Eine Parabel
[116] Eine Parabel. Da lebte einst vor alten Zeiten ein sehr reicher und braver Mann, der hieß Müller, und that Gutes, wo er nur immer konnte. Er reiste auch viel im Lande umher, und wo er einen Bedürftigen traf, der sein Unglück nicht verschuldet hatte, da half er ihm.
So hatte er auch einen Mann mit einer großen Familie rechtzeitig vom Untergange gerettet, und der Mann suchte seinen Retter auf, um ihm aus vollem Herzen dafür zu danken. In seinem überquellenden Gefühl aber und irrthümlich redete er ihn fortwährend dabei nicht „Herr Müller“, sondern „Herr Schmidt“ an, Herr Müller aber, der wohl sah, daß er ihn meinte und nur seinen Namen nicht kannte, unterbrach ihn nicht und hörte ihm freundlich lächelnd zu.
Ein Dabeistehender stieß nun den Mann an und flüsterte ihm zu, der Herr heiße nicht Schmidt, sondern Müller, aber es half ihm nichts – dem Manne standen vor innerer Bewegung die Thränen in den Augen und er nannte seinen Wohlthäter immer nur Herr Schmidt; Herr Müller gab ihm dann wohlwollend die Hand, sagte ihm, daß er sich seiner Dankbarkeit freue, und entließ ihn mit einem gütigen Lächeln.
Moral: Würde nicht jeder brave Mann an seiner Stelle ebenso gehandelt haben? – Gewiß, und sollen wir nun glauben, daß Gott, der Allbarmherzige und Allgütige, einem dankbaren Menschen zürnen würde, der ihn mit Jehovah, Allah, Ormuzd, Manitou oder irgend einem solchen Namen anredet? Er weiß, daß Er gemeint ist, und Seine Hand breitet sich segnend und gnadenspendend über alle Lande. Fr. Gerstäcker.