Textdaten
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Autor: R. T-sch
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Titel: Eine Spielbank
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 5, S. 59–62
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1855
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Die Spielbank in Bad Homburg
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[59]
Eine Spielbank.
Von R. T-sch.

Die preußische Regierung hat in neuester Zeit beim deutschen Bundestage auf Aufhebung der Spielbanken angetragen. Bereits im Jahre 1845 wurde darüber verhandelt, die Beschlußfassung aber blieb dem Jahre 1849 vorbehalten. – Die Zeiten ändern sich! Executionstruppen rückten damals in Homburg ein, die Schließung zu vollziehen, und jetzt spielt man schon seit langer Zeit wieder in verdoppeltem Maßstabe. – Ich will mich nicht im Allgemeinen über das Verdammenswerthe dieser Spielhölle ergehen, sondern nach meinem Reisetagebuche einfach erzählen, was ich an Ort und Stelle sah und hörte.

Auf einer Reise in die Rheingegenden besuchte ich auch Homburg. Eine liebe Familie, bei der ich durch einen Freund eingeführt [60] wurde, wußte mich längere Zeit zu fesseln, als ich ursprünglich in meinem Reiseplane bestimmt hatte, und mit großer Freude gedenke ich noch heute der schönen Tage, die ich am Fuße der lieblichen Gebirgskette des Taunus verlebte. Am Morgen erging ich mich in den schönen Anlagen am Elisabethbrunnen, des Nachmittags wurde zu Wagen, zu Pferde oder zu Fuß eine größere Excursion in die reizende Umgegend unternommen und der Abend führte mich in das Kurhaus. Seine Säle sind mit fürstlicher Eleganz ausgestattet. Herrliche Fresken und geschmackvolle Bildhauerwerke von münchner Künstlern, Verzierungen von Gold und Marmor, schön ornamentirte Säulen, kostbare Wand- und Kronleuchter treten dem Beschauer mit würdevoller Anmuth entgegen, und suchen sich in das beste Licht zu stellen. Gleichwohl ließ mich das Alles so kalt. Es durchschauerte mich ein Frösteln und es war mir nicht anders, als sähe ich an den blitzenden Marmorfelsen der Wände helle Thränen und als hörte ich überall bange Seufzer und dumpfes Klagen.

Ich trat in den Spielsaal ein. Am Roulette wurde flott gearbeitet. Die Croupiers in eleganten Fracks, mit großen Manschetten und einer Menge Ringen angethan, suchen durch äußern Glanz zu ersetzen, was ihnen an innerem Gehalte abgeht. Als Friseurs, Kellner oder Lohndiener aus Frankreich herüber gekommen, helfen sie sich jetzt mit der Krücke besser durch die Welt, als früher mit Brenneisen oder Serviette. Vor ihnen glitzert helles Gold und neues Silber aufgethürmt in wohlgeordneten Schichten, und wie sich um den großen Lockvogel eine ganze Schaar kleiner Waldvögel drängt, so umringen die goldenen Thürme die glänzenden Goldstücke und bescheidenen Gulden des spielenden Publikums und die Meisten – bleiben auf der Leimruthe sitzen. Mehr als vierzig Personen betheiligen sich heute am Spiele, gleichwohl herrschte eine beinahe lautlose Stille, die nur durch das Rollen der verhängnißvollen Kugel oder durch das Klingen der Münzen unterbrochen wurde. Herren und Damen von allen Altersstufen und von den verschiedenartigsten europäischen Nationenen brachten ihre Tribute. Ein englischer Lord, Spieler von Profession, saß ernst und verschlossen in der Nähe der Croupiers. Mit ungetheiltester Aufmerksamkeit verfolgte er jede ihrer Manipulatioen, aber seine Gesichtszüge zeigten eine gleiche marmorne Unbeweglichkeit, mochte er hundert Louisd’ors verlieren oder eine ebenso große Summe gewinnen. Ihm gegenüber stand sein Gegenstück, ein beweglicher junger Franzose. Sein blasses Gesicht überflog bei jedem entscheidenden Momente eine fieberhafte Röthe, die zusammengekniffenen Lippen zuckten, sein kleines, stechendes Auge irrte unstät auf dem grünen Tische umher. Er spielte mit entschiedenem Unglück. Er verdoppelte, er verdreifachte seinen Satz, er versuchte alle Felder, alle Ziffern, nirgends aber war ihm seine Göttin hold. Endlich eine kurze Pause – eine stumme Frage an sich selbst – ein kühner Griff und – er setzte seine letzte Summe, zweihundert Louisd’ors, auf das betrügliche grüne Tuch. Einen Augenblick darauf waren sie der Krücke des kalten Croupier verfallen, und er selbst verließ, ohne auch nur der geringsten Theilnahme sich getrösten zu könen, die Hölle, um vielleicht in eine andere … Doch hinweg mit solchen Bildern.

Ein neuer Gast ersetzt die verlassene Stelle. Ein Handwerksbursch, ein Schneider seines Zeichens, war von dem Glanze der prächtigen Säle gelockt, mit schnellem Schritte in dem Spielsaale eingedrungen. Die goldbordirten Portiers, die sonst nur dem anständig Gekleideten den Eintritt gestatten, hatte er durch sein sicheres, ungenirtes Auftreten zur völligen Passivität gebracht und er behauptete jetzt seinen Platz wie irgend einer. Das Spiel schien ihm zu gefallen. Mit gemächlicher Ruhe überblickte er das Schlachtfeld, und endlich überkam ihm die Lust, selbst mit zu kämpfen.

„Was kost’s, wenn man halt mitthun will?“ ging er gemüthlich fragend seinen Nachbar an.

„Einen Gulden!“ lautete dessen halb verächtliche, halb schelmische Antwort.

„A Gulden, das ist halt a viel Geld,“ brummte er leise vor sich hin, „müssen’s aber doch a mal versuche“ – und damit griff er in die Tasche, zog einen langen baumwollenen Beutel heraus und zählte für sich in aller Seelenruhe, ohne nur im Geringsten auf die neben ihm stehende feine Welt zu achten: „1 Kreuzer und 2 Kreuzer thut 3 Kreuzer und 4 Kreuzer thut 7 Kreuzer“ – und so zählte er eine schwere Hand voll zusammengefochtener Kupfermünzen, bis er 60 Kreuzer zusammengebracht hatte. Mit einem Heldenblicke warf er diese seine Kerntruppen auf das Feld mit der größten der geschriebenen Zahlen, auf Nr. 36 und rieb sich dann, selig schmunzelnd, die erleichterten Hände. Das Echo des gewaltigen Niederschlags war ein lautes Lachen und Kichern der versammelten Menge und die servilen Kreaturen mit den Krücken lachten mit. Dann warf einer der Croupiers das schwarze Kupfer auf die Seite und setzte dafür einen blanken, schönen Gulden. Die Kugel rollte und – zwei Secunden später glänzten auf der glücklichen Nummer des Schneiders neben dem seinigen noch 36 nagelneue Silberstücke. Alles blickte das Glückskind an, Jeder meinte jetzt in seinen Gesichtszügen den Affekt der Freude am Sichersten studiren zu können; doch sein Antlitz blieb unbewegt und mit höchst gelassener Ruhe erwiederte er die auf ihn gerichteten Blicke. Viele Felder wurden unterdessen von Neuem besetzt, die Croupiers riefen ihr: „le jeu est fait!“ – und eben sollte das neue Rennen beginnen: da erbarmte sich noch zur rechten Zeit ein getreuer Nachbar des mit seinem Glücke unbekbannten Schneiders, indem er ihm in’s Ohr raunte: „Da laßt’s doch nicht stehen, es geht Euch ja wieder verloren, das Geld ist Euer!“ Aber das letzte Wort hören und seine gewonnenen Gulden und dazu alle nur erreichbaren hier und da aufgepflanzten Geldstücke in den Hut hineinschieben, – das war Alles Werk nur eines Augenblicks und ebenso schnell sprang er spornstreichs zum Saale hinaus. Die ganze Versammlung blickte versteinert nach der Thür, unter welcher er verschwand und Niemand dachte daran, ihm nachzueilen und ihm seinen Irrthum begreiflich zu machen. Das Unerwartete der Scene hatte Augen und Füße zum Stillstehen gebracht und das allgemeine Gelächter, das dem Schweigen der Ueberraschung folgte, bewies deutlich genug, daß die betreffenden Spieler mit ihren paar Gulden, die in des Schneiders Hut herabgerollt waren, das Komische der Situation sehr gern bezahlten. Doch die wahrhafte Herzensfreude ist an einer Spielbank von nicht langer Dauer. Die Gesichtszüge der Spieler fanden sich recht bald wieder in ihre richtigen Verhältnisse und zeigten die Glut der Leidenschaft oder das Eis kalter Berechnung.

Am Auffälligsten erschien mir jetzt eine französische Marquise. Ihr Alter suchte sie hinter den rothen Bändern des geschmackvollen Häubchens zu verbergen, weniger wollte es ihr gelingen, die Gefühle zu verheimlichen, die die verschienen Chancen des Spiels in ihr hervorriefen, und das Lächerlichste war jedenfalls die Art und Weise, mit der sie diese den Croupiers gegenüber äußert. Gewann sie, dann blickte sie unter freundlichem Zunicken mit dem süßesten Lächeln auf den Lenker der glückbringenden Kugel, verlor sie aber, dann ruhte ein Auge mit zwanzig Ahnen, ein Blick der zermalmenden Verachtung auf der bekrückten Kellnerseele. In dieser letzten Haltung war sie heute nur zu häufig zu bewundern; denn sie theilte das Schicksal ihres unglücklichen Landsmanns, dem man bereits die Taschen völlig geleert hatte.

„Die arme Marquise!“ sagte mir mein Freund heimlich in’s Ohr, „sie verliert heute ihren letzten Bedienten. Beim Beginne der Saison traf sie in glänzender Equipage, mit zwei Gesellschafterinnen, drei Dienern und diversem weiblichen niederen Dienstpersonale in Homburg ein, bis jetzt hat sie von allem Dem nicht weiter als einen alten Diener, und ich wette darauf, sie bekommt morgen von der Spielbaenk ihre zehn Louisd’ors Reisegeld, um, wenn auch sehr erleichtert, doch wenigstens ungehindert ihr Vaterland erreichen zu können.“

Ich war des Treibens müde und veranlaßte daher meinen Begleiter, den Spielsaal zu verlassen.

„Nur einige Augenblicke verweilen Sie noch!“ flüsterte mir dieser zu, „soeben kommt ein unglückliches Opfer dieser Hölle, dessen Anblick mich stets mit Trauer und Wehmuth erfüllt. Das Weitere erzähle ich Ihnen draußen in freier, frischer Luft.“ Dabei lenkte er meine Aufmerksamkeit auf eine Persönlichkeit, die mir Zeit meines Lebens unvergeßlich sein wird. Ich erblickte einen langen, hagern Mann in dem mittleren Lebensalter. Sein Gesicht war bleich, die Augen starrten ohne Ausdruck und unbeweglich nach den goldenen und silbernen Bergen auf dem Spieltische, seine Haltung war gedrückt, fast gebrochen. Mit dem Anstriche der Gewohnheit zog er einen Gulden aus der Tasche und setzte ihn auf noir. die Kugel lief und – der Gulden gehörte der Bank. Ohne auch nur im Geringsten einen Zug des Aergers oder des Hohns oder irgend eines andern Gefühls durch seine Mienen zu erkennen zu [61] geben, wandte sich der Räthselhafte der Thüre zu. Wir, mein Begleiter und ich, thaten das Gleiche.

„Dieser Mann, der soeben den Spielsaal verließ,“ erzählte mir jetzt mein führender Freund, „ist von Hause aus ein ehrbarer Handwerker. Er arbeitete in einem benachbarten Landstädtchen mit Glück und Geschick und erfreute sich eines ziemlichen Wohlstandes. Ein braves Weib und drei liebe Kinder theilten mit ihm in anspruchsloser Weise den Segen seines Fleißes. An einem Sommersonntage ging er mit den Seinen nach Homburg, und an diesem Tage legte er im Glücke den Grund zu seinem jetzigen namenlosen Elende. Die Geschichte ist kurz. Er ging in den Kursaal, um dem Spiele zuzusehen, versuchte selbst auch einen Gulden, gewann in beinahe beispielloser Weise und kehrte am Abende mit einer beträchtlichen Summe voll Jubel und Freude in sein bescheidenes Städtchen zurück. Sie errathen selbst, daß ihn der nächste Sonntag von Neuem zum grünen Tische führte, und es ging ihm auch diesmal so sehr nach Wunsche, daß er meinte, er habe nun die Schrift seines Schicksalbuchs verstanden. Er spielte jetzt auch in den Wochentagen, und in kurzer Zeit war er ein Mann von 60,000 Gulden. Sein noch wachender Engel führte ihn zu sich selbst zurück. Er ließ jetzt ab vom Spiele, kaufte sich ein Haus, betrieb sein Gewerbe im größeren Umfange und verlebte ein glückliches und segensreiches Jahr. Wie es aber den Meisten ergeht, die sich einmal einer Leidenschaft ergeben haben, so erging es auch ihm. Die Leidenschaft erwachte von Neuem, und wie vom Schlummer gekräftigt, erfaßte sie ihm mit doppelter Stärke. Er spielte wieder und von jetzt an mit ebenso entschiedenem Unglücke, als der früher glücklich gewesen war. Er verlor sein Haus, sein Vermögen, damit seinen Credit, und was das Schlimmste war, seine sittliche Kraft und seinen Verstand. Die Menschen haßte er, und gegen die Seinigen, die er ehedem von ganzer Seele liebte, wurde er Tyrann. Sein Weib lebt jetzt getrennt von ihm, die Kinder gehören der Mutter, er selbst aber wendete sich in eine benachbarte große Stadt, um unbemerkter zu bleiben. Hier arbeitet er nun für spärlichen Tagelohn vom frühen Morgen bis zum spätesten Abend, ißt trocknes Brot und wohnt unter dem kalten Dache in [62] einer elenden Kammer. Muß er doch jede Woche noch zwei blanke Gulden zurücklegen!“

„Für Weib und Kinder?“ – unberbrach ich meinen Erzähler.

„O, wenn es dazu geschähe, dann könnte er noch gerettet werden! Doch schon lange denkt er nicht mehr an die verlassenen Seinen. Ein böser Traum hat ihn gelehrt, daß ihm sein Glück auf schwarzem Grunde blühe. Jeden Sonntag und jeden Donnerstag erscheint er daher, ermattet von Entbehrung, matter noch durch den dreistündigen Weg, im Kreise der Spieler und wirft gewohnheitsmäßig seine Gulden auf noir. Verliert er ihn, dann geht er, wie Sie ihn gesehen, augenblicklich davon, um seinen beschwerlichen Rückweg anzutreten; gewinnt er aber, dann läßt er das Gewonnene und den Einsatz stehen und treibt dies so lange, bis die Teufelskrücke des Croupiers das Feld ihm räumt. Der Blödsinnige lebt des irren Wahns, daß er auf diese Weise sicher einmal seine 60,000 Gulden wieder gewinnen werde.“

Unterdeß hatten wir mein Gasthaus erreicht. Ich ging in den Speisesaal zum Soupé und überblickte im Geiste noch einmal das eben Gesehene und Gehörte. Am Längsten verweilte meine Seele bei dem unglücklichen Irren, der jetzt in dunkler Nacht seiner öden Kammer zuschritt, und ich hätte vielleicht noch lange mir sein Bild vorgehalten und noch lange seiner Sorgen und Mühen um die zwei Gulden gedacht, die er nächste Woche als Sold der Leidenschaft einzeln wieder hierher bringen muß – hätte mich nicht plötzlich das Knallen der Champagnerpfropfe zu mir selbst geführt. Beamte der Spielbank ergötzten sich beim schäumenden Nectar, sich erfreuend ihres Glücks und süß hinträumend in bacchantischer Lust. Nur einen Traum verstanden sie nicht oder wollten ihn nicht verstehen: den Traum vom Glück auf schwarzem Grunde.