Eine Freundschaft auf – Gegenseitigkeit
[400] Eine Freundschaft auf – Gegenseitigkeit. Mein Bruder, ein Oekonom in der Nähe Leipzigs, besitzt zur nächtlichen Bewachung seines Besitzthums einen Kettenhund, der sich durch seine Wildheit ebenso sehr, wie durch seine Abneigung gegen alle anderen Thiere des Gehöftes, besonders das Federvieh, bemerklich macht. Hinsichtlich letzterer Eigenschaft jedoch macht er zum nicht geringen Erstaunen der Hausbewohner bei einer Henne von ganz gewöhnlichem Schlage eine Ausnahme. Nicht blos, daß genannter Hund derselben gestattet, an seiner jedesmaligen Mahlzeit zu participiren, er schenkt ihr auch seine Freundschaft im Umgang und seinen Schutz in der Hütte.
Diese auffallende Erscheinung klärte sich endlich nach langer Beobachtung durch folgende interessante Thatsache auf. Jene so bevorzugte Henne nämlich fand dann besonders Schutz und Aufnahme in der Hütte, wenn sie – gewöhnlich am Vormittage – ein Ei zu legen beabsichtigte. Freundlich bewillkommnet schlüpft sie alsbald in die Hütte, wo sie im hintersten Theile derselben sich ein Nest, so gut es immer geht, bereitet, der Hund aber - legt sich an den Ausgang der Hütte, um seine Freundin den Blicken habsüchtiger Menschen zu entziehen. Ist das Ei gelegt, so verzehrt er es schnell und entläßt dann seine Freundin mit allen Zeichen der Freude und Erkenntlichkeit, deren ein Hund ja in so reichem Maße fähig ist. Die Henne aber fordert darauf beim Mittagsbrod von ihrem Freunde ein ähnliches Aequivalent, das ihr auch gern gewährt wird.