Eine Heiligen-Erscheinung zur ebenen Erde

Textdaten
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Autor: C. St.
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Titel: Eine Heiligen-Erscheinung zur ebenen Erde
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 37, S. 626
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1876
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[626] Eine Heiligen-Erscheinung zur ebenen Erde. An die Erscheinungen der Madonna auf Obstbäumen, wie sie bekanntlich während der letzten Jahre im neuen Reichslande häufig vorgekommen sein sollen, erinnert mich, wahrscheinlich sehr sündhafter Weise, eine „Erscheinung“, die ich selbst ganz vor Kurzem im botanischen Garten von Schöneberg bei Berlin gehabt habe. Während ich im hellen Nachmittagssonnenschein zwischen zwei und drei Uhr an dem großen Rasenplatze vor dem Palmenhause vorüberwandele, sehe ich plötzlich meinen unwürdigen Schatten mit einem so wundervollen Heiligenscheine um den Kopf, daß ihn die Schwärzesten unter den Schwarzen darum hätten beneiden können. Und zwar spazierte Seine Heiligkeit, mein Schatten, auf einer Baumkrone ebenso gut, wie die elsässer und lothringer Madonnen umher, und sowie ich ihn nöthigte, von derselben herunter zu kommen, verschwand auch der Nimbus völlig. „Die Nachmittagssonne, welche den Schatten eines Menschen vom ebenen Gartenwege auf eine Baumkrone zaubert, möchte ich kennen lernen,“ sagt Sanct Thomas, der Unverbesserliche, aber ich kann ihm versichern, daß ich selber meinen Augen nicht traute. „Theils dieserhalb, theils außerdem,“ wie Wilhelm Busch so schön sagt. Schon die Baumkrone selber, auf welcher die Erscheinung zu sehen war, ist ein wahres Wunder; sie gehört nämlich dem niedergestreckten Wachholder (Juniperus prostrata) an und liegt wie ein silbern durchstickter, zwei bis drei Quadratmeter großer, hellgrüner Plüschteppich flach im Rasen, wobei die feinen Nadeln des ausgebreiteten Astwerks die starken, platt an dem Boden anliegenden Hauptäste vollkommen mit ihrem Pelzwerke verhüllen.

Ich habe den Lesern der „Gartenlaube“ früher einmal erzählt (Jahrgang 1873), daß dergleichen Erscheinungen auf thaubedecktem Rasen bei Morgen- oder Abendsonnenschein, wenn die Schatten riesenlang dahin schießen, wahrgenommen werden, aber hier waren die kleinen Nadeln völlig trocken, die Sonne hoch am Himmel, und der lichtumflossene Schatten lag dicht vor mir. Da die merkwürdige Erscheinung meines Wissens noch niemals unter diesen abweichenden Umständen beobachtet, respective beschrieben worden ist, so bin ich, gerade wie die guten Leute von Marpingen, im Juli mehrere Male mit naturkundigen Freunden nach dem Wunderbaume im Schönberger botanischen Garten hinausgewallfahrtet und sehr erbaut von der jedesmal wiedergekehrten Erscheinung zurückgekehrt. Die schimmernden Nadeln dieses rasenbildenden Wachholders wirken also ganz ähnlich wie die Thautröpfchen, indem sie die im Umfange des Kopfes darauf fallenden Strahlen am vollkommensten in das Auge des Beobachters zurückwerfen. Weder Lebensbäume noch andere Wachholderarten, die ich darauf ansah, boten einen ähnlichen Effect. Besonders auffallend wurde, wegen der Kürze des Schattens, die leicht erklärliche Eigenthümlichkeit, daß von mehreren Personen Jeder nur um seines eigenen theuren Hauptes Schatten den Silberglanz wahrnimmt, während die Schatten der Begleiter scheinlos umherspazieren müssen, eine Beobachtung, die wohl schon manchen Heiligen, wie ich früher von Benvenuto Cellini erzählt habe, zu dem Glauben verführt haben mag, er allein gehöre zu den Auserwählten, aus deren Schatten sogar Licht hervorsprüht.
C. St.