Eine Barrikade zu Paris im Juli 1830
[179] Eine Barrikade zu Paris im Juli 1830. (Zu dem Bilde S. 169.) Es war am 25. Juli 1830, als König Karl X. von Frankreich, Bruder seines Vorgängers Ludwig XVIII. und des in der ersten Revolution hingerichteten Königs Ludwig XVI., jene Ordonnanzen unterzeichnete, welche in offenkundigem Widerspruch standen zur Verfassungsurkunde. Die Preßfreiheit wurde aufgehoben und strenge Censur eingeführt, die Mehrzahl der liberalen Blätter unterdrückt, das Wahlgesetz abgeändert, die Zahl der Wähler vermindert, die direkte Wahl in eine indirekte verwandelt, die noch nicht zusammengetretene Kammer wieder aufgelöst, eine neuzuwählende Kammer einberufen. Kaum waren diese Ordonnanzen am 26. Juli im Amtsblatte der Regierung, dem „Moniteur“, erschienen, als der Sturm losbrach. Die Abgeordneten versammelten sich in den Häusern ihrer angesehensten Führer, das Volk wogte durch die Straßen und hinderte die Gendarmen, welche die Pressen der Zeitungen versiegeln wollten. Die Nationalgarde war früher aufgelöst worden; jetzt tauchten wieder die Uniformen der Bürger unter den Arbeitern auf; General Lafayette wurde aufs Stadthaus berufen, um den Befehl über die Nationalgarde zu übernehmen; schon war auf dem Stadthause die dreifarbige Fahne als Protest gegen die Lilien der Bourbons aufgepflanzt worden. General Marmont, der die königstreuen Truppen befehligte, war schwankend und unentschlossen, selbst mit den Ordonnanzen nicht einverstanden, auch durch die geringe Zahl seiner Truppen, die er um die alten Königsschlösser sammelte, auf die Abwehr der Angriffe beschränkt. Einzelne Linienregimenter lösten sich auf, ohne indes zum Volke überzugehen. Nur die Garden blieben treu, vor allem die dem Volk verhaßten Schweizer, gegen welche der heftigste Kampf entbrannte. Drei Tage hindurch dauerte die Julischlacht: die Leiter der Bewegung, vor allem der reiche Banquier Lafitte, knüpften inzwischen Beziehungen zu dem in Neuilly bei Paris lebenden Herzog von Orleans an, der zu Fuß in die Stadt kam, ins Palais Royal, wo er als „Generallieutenant des Königreichs“ zunächst die Statthalterschaft annahm, dann aber die Königskrone. General Lafayette und Lafitte nahmen ihn in ihre Mitte, als er sich auf dem Balkon des Stadthauses unter der dreifarbigen Fahne dem versammelten Volke zeigte. Dem greisen König Karl X. gegenüber hatte er ein doppeltes Spiel getrieben und die Maske erst abgeworfen, als er seines Erfolges gewiß war. Der König hatte sich nach Rambouillet zurückgezogen; doch das Volk von Paris nahm seinen Weg dorthin, wie es einst den Weg nach Versailles nahm – und König Karl mußte im Schutze seiner Leibwache den Strand des Meeres zur Flucht nach England zu gewinnen suchen.
Das Bild von Cain zeigt uns die Verteidiger der Barrikaden in voller Arbeit mitten im Pulverdampf. Da sieht man diese seltsam zusammengewürfelte Mannschaft mit ihrer ebenso seltsam zusammengestoppelten Bewaffnung: die Vertreter des Bürgertums neben dem Gassenjungen, der unmittelbar unter der zerfetzten Trikolore seine Pistole gegen die anreitenden Regierungstruppen abschießt, im Hintergrunde rechts eine Gruppe von Arbeitern und Studenten, denen ein kleines Bürschchen, mit einem Papierhelm kriegerisch aufgeputzt, in der Schürze Munition zuträgt. Auch die Uniform der Nationalgarde fehlt nicht. Im Vordergrunde aber schauen wir die unglückseligen Opfer des Bürgerkriegs, greise ehrwürdige Gestalten, die das tödliche Blei getroffen. Ja, bei solchem Anblick mag es wohl der dringenden Mahnung des Anführers bedürfen, der mit gebieterischer Handbewegung Zurückbleibende zum Einspringen in die gerissene Lücke aufzufordern scheint. Wie an dieser Stelle der Kampf geendet, darüber giebt uns das Bild des Malers keinen Aufschluß.
Aber den ganzen Jammer des Bürgerkrieges thut es vor uns auf, der ein Volk grausamer zerfleischt als irgend ein anderer Kampf. Gerade die Stadt Paris hat solcher Scenen gar viele geschaut, und das lebende Geschlecht erinnert sich mit Grausen der Verwüstung, welche der Aufstand der Kommune im Jahre 1871 über die französische Hauptstadt gebracht hat. †