Eine Bitte für arme Kinder
Wie wandelt sich’s am Sommermorgen schön
Vom Thale aufwärts zu den Bergeshöh’n!
Was in der Tiefe dunst’ges Nebelgrau
Glänzt auf der Höhe als demant’ner Thau
Das blitzt und funkelt der Sonne Gold,
Als ob die Welt ein Eden werden wollt’!
Ja, selbst das Blatt, das kränkelnd hängt am Stamm,
Umflammet nun ein Lichtschein wundersam.
In Perlenschnüren werden Spinneweben,
Wenn über sie die Sonnenstrahlen schweben,
Und jauchzend künden’s helle Vogelzungen
Wie alles rings von Lebensgluth durchdrungen!
Sieh, auf dem Schulweg Mädel dort und Knaben!
Karg sind für sie des reichen Daseins Gaben,
Nackt ist der Fuß, die Wange hohl und bleich;
Doch schau’, es hat aus seinem Königreich
Der Sommer diese Kleinen auch beschenkt! –
Sieh, wie der Bursch’ den Busch mit Beeren schwenkt,
Wie dort das Mägdlein sich des Apfels freut! –
O, es sind Kinder armer, armer Leut’,
Bei denen mit dem Glanz vom Morgenroth
Beginnen muß der saure Kampf ums Brot,
Bei denen, wenn der Abendstern erblinkt,
Behagen nicht nach harter Arbeit winkt,
Ein dumpfer Schlaf auf Lumpen nur und Stroh –
Der Sommer aber macht auch diese froh
Und läßt in seiner Milde sie vergessen,
Wie schmal für sie das Erbtheil zugemessen! –
Nun aber wird es anders allgemach.
Weiß schimmert oft der Reif auf Baum und Dach.
Kein Lied der Vögel ist mehr zu erlauschen;
In jedem Windhauch dürre Blätter rauschen.
Mit ihrem warmen Strahl die Sonne kargt –
Nur kurze Zeit – und es ist eingesargt
Des Sommers Pracht ringsum in Eis und Schnee. –
O Gott, wie thut alsdann die Armuth weh!
Wie schmerzt dem blassen Kind der nackte Fuß,
Der auf gefror'nen Schollen wandern muß!
Wie hat verlernt das Bürschlein den Gesang,
Das frohen Sinns den Busch mit Beeren schwang!
Im scharfen Nord des Mädels Odem raucht,
Das frierend in die magern Händchen haucht
Und hastig strebt, im Schulhaus anzukommen. –
In warmer Stube wird es aufgenommen,
Und lernen soll es nun wie’s Pflicht und Brauch.
Ach, warum irrt das matte, trübe Aug’
So oft umher, was zittert in der Hand
Der Griffel? – – – – – – – – – – – –
Habt ihr Hunger je gekannt?
Seid ihr durchfroren nach der langen Nacht
Einmal auf Stroh am Morgen aufgewacht,
Habt mit dem ersten Blick nur Noth geschaut
Und dann als Imbiß trock’nes Brot gekaut? –
Fürwahr, wenn ihr es einmal nur gesehen,
Ihr könnt nicht herzlos mehr beiseite stehen,
Und könnt ihr auch nicht alles Elend wenden,
Ihr gebet gern und gebt mit vollen Händen! –
Wohlan denn! Laßt den Druck der Armuth lindern
Vor allem uns bei armen, schwachen Kindern,
Bei jener Jugend, siech und hungersmatt,
Für die der Lebenslenz nicht Blüthen hat!
Die frosterstarrt und ungesättigt nah’n
Der Schule, ihrer nehmt euch liebend an!
Ein Becher Milch, ein Brot – ihr ahnt es kaum,
Welch Labsal für den jungen Lebensbaum
Solch’ kleine Gabe! Wenn der Winter rauh
In Eiskristallen wandelt schnell den Thau
Wenn er der Sonne Glanz mit Wolken deckt,
Sein Scepter über Wald und Fluren reckt,
Dann bring’ die Menschenliebe Sonnenschein,
Dann soll das Mitleid reich die Gaben weih’n!
Wir wissen’s ja, wie man am Weihnachtsfest
So gern den Aermsten auch sich freuen läßt,
Wie man den Christbaum für den Dürft’gen schmückt,
Wenn alles mit Geschenken sich beglückt!
Gesegnet sei, wer lindert Gram und Noth!
Doch eins vor allem: „Unser täglich’ Brot,
Das gieb uns heute!“ Höher dies Gebet
Noch höher als die schönste Festtagsspende steht,
Und kann man auch nicht helfen allen, allen,
Die auf der Armuth Dornenwegen wallen,
Den hagern Mündlein, die da hungernd beben,
Das Frühbrot laßt uns jenen Kleinen geben!
Ein Becher Milch, ein Brot – und sonst nichts mehr! –
Mit leerem Magen ist das Lernen schwer,
Doch, wenn die Wohlthat bringt das Angebind,
Vergessen ist des Tages Leid geschwind,
Da wächst im Kind, wie wenig ihm auch bliebe,
Das Gottvertrau’n, der Glaube an die Liebe,
Da winkt Genesen für den Schwachen, Kranken!
Die Enkel werden’s einst den Vätern danken,
Wenn ein Geschlecht erstanden, das erkennt,
Wie glühend noch der Liebe Flamme brennt,
Daß Lüge spricht der Mund der Haßpropheten,
die laut verkünden: Ausgesaugt, zertreten
Wird von den Reichen, wer da arm und schwach! –
– – – – – – – – – – –
Du fromme Menschenliebe, werde wach!
Gedenk’ der Kleinen auf der Schülerbank,
Der armen Menschenkinder, schwach und krank! –
Herbst 1888 Emil Rittershaus.