Textdaten
<<< >>>
Autor: A. Douai
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Eine Mustermordanstalt
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 759–761
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Der neue Schlachthof in New York
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[759]
Eine Mustermordanstalt.


„Gesegnet sei die Cholera! Ja ja, im vollen Ernste, gesegnet sei die Cholera!“ so riefen Tausende von New-Yorkern im Herbste 1866. Denn der von Europa im Frühlinge d. J. herübergeschleppten Cholera, oder vielmehr der Furcht vor ihr verdankte es die Stadt New-York, die von zwei früheren Cholera-Epidemien so entsetzlich schwer gelitten hatte, daß etwas geschah, was man für beinahe unmöglich gehalten hatte: die Stadt wurde in aller Eile gereinigt, geputzt, gesäubert, entpestet und dadurch der Cholera der Einzug verwehrt. Natürlich hätten es die städtischen Behörden und die Bürger selbst nicht fertig gebracht; denn welcher billig denkende Mensch hätte es dem Unternehmer, der über eine halbe Million Dollars jährlich für Straßenreinigung bezieht, zumuthen können, die Straßen allen Ernstes fegen zu lassen, wenn er zwei Drittel der Contractsumme in die Taschen der Stadtväter und ihrer Helfershelfer abliefern muß und wenn er das dritte Drittel nothwendig für sich selbst braucht? Und wie konnte man von den wohlbestallten städtischen Gesundheitsbeamten verlangen, daß sie Schlachthäuser, Seifen-, Fett-, Leim- und Knochensiedereien, Bleiweißfabriken, Gerbereien und andere gesundheitsgefährliche Gewerbe aus dem städtischen Weichbilde auswiesen, wenn sie von den Inhabern derselben so schöne Renten für Duldung derselben bezogen, aus deren Ertrag sie und ein langer Schweif hungriger Politiker ihren Lebensunterhalt deckten? Wie sollten endlich die stimmberechtigten Bürger in ihrer souveränen Machtfülle etwas zur Abwehr der Cholera thun, wenn sie in ihrer Mehrheit Irländer sind, von jedem denkbaren öffentlichen Mißbrauch Vortheil ziehend und gelenkt von einer kleinen Schaar demagogischer Leithämmel, denen sie um so gewissenhafter ihre Stimmen verkaufen, je besser diese für dieselben bezahlen? Also, wie gesagt, die Abhülfe konnte blos von auswärts kommen, von der gesetzgebenden Versammlung des Staates New-York, welche denn auch im Frühjahr 1866 in aller Eile ein Gesetz erließ, das die Reinigung und Gesundmachung der Stadt einer vom Staate erwählten Gesundheitsbehörde mit unbeschränkten Vollmachten übertrug. Ein Zetermordio erscholl durch alle „demokratischen“ Quartiere über diesen neuen Eingriff in die Municipalrechte der Stadt, in die geheiligte Selbstregierung des Volkes; aber der neue „Board of Health“ (Gesundheitsbehörde) unter dem Vorsitz des Dr. Schultz griff energisch ein und vollbrachte die Reinigung des Augiasstalls so schnell, wie es kaum ein Hercules gethan haben könnte.

Die Schlächterei war, wie gesagt, bis dahin innerhalb der eigentlichen Stadt, und zwar zumeist in sehr dichtbevölkerten Vierteln betrieben worden. Allabendlich wurden große Viehheerden durch die belebtesten Straßen getrieben und unter die Hunderte von Schlächtern vertheilt, welche sie in abscheulichen Löchern von Ställen aufbewahrten, bis sie geschlachtet wurden. Der Gestank in diesen Schlachthäusern und bis in einige Entfernung davon war um so gefährlicher, als man für die Abfälle keinen Absatz hatte, das Blut, ebenso wie der Unflath, in den Rinnsteinen bis zur nächsten Canalöffnung abfloß, die nicht verkäuflichen Theile der Eingeweide in den Fluß geworfen wurden, auf dem sie oft wochenlang mit Ebbe und Fluth an allen Ufern umherschwammen, und die Schlachträume selbst aus Mangel an Raum elend ventilirt waren. Außerdem konnte das Fleisch dieser Thiere unmöglich gesund sein. Das meiste Schlachtvieh des nordamerikanischen Ostens kommt aus dem Westen, der Transport auf den Eisenbahnkarren dauert fünf bis sechs Tage oder Nächte; während dieser ganzen Zeit konnten die Thiere sich nicht legen, nicht gehörig gefüttert und getränkt werden. Dann kamen sie in die Stallungen der Vorstädte: [760] auch hier war schlecht für Raum, Futter und Wasser gesorgt; hier von den Schlächtern aufgekauft, wurden sie in der inneren Stadt, wo der Raum so kostspielig ist, theilweise in Kellern und elenden Gehöften untergebracht, oder sofort, in fieberhaftem Zustande, geschlachtet. Kein Wunder, wenn die neue Gesundheitsbehörde genöthigt war, in den ersten Wochen ihres Bestehens Tausende von geschlachteten Rindern, Schweinen, Schafen und Kälbern von Amtswegen ohne Entgelt wegzunehmen und verscharren zu lassen. Endlich war die Grausamkeit, mit welcher diese Thiere behandelt wurden, ganz besonders auch beim Schlachten selbst, ein für die Sittlichkeit der Bevölkerung verderbliches Beispiel, abgesehen von den unnöthigen Qualen der armen Schlachtopfer selbst.

Die Gesundheitsbehörde verbannte alle Schlachthäuser, gegen welche von den Umwohnern Klage erhoben wurde, und selbst eine Anzahl anderer, gegen die sich kein Kläger fand, aus dem Umkreise der Stadt. Das gab Anlaß zur Errichtung des großen Schlachthauses von Communipaw. Es bildete sich eine Actiengesellschaft von Viehtreibern des Westens und Schlächtern des Ostens, welche vom Staate New-Jersey incorporirt wurde, ein Stück Land am südwestlichen Ende des Fleckens Communipaw, der aus der Revolutionsgeschichte bekannt ist, sechsundzwanzig Acker groß, erwarb und daselbst nach dem Muster des großen Pariser Abattoirs, nur in noch bedeutenderem Maßstabe, Gebäude und Räumlichkeiten herrichten ließ, welche schon am 15. October 1866 eingeweiht werden konnten.

Das neue große Schlachthaus von New-York.

Diese bestehen aus einem Schlachthause für Rinder und Schweine, zweihundert und neunzig Fuß lang, fünfundsiebenzig breit, mit der Grundflur drei Stockwerk hoch und mit Anbauten zum Einlaß der Schlachtthiere bestimmt, zweitens aus einer Stallung für Schweine und Schafe, neunhundert Fuß lang, fünfundsiebenzig breit und drei Stockwerke hoch, ferner aus einem Schlachthaus für Schafe, mehreren Pferdeställen, einem großen Hotel zur Aufnahme der Treiber, Händler und Schlächter, sodann aus einem offenen Raume für Rindvieh, der durch starke Pfosten- und Riegelzäune in eine große Anzahl kleinerer Stallungen von jeder beliebigen Größe abgetheilt ist, endlich aus Nebenbauten aller Art und Dienstwohnungen. Von der New-Jersey-Centralbahn, welche, mit allen großen westlichen Bahnen in Verbindung, die nächste Verkehrslinie zwischen Osten und Westen bildet und hart an der Nordostgrenze des Grundstücks entlang führt, ist ein kurzer Ausläufer dicht an die Hinterseite der Stallungen und Schlachthäuser geleitet. Die Viehzüge kommen des Nachts an, oft vier bis fünf in einer Nacht, und die Rinder werden sofort in die Einzäunungen unter freiem Himmel (woran hier alles Vieh gewöhnt ist), die Schweine in die beiden unteren, die Schafe in das obere Stockwerk des großen Stallgebäudes eingetrieben, mit frischem Wasser und gutem Futter und mit Raum genug zum Liegen und Ausruhen versorgt. Mit dem frühen Morgen stellen sich die Zwischenhändler und Schlächter ein, der Markt beginnt und dauert bis tief in den Vormittag hinein. Das Schlachten nimmt im Winter um drei Uhr Nachmittags, im Sommer bei Sonnenuntergang seinen Anfang und ist um Mitternacht beendet, worauf die Verladung des geschlachteten Viehes beginnt. Ein großer Theil des Viehes wird lebendig weitergeschafft, da sich hier außer der Stadt New-York noch viele Nachbarstädte damit versorgen und noch immer in der Stadt New-York selbst viele Schlachthäuser geduldet werden, wofern sie in gesundheitlicher Beziehung keinen Anstoß geben. Die Hinwegschaffung der lebendigen, wie der ausgeschlachteten Thiere kann auf drei Wegen erfolgen: zu Schiffe, da das Schlachthaus unmittelbar an dem oberen New-Yorker Meerbusen und größtentheils auf einem dem Meere abgewonnenen Grunde steht; durch die Centralbahn von New-Jersey, mit welcher auch am unteren Ende des Hofes ein kurzer Schienenweg verbindet; endlich zu Wagen, für welche eine breite und lange Anfahrt gelassen ist. Die Entfernung von New-York beträgt etwa drei englische Meilen.

Ein vom Berichterstatter selbst aus den Büchern der Compagnie gemachter Auszug zeigt, daß in dem Halbjahre vom Anfang März bis Ende September 1867 in der Anstalt abgeliefert wurden: 49,867 Rinder, von denen aber nur 8812 hier geschlachtet wurden, 177,764 Schweine, geschlachtet 153,433; ferner 94,038 Schafe, geschlachtet 80,569. Außerdem wurden 6836 Pferde eingeliefert und – natürlich lebendig – verkauft. An Heufutter wurden im Durchschnitt 40,000 Pfund, und an Welschkorn 4000 Pfund die Woche geliefert und verfüttert. Die Einnahmen für Benutzung der Ställe und Schlachteinrichtung betrugen durchschnittlich eintausend Dollars die Woche, was zusammen mit dem Pachtpreise des Hotels und Nebeneinnahmen an sechszigtausend Dollars jährlichen Bruttoertrag, und bei einem Stammcapitale von 400,000 Dollars und zehn Procent Interessen noch immer viel reinen Ueberschuß ergeben dürfte. Die Gebäude sind mit Ausnahme des Grundes durchaus von Holz, aber sehr tüchtig aufgeführt. Die Reinigungskosten würden, da das Schlachthaus zweimal täglich, die Stallung mehrmals wöchentlich gereinigt wird, beträchtlich sein, wären sie nicht durch eine sehr sinnreiche Einrichtung der Wasserleitung vermindert, die allen Unflath fast ohne Zuthun menschlicher Arbeit hinweg und in den Abfallraum spült, wo eine Guanofabrik ihn in Empfang nimmt und zu Schiffe in ihre Fabrikräume schafft. Durch dieselbe Wasserleitung ist jede Feuersbrunst leicht verhütbar und wird in den Ställen den Thieren reichlich reines, frisches Wasser zugeführt. Für Gasbeleuchtung ist ausreichend gesorgt; die Ventilation der Häuser geschieht durch einen längs des Firstes aller Dächer hinlaufenden Ventilator und viele Fenster, welche, außer bei sehr kaltem oder stürmischem Wetter, fortwährend offen sind. Die Anstalten zur Erleichterung der Arbeit sind mannigfach und sinnreich. Da die Stallungsräume in eine Menge Abtheilungen von jeder beliebigen Größe zerfallen, so können die Treiber ihre Waare sehr sorgfältig sortiren und dem Händler die Uebersicht über den Vorrath erleichtern. Zum Ein- und Austreiben des Kleinviehes in den oberen Stockwerken dienen schiefe Ebenen mit Geländern.

Ein Mann besorgt das Wägen sämmtlichen Kleinviehes in allen drei Stockwerken des Stallgebäudes von seinem Comptoir aus, in welchem der eine Arm der drei großen Brückenwagen einmündet. Alles Heben und Herablassen von Lasten innerhalb des ganzen Schlachthauses wird von einer einzigen Dampfmaschine besorgt, von fünfunddreißig Pferdekraft, welche zugleich die großen Kessel mit Dampf heizt, in denen Rindstalg und Schweineschmalz zerlassen werden, um von da in die geaichten Fässer abzufließen. [761] Mit einer fast unglaublichen Schnelligkeit wird das Schlachtopfer entseelt und ausgeweidet, zerstückt und verpackt. Ein Rind ist in zwanzig Minuten, ein Schwein in sechs bis sieben Minuten, ein Schaf in fünf Minuten aufgeputzt (dressed) und zur Versendung bereit. Das Sterben wird den armen Thieren so leicht gemacht, daß es fast aussieht, als ob die Opfer ordentlich mit Vergnügen herzuträten, um dem elenden, sorgenvollen Leben Valet zu sagen. Der Augenblick des Hinscheidens ist so wenig schmerzlich, man hört so wenig einen Klagelaut, daß ein unbetheiligter Zuschauer an das Goethe’sche Wort erinnert wird: „Ich möchte zu dem Augenblicke sagen: o weile doch, du bist so schön!

Natürlich ist die Theilung der Arbeit unter Viele und die dadurch bewirkte Geschicklichkeit jedes Einzelnen die Hauptursache, wenn man kaum so geschwind sehen kann, wie die Verwandlung beseelter Wesen in Rohstoff für den Magen erfolgt. Bei einem Schweine sind es sechs Mann, welche sich in die Zerstückelung, und eben so viele, welche sich in die Schlachtung, Abbrühung und Verpackung theilen. Rinder und Schafe werden immer, Schweine wenigstens theilweise ganz gelassen, nachdem sie gehäutet, beziehentlich gebrüht und ausgeweidet sind. Eine längs der Fenster des Schlachthauses in jedem Stockwerke in doppelter Mannshöhe an den Deckbalken angebrachte Eisenbahn oder Eisenstange, an welcher Ringe hängen, von denen wieder Riemen mit Haken zur halben Mannshöhe herabreichen, erlaubt es, das schwerste Schlachtstück nach jedem Theile des Gebäudes fast ohne Kraftaufwand zu ziehen; eine von der Dampfmaschine getriebene eben so lange eiserne Welle, über welche Riemen laufen, gestattet diesen, als eben so viele Kloben zu wirken und den schwersten Ochsen mit Leichtigkeit hoch oder niedrig aufzuhängen.

Das Tödten der Rinder geschieht entweder durch den Spieß oder durch das lange Messer, je nach Belieben der Schlächter. Im erstern Falle wird das Thier in einen engen Anbau mit zwei Thüren getrieben. Sobald es durch die eine eintritt – und man muß sehen, mit welcher Gladiatorenwürde es geschieht, trotzdem so wenige Zuschauer dabei sind, die Beifall klatschen könnten – senkt sich von oben herab ein Spieß, den ein auf einer Planke stehender En-gros-Mörder mit unfehlbarer Sicherheit handhabt, ihm in’s Genick, an der Stelle, wo das Hinterhaupt an den obersten Halswirbel und das kleine Gehirn an das Rückenmark stößt, und lautlos und ohne Zuckung stürzt es in sich zusammen. Sofort öffnet sich die vordere Thür, und ein anderer Barbar bringt ein Ende des obenerwähnten Riemens herein mit einer Schlinge daran, die um ein Hinterbein geschlungen wird und den Stier in das eigentliche Schlachthaus hereinzieht, um „dressed“, aufgeputzt, zu werden. Sollte der Spieß ja einmal fehlgehen, so empfindet das Thier ebenfalls keinen Schmerz, weil er blos zwei Zoll tief eindringen, also die Fettschicht nicht durchbohren und Blut hervorlocken kann. Im andern Falle tritt der Stier beim Anlangen durch die Hinterpforte sogleich in die bereitliegende Schlinge und es „öffnet sich behend das zweite Thor“, und ehe er sich’s versieht, baumelt er in der Luft, den Kopf nach unten, und ein blutdürstiger Künstler hat ihm in dieser wehrlosen Haltung die ganze Kehle mit einem langen Messer durchschnitten. So leicht stirbt wohl keiner von Denen, die an seinem Tode schuld sind, keiner von Denen, in deren Mägen er spaziert und deren Tage er verlängern hilft. Man sieht, es giebt doch noch poetische Gerechtigkeit in der Welt!

Die Gesellschaft, welche dieses Schlachthaus sammt Zubehör errichtet hat, findet ihren Hauptgewinn nicht in den Reinüberschüssen derselben, sondern in dem besseren Preise, den ihre Hauptactionäre, die großen westlichen Viehtreiber, durch diese Einrichtung für ihr Vieh erzielen, welches gesünder und schwerer auf den Markt kommt, weil es sich nach der Eisenbahnfahrt erst erholen kann, sowie durch billigere Behausung für das Vieh, welches nicht sofort Käufer findet. Die Compagnie selbst hat mit dem Geschäft des Schlachtens nichts zu thun, sondern vermiethet blos ihre zeit- und kraftersparenden Einrichtungen dazu an die Schlächter. Diese sind denn wohl auch das in ihrer Art Vollkommenste in der Welt, und jede genauere Beschreibung der vortrefflichen mechanischen Vorrichtungen im Schlachthause würde vielfach mehr Raum füllen, als wir ihr widmen können. Das fleischessende und an der Gesundheit seiner Haupt- und Weltstadt interessirte New-Yorker Publicum empfindet im Genusse gesünderen Fleisches und in der Entfernung von Hunderten von Altären der Göttin Mephitis einen großen Fortschritt.
A. Douai.