Eine Heimkehr aus der weiten Welt

Textdaten
Autor: Friedrich Gerstäcker
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Titel: Eine Heimkehr aus der weiten Welt
Untertitel:
aus: Berthold Auerbach’s deutscher Volks-Kalender auf das Jahr 1860. S. 118–124
Herausgeber: Berthold Auerbach
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: MDZ München und Commons
Kurzbeschreibung:
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[118]
Eine Heimkehr aus der weiten Welt.
Skizze von Fr. Gerstäcker.

Was auch Andere dagegen sagen mögen; es ist schon der Mühe werth eine größere Reise zu unternehmen, nur um wieder zu kommen.

Manche Freude, manches Glück blüht uns „armen Sterblichen“ hier auf dieser schönen Welt, keine aber so voll und reich und herrlich, als die Freude des Wiedersehens nach langer Trennung – keine so rein und selig, als die Rückkehr in das Vaterland. Soll ich dir deshalb, lieber Leser, erzählen wie mir zu Muthe war, als ich nach einer Abwesenheit von 39 Monden von Weib und Kind, zurück in die Heimath kehrte? – Ich will’s versuchen.

Ich kam damals – im Juni 52 – nach einer ununterbrochenen Seereise von 129 Tagen direct von Batavia. Siebzehn von den 129 hatten wir uns allein bei faulem Wetter in Canal und Nordsee herumgetrieben – 17 Tage auf einer Strecke, die wir recht gut hätten in dreien zurücklegen können. Und so dicht dabei an der heimischen Küste; es war eine verzweifelte Zeit; doch sie ging auch vorbei, und endlich, endlich rasselte der Anker in die Tiefe.

Das ist ein wunderbar ergreifender Ton, den man nicht allein hört, sondern auch fühlt, denn das ganze Schiff rasselt und zittert mit, und wie die Eisenschaufel nur den Boden berührt und mit einem Ruck festhakt, fühlt man sich auch daheim.

Ich war daheim! ob Bremen, ob Sachsen, ob Oestreich, solchen Unterschied kennt man nur innerhalb der verschiedenen Grenzpfähle; für uns Deutsche da draußen ist Alles nur Ein Deutschland, Ein Vaterland, und wie die Matrosen nach oben liefen, die Segel festzumachen, und die Kette indessen, soweit das anging, eingezogen und um die Winde geschlagen wurde, hing mein Blick an dem grünen Ufer des Weserstrandes, an dem Mastenwald des nicht fernen Bremerhafens, und konnte sich nicht losreißen von dem lieben, lieben Bild.

Aber nicht lange sollte mir Zeit zum Schauen bleiben. Der Lootse hatte uns schon gesagt, daß wir wahrscheinlich noch zeitig genug nach Bremerhafen kämen, um das Nachmittags-Dampfboot nach Bremen zu benutzen. Alle unsere Sachen waren gepackt. Jetzt dampfte das Boot aus dem Hafen heraus und legte bei – jetzt kam ein kleines Boot vom Ufer ab, uns hinüber zu [119] führen. Kisten und Koffer wurden Hals über Kopf hinunter gehoben, kaum blieb mir noch Zeit, den Seeleuten, mit denen ich so lange Monde als einziger Passagier verlebt, die Hand zu schütteln, und schon glitten wir über den stillen Strom, dem unserer harrenden Dampfer zu.

Am Bord fanden wir eine große Gesellschaft von Herren und Damen und hier zum ersten Mal dachte ich daran, daß ich ja in Bremerhafen, ehe ich die „Stadt“ selber betrat, meine etwas sehr mitgenommene Toilette hatte erneuen wollen. Mein Schuhwerk besonders befand sich in höchst traurigen Umständen, und meine besten Schuh waren querüber vollständig aufgeplatzt. Aber das ging jetzt nicht mehr an – wer kannte mich auch und wo behielt ich Zeit mich jetzt um solche Dinge zu bekümmern? – Den Strom hinauf glitten wir, der für mich der Erinnerungen so viele trug, und wie Dorf nach Dorf hinter uns blieb, wie die Sonne tiefer und tiefer sank, und hie und da schon einzelne Hügel aus dem flachen Land hervorschauten, grüßten mich die Nachtigallen, die lieben Waldsänger unserer Heimath mit ihrem zaubrisch süßen Sang.

Und weiter flog das Boot; hinter dem Rad stand ich, aus dem die Wellen schäumten, horchte den Nachtigallen am Ufer und schaute nach den alten gemüthlichen Dorfkirchthürmen hinüber, bis von weitem, aber schon mit einbrechender Dunkelheit, die Thürme der alten Handelsstadt Bremen herüber nickten.

Jetzt hielt das Boot; dicht unter den dunkeln Häusermassen lagen wir, in welche nur schmale schräge Einschnitte – kleine Gäßchen, die zum Ufer hinunterführen – einliefen; Karrenführer kamen an Bord, denen ich mein Gepäck übergab, und wenige Stunden später stand ich zum ersten Mal wieder nach 129 Tagen draußen, auf Land, auf deutschem Grund und Boden, auf Pflaster, und es war mir zu Muthe, als ob ich hätte über den Boden fliegen können.

Von da an war jeder Schritt, den ich weiter that, ein Genuß für mich und langsam, ganz langsam verfolgte ich im Anfang meinen Weg, den frohen Becher nun auch ordentlich auszukosten.

In vielen Häusern war schon Licht angezündet, und die Leute saßen drin bei ihrem Abendbrod, hie und da aber standen sie auch noch plaudernd, und sich des schönen Sommerabends freuend, in den Thüren – auch deutsch sprachen sie, gutes ehrliches deutsch, nicht mehr malayisch oder holländisch, oder englisch, französisch, spanisch oder was sonst noch, was ich seit den letzten Jahren gewohnt war vor fremden Thüren zu hören – die Männer rauchten lange Pfeifen, die Frauen strickten lange Strümpfe, und die Kinder hetzten sich über den Weg hinüber und herüber, und lachten und jubelten.

So wanderte ich mitten zwischen ihnen durch, noch ein Fremder und Heimathloser in der weiten Stadt, und doch vielleicht der glücklichste Mensch, den in diesem Augenblick ganz Bremen umschloß.

Jetzt hatte ich endlich das Handlungshaus erreicht, in dem ich Briefe [120] für mich von daheim finden sollte. – Die ersten wieder seit langer, langer Zeit, denn die letzten Briefe, die ich vor sechs Monaten in Batavia erhalten, waren noch außerdem über sechs Monate alt gewesen.

Der Chef war nicht zu Haus, aber ein junger Mann vom Geschäft, dem ich meinen Namen nannte, sagte: „er glaube, daß ein Brief für mich oben liegen müsse,“ und wie entsetzlich langsam ging er die Treppe hinauf, danach zu suchen. – Endlich waren wir oben – zwei, drei Gefache suchte er durch – da war er richtig – ich hielt ihn fest in der Hand und weiß wahrhaftig nicht wie ich wieder aus dem Haus und durch die Stadt in mein Hotel gekommen bin; aber ich sah die Leute nicht mehr, die vor den Häusern standen, oder an ihren hellerleuchteten Tischen saßen. So rasch mich meine Füße trugen, eilte ich in den Lindenhof, ließ mir ein Zimmer geben, bestellte Licht und Thee und saß kaum zehn Minuten später am geöffneten Fenster vor den lieben, lieben Zeilen, die mir Kunde von den Meinen brachten. – Dann erst gab ich mich den übrigen Genüssen hin, und wer nicht selber einmal so lang von daheim fort und besonders so viele Wochen, ja Monate hintereinander auf See gewesen, wird schwer begreifen können, mit welch behaglichem Gefühl den seemüden Wanderer alle jene tausend Kleinigkeiten erfüllen, die wir im gewöhnlichen Leben gar nicht mehr beachten, und deren Dasein wir oft nur bemerken. wenn sie einmal fehlen.

Erstlich die Annehmlichkeit von frischem Fleisch, frischer Butter, Milch und Eiern – dann das Bewußtsein, daß das Theezeug fest auf dem Tisch stand, und nicht brauchte in hölzerne Gestelle eingestemmt zu werden – und doch war ich mit meiner Tasse noch im Anfang außerordentlich vorsichtig. Dazu das Geräusch rollender Wagen auf dem Pflaster unten, das Schlagen der großen Thurmuhren, das ich in einer Ewigkeit nicht gehört, das Lachen und Plaudern der Menschen unten auf dem großen freien Platz, und kein Schaukeln dabei, kein Hin- und Wiederwerfen – Alles das genoß ich einzeln und mit vollem geizenden Bewußtsein dieser wenigen Momente, und wenn es mir auch im Anfang noch manchmal so vorkommen wollte, als ob der Lehnstuhl auf dem ich saß leise hin und herschwankte, – das alte Gefühl noch von dem Schiffe her – überzeugte ich mich doch bald, daß das nur Täuschung sei.

Indessen war es dunkel und still draußen in der Stadt geworden; wieder und wieder hatte ich den Brief gelesen, und lag jetzt in meinem Stuhl am offenen Fenster eine ganze Welt von Seligkeit im Herzen.

Unten wurden murmelnde Menschenstimmen laut – ich hatte sie schon eine Weile wie im Traum gehört, aber nicht darauf geachtet; auch ein paar Laternen sah ich über den Platz kommen. Da plötzlich klangen von vier kräftigen Männerstimmen die Töne des herrlichen Mendelssohn’schen Liedes:

Wer hat dich, du schöner Wald,
Aufgestellt so hoch da droben …“

[121] zu mir herauf, das erste deutsche Lied und Männerchor wieder, das ich seit langen Jahren hörte, und wie hatte ich mich danach gesehnt. – Neben mir öffnete sich ein Fenster – es fiel mir jetzt wieder ein, daß eine berühmte Opernsängerin meine Nachbarin war, die hier in Bremen gastirt hatte und morgen früh wieder abreiste. Der Kellner hatte mir davon gesprochen, als er das Theegeschirr hinausnahm.

Und jetzt verklangen die Töne, um wieder mit einem anderen, lebendigeren Liede zu beginnen; aber voll und weich klangen sie zu mir herauf – voll und weich war mir das Herz dabei geworden und – ich brauche mich deshalb nicht zu schämen, daß mir die hellen Thränen in den Bart liefen.

Noch immer saß ich so, und die Sänger waren schon lange fortgezogen; die Uhren in der Stadt brummten die zehnte Stunde, als ein anderer, nicht so harmonischer Ton all’ die schwermüthigen Gedanken im Nu verscheuchte.

„Tuht!“ blies der Nachtwächter unten und sang sein melancholisch Lied, und ich sah den dunklen Schatten des Mannes unten mit schwerem Schritt über den Platz schreiten, folgte ihm mit den Augen so weit ich konnte, und horchte auf die, aus ferneren Stadttheilen herüberschallenden Antworten noch lange, lange. – Und dann kamen Nachtschwärmer, die einen Hausschlüssel hatten und ich hörte wie die Thüren auf und wieder zugemacht wurden – und dann schlugen die Uhren wieder ein Viertel, Halb, drei Viertel und Elf. Immer konnte ich mich noch nicht losreißen von dem Platz am Fenster, bis ich endlich lange nach elf mein weiches Lager suchte. Und wie herrlich schlief ich, denn meine alte Seegras-Matratze an Bord hatte ich in den vier Monaten so hart wie ein Bret gelegen, und das weiche Roßhaarbett bot einen neuen Genuß.

Am nächsten Morgen war ich früh auf den Füßen, Manches zu besorgen, meine mitgebrachten Kisten auf die Fracht zu geben und liebe Freunde zu besuchen. Eine Zeitung hatte ich noch nicht in die Hand bekommen und das Einzige, was ich bis jetzt von einer politischen Neugestaltung der letzten 8 Monate wußte, war die Wahl Louis Napoleons zum Präsidenten der Republik. Ein Fischerboot im Canal, das wir wegen Zeitungen anriefen, hatte uns ein altes Stück englischer Zeitung – mit einer tüchtigen Steinkohle als Gewicht hineingewickelt – zugeworfen – halb durchgerissen, darauf fanden wir einen Theil der Einzugsfeierlichkeiten des neuen Präsidenten beschrieben – das war Alles was wir von Europa überhaupt erfuhren – und sonderbarer Weise gleich das Wichtigste.

Freund Andree, den ich in Bremen antraf, ersetzte mir aber alle Zeitungen, denn mit kurzen bündigen Worten gab er mir einen flüchtigen, aber vortrefflichen Ueberblick des Geschehenen – du lieber Gott, es war wenig Tröstliches, das ich erfuhr – wie traurig sah es in dem armen Deutschland aus, und was war aus der Freiheit, aus den Freiheiten geworden, die wir 48 erträumt. Der alte Fluch der Uneinigkeit hatte wieder seine giftigen [122] Früchte getragen, und Alles was ich aus dem Sturm der letzten Jahre gerettet fand – und das überhaupt der Mühe des Aufhebens lohnte, war: die Erinnerung an das Parlament; das Bewußtsein, daß wir ein solches wirklich gehabt hatten, daß es also nicht zu den Schattenbildern gehörte und uns einmal, es möchte nun dauern so lange es wollte, wieder werden mußte. – Jetzt freilich feierte der Bundestag wieder seine Ferien wie vordem – ein Dorn im Fleisch der Deutschen, ein Spott und Hohn für das Ausland. – Die deutschen Schiffe, die noch draußen auf der Rhede von Bremerhafen unter der schwarz-roth-goldenen Flagge lagen, warteten auf den Hammer des Auctionators, die Schmach von Schleswig-Holstein und Olmütz brannte auf unseren Herzen und – was ich außerdem von Bekannten und Freunden hatte, saß im Zuchthaus oder war verbannt. Tröstliche Nachrichten für einen Heimkehrenden; aber es überraschte mich kaum. Als ich Deutschland im März 49 verließ, saß der mit den deutschen Farben bewimpelte Staatskarren schon fest im Schlamm, und man brauchte damals kein Prophet zu sein, ihm sein Schicksal vorher zu sagen. Das Alles hatte sich jetzt erfüllt, die Reaction grünte und blühte, und wie in der Argentinischen Republik, that es den würdigen Staatsmännern nur leid, daß sie nicht auch Wald und Himmel mit ihren respectiven Landesfarben schwarz und weiß oder schwarz und gelb oder weiß und grün anstreichen konnten.

Was half’s! Es mußte ertragen werden, und die Hoffnung konnte uns selbst unsern damaligen Zustand nicht rauben.

In Bremen besorgte ich so rasch als möglich was ich zu besorgen hatte, fuhr dann nach Hamburg hinüber, dort einige von Sidney herübergeschickte Sachen, meist Indianische Waffen, in Empfang zu nehmen, und eilte nun, so rasch mich Dampf und Eisenschienen bringen konnten, nach Leipzig, meine damals in Wien lebende Familie wieder zu sehen.

Unterwegs mußte ich erst noch an der Preußischen Grenze eine Paßplackerei überwinden. Mein Paß war seit drei Monaten verfallen und außerdem in einem Zustand, wie ihn ein Preußischer Grenzbeamter wohl kaum je unter Händen gehabt. In Brasilien und besonders in der Argentinischen Republik wie in Batavia, selbst von den französischen Behörden auf Tahiti war freilich allen Anforderungen, die selbst ein deutsches Postbüreau stellen konnte, genügt; an allen übrigen Landungsplätzen hatte sich aber kein Mensch um einen Paß gekümmert, und ich war nicht leichtsinnig genug gewesen, mir unnöthige Laufereien und Geldausgaben zu machen. Nur um die ganze Route auf dem Paß zu haben visirte ich ihn mir, aus angeborenem Pflichtgefühl, dort selbst, und diese Mißachtung eines officiellen Visum schien die Postbeamten am meisten zu erschüttern. Trotzdem behandelten sie mich humaner als ich erwartet hatte, und mit einem sanften Verweis über mein rücksichtsloses Handeln wurde mir erlaubt, meine Reise ungehindert fortzusetzen.

In Leipzig, wo ich einen Tag bleiben mußte, kam ich Abends spät an, [123] und wollte noch meinen dort wohnenden Schwager aufsuchen. Seine Adresse hatte ich; ich wußte nämlich die Straße und Hausnummer, es war aber schon dunkel, daß ich die Nummer nicht mehr erkennen konnte, und die vollkommen menschenleere Quergasse langsam niederschreitend, hoffte ich an irgend einem Haus einen Menschen zu finden, den ich fragen konnte.

Da verließ Jemand vor mir eine Thür und ging die Straße hinab; es war ein Mann in Hemdsärmeln, jedenfalls ein Markthelfer, mehr konnte ich in der Dunkelheit nicht erkennen. Als ich ihn eingeholt frug ich ihn, ob er nicht zufällig wisse, in welcher Gegend hier Nr. 22 liege.

„Ja wohl, Herr Gerstäcker“, sagte der Mann so ruhig, als ob er mir noch gestern und alle Tage hier in derselben Straße begegnet wäre, und wir jetzt hellen Sonnenschein und nicht finstere Nacht gehabt hätten. Es lag ordentlich etwas Geisterhaftes in dieser Nennung meines Namens unter solchen Umständen, und unwillkürlich frug ich, „aber kennen Sie mich denn?“ – „Na, werd’ ich Sie nicht kennen“, sagte der Mann – „da drüben ist gleich das Haus“. – Incognito hätte ich hier nicht reisen können.

Den nächsten Tag verbrachte ich, wie schon gesagt, in Leipzig, um vor allen Dingen einen neuen Paß nach Oestreich zu bekommen. Ein merkwürdiges Gefühl war es mir aber dabei, durch die alten bekannten Straßen zu gehen und in den Läden, in den Fenstern die nämlichen Menschen mit der nämlichen Beschäftigung zu sehen, wie ich sie vor langen Jahren verlassen hatte. Die waren nicht fortgewesen in der ganzen Zeit; die hatten Tag für Tag ihrem Beruf an derselben Stelle obgelegen und während mir eine Fluth von Erinnerungen durch die Seele ging, kannte die ihre kein anderes Bild, als diese selben engen Straßen boten.

So sitzen hier Leute, die ich mich besinnen kann auf der nämlichen Stelle gesehen zu haben, als ich noch, ein Knabe, da in die Schule ging. Sie kamen mir damals schon alt und ehrwürdig vor und sahen heute genau noch so aus; nur daß sie früher keine grauen Haare hatten. Dieselben Menschen sind immer dageblieben, und wo bin ich indessen herumgewandert – was hab’ ich erlebt – was gesehen – und wie drängt es mich noch immer neuen Scenen entgegen zu eilen, während diese still und genügsam in dem engen Kreise sich bewegen, den ihnen die eigene Wahl oder das Schicksal angewiesen. Und wenn wir sterben, ruhen wir vielleicht neben einander, und die Erinnerung ist todt und fort.

Und soll ich dir, freundlicher Leser, jetzt erzählen, wie ich nach Brünn kam, bis wohin mir meine Frau mit dem Kind entgegenfahren wollte – wie ich mich von Nachtfahrten und übermäßiger Anstrengung zum Tod erschöpft in meinen Kleidern auf das Bett geworfen hatte, den um Mitternacht eintreffenden Zug dann zu erwarten? Wie mich der Kellner nicht geweckt, und plötzlich mitten in der Nacht Frau und Kind, die ich in 39 Monden nicht gesehen, im Zimmer standen, und wie der kleine, indessen vierjährig gewordene [124] Bursch, seine Aermchen um meinen Nacken legte und mit seiner lieben Stimme flüsterte: „du weggelaufener Papa?“ – Es geht nicht – es geht wahrhaftig nicht, Worte sind nicht im Stande das zu beschreiben; das muß erlebt, empfunden sein, und – ich möchte gleich wieder auf Reisen gehen, nur um den Augenblick noch einmal zu erleben.