Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Eine Nacht in Ostindien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 29, S. 393–396
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1856
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[393]
Eine Nacht in Ostindien.

Ich war, erzählte mein Freund, der Oberst Aston, nach Scharwar beordert worden und hatte für die Nacht mein Zelt unter jenen niedrigen, felsigen und unfruchtbaren Bergen aufgeschlagen, auf deren einem die Festung Drug oder Chittledrug sich erhebt. Nachdem ich einen Theil des Tages mit der Besichtigung dieser noch beträchtlichen Besitzung des Rajahs von Mysore zugebracht, entschloß ich mich, den langen Nachmittag mit der Jagdflinte zu verkürzen, denn das edle Waidwerk war von jeher meine liebste Erholung. Meinen Dienern bedeutete ich, mich vor dem Dunkelwerden nicht zu erwarten, sich aber für den nächsten Morgen zum Aufbruch zu rüsten und lenkte denn meine Schritte nach einem der Gehölze, die östlich von der Ebene liegen.

Der junge Bursche, den ich mit mir genommen, um mir gewissermaßen als Führer zu dienen, leistete mir ganz treffliche Dienste, wenn er sich auch einige Male weigerte, mir in gewissen Richtungen zu folgen, indem er behauptete, an jenen Orten befänden sich Tiger und Panther. Das Glück begünstigte mich, denn schon vor fünf Uhr hatte ich ein paar Florikins, die vortrefflichste Art der Trappen, ein paar Hasen und einen Sirus [394] erlegt. Den letztern Vogel schenkte ich dem Knaben, der darüber höchlich erfreut war. Da ich keine Lust hatte, schon jetzt zurückzukehren, so schickte ich meinen Begleiter mit der Beute heim, nachdem ich mir meinen ferneren Weg von ihm genau hatte beschreiben lassen.

Allein geblieben warf ich mich nieder, um auf den Kräutern, welche den Boden bedeckten, zu ruhen, und hier würde ich in den wachen Träumen, welche unter dem blauen Himmel Indiens bei dem Nahen der kühlen Abendlüfte, die gleichsam nur athmen, nicht wehen, eine der schönsten Erholungen bilden, vielleicht ruhig gelegen haben, bis es Zeit war, zu meinem Zelte zurückzukehren, hätte mich nicht das schrille Geschrei eines Pfaues geweckt, der, sich träg hinter mir erhebend, seine Bahn kaum zwei Fuß hoch über dem Boden nach den jenseitigen Wäldern verfolgte.

„Soll ich die Goldader zu gewinnen suchen,“ dachte ich, „oder den weisen Vogel, der sie meidet?“

Ich erinnerte mich nämlich des unter den Hindu’s herrschenden Aberglaubens, wonach der Pfau einen so großen Abscheu vor dem Golde hat, daß er, sobald er dessen Gegenwart merkt, trotz der Abneigung, seine schwerfälligen Schwingen zu brauchen, über die Stellen fliegt, unter denen eine Ader des verderblichen Metalls verborgen liegt. Auch gedachte ich des wahrscheinlicheren Glaubens, daß wo Pfauen sich aufhalten auch Tiger nicht fern sind. Aber ich hatte noch nie Pfauen geschossen und da das Gelüst des Jägers die Habsucht sowohl als die vorsichtige Klugheit überwand, so raffte ich mich aus der angenehmen Ruhe empor und befand mich bereits tief in dem Labyrinth eines, wenn auch nicht dichten Waldes, ehe ich noch merkte, daß dies gerade der Punkt war, den mein kleiner Führer am Eifrigsten vermieden hatte.

Zweimal hatte ich den prachtvollen Vogel aufgetrieben und zweimal vergeblich geschossen. Jetzt überschritt ich einen schmalen „Dongur“ oder Graben, über den er gegangen war und durch welchen eine Quelle rieselte; da wurden meine Blicke plötzlich auf gewisse Spuren in dem sandigen Boden aufmerksam, die unverkennbar die Nähe einer Tschite verriethen. Da ich wußte, daß der Leopard und der Panther am Liebsten tiefe Thalgründe bewohnen und ihr Lager an solchen kühlen Orten aufschlagen, welche Wasser und Schatten zugleich gewähren, so beschloß ich, sogleich umzukehren. Aber noch war ich nicht vierzig Schritt weit gekommen, als ein lautes Gebrüll vor mir eine nahe Gefahr deutlich genug anzeigte. Unfern von mir, fast in derselben Richtung, in der ich gekommen, sah ich zwei feurige Kugeln, die Augen des am Boden lauernden Unthieres, durch die Akazienzweige leuchten und hörte, wie es mit dem Schweife die Erde peitschte. Es mahnte mich, an meine Vertheidigung zu denken.

So viel ich’s berechnen konnte, befand sich das Thier zwei Schritte weit von mir. Mein Gewehr war geladen, aber nicht mit Kugeln; zu meiner Rechten befand sich ein freier Raum, der nach einigen einzeln stehenden Kavis oder Holzäpfelbäumen führte; zwischen diesen Bäumen und mir schien der Boden neuerdings mehrere Schritt weit aufgewühlt zu sein, denn hier und da war er gelockert, vom Rasen entkleidet, welcher umherlag, während darüber Zweige und Aeste verstreut waren. Ein Blick reichte hin, mich zu überzeugen, daß der Stamm des nächsten Baumes, der zugleich der stärkste war, mein Vertheidigungspunkt sein müsse, obgleich ich beinahe daran verzweifelte, ihn zu erreichen, ehe die Tschite ihren Angriff machte. Schnell that ich, statt rückwärts zu gehen, plötzlich einen Sprung zur Rechten und erreichte im nächsten Augenblicke die gewünschte Stelle, gerieth aber dabei in eine andere unerwartete Gefahr. Während mein Fuß nämlich einen Augenblick den zwischenliegenden Boden berührte, fühlte ich, daß der mit Laub und Zweigen übersäete Grund unter mir nachgab und ward inne, daß sich ein Loch oder eine Kluft unter mir befand. Es war eine Fallgrube, in welcher die Bewohner jener Gegenden die gefährlichen Thiere fangen, von denen eins mich als gute Beute ausersehen zu haben schien.

Denn kaum hatte ich den Sprung zur Seite gethan, so war die Tschite mir nachgesprungen und war nur noch einen Fuß breit von mir. Aber es hatte die Fallgrube nicht bemerkt oder ihre Breite nicht genau berechnet, denn sobald es den trügerischen Ueberbau mit seinem schweren Körper berührte, wich derselbe unter ihm und das wüthende Thier sank mit dem Hintertheil des Körpers in die Grube, hielt sich aber mit den Krallen der Vorderfüße am Rande fest, so nahe bei mir, daß mir sein heißer, stinkender Athem in’s Gesicht schlug. Entsetzen erfaßte mich und doch mußte ich, wie in seltsamer Bezauberung befangen, auf die gewaltige aber schreckliche Gestalt des raubgierigen Thieres blicken, das selbst von Furcht und Wuth wechselsweise erfüllt, seine rothen, gierigen Augen fest auf mich gerichtet hielt, während aus seinem weitgeöffneten und mit Schaum bedeckten Rachen der schreckliche Mißklang seiner Stimme ertönte. Dabei bemerkte ich mit wachsendem Entsetzen, daß es sein Hintertheil immer mehr aus der Grube erhob, so daß ich fast den Augenblick vorausberechnen konnte, wo es sich vollkommen befreit haben würde.

Mit einer letzten Anstrengung aller meiner Kräfte erhob ich meine Vogelflinte, zielte dem Thiere auf die Augen und drückte los. Die Tschite stürzte mit gräulichem Geheul in die Grube und ich sank, voll heißen Dankgefühles für meine Errettung, auf den Boden, unfähig, mich länger aufrecht erhalten zu können.

Aber zum Verzug war keine Zeit. Der Abend näherte sich und die Schatten verlängerten sich bereits riesenhaft. Ich war schon so tief in’s Gehölz eingedrungen, daß ich nicht sicher war, ob ich den Weg wieder herausfinden würde; doch ging ich vorwärts bis ich fand, daß ich mich nur immer tiefer verirrte.

Ich stand still, um zu überlegen. Die Sonne ging unter und ihr goldenes Licht, das gleich einer Schaar strahlender Geister auf die grünen Zweige fiel, erinnerte mich, daß ich von West nach Ost gekommen war und also nun meinen Lauf dem sinkenden Tagesgestirn entgegen nehmen müsse. Aber das Dickicht ward immer wilder, die Bäume standen dichter und auf dem Wege, den ich eingeschlagen, befanden sich zahllose Gruben und Klüfte. Meine Lage wurde in der That sehr unbehaglich. Als ich um mich sah, stand ich vor dem Eingang einer Art von Höhle, aber die Besorgniß, es möchte das Lager der Tschite oder ihres Genossen sein, bewog mich, nicht einzutreten, sondern einen kleinen Erdhügel zu ersteigen, der, bedeckt mit Moos und Schlingpflanzen, die Decke dieser Höhle bildete, wie ich sofort entdeckte. Während ich nun auf Händen und Füßen emporkletterte – denn der Abhang war, wenn auch sanft, doch schlüpfrig – vernahm ich in meiner Nähe den dumpfen Klang menschlicher Stimmen und kaum hatte ich still gehalten, um zu lauschen, als der Boden unter mir nachgab und ich, in lächerlicher Nachahmung meines letzten Feindes, zwar unverletzt, aber doch sehr erschrocken unter eine Gesellschaft hinab fiel, die sicherlich noch erschrockener als ich war, denn Geschrei, Ausrufungen und Flüche schallten um mich her.

„Baugh! Baugh! Es ist ein Tiger!“ rief der Eine.

„Afrit! Ghowl! Pischesch! Ein Kobold! Ein Gespenst! Ein Teufel!“ riefen Andere.

Als ich endlich zu mir selbst kam und meine unbeschädigten Glieder und mein Gewehr wieder aufraffte, sah ich mich mitten in einer unterirdischen Hütte, deren Bewohner ein alter Mann, ein Weib und ein Knabe waren. Alle drei waren augenscheinlich an einem großen Feuer beschäftigt gewesen, über welchem sich die einfachen Geräthschaften befanden, welche die Eingebornen zur Destillation geschmuggelten Araks anzuwenden pflegen. Wirklich war es der geheime Schlupfwinkel eines Culel oder Destillateurs geistiger Getränke.

Mit wenigen Worten erklärte ich das ganze Ereigniß – das Abenteuer mit der Tschite – und meinen Wunsch, Demjenigen ein Bakschisch (Trinkgeld) zu geben, der mich auf den richtigen Weg bringen würde.

Die armen Leute freuten sich herzlich, als sie vernahmen, daß die Tschite gefangen sei und versicherten mir, dieselbe könne unmöglich aus der Grube entkommen, ihr Männchen sei aber einige Wochen zuvor getödtet worden. Sie baten mich, das Geheimniß ihres Schlupfwinkels zu bewahren und wiesen den Knaben an, mich auf den rechten Weg zu bringen, von dem ich bedeutend abgekommen war.

So verließ ich sie; allein die Schrecken der Nacht waren noch nicht vorüber.

Es war nun vollkommen finster geworden. Die plötzlich eintretende und fast ebenso schnell verschwindende als entstehende Dämmerung war vorübergegangen, während ich in der Hütte verweilte, welche sich, wie ich bemerkte, hart an der Grenze der Ebene befand, unter den letzten Gebüschen der Waldung verborgen. Wir hatten noch nicht eine von den sechs Meilen zurückgelegt, die ich, wie man mir sagte, zu wandern hätte, als mein [395] kleiner Führer über etwas stolperte, was im schmalen Wege lag, und beim Fallen das Knie gegen einen Stein schlug. Zum Glück hatte ich, wie jeder ostindische Jäger einen Vorrath von Pflaster bei mir, das ich auf die Wunde legte; da aber der Kleine nur mit Schwierigkeit gehen konnte und sich nach der Heimkehr zu sehnen schien, so ließ ich mir die einzuschlagende Richtung beschreiben und entließ ihn, auf unerhörte Weise bereichert, nämlich durch den Besitz einer Rupie.

Er sagte mir, ich dürfe nur der schnurgeraden Richtung folgen, um meinen Lagerplatz zu erreichen und es schien mir nicht sehr wahrscheinlich, von dem einzigen Wege abweichen zu können, der sich von dem holperigen und unbetretenen Boden deutlich unterschied. Der Mond schien noch nicht und die weite, offene Fläche, hier und da von flachen sandigen Gräben durchschnitten, den im Sommer trockenen Betten der Bergströme, die sich zur Zeit der Passatwinde ergießen, dann und wann auch durch ein Gebüsch oder eine Baumgruppe unterbrochen, schien sich in’s Unendliche auszudehnen. Hinter mir konnte ich noch die dunkeln Schatten der Wälder und Hügel unterscheiden, vor mir war aber Alles eine leere Fläche, außer daß in weiter, weiter Ferne ein blinkendes Licht das Nachtfeuer eines Pilgrims, die Wohnung eines Menschen oder das Heiligthum eines Fakirs andeuteten. Dies war der Punkt, auf welchen ich losmarschiren sollte und so lange er sichtbar blieb, ging Alles gut; allein bald verschwand er und ich sah ihn nicht wieder.

Alle die einer asiatischen Nacht eigenthümlichen Töne und Überraschungen sammelten sich um mich, als ich langsam dahin schritt. Die Luft war angenehm kühl, Myriaden von Insekten, von der Nacht geboren, füllten die Atmosphäre: die stinkende, grüne Wanze blieb mir im Haar hängen, Mosquito’s summten hungrig um meine Ohren und große weiß beflügelte Motten hielten mit dummer Hartnäckigkeit meine Augen für ein glänzendes Futter; Grillen und Heuschrecken zirpten laut umher, zuweilen fuhr eine Nachteule quer durch die Oede und als ich einen kleinen Bach überschritt, hob sich eine Schaar der großen, weißen Reiher, die man Paddivögel nennt, weil sie sich häufig in den feuchten Paddi- oder Reisfeldern aufhalten, auf einmal von ihrer Tränke empor und während sie träge hinwegflogen, sahen sie aus wie eine Schaar in schneeweiße Hüllen vermummter Geister. Eine Rohrdommel ließ sich hören und das Quaken vieler Ochsenfrösche; hier und da war auch das Firmament, schön bei der dichten Finsterniß, die dem Aufgange des Mondes vorausgeht, mit Feuerfliegen erfüllt. Sie tanzten und glühten und glitzerten um mich her, wie fliegende Diamanten; sie bedeckten die Bäume eines Wäldchens, durch das ich kam, bis jeder Zweig wie mit Zauberlampen behangen, jedes Blatt mit Tropfen von Diamanten, Rubinen und Smaragden bethaut schien.

In stummer Bewunderung blieb ich stehen und betrachtete sie. Plötzlich, so plötzlich als sie vor mir erschienen waren, verschwanden sie, wie durch ein unbegreifliches, nur ihnen vernehmbares Machtgebot verscheucht und Alles war wieder in Nacht gehüllt.

Es war jetzt in der That so finster, daß ich wußte, der Mond müsse bald aufgehen, und da ich im Stehenbleiben eine gewisse Beruhigung und Sicherheit fühlte, so entschloß ich mich zu warten, bis sich die Nacht etwas aufhellen würde.

Ich war in einen kleinen sandigen Graben hinabgestiegen und hatte mich auf ein Ufer in der Nähe des kleinen Baches gesetzt, der noch keinen Schritt breit war. Die köstliche Kühle des Windes, der reiche Duft, welcher von den Goldblüthen einiger in der Nähe stehender Bebus (Gummi-Arabicum-Bäume) herwehte, die Abwesenheit der plagenden Insekten und ein bedeutender Grad von Müdigkeit vereinigten sich, mich schläfrig zu machen und sorglos überließ ich mich dem unwiderstehlichen Drange nach Schlummer, als urplötzlich etwas an mir vorbeisauste, ein schwirrendes Getös erscholl und ein scharfer Gegenstand mich schmerzhaft an das ausgestreckte Bein traf, ein Schall, als wenn viele Stäbe rasch hintereinander zusammengeschlagen würden, folgte und dann war wieder Alles todtenstill.

Heftig erschrocken fühlte ich mit der Hand nach meinem Beine und fand, daß in der That ein Etwas meine Beinkleider durchbohrt und meinen Fuß verletzt hatte, denn es floß Blut aus der Wunde. Ich konnte nichts sehen; aber meine untersuchende Hand erfaßte einen spitzen Gegenstand – sollte es ein Pfeil sein? Nein, es war der frischausgefallene Stachel eines Stacheligels. Das scheue, so selten gesehene Thier, war hergekommen, um zu trinken und, bei der unvermutheten Berührung mit meinem Beine, eines jener schönen gefleckten Stacheln beraubt worden, aus denen die kunstfertigen Eingebornen einiger Gegenden Indiens so zierliche Arbeitskästchen machen.

Es war noch immer dunkel, obwohl die pechschwarze Dunkelheit der Atmosphäre gewichen war. Ich hielt es indeß für rathsam mich aus der Nähe des Wassers zu entfernen, um ähnlichen Begegnungen vorzubeugen, und schlich mich hinauf nach der Ebene, wo ich mich auf das trockene, rauhe Stechgras niederwarf und einige Minuten wach bleiben wollte. Aber ach! gerade als ich mir noch bewußt war, daß der Horizont sich bereits grau färbe, überfiel mich der Gott des Schlafs und ich unterlag.

Ich schlief fest und süß. Niemals habe ich seitdem im Freien fest und süß geschlafen, denn mein Erwachen war von Entsetzen begleitet. Ehe ich noch vollkommen wach war, hatte ich eine seltsame Vorahnung von Gefahr, die mich an den Boden fesselte und mich vor jeder Bewegung warnte. Ich wußte, daß ein Schatten über mich hinschlich und daß es am Klügsten sei, in stummer Regungslosigkeit unter demselben zu bleiben. Ich fühlte, daß meine Füße unter der Wucht einer lebendigen Kette lagen; aber gleichsam als hätte mich ein wohlthätiger Schlaftrunk befangen, der die Bewegung jeder Sehne verhütete, wurde ich auch nicht eher, als bis ich vollkommen munter war, gewahr, daß eine ungeheure Schlange den untern Theil meiner Füße bis herauf zu den Knieen bedeckte.

„Mein Gott, ich bin verloren!“ rief es in meinem Innern, während jeder Blutstropfen in meinen Adern sich in Eis zu verwandeln schien. Ich bebte wie ein Espenlaub, bis die Besorgniß, daß meine plötzliche Erschütterung das Thier erwecken möchte, mein Gefühl dämpfte und mich wieder regungslos liegen ließ.

Die Schlange schlief oder blieb wenigstens ohne Bewegung – wie lange?, weiß ich nicht zu sagen. Für den von Angst Befangenen ist die Zeit wie der Ring der Ewigkeit. Auf einmal wurde der Himmel hell, der Mond trat hervor, die Sterne standen über mir – ich konnte also Alles sehen, während ich ausgestreckt auf der Seite lag, die eine Hand unter meinem Haupte, von wo ich sie nicht wegzunehmen wagte, und doch wagte ich es nicht, hinab nach meinem grauenvollen Schlafgenossen zu blicken. Plötzlich trat ein neuer Gegenstand des Schreckens hinzu.

Ein sonderbares Schnurren hinter mir, dem zwei scharfe Tritte auf dem Boden folgten, machten die Schlange munter. Sie bewegte sich, ich fühlte das und kroch aufwärts nach meiner Brust. Ich ward fast wahnsinnig vor überwältigender Angst, denn ich mußte meinem fast sichern Untergang entgegen sehen. In diesem Augenblicke höchster Seelenpein sprang etwas auf meine Schulter – auf die Schlange!

Der angreifende Theil erhob ein gellendes Geschrei, die Schlange ließ ein lautschallendes Zischen hören.

Einen Moment konnte ich fühlen, wie sie auf meinem Körper mit einander rangen; im nächsten lagen sie neben mir auf dem Rasen, dann sah ich sie einige Schritte entfernt, im heftigen, erbitterten Kampfe mit einander ringend, sich wechselseitig umdrehend. – Es war ein Munghus oder Ichneumon und eine Cobra de Capelo!

Ich sprang nun auf und sah dem eigenthümlichen Kampfe zu, denn es war jetzt hell wie am Tage. Ich sah sie einen Augenblick entfernt von einander stillstehen. Aber der giftige Zauber des Schlangenblicks erwies sich machtlos gegen die scharfen, beweglichen, durchdringenden Augen des Gegners. Noch einmal wurde dieser Zweikampf mit den Augen mit einem ernsteren Ringkampfe vertauscht. Ich sah, wie der Munghus gebissen ward und hinwegschoß, wahrscheinlich um die noch unbekannte Pflanze zu suchen, deren Saft das Gegengift gegen den Schlangenbiß gewährt; ich sah, wie er mit erneuter Kraft zurückkehrte und wie die Cobra de Capelo endlich, gelähmt vom Kopfe bis zu dem schuppigen Schwänze, aus ihrer bisherigen aufrechten Stellung mit einem dumpfen Zischen leblos niederfiel. Der wunderbare Sieger überließ sich den sonderbarsten Zeichen der Freude und tanzte unter den heftigsten Sprüngen auf dem Körper des erlegten Gegners herum, schnurrend und spuckend gleich einer wüthenden Katze.

[396] Sehr bald fand ich jetzt den Weg nach meinem Zelte, wo man wegen meines langen Ausbleibens sehr in Sorgen war. Brauche ich noch zu erwähnen, wie mir, so spät es war, meine Abendmahlzeit mundete? Oder daß ich den Befehl zum Aufbruch für den nächsten Morgen widerrief? Oder wie süß ich schlief nach diesen drei vor Mitternacht bestandenen Abenteuern?