Eine Denunciation für den Reichstag

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Titel: Eine Denunciation für den Reichstag
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aus: Die Gartenlaube, Heft 46, S. 775
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1871
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[775] Eine Denunciation für den Reichstag. Zu den mancherlei Stiefkindern deutscher Gesetzgebung gehört allbekanntlich die Presse. Wer uns die Geschichte der deutschen Presse nur seit den letzten fünfundfünfzig Jahren, von der Errichtung des deutschen Bundes an bis zu der des neuen deutschen Kaiserreichs, in’s Einzelne erzählte, würde nicht verfehlen, eine Bilderreihe voll unsäglicher Jämmerlichkeit vor uns aufzurollen. Geben doch die Zeiten der Censur allein die Gelegenheit zu einer ansehnlichen Anekdotensammlung; wie groß ist dann erst der bittere Ernst, der zerstörend in Tausender und gerade der begabteren Geister Leben und Wirken eingriff! Es ist nicht zu viel behauptet, daß zu verschiedenen Zeiten in der Behandlung der Presse auf Seiten der Regierungen die einzige deutsche Einigkeit zu verspüren war. Und noch heute, wo es selbst dem Mann von einfachster Bildung nicht mehr unklar ist, was die Tage unseres Kriegs gegen Frankreich zur größten Zeit aller Jahrhunderte erhob, ob der Gamaschenknopfcultus oder der Geist, der durch Schule und Presse in der ganzen Nation verbreitet worden ist, selbst jetzt sind noch Staatsanwälte möglich, welche sich in geradezu verletzenden Schimpfereien gegen die Presse vergehen, wovon der Manteuffel-Voget’sche Proceß noch jüngst ein Beispiel geliefert hat. Nur die Sorge um Bewahrung der Souverainetät vermochte hie und da einen der Bundesstaaten, seiner Presse ein wenig freieren Athem zu gestatten, und es gab auch wieder Zeiten, wo diese Regierungen auf solche liberale Anwandlungen sich gern Etwas zu Gute thaten.

Leider ist das jüngste dieser Beispiele außerordentlich unglücklich ausgefallen. Es war in den Tagen seiner Wahlreisen als Zollparlaments-Candidat, als der würtembergische Justizminister v. Mittnacht den Wahlmännern folgende große Betheuerung gab: „Würtemberg,“ so sprach er, „ist allein noch dasjenige Land, in welchem weder Beschlagnahmen, noch viel weniger Preßprocesse mehr vorkommen!

Allerdings, ein Preßproceß ist’s nicht, es ist vielmehr eine Beschlagnahme ohne allen Proceß, welche in diesem Augenblick die Verwunderung von ganz Deutschland über die Möglichkeit einer Preßbehandlung in Würtemberg hervorruft. Vor sechsundzwanzig Jahren, zur schönsten Bundestags-Blüthezeit, wurde ein Buch „Historische Denkmäler des christlichen Fanatismus, von O. v. Corvinmit königlich sächsischer Censur gedruckt und durch vier Auflagen in zwanzigtausend Exemplaren verbreitet. Nur Oesterreich verschloß sich ihm, – aber was wäre denn im damaligen Oesterreich nicht verboten worden! –

Und heute, nachdem die Geschichte von 1848, 1866 und 1870–71 an uns vorübergezogen, nachdem der Kirchenstaat unter- und das neue deutsche Reich aufgegangen ist und der deutsche Geist sieggekrönt vor allen Völkern steht, – heute wird dasselbe Buch Corvin’s, das in einer neuen Auflage und unter dem Titel „Pfaffenspiegel“ gedruckt wurde, bei dem Stuttgarter Verleger der Firma „Vogler und Beinhauer“ in tausendsechshundert Exemplaren ohne jede gerichtliche Procedur mit Beschlag belegt und zur Vernichtung verurtheilt. Ja, noch mehr! Ein autographirter Ministerialerlaß erging an sämmtliche Oberämter des Königreichs, um Landjäger und Polizeidiener zur Fahndung auf das böse Buch in Galopp zu setzen. Wer das Buch im deutschen Staate Würtemberg verkauft, hat für den ersten Fall fünfundsiebenzig Gulden und für jeden Wiederholungsfall das Doppelte zu bezahlen.

Die Justiz war bisher einzig dadurch mit in Action getreten, daß der Verleger vor das Stuttgarter Stadtgericht beschieden und ihm allda eröffnet wurde, daß das Kreisgericht, auf zwei Paragraphen des würtembergischen Preßgesetzes von 1817 gestützt, die Beschlagnahme des Buches bestätigt und die Vernichtung der confiscirten Exemplare angeordnet habe. Eine Anklage gegen Verleger und Verfasser ist nicht eingetreten, keine Art von Gerichtsverfahren fand statt, und es wurden nicht einmal die beanstandeten Stellen des Buchs angegeben!

Daß hier eine Rechtsverletzung vorliegt, wird Niemand leugnen, und eben deshalb findet sich ohne Zweifel unter den Volksvertretern des Reichstags wohl ein Mann, welcher am rechten Ort die rechte Frage darüber anbringt. Nach der obigen Betheuerung des königlich würtembergischen Herrn Justizministers v. Mittnacht ist es uns nicht möglich, an die fürchterliche Sage zu glauben, welche über den angeblichen Ursprung jener rapiden Beschlagnahme murmelnd durch das Volk geht. Man sagt nämlich, die Beschlagnahme sei erfolgt „anläßlich eines gegen das betreffende Buch gerichteten wuthschnaubenden Artikels in dem in Stuttgart erscheinenden ‚Deutschen Volksblatt‘, sowie ohne Zweifel (!) auf ergangene Einsprache der ultramontanen Partei bei deren Träger und Beschützer, einer in hohen Kreisen einflußreichen Persönlichkeit, einem General, der einst durch den besondern Schutz der Heiligen von den schwarzen Pocken genesen sei und dafür ihnen sich stets dienstbar erweise.“

Schon die stilistische Fassung dieser Sage verbietet uns, ihr zu trauen; außerdem haben wir viel zu viel Respect vor einem Proceß wegen Majestätsbeleidigung, denn eine solche befürchten wir zu begehen, wenn wir uns herausnehmen wollten, an obige Sage zu glauben.

Klarheit muß aber in dieser Angelegenheit an den Tag kommen. Es handelt sich nicht um Werth oder Unwerth, Schuld oder Unschuld des Buchs, worüber wir uns kein Urtheil herausnehmen, sondern um Recht und Gerechtigkeit in der Behandlung der Presse, und darum denunciren wir diesen Fall hiermit dem deutschen Reichstag und erwarten vom deutschen Volke, daß es uns diese Denunciation vergeben werde.