Eine Champagnerwette, veranlaßt durch Beethoven’s A-dur-Symphonie

Textdaten
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Autor: A. B. Marx
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Titel: Eine Champagnerwette, veranlaßt durch Beethoven’s A-dur-Symphonie
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 19, S. 297–300
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1868
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[304] Eine Champagnerwette, veranlaßt durch Beethoven’s A-dur-Symphonie. Es war im Jahre 1847, als Ferdinand Hiller in Dresden eine Serie Beethoven’scher Symphonien zur Ausführung brachte. Darunter befand sich auch die A-dur-Symphonie. Zwei Herren, der Fürst L. und Freiherr von F., welche der Ausführung der letztem Tondichtung beigewohnt hatten, geriethen an der Table d’hote des Hotel de France in ein Gespräch über die Frage: Welchen Situationen und Gemüthsstimmungen der berühmte Tondichter in dieser A-dur-Symphonie wohl habe Ausdruck geben wollen? Während der Fürst L. nichts darin zu erkennen vermochte, als den Jubel einer Bauernhochzeit, widersprach dem der Freiherr, indem er behauptete, daß Beethoven doch wohl von höhern Ideen dabei geleitet worden sei. Man stritt hin und wieder und gelangte endlich zu einer Champagnerwette. Jetzt war die neue Frage: Wer soll diese Wette entscheiden? Ein Herr von S., der gegenüber saß und mit Interesse der musikalischen Unterhaltung gefolgt war, frug, ob man wohl den Berliner Professor der Musik, Herrn Bernhard Marx, der als geschätzter musikalischer Kritiker hinreichend bekannt, als kompetenten Entscheider der Wette anerkennen wolle? Beide Contrahenten waren damit einverstanden. Sofort wandte sich Herr von S. durch Vermittlung eines Eleven des Professor Marx an letztern, welcher denn auch die Gefälligkeit hatte, nachstehende Charakteristik, die wir der Güte eines musikalischen Raritätensammlers verdanken und die bis jetzt noch keine Veröffentlichung gefunden hat, an die zwei wettenden Herren einzusenden:

„Es ist die Frage aufgeworfen worden, ob wohl Beethoven’s siebente Symphonie (die aus A-dur) eine bestimmter zu fassende Idee ausspreche? Die Kunstfreunde, unter denen diese Erörterungen stattgefunden, sind darüber zu einer Wette geschritten und haben meine Ansicht zu vernehmen gewünscht.

Vor Allem scheint mir eine Champagnerwette so ansprechend, daß sie durchaus getrunken werden muß – so gewiß, wie die A-dur-Symphonie gehört. Wer aber die Wette zahlen soll, ist eine etwas schwerere Frage.

Folgendes steht bekanntlich fest:

Beethoven hat öfters mit seinen Compositionen bestimmtere Vorstellungen, eine mehr oder weniger bestimmt zu fassende Idee zu verwirklichen gehabt. In seiner Pastoralsymphonie, in seiner Sonate les adieux etc. hat er solche Vorstellungen mit voller Bestimmtheit ausgesprochen. In anderen Werken hat er sie blos angedeutet, z. B. in seiner Marcia sulla morte d’un eroe (Sonate aus As) und in der heroischen Symphonie, zu der ihn bekanntlich das Heldenbild Napoleon’s begeistert. Wieder in anderen Werken fehlt jede Andeutung, und doch spricht aus ihnen eine bestimmte Idee oder Gefühls- und Stimmungsfolge, ein Seelenerlebniß uns zu, z. B. aus der C-moll-Symphonie, die man aus Nacht und Bedrängniß zu leichtem Triumph empor sich schwingen sieht. Bisweilen kommen auch äußere Notizen zu Hülfe, z. B. die Cis-moll-Sonate ist in einer Zeit entstanden, wo Beethoven sein Herz von einem edlen Gegenstände der Zuneigung (Gr. E…) losreißen mußte.

Nun zur A-dur-Symphonie.

Hier fehlt jede Andeutung mit Worten und jede äußerliche Notiz. Ob also dieses Werk nur ein geistreiches Spiel mit Tönen und unbestimmten Empfindungen ist, oder das Geheimniß einer bestimmten Idee in sich trägt, kann nur aus der musikalischen Auffassung entschieden werden. Die Musik aber ist jedenfalls unfähig, ihren Inhalt so klar und unwidersprechlich auszutönen wie die Sprache. Sie rührt diese, jene Saite unseres Gefühls an, leitet uns durch eine Reihe von Stimmungen, weiß vielleicht auch einzelne Andeutungen zu geben – und so wird sie uns zu einem süßverlockenden Räthsel der Seele. Wir sinnen darüber, wie über den im Flug aufgehaschten Blick oder die Träume der Geliebten, und so auch verstehen wir sie und lösen das Räthsel.

Ja, es läßt sich sogar dem, der willig ist zu vernehmen und mit uns glücklich zu sein, gar Vieles andeuten, - beweisen sogar. Aber freilich darf man nicht Beweise fordern, wie vor Gericht oder in der Kriegsschule. Wer hätte nicht schon in glückseliger Stunde köstliche Wahrheiten in schönen Augen gelesen, Wahrheiten, die ihm und jedem Mitfühlenden Ueberzeugung und Zuversicht für das Leben werden konnten? Aber beweisen mit a+b, – beweisen dem, der nicht Gleiches erlebt hat und Willigkeit und Sympathie mitbringt – beweisen mit solcher prosaischer Gewißheit ist nicht wohl möglich.

Wenn daher die gewetteten Champagnerflaschen vor Gericht gestellt und mit der A-dur-Symphonie confrontirt werden sollten, möchten die Richter eher alle nacheinander austrinken als zu einem unumstößlichen Spruch kommen.

Soll aber ein friedlicher und aufrichtiger Spruch gelten, so sage ich: Ja! Es ist in diesem Tongedicht nicht ein bloßes Tongespiel, sondern eine Reihe von Gestaltungen, wie sie dem Dichter im holden Wahnsinn durch die Seele schweben – er weiß selber nicht recht, woher und wie? Dies ist so gewiß, wie im Auge des Liebenden die Seele spricht; man vernimmt das Wort, ohne es urkundlich beweisen zu können.

Aber was spricht denn nun oder, läßt sich ahnen in diesem Tonzauber?


Fallen wir dabei nicht in Willkürlichkeiten, und vor Allem bleibe uns jene Plumpheit fern, die in diesen edel begeisterten Weisen Bauernlustigkeit vernimmt. Wie unter der Linde flink getanzt oder in der dunstigen Schenke die pralle Magd vom Großknecht umhergeschwungen wird im stampfenden Gedränge des Haufens, hat Beethoven in der Pastorale erzählt.

Hier sind es edle, ritterlich kühne, kampfbegeisterte Weisen, ein phantastischer Schwung ohne Rast und Ziel, stahlblitzend und doch gaukelnd leicht. Nur die Mauren im bunten Geflatter der Turbane haben so ihre andalusischen Hengste getummelt und mit vergoldeten Lanzen die schweren Eisenmänner umkämpft und umdrängt; ein sonnenhelles, sonnenheißes Leben voller Kämpfe, Liebe und Abenteuer … Dann mögen sie wohl ein Fürstenkind erbeutet haben; die Bläser rufen ihr „Hört!“ und eine Romanze erzählt viel, Klage und Trost wechseln. – Lösung, Auslösung müssen wir in die zweite Pause denken, Friede – auf wie lange? – ist wohl geschlossen. Nun brechen die Schaaren in brausender Lust heimwärts aus; von den Hügeln drüben schallen die leichten Trompeten und Hörner nochmals grüßend herüber. Und neu lebt sich’s weiter in ununterbrochener heißer, stürmender Festeslust, wo die glühenden Blicke der Krieger über bekränzte Becher hinweg nach den Schenkinnen und dem Umschlingen des bedeutungsvollen Tanzreigens hinüberblitzen.

A. B. Marx.“