein Rückblick auf die Bedeutung der sogenannten Quartale der Innungen gestattet. Wie das Wort von selbst erklärt, nennt man so die Vierteljahrsversammlungen sämmtlicher Innungsmeister. Den Vorsitz führte der Obermeister, als Innungsbote hatte der Jungmeister zu dienen. Die Quartale zu den Zeiten des goldenen Bodens des Handwerks beriethen und beaufsichtigten nicht blos die Verwaltung der gemeinsamen Interessen der Innung, sondern sie übten auch innere Polizei aus und erhoben sich [192] bis zum Friedensgerichtshof. Viele Klagen, die jetzt bei den Landesgerichten um schweres Geld geschlichtet werden, fanden damals ihre mündliche Erledigung vor dem Quartal, und Niemand, der zur Innung gehörte, würde es je gewagt haben, der Vorladung und den Aussprüchen desselben nicht Folge zu leisten. Dieser Respect vor der eigenen Versammlung, an sich schon soviel als Selbstachtung, wurde den Innungsgenossen gleich von Anfang an tief eingeprägt, schon bei der Lehrlingsaufnahme.

Wo nicht besondere Innungslocale vorhanden waren, versammelte sich das Quartal gewöhnlich beim Obermeister. Die Meister saßen im Kreise, in ihrer Mitte stand die Lade, welche die Urkunden und Kleinodien der Innung umschließt: der silberne „Willkomm“, oft mit reichem Münzengehänge geschmückt, stand auf dem Tische. Der Deckel der Lade ward aufgethan, denn jede feierliche Handlung geschah vor offener Lade. In diesen für ihn geheimnißvollen Kreis trat der Lehrling, vom Jungmeister gerufen, ein; der Obermeister nannte ihn bei seinem ganzen Namen und stellte ihm die Pflichten und Ehren des Handwerks vor, und wenn der Lehrling durch sein „Ja!“ verheißen hatte, nach dem Besten zu streben, mußte er jedem Meister in der Runde die Hand darauf reichen. Ein solcher Act war sicher geeignet, mit dem Respect vor dem Quartal auch das Ehrgefühl für sein Handwerk im jungen Lehrlingsherzen zu befestigen.

Mit derselben Feierlichkeit wurde dem „ausgelernten“ Lehrjungen der Lehrbrief ausgestellt und in der Lade niedergelegt; der neue Geselle bekam eine beglaubigte Abschrift davon. Ein tüchtiger Arbeiter wurde damals durch den Ruf, welchen die Wanderburschen seines Zeichens von ihm oft durch ganz Deutschland trugen, so bekannt, wie dies heute nur durch die Zeitungen geschehen kann. Auch das hob den Stolz auf die eigene Innung.

Und nun noch eine Wahrnehmung, die allerdings mit dem schlimmsten Zunftzwange zusammenhängt, dennoch aber das Humane des ursprünglichen Zwecks nicht verkennen läßt. Zu jener Zeit konnte beim redlichen und fleißigen Handwerker nie ein Beispiel so tiefen Sinkens in Armuth und Elend vorkommen wie heute; es war gleichsam ein Gemeingefühl, daß die Innungsehre nicht durch einen verarmten Genossen gekränkt werden dürfe, welches jedem Ueberreich- und Uebermächtigwerden Einzelner auf Kosten Vieler durch strenge Regeln einen Riegel vorschob. Dazu gehörte die genaue Bestimmung der Zahl der Meister, die an einem Orte die Innung bilden, und der Gesellen und Lehrlinge, die je ein Meister halten durfte. So durften um Leipzig herum in den Städten auf drei Stunden Entfernung die sogenannten Landmeister gar keine Gesellen halten. In Hamburg waren den Korbflechtern zum Beispiel nur zwei Gesellen gestattet; wer dennoch mehr Arbeit hatte, mußte von einem wenig oder gar nicht beschäftigten Meister sich Gesellen leihen und deshalb auch jenem einen Verdienst gönnen. So stellte sich neben den Schaden für kühnere Unternehmungen und die Großindustrie das versöhnende Wohlbefinden der durch Glück und Geschick weniger begünstigten Genossen und ihrer Familien.

Noch im Jahre 1847 unternahm es ein Verein von Innungsmeistern in Leipzig, auf reformatorischem Wege das Gute der Zunft zu retten durch gründliche Entfernung des Verfaulten; in friedlichen Zeiten würde dieser Versuch vielleicht gelungen sein, allein das Sturmjahr von Achtundvierzig fuhr dazwischen und machte auch hier sein unerbittliches „Zu spät!“ geltend.

Seit der Einführung der Gewerbefreiheit hat das alte Lehrlings- und Gesellenwesen einen gewaltigen Stoß erlitten: der Zwang ist gefallen, den ehedem der Meister gegen Beide ausüben durfte. Vollkommen frei ist es Lehrlingen und Gesellen gestellt, durch eine Prüfung sich die Gesellenwürde, und damit den Lehrbrief, und die Meisterwürde zu erwerben. Nur bei den Baugewerken, also den Maurern und Zimmerleuten, zu denen in Sachsen noch die Steinhauer kommen, ist von Staatswegen eine Prüfung angeordnet, und eben darum hat bei diesen auch die Ausstellung eines förmlichen Lehrbriefs noch Bedeutung. Einen solchen Zimmermanns-Lehrbrief jüngsten Datums theilen wir in Abbildung mit als eine Urkunde des Handwerks, die vor dem unwiderstehlichen Drange der Freiheit jeder Arbeit sicherlich auch bald von der deutschen Erde verschwinden wird.