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Titel: Eine Begegnung
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aus: Die Gartenlaube, Heft 38, S. 610
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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[610] Eine Begegnung. Es regnete in Strömen. – Im Amthause zu R…, einem schwäbischen Städtlein, hatte sich eine fröhliche Gesellschaft eingefunden, um den fünfzigsten Geburtstag des Amtmanns zu feiern.

Selbst aus der entfernteren Umgegend waren die Freunde gekommen, an dem Feste theilzunehmen.

In der großen Erkerstube des Erdgeschosses hatten sich die Gäste in verschiedenen Gruppen behaglich niedergelassen, Politik und Kinderpflege, philosophische Probleme, Küchenrecepte und Moden wurden besprochen; die Blüthen der neuesten Poesie und die chronique scandaleuse des Städtchens kamen dazwischen abwechselnd an die Reihe. – Während es nun drinnen so laut und lustig herging, waren noch zwei Fremde in die Hausflur getreten. Der Eine, welchen Mantel und Mütze als höheren Officier kennzeichneten, war ein stattlicher, wohlbeleibter Fünfziger; der Andere ein Mann von kaum mittlerer Größe und höchst unscheinbarem Aeußeren. Der aufgestülpte Kragen eines altmodischen Oberrockes verdeckte zur Hälfte sein Gesicht.

„Hundewetter das, wahrhaftig, selbst für einen alten Soldaten zu schlecht!“ brummte der Oberst, indem er seinen Mantel abnahm und sich Bart und Haare trocknete.

„Seid Ihr vom Hause?“ fuhr er dann, gegen seinen Gefährten gewendet, fort, der noch immer neben ihm stand und ihm schweigend zusah.

„Nein.“

„So könnt Ihr mir nicht sagen, ob der Amtsrichter zu sprechen ist?“

„Nein.“

Der Oberst hatte sich inzwischen vergeblich bemüht, die wassertriefenden Ueberschuhe von seinen Füßen loszumachen. „He, guter Freund,“ rief er endlich seinen schweigsamen Zuschauer an, „wollt Ihr nicht so gut sein, mir die Schuhe da auszuziehen?“

Der Angeredete stutzte einen Augenblick.

Ein drittes „Nein“ schien auf seinen Lippen zu schweben; dann aber bückte er sich, zog dem Obersten die Schuhe von den Füßen und wendete sich um, ohne von dem kurzen „Danke“ desselben Notiz zu nehmen.

„Sauertöpfischer Mensch,“ sprach der Oberst vor sich hin und schritt auf gut Glück der nächsten Thür zu.

Mit voller Herzlichkeit begrüßte der Amtmann den alten Freund und Kriegscameraden. Sie hatten einst, am 18. October, neben einander vor Leipzig gestanden und waren seitdem, wenn auch getrennt durch Zeit und Raum, warme Freunde geblieben. Ein abermaliges Klopfen zog alsbald die Blicke der Gesellschaft nach der Thür. Mit Befremden erkannte der Oberst in dem Eintretenden den „Sauertöpfigen“ von vorhin. Seine Ueberraschung stieg aber bis zum Schrecken, als plötzlich bei dessen Anblick Alt und Jung sich erhob und mit dem Rufe: „Uhland, Uhland!“ sich an ihn herandrängte.

„Uhland?“ wiederholte fast tonlos der Oberst, gegen den Amtmann gewendet.

„Gewiß, Oberst, mein alter Freund Uhland. – Aber weshalb erschreckt Dich das? Du siehst ja aus, Alterchen, als hättest Du eine Schlacht verloren!“

Der Oberst kratzte sich in den Haaren.

„Ist mir auch fast so zu Muthe,“ sagte er kleinlaut, und erzählte nun sein erstes Zusammentreffen mit dem Dichter. „Jetzt aber,“ fügte er hinzu, „da man doch einmal Geschehenes nicht ungeschehen machen kann, bleibt mir nichts übrig, als mich auf Gnade und Ungnade zu ergeben.“

Entschlossen ging er auf den Dichter zu, ergriff seine beiden Hände, und indem er sie herzlich schüttelte, bat er:

„Hier stehe ich, Herr Professor, ein reuiger Sünder, dictiren Sie die Strafe.“

„Gut,“ erwiderte Uhland in seiner gewohnten trocknen Weise, aber lächelnd. „Ich pardonnire Sie! Sie können wenigstens nicht mehr behaupten, daß ich nicht werth wäre, Ihnen die Schuhriemen aufzulösen.“