Eine Stunde in den Katakomben von Paris

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Titel: Eine Stunde in den Katakomben von Paris
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aus: Die Gartenlaube, Heft 49, S. 669-671
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1857
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Eine Stunde in den Katakomben von Paris.


Es war an einem heißen Julitage, als ich die Einladung erhielt, mich um zwei Uhr in dem Hofe des Octroi-Gebäudes an der Barrière d’Enfer einzufinden, um meinen gewünschten Besuch der Katakomben auszuführen. Als ich zur bestimmten Stunde dort anlangte, fand ich bereits eine kleine Gesellschaft versammelt, die gleich mir das unterirdische Paris besuchen wollte. Sie bestand aus etwa zwanzig Personen, unter denen mehrere Engländer. Auch zwei Damen, eine Matrone und ein junges Mädchen, befanden sich unter den Anwesenden. Punkt halb drei Uhr kam der Inspector der Minen, unter dessen Anführung wir die Reise nach der Pariser Unterwelt antraten. Der Eingang zu den Katakomben befindet sich in einem Winkel des eben erwähnten Hofes. Dieser Eingang ist sehr enge und durch eine hölzerne Thüre abgeschlossen, vor welcher wir unsere Einladungsbriefe abgaben. Nachdem wir uns mit brennenden Kerzen versehen, stiegen wir eine sehr schmale, achtzig Fuß lange steinerne Wendeltreppe hinab und befanden uns dann in einem niedern Gange, den wir in allen seinen Windungen verfolgten, bis wir endlich nach zehn Minuten lebhaften Marsches vor den Katakomben anlangten. Sie sind von dem Gange durch ein schwarzes Thor getrennt, über welchem man die Worte liest:

Has ultra metas requiescunt beatam spem expctantes.

Dieses Thor wurde geöffnet und wir traten in das Reich des Todes. Statt der Steinwände sahen wir jetzt nur Todtengebeine. Der französische Geschmack hat hier einige Millionen Schädel so zu ordnen gewußt, daß sie eine grauenhafte Mosaik bilden. Die Knochen sind nicht sämmtlich von gleicher Farbe. Bei weitem die meisten, den verschiedenen Pariser Kirchhöfen entnommen, haben mehrere Jahrhunderte in den Gräbern gelegen und sind dunkelbraun; andere aber sind jünger und mehr der Sonne ausgesetzt gewesen, so daß sie eine graue oder eine hellweiße Farbe haben. Diese Nuancen hat nun Derjenige, welcher mit der Schichtung der Gebeine beauftragt war, zu benutzen gewußt. Er hat die Ecken der mit dunkelbraunen Schädeln bekleideten Wände mit weißen Schädeln eingefaßt und auf diese Weise ein musivisches Werk ganz eigenthümlicher Art hergestellt.

Wir gingen durch viele dieser Todtenkammern, die gerade durch die Einförmigkeit das Gemüth mit Schauder erfüllen. Von [670] allen Seiten grinst dich hier der Tod mit hohlen Augen an; und die Streiflichter, die von dem Schein der Kerzen auf die Gebeine fallen, lassen das Schreckliche der Umgebung nur noch greller hervortreten. Dann und wann gewahrt man, bald rechts, bald links, mehr oder minder tiefe Aushöhlungen, Senkgruben, unterbrochene und aufgegebene Gänge, deren Finsterniß durch das spärliche Kerzenlicht in den Händen der Besuchenden nicht verscheucht werden kann. In einige dieser Höhlungen hat man ungeheuere Haufen von Gebeinen geworfen, deren morscher Zustand nicht erlaubte, sie symmetrisch zu ordnen. Von Zeit zu Zeit hielten wir einen Augenblick an, um einige Schädel genauer zu betrachten. Unter unserer Gesellschaft befand sich nämlich ein Kranioskop, ein hoch aufgeschossener Engländer, der jeden Augenblick, wenn er gerade sich zu ducken vergessen, mit dem Kopfe an die Decke stieß und dann wie ein Taschenmesser zusammenklappte. Er suchte die Aufmerksamkeit seiner Landsleute auf sonderbare Schädelbildungen zu lenken, zeigte mit der Spitze seines Stockes bald auf diesen, bald auf jenen Schädel und rief in abgebrochenen Sätzen: „Sehr entwickeltes Wohlwollen! – Entschiedener Ortssinn! – Starkausgesprochener Aneignungstrieb!“ worauf einer oder der andere seiner Landsleute ein „very curious!“ oder „very remarkable!“ entgegnete.

Obgleich man im Interesse der Wissenschaft aus den unzähligen zusammengerafften Schädeln und Knochen die merkwürdigsten herauslas und ein besonderes osteologisches Cabinet damit bildete, so sind unter denselben gar viele, welche eine ganz besondere Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen. So z. B. gewahrt man an gar manchem Schädel die Stelle, die von einem Säbelhieb verletzt worden oder das Loch, welches eine Kugel hineingerissen und den Tod herbeigeführt. Diese Schädel rühren aus der Revolutionszeit. Einige andere sind an verschiedenen Stellen trepanirt. Wahrscheinlich hat irgend ein Gelehrter daran herumexperimentirt, um zu erfahren, wie dick das knöcherne Gewölbe sei, unter welchem der Mensch seine Gedanken schmiedet. Man kann sich beim Anblick dieser unzähligen Todtenköpfe gewisser Betrachtungen durchaus nicht erwehren. Wie viele großartige, wie viele riesige Pläne sind in diesen Werkstätten des Geistes entworfen worden! Wie viel Ehrgeiz, wie viel Stolz, wie viel Hochmuth hat in diesen Schädeln einst gewühlt und gearbeitet! Wie manche dieser Köpfe haben einst durch Anmuth und Schönheit geglänzt und süße Sehnsucht und heiße Liebe erweckt! Nun liegen sie hier, in der Rumpelkammer der Vernichtung, und du weißt nicht, ob der Schädel, den du eben betrachtest, einem Dichter oder Gewürzkrämer, einem eroberungssüchtigen Feldherrn oder einem bescheidenen Gelehrten, einem Biedermanne oder einem Schurken angehört.

Nachdem man etwa zehn Minuten durch die Todtengewölbe gegangen, gelangt man an eine Doppeltreppe, die zu einer andern, etwa sechs Fuß tiefer liegenden Abtheilung führt. Zwischen den Wangen dieser Treppe befindet sich ein mit einer hohen halbbogenförmigen Mauer eingefaßter Brunnen, die sogenannte Fontaine de la Samaritaine. Man wird, wenn man in diesen Brunnen blickt, unwillkürlich an den Höllentrichter der göttlichen Komödie Dante’s erinnert. Das Wasser, das niemals durch einen Sonnenstrahl beleuchtet wurde und auf welches nur ein oder zwei Mal des Jahres das Dämmerlicht einiger Talgkerzen fällt, hat ein schwarzes Ansehen, so daß man in eine Pechgrube zu blicken glaubt. Man hat versucht, dieses Wasser zu beleben, indem man einige Goldfische hinein that; aber diese anmuthigen Thierchen kamen bald um. Der Tod herrscht hier als unumschränkter Gebieter und duldet nichts Lebendiges. Und dennoch haben auch diese schauerlichen Gemächer ihre komische Seite und es scheint fast, als ob der Mensch nichts berühren könnte, ohne etwas Lächerliches zu thun und Stoff für den Humor zu liefern. Um nämlich die Todtengebeine so vieler Generationen zu ehren, hat man überall, wo es nur irgend thunlich war, Inschriften angebracht, die sich natürlich alle auf den Tod beziehen. Sie sind theils aus der heiligen Schrift und den Kirchenvätern, theils aus den Dichtern und Schriftstellern des Alterthums und der Neuzeit gezogen. Nun haben sich aber auch viele Leute, die sonst die Poesie nur von Hörensagen kennen, von der Localität anregen lassen. Sie haben sich gewaltsam die poetische Ader geöffnet und die Katakomben mit Epitaphen und Aufschriften bereichert, die wahrhaft lächerlich sind. Aufschriften wie:

Arrète! C’est ici l’empire de la mort.

gehören noch zu den besseren. Die Worte des weisen Königs Salomo: „Eitelkeit der Eitelkeiten! Es ist Alles eitel!“ sind auf einer Tafel in französischer, italienischer, englischer, lateinischer und griechischer Sprache zugleich zu lesen. Mehrere dieser Inschriften sind schon halb verwaschen. Das Wasser sickert hier und dort in dicken Tropfen durch die Decke und fällt dann auf die Denkmäler und auf die Gebeine, deren Verwitterung es beschleunigt.

Die Katakomben von Paris bilden einen Theil der Steinbrüche auf der südlichen Seite der Stadt. Wann die Ausbeutung dieser Steinbrüche begonnen, ist schwer zu bestimmen; gewiß aber reicht sie in ein hohes Alterthum hinauf, da die Thermen des Kaisers Julian von den aus diesen Brüchen gezogenen Steinen gebaut worden. Man weiß, daß zu allen bis zum zwölften Jahrhundert errichteten Palästen, Kirchen, Klöstern und öffentlichen Monumenten der Stadt diese Brüche die Steine geliefert, so wie denn überhaupt das Material, welchem die riesige Lutetia ihr Entstehen verdankt, aus den Pariser Steinbrüchen am nördlichen und südlichen Ende der Stadt gezogen worden sind. Paris steht auf einer Erdkruste, die kaum einem schwachen Erdbeben widerstehen würde. Sie ist an einigen Stellen so dünn, daß sie oft zusammenbrach und eine Menge Häuser in den Abgrund zog. Diese Unglücksfälle rührten besonders daher, daß die Arbeiten in den Brüchen ehedem nicht wissenschaftlich betrieben und keiner Aufsicht unterzogen wurden. Der Erste, Beste grub, wo es ihm beliebte und holte sich die Steine heraus. Man kann sich die Folgen eines solchen Mißbrauches leicht denken. Ein großer Theil der Erträgniß ging verloren; der Boden von Paris wurde unnütz ausgehöhlt, das Leben sehr vieler Arbeiter gefährdet und manche in jenem Stadttheil stehende Häuserreihe fortwährend vom Einsturze bedroht. Nach und nach überließ man diese Brüche ihrem eigenen Schicksal. Die Ausbeutung war unmöglich geworden und man vergaß am linken Seine-Ufer, daß man sich über einem Abgrunde befand. Man wurde indessen 1774 durch häufige Einstürze so sehr daran erinnert, daß die Regierung sich endlich genöthigt sah, die entschiedensten Maßregeln zu ergreifen, damit das Uebel nicht überhand nähme und ein großer Theil der Einwohner im strengsten Sinne von der Erde verschlungen würde. Durch eine 1776 veranstaltete Untersuchung erfuhr man zum allgemeinen Entsetzen, daß, wenn man die Arbeiten nicht sofort begänne, eines Tages halb Paris zusammenstürzen könnte. Der Staatsrath ernannte daher ein Jahr darauf eine besondere Commission, an deren Spitze der Generaldirector der Bauten und der Generallieutenant standen. Unter ihrer Leitung wurden die Arbeiten in Angriff genommen. Um diese Zeit wurde auch die Generalverwaltung der Steinbrüche ernannt. Gerade an dem Tage, als der Director dieser Verwaltung installirt wurde, stürzte ein Haus in der Rue d’Enfer in einen achtundzwanzig Meter tiefen Abgrund, gleichsam als ein schlagender Beweis von der Nothwendigkeit schnell zu ergreifender Maßregeln. In der That machte man sich auch auf’s Lebhafteste an’s Werk. Die ersten Arbeiten waren der genauesten Untersuchung der Brüche gewidmet und man überzeugte sich bald, daß es außer den alten bekannten Brüchen noch viele andere gab, von deren Dasein man bisher nichts gewußt hatte. Man theilte nun die Arbeiter in den Brüchen in zwei Classen ein, von denen die eine mit der Ausbesserung und Stützung der alten bekannten Gänge sich beschäftigte, während die andere unablässig thätig war, Verbindungsgänge mit den entdeckten neuen Brüchen herzustellen und die noch unbekannten aufzusuchen.

Seit jener Zeit, seit achtzig Jahren, sind diese Arbeiten ohne Unterbrechung fortgesetzt worden und werden wohl, bei der wahrhaft ungeheueren Ausdehnung dieser unterirdischen Bauten, niemals ohne Gefahr unterbrochen werden können.

Aus dem eben Gesagten ergibt sich, daß die Katakomben von Paris nicht immer ihre jetzige Bestimmung gehabt. Diese datirt vielmehr erst von 1786 und ist besonders durch den Cimetière des Innocents veranlaßt worden. Dieser im lebhaftesten Theile von Paris gelegene Kirchhof hatte fast während eines Jahrtausends zum Begräbnißplatze gedient und er mußte im Laufe der Zeiten, bei der fortwährend zunehmenden Bevölkerung der Stadt, bedeutend vergrößert werden. Indessen beklagten sich doch schon früh die Bewohner jenes belebten und gewerbtreibenden Viertels über die bösen Ausdünstungen des Friedhofs und die dadurch veranlaßten Krankheiten; und schon in der Mitte des sechzehnten Jahrhunderts drangen zwei berühmte Aerzte der Universität auf die [671] Ernennung einer Commission, die sich mit der Prüfung der von mehreren benachbarten Sprengeln eingereichten Beschwerden beschäftigen sollte. Die damaligen Streitigkeiten zwischen dem Parlament und dem Erzbischof ließen jedoch diese wichtige Angelegenheit bald vergessen und obgleich man in den folgenden Jahrhunderten noch mehrere Male darauf zurückkam, so ließ man doch die wiederholten Klagen jener Sprengel unberücksichtigt und setzte die Stadt einer Menge Seuchen aus. Als man aber im Jahre 1770 auf jenem Kirchhofe eine zweitausend Leichen umfassende Gemeingruft aushöhlte und in mehreren Kellern der benachbarten Häuser Unglücksfälle aller Art entstanden, wurden die Beschwerden so allgemein und so dringend, daß man sich endlich zu einem entscheidenden Schritte entschließen mußte. Es wurde in einer dem Polizeilieutenant eingereichten Beschwerdeschrift nachgewiesen, daß die im genannten Kirchhofe seit undenklichen Zeiten aufgehäuften Leichen den Boden um sechs Fuß über das Niveau der benachbarten Straßen erhöht hatten. Am 9. November 1785 erließ endlich der Staatsrath den Beschluß, daß der erwähnte Gottesacker nach vorhergegangenen, von der Kirche vorgeschriebenen Gebräuchen in einen öffentlichen Marktplatz umgewandelt würde.

Die vorzunehmende Arbeit war ungeheuer. Der zu säubernde Kirchhof, der schon zu Philipp August’s Zeiten bedeutend vergrößert werden mußte, hatte sechs Jahrhunderte hindurch einundzwanzig Sprengeln die Begräbnißstätten geliefert, so daß der letzte dort angestellte Todtengräber in einem Zeitraum von weniger als dreißig Jahren über neunzigtausend Leichen bestattet hatte, und es ist berechnet worden, daß seit langer Zeit die Durchschnittszahl der dort Beerdigten jährlich über dreitausend betrug. Unmittelbar nach dem eben erwähnten Beschluß des Staatsraths wurde ein geeigneter Platz in den südlich von Paris gelegenen Steinbrüchen zur Aufnahme der aus dem Cimetière des Innocents fortzuschaffenden Gebeine aufgesucht, und nachdem die jetzigen Katakomben als der geeigneteste befunden worden, ging man an die Ausgrabungen. Sie fanden Abends bei Fackelbeleuchtung statt. Es herrschte bei dieser Arbeit eine Todtenstille, die nur von Zeit zu Zeit durch das dumpfe Geräusch der Spaten, durch das Klappern der Gebeine, oder durch das Murmeln von Gebeten unterbrochen wurde. Die Arbeiter waren in Gruppen abgetheilt. Die Einen holten die Gebeine aus den Gräbern; die Anderen legten sie auf die bereitstehenden, mit einem Leichentuch bedeckten Wagen, die langsam und feierlich und von einem Priester im Chorhemde begleitet, den Weg nach den Katakomben einschlugen. Wiederum Andere trugen die gefundenen, noch wohlerhaltenen Särge und Katafalke behutsam und vorsichtig aus dem Kirchhofe, während die Uebrigen entweder die Kreuze aus der Erde nahmen, oder die erhaltungswürdigen Monumente sorgfältig auseinander legten. Die Umfriedung des Kirchhofes war mit einem Kranze von Pechpfannen umgeben, und die vom Winde bewegten Flammen und die nach allen Richtungen sich zerstreuenden Rauchwolken gaben der Scene etwas Unheimliches, das manchen Bewohner dieses Stadttheiles mit stillem Grauen erfüllte.

Diese Arbeiten, welche nur in den Sommermonaten unterbrochen wurden, begannen im December 1785 und waren bereits im Januar 1788 beendigt. Im Ganzen hatten sie fünfzehn Monate gedauert. Sie waren in der That riesenhaft, um so riesenhafter, als man Alles, was nur einigermaßen dem Interesse der Kunst, der Naturwissenschaft und der Alterthumsforschung dienen konnte, sorgfältig ausschied und bewahrte. Auch nicht das allerkleinste Monument wurde verletzt; auch nicht die allerunbedeutendste Aufschrift wurde zerstört und jeder merkwürdige Schädel oder sonstige Knochen von auffallender Bildung sogleich der osteologischen Sammlung einverleibt.

Inzwischen hatte die feierliche Einweihung der Katakomben stattgefunden. Man dachte damals nicht daran, daß man am Vorabend einer furchtbaren Umwälzung stehe, und daß die Katakomben bald die Opfer des blutigsten Bürgerkrieges aufnehmen würden. Zuerst wurden die Leichen der am 10. August 1792 im Kampfe in den Tuilerien Gefallenen in die Katakomben gebracht. Dann folgten die Opfer der Septembertage. Unter ihnen befanden sich der Erzbischof von Arles, die Bischöfe von Beauvais und von Saintes, die Prinzessin von Lamballe und eine Menge alter Officiere der königlichen Garde und Magistratspersonen. Man starb damals, ohne erst krank zu sein. Der Tod mähete die Menschen zu Hunderten, und sie wurden in Bausch und Bogen zu Hunderten begraben. Auf der Stelle, wo jene Gefallenen ruhen, befinden sich Monumente mit entsprechenden Inschriften.

In Folge der französischen Revolution wurden nach und nach sämmtliche Kirchhöfe aus der Stadt entfernt, und die ausgegrabenen Ueberreste in die Katakomben gebracht, so daß diese jetzt die Gebeine unzähliger Geschlechter enthalten.

Die Romanschriftsteller haben die Katakomben häufig zum Schauplatz der schauerigsten Begebenheiten gewählt; und in der That mögen in diesen unterirdischen Gängen und Schlupfwinkeln gar manche Gräuelthaten begangen worden sein. Es ist dies um so wahrscheinlicher, als man früher diese Brüche nur zum Theil kannte und der Eintritt zu denselben Jedem frei stand. Jetzt wird die Erlaubniß, sie zu besuchen, von dem Minister der öffentlichen Bauten nur sehr sparsam und nur zu gewissen Perioden des Jahres ertheilt. Das Verbrechen muß andere Schlupfwinkel aufsuchen, wenn es sich vor dem Auge der Justiz verbergen will. Daß früher mancher Unglückliche, der in dieses unterirdische Labyrinth gerathen, sich dort verirrt und vergebens einen Ausgang gesucht, ist ebenfalls gewiß. Jetzt laufen diejenigen, welche in den Katakomben beschäftigt sind, keine Gefahr mehr, sich in den vielen Windungen zu verlieren. Die Gänge in denselben tragen nämlich die Namen der über ihnen hinlaufenden Straßen von Paris. So heißt z. B. der lange Gang, der unter der Rue d’Enfer sich in den Katakomben hinzieht, ebenfalls Rue d’Enfer und ist in Nummern abgetheilt, die mit den Hausnummern der genannten Straße correspondiren. Die Pariser, welche die Rue Tournon, oder die Rue de l’Odéon durchwandern, oder auf der nach Orleans führenden Heerstraße in offener Kalesche hinrollen, denken selten oder niemals daran, daß unter ihnen sich Straßen gleichen Namens befinden, daß zwischen ihnen und dem Abgrund nur eine ein Dutzend Meter dicke Erdrinde sich hinzieht. Wenn nun in einer über den Katakomben sich befindenden Straße ein Haus einstürzte, so würde man in den Katakomben sogleich die Stelle finden, die den Einsturz verursacht. Dieser Fall wird indessen nicht leicht mehr eintreten, da die Bauten in den Gängen sehr solid sind und auf’s Sorgfältigste überwacht werden.

Nachdem wir die Katakomben in allen Richtungen durchwandert hatten, traten wir den Rückweg an. Ich erinnerte mich, einmal gelesen zu haben, daß Jedem, der die Katakomben von Paris besucht, beim Herausgehen aus denselben ein großes Buch mit der Einladung überreicht würde, die Gedanken, Betrachtungen und Empfindungen einzuschreiben, die dieser Besuch bei ihm angeregt. Die Einladung erfolgte indessen glücklicher Weise nicht, und wir hatten nicht nöthig, aus der Sparbüchse unseres Geistes den Zinsgroschen zu holen. Kaum waren wir an dem Ausgang angelangt, als wir zu unserem Schrecken zwei Mitglieder der Gesellschaft vermißten. Rasch eilte der Inspector mit einem Aufseher wieder hinunter, und kehrte nach einer Viertelstunde mit den Verirrten zurück, die da unten keinen geringen Schreck ausgestanden.

Ueber eine Stunde hatten wir in den Katakomben zugebracht und schätzten uns glücklich, das schöne, rosige Sonnenlicht wieder begrüßen zu können. –