Ein wahrer Vater der Stadt

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Titel: Ein wahrer Vater der Stadt
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aus: Die Gartenlaube, Heft 2, S. 23–25
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1869
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Nachruf auf Andreas Zelinka, Bürgermeister von Wien
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„Ein wahrer Vater der Stadt“.

„Wir haben der Erde die irdische Hülle eines Mannes anvertraut, der zu den besten zählt, welche je an der Spitze eines großen Gemeindewesens standen. Wir beweinen in ihm einen der reinsten Träger der Idee der Menschenliebe, Güte und Milde. Wir bedauern in ihm den Rechtsfreund im edelsten Sinne des Wortes, den Schützer der Wittwen und Waisen, den wahren Christen, den liebenswürdigen Genossen und Freund. Wir betrauern in ihm vor Allem den wahren Vater der Stadt, der stets und überall den echten Mannesmuth der Wahrheit, die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit eines getreuen Bürgermeisters bethätigt hat etc.“ So lauteten ungefähr die Worte, mit welchen der Vicebürgermeister Dr. Newald in Wien seine Leichenrede an der Gruft des Bürgermeisters Zelinka einleitete.

„So war der Mann!“ schluchzten Hunderttausende. „So war der Mann!“ wiederholen wir. Seiner Treue und Ehrlichkeit verdankte er das unbeschränkte Vertrauen seiner Mitbürger und seine schöne Popularität, die sich in historischen Momenten bis zum Enthusiasmus steigerte. Alle Kränze wurden vergriffen für sein Grab und seinen Sarg, – wir legen nachträglich nur noch einige Blumen der Erinnerung auf den Hügel.

Zelinka fand bei seinem Auftreten als Bürgermeister in seiner Umgebung offene Gegner von Talent und Beredsamkeit, an deren Spitze der gegenwärtige Minister Dr. Berger stand, die fest entschlossen waren, ihm seine Stellung zu verleiden und ihn zum Rücktritt zu bewegen. Aber man zerrte und rüttelte vergebens an ihm. Wenn ihn Einer seiner vertrauten Freunde auf seine allerdings mächtige Gegenpartei aufmerksam machte, pflegte er achselzuckend zu antworten. „Mich kümmert nur der Gemeinderath, – die Parteien kümmern mich nicht.“ Aber die Zahl der Großen, die er gegen sich hatte, verschwand gegen die Zahl der Kleinen, die er für sich hatte, – der Armen nämlich, die er mit wahrhaft verschwenderischer Wohlthätigkeit bedachte. Niemandem wehe und womöglich Allen wohlzuthun, war seine Devise, der er jährlich über zwanzigtausend Gulden aus seinem Privatvermögen opferte.

Als Präsident des Gemeinderathes hatte das kleine Männchen nichts Imponirendes, auch klangen seine Worte oft zu drollig, um nicht seine Gegner zur ironischen Heiterkeit aufzufordern, aber sein gestählter Charakter, sein warmes fühlendes Herz und seine unantastbare Redlichkeit setzten ihn auch äußerlich in Respect und erwarben ihm selbst die Hochachtung seiner Feinde. Er sprach wenig, – aber das, was er sprach, war immer schlagend und traf mitten in’s Schwarze.

Um alle Verdienste dieses schlichten, anspruchslosen Mannes aufzuzählen, müßten wir für mehrere Monate die Spalten dieser Blätter in Anspruch nehmen. Wir beschränken uns daher, in Kürze mitzutheilen, daß während der Dauer seiner Amtsführung ein neues Wien geschaffen wurde, Paläste mit Gärten und Promenaden aus der Erde auftauchten das Pädagogium gegründet und Kirchen, Versorgungshäuser und Schulen gebaut und reformirt wurden Auch das Hochquellen-Project und die Douauregulirung wurden zur Thatsache, – aber unter allen seinen Werken, die er gefördert, waren es vorzugsweise die beiden Waisenhäuser, mit welchen der gute Zelinka am meisten prunkte. „So viel auch geschaffen worden ist, seitdem ich Bürgermeister bin,“ pflegte er stolz zu sagen, „halte ich doch die Waisenhäuser der Commune für die schönsten und segensreichsten Schöpfungen, welche die Stadt jemals in’s Leben gerufen hat.“

Am thatkräftigsten zu beweisen, daß er nicht nur Vater der Waisen, sondern aller Armen war, gelang ihm im Winter 1862 bis 1863, wo, mit der Erwerblosigkeit, Noth und Elend einen schauerlichen Höhepunkt erreichten. Viele Tausende verschenkte er in diesem Winter, namentlich an die brodlosen Weber, aber das waren dennoch nur Tropfen im Meere. Erst als auf seine Intervention von der Commune öffentliche Arbeiten ausgeschrieben wurden, war größere Abhülfe betroffen, denn Arbeit ist Brod für die Armen. In demselben Winter wurde Zelinka zum Landmarschall-Stellvertreter von Niederösterreich ernannt.

Schon als Landtagsabgeordneter hatte er die Oeffentlichkeit überzeugt, daß er kein Reactionär, sondern ein Mann von aufrichtig constitutioneller Gesinnung war, indem er mit freimütig kräftigem Wort für den unbeschränkten Einfluß der Gemeinden auf die Volksschulen eintrat, aber populär wie der beste Mann des Volkes sollte er erst im verhängnisvollen Jahre 1866 werden, als dessen Herold wir das Jahr 1863 gelten lassen können.

Wenige Wochen nach dem Frankfurter Fürstentage nahm Zelinka in Begleitung seiner beiden Stellvertreter Felder und Mayrhofer eine Audienz beim Kaiser, um ihm die Adresse des Gemeinderathes zu Gunsten Schleswig-Holstein’s zu überreichen.

Es ist bekannt, daß das Präsidium des Gemeinderathes in dieser Audienz von Seite des Kaisers ungnädig aufgenommen wurde und zwar mit dem Bemerken, daß sich dieser Körper nicht mit politischen Fragen zu beschäftigen habe.

In Folge dieser Rüge war Zelinka entschlossen, von der Bürgermeisterstelle zurückzutreten. Da aber auch die Majorität des Gemeinderathes auszuscheiden willens war, befürchtete er, daß dieser Massenaustritt als illoyale Demonstration gedeutet werden könnte, und nahm abermals eine Audienz beim Kaiser, in welcher er sich mit männlichem Freimuth über die gemeinnützige Thätigkeit des Gemeinderathes aussprach. Der Kaiser nahm den Vortrag huldvollst entgegen und die Krisis im Gemeinderathe kam damit zu einem friedlichen Abschlusse.

Im Frühling 1864 wurde Zelinka mit imposanter Stimmenmehrzahl abermals zum Bürgermeister gewählt und seine Wiederwahl durch ein glänzendes Banket in den Sälen des Augartens gefeiert. Noch in demselben Jahre hatte Zelinka das Vergnügen, die aus Schleswig-Holstein heimkehrende siegreiche Armee, aber auch das Mißvergnügen, ein Sistirungsministerium zu begrüßen, dem gegenüber er in die Reihen der Opposition trat. Noch energischer machte er später gegen das Stadtbefestigungs-Project Front und nahm keinen Anstand, der Regierung zu erklären: Wenn man im Ernst daran dächte, die Stadt zu befestigen, möge Bürgermeister werden, wer wolle, – unter seiner Bürgermeisterschaft solle nie und nimmer der Grundstein zum Verfalle Wiens gelegt werden. Zudem wäre es ihm unmöglich für die Ruhe der Bevölkerung zu bürgen, die der Meinung wäre, Wien solle nicht gegen einen auswärtigen Feind, sondern gegen die Wiener selbst befestigt werden.

In dieser scharfen Opposition harrte er auch im Kriege gegen Preußen aus, und ihm und der kräftigen Haltung des Gemeinderathes hatte Wien es zu danken, daß man die Befestigung der Stadt auf ein verschanztes Lager am linken Donauufer beschränkte.

Wir haben jetzt diese Unglückszeit mit ihrer Invasionsgefahr erreicht, – es war die Zeit, in welcher sich Zelinka, als eiserner Mann mit goldenem Herzen, die immergrüne Bürgerkrone erwarb. Noch vor Beginn des Krieges hatte er im Verein mit dem Landmarschall Fürsten Colloredo-Mannsfeld mit dem berühmten Nothschrei „Das Vaterland ruft!“ zur Wehrkraft des Reiches ein Freiwilligen-Corps gebildet, dessen Ausrüstung und Aufstellung Zelinka bei Ausbruch des Kriegs leitete. So war es Zelinka, der, im Interesse der Sicherheit der Stadt, die Errichtung einer Volkswehr betrieb und, im Interesse der Approvisionirung der Stadt, die Sistirung des Frachtenverkehrs mit Lebensmitteln durchsetzte. Von ihm wurde ferner die Errichtung von Nothspitälern eifrigst betrieben und gefördert, – hier und dort und überall wachte, sorgte und opferte er für sein Vaterlaud und seine Bürger, mit bitterm Groll gegen ein Sistirungsministerium, das seinen Fortbestand durch einen Kampf um die Existenz Oesterreichs ermöglichen wollte. Da hieß es plötzlich. Der nahenden Kriegsgefahr wegen solle Wien in Belagerungszustand versetzt und im Falle einer feindlichen Invasion vertheidigt werden. Zelinka eilte bestürzt zum Kaiser und richtete ernst und ehrfurchtsvoll die Bitte an ihn, Wien, im Falle eines Angriffes, als offene Stadt behandeln zu lassen.

Der Kaiser sicherte das zu, – eine andere Bitte des Bürgermeisters, um Aenderungen im Regierungssystem, wurde frostig zurückgewiesen. Aber die Nothwendigkeit umfassender Reformen lag so klar am Tage, daß der Gemeinderath beschloß, ihr in einer Adresse an den Kaiser kräftigen Ausdruck zu geben. Aus dieser Adresse, die Zelinka dem Kaiser überreichte, heben wir folgende Stelle hervor:

[24] „– – – Die gegenwärtige tief ernste Lage ist weniger durch die letzten Mißerfolge im Kriege, als die unglückliche Politik herbeigeführt worden, welche die Rathgeber der Krone, zum Theil schon seit einer langen Reihe von Jahren sowohl im Innern als nach außen verfolgten. Möge Euer Majestät zu dem segensreichen Entschlusse kommen, zur Leitung der Staatsgeschäfte solche Männer zu berufen, deren entschiedene Thatkraft und politische Gesinnung den Völkern Oesterreichs die Gewähr einer besseren Zukunft zu geben geeignet ist.“

Der Kaiser antwortete kalt und ernst: „Ich anerkenne den Ausdruck der Loyalität, nur mögen den Worten auch die Thaten entsprechen. Ich will unter den gegenwärtigen Verhältnissen übersehen, daß die Ueberreichung dieser Adresse nicht in den Wirkungskreis des Gemeinderathes gehöre, und sie nur als die Aeußerung einzelner Mitglieder desselben ansehn.“

Diese höchst ungnädige Entgegennahme der Adresse wirkte wie ein eisiges Sturzbad auf die warmen Patriotenherzen. Die meisten Gemeinderäthe waren entschlossen, ihre Mandate niederzulegen, und die ganze Bevölkerung fühlte sich auf das Schmerzlichste ergriffen. In diesem höchst peinlichen Moment war es Zelinka, der seine gekränkten, guten, opferwilligen Mitbürger zu vertreten und ihnen Genugthuung zu geben sich entschloß. Ohne den Gemeinderath in Kenntniß zu setzen, verfügte er sich mit seinen beiden Stellvertretern abermals zum Kaiser, um mit edlem Mannesmuth ein freies ernstes Wort zum Throne zu tragen.

Ein paar Stunden nach dieser Audienz (24. Juli) saß der Bürgermeister wieder im Saale des Gemeinderathes, erhob sich von seinem Präsidentenstuhl und hielt folgende Ansprache an die Versammlung:

„Ich habe es für meine Pflicht gehalten, heute nochmals eine Audienz bei Seiner Majestät anzusuchen, die mir allergnädigst zugestanden wurde. Ich berufe mich auf das Zeugniß meiner beiden Herren Stellvertreter, daß ich Seiner Majestät unumwunden, wie es einem getreuen Bürgermeister der Stadt Wien zukommt, über die Lage und Stimmung der Stadt wahrhaften und getreuen Bericht erstattet habe. Ich habe Seiner Majestät vorgestellt, daß die Bevölkerung Wien’s und der Gemeinderath immer, namentlich aber in der letzten Zeit, alle möglichen Opfer gebracht haben, die sie überhaupt zu bringen im Stande waren. Ich habe mir erlaubt, Seiner Majestät vorzustellen, daß der Gulden, welcher jetzt dargebracht wird, in dieser so schwer bedrängten Zeit, in der Zeit der Geschäftslosigkeit und Stockung aller Gewerbe, gewiß den gleichen Werth hat wie Hundert in anderen besseren Zeiten. Ich habe Seiner Majestät vorgetragen, daß die Bevölkerung ihre Opferwilligkeit und ihren Patriotismus nicht nur in der Errichtung eines Freiwilligen-Corps bethätigte, sondern daß sie insbesondere für die Pflege der Verwundeten sowohl in Geld als Materialien, freudig Opfer brachte, und was mehr zählt als alles Andere, daß sie selbst Verwundete in ihre häusliche Pflege genommen und sie wie Kinder des eigenen Hauses behandelte. Ich habe Seiner Majestät vorgestellt, daß der Gemeinderath in dieser schwerbedrängten Zeit seine Pflicht wie in ruhigen Zeiten erfüllt und daß die Regierung gerade in der jetzigen Zeit die Thätigkeit des Gemeinderathes in viel umfassenderer Weise in Anspruch nimmt, als es sonst zu geschehen pflegt, und habe seiner Majestät ausdrücklich bemerkt, daß im Falle einer feindlichen Invasion sämmtliche Cassen, Linien-Aemter, Regieanstalten und Feldspitäler der Obsorge des Gemeinderathes übertragen sind, daß kein Mitglied desselben auch nur einen Augenblick Anstand genommen hat, sich diesen schweren Verpflichtungen zu unterziehen und daß ich mich daher verpflichtet fühle, den schmerzlichen Eindruck zur allerhöchsten Kenntniß zu bringen, welchen die Entgegennahme der Adresse in der Bevölkerung und im Gemeinderathe hervorgerufen hat. Ich betonte insbesondere, daß meine Stellung eine andere als die eines Beamten, auch eine andere, als die eines Ministers ist, daß ich nicht nur verpflichtet bin, die Bande der Sympathie und Loyalität zwischen der Bürgerschaft und dem allerhöchsten Hofe festzuknüpfen, sondern auch Pflichten gegen die Bürgerschaft habe, in deren Erfüllung ich frei und unumwunden, wie ich es vor Gott und meinem Gewissen zu verantworten getraue, Seiner Majestät die Stimmung der Bevölkerung zur allerhöchsten Kenntniß zu bringen mich berufen hielt. Ich habe endlich selbst nicht ermangelt, Seine Majestät aufmerksam zu machen, daß die dermaligen politischen Verhältnisse es sind, welche in der Bevölkerung Besorgnisse hervorgerufen haben, und daß, wenn manche Opfer zu klein erscheinen, es nur der allgemeinen Noth und Bedrängniß zuzuschreiben ist. Seine Majestät geruhten zu antworten: ‚Ich habe nie Zweifel gehabt und bin überzeugt von der Opferwilligkeit und dem Patriotismns der Bewohner Wien’s, insbesondere in dieser bedrängten Zeit, die mich so schwer getroffen hat und auch meine Wiener, wie ich einsehe.‘ Seine Majestät geruhten uns sohin gnädigst zu entlassen.“

Die Stellen in dieser Rede, in welchen Zelinka von seiner Pflicht und den Opfern und Lasten der Gemeinde sprach, wurden mit lebhaften Acclamationen begleitet. Nach dem Schluß der Rede erhob sich die ganze Versammlung einmüthig und verließ lautlos den Saal. Das Publicum hatte sich indeß in lebhaft debattirenden Gruppen vor dem Rathhause versammelt, um ihrem wackeren, freimüthigen Bürgermeister Ovationen darzubringen, – er aber merkte was dergleichen und machte sich durch eine Hinterthür aus dem Staube. Den Vertrauens-Adressen konnte er aber dennoch nicht entgehen und von dem Fackelzuge rettete ihn der Ausnahmezustand.

Diese Audienz beim Kaiser machte Zelinka zum populärsten Mann in Wien und sicherte ihm einen Ehrenplatz in erster Reihe in der Geschichte der Patrioten Oesterreichs. Der Mann, dem das Herz des Wiener Volks gehörte, war er, wie bereits bemerkt ist, längst, und den besten Beweis dafür liefert der Eifer, mit welchem seine originellen Aeußerungen und edlen Thaten gleich in Aller Mund waren. Davon hier noch Einiges.

Unter ihm war das Bürgermeisteramt von Nothleidenden jeden Vormittag derart belagert, daß man den Bürgermeister zur Einschränkung seiner Freigebigkeit zu bewegen suchen mußte, denn man befürchtete, daß die Zusammenrottungen der Hülfesuchenden vor dem Magistratsgebäude unabsehbare Dimensionen annehmen könnten. „Geht’s – geht’s! sagte er nach einer solchen Warnung. „Ihr seid Kinder und die da draußen Stiefkinder des Glücks und die brauchen einen guten Vater nothwendiger als Ihr. Stürmen wird uns meine große Familie nicht – laßt’s ihr auch eine kleine Freud’.“

Wer viel auf dem Herzen und nichts in der Tasche hatte, wandte sich an den Bürgermeister, dessen Vorzimmer stets von Bittstellern überfüllt war. Er konnte Niemanden leiden sehen. Als man einmal im Gemeinderathe den für die Armenbetheilung ausgesetzten Betrag zu hoch fand, rief Zelinka in gutmüthigem Zorn dem Redner zu: „Ja, Sie können leicht reden! Zu Ihnen kommen die armen Leut’ nicht, aber zu mir kommen’s. Und was soll ich da thun? In den Sack greifen muß ich, sonst bleibt mir nix übrig.“

Ein verarmter Bürger, Vater von sechs Kindern, wurde wegen eines Zinsrückstandes von vierzig Gulden ausgepfändet und trotz der großen Kälte delogirt. Ein Gemeinderath des Bezirkes überzeugte sich von dem Elend der Familie und eilte zum Bürgermeister, um für sie Hülfe zu erbitten. Er hatte kaum ausgesprochen, als ihm Zelinka schon die bezeichnete Summe einhändigte. „Aber warten’s doch noch!“ rief er dem Gemeinderath nach, der sich dankbar entfernen wollte. „Glauben’s denn, den Leuten ist mit dem Bissel Geld schon geholfen? Wer wird den neuen Zins zahlen? Wovon heizen und wovon leben, bis der arme Vater wieder was verdienen kann? Da – nehmen’s noch dreißig Gulden und sagen’s, Gott und wir werden weiter helfen!“

Als Zelinka noch ein Bruder Studio war, logirte er bei einem Schneider in der Leopoldstadt, der ihm eine „Kammer mit Durchgang“ vermiethet hatte. Der Student arbeitete sich rüstig vorwärts, der Schneider rüstig rückwärts, und als Jener Bürgermeister wurde, war dieser ein alter hinfälliger Bettelmann. Als Zelinka von dem Nothstande seines ersten Miethsherrn in Kenntniß gesetzt wurde, suchte er ihn auf, beschenkte ihn reichlich, machte ihn zum Bürger von Wien und brachte ihn im Bürgerversorgungshause unter. Dort fühlte sich der alte Mann so behaglich wie die alte Garde im Invalidenpalais, war aber auch nicht undankbar, denn als er starb, setzte er den Bürgermeister Zelinka zu seinem Universalerben ein. Die ganze Verlassenschaft bestand aus einem Silberthaler von altem Gepräge, den Zelinka mit nassen Augen, als ein ihm werthvolles Andenken, im städtischen Archiv hinterlegte.

[25] Wie bekannt, hatte ihm einer seiner Bediensteten eine bedeutende Summe entwendet und damit das Weite gesucht. Zelinka war nicht zu bewegen, den Mann verfolgen zu lassen. „Schad’t nix!“ meinte er. „’S hat keinen Armen betroffen. Ich will den Menschen nicht unglücklich machen. Er war halt undankbar. Du lieber Gott, nicht alle Leut’ können so dankbar sein, wie mein armer Schneider.“

Der städtische Pflasterermeister Schlepitzka, der etwas zu tief in den Säckel der Commune griff, brachte bei einem Banket dem Bürgermeister einen Toast. „Danke, danke!“ sagte Zelinka freundlich mit den Augen blinzelnd. „Aber billiger, mein theurer Herr Schlepitzka, billiger!“

Aeußerst drollig war die Anrede, mit welcher er den Kaiser auf einem Bürgerballe begrüßte. Der Kaiser erschien nur mit den Erzherzogen, denn die Kaiserin hatte, interessanter Umstände wegen, Zimmerarrest.

„Das is schön, daß Eure Majestät zu uns ’kommen sein,“ begann Zelinka in seinem gemüthlichen Wiener Jargon. „Schad’, daß die Kaiserin Majestät nit mitkommen is! Aber –“ setzte er mit vielsagendem Schmunzeln hinzu, – „schad’t nix! Besser so! Freut uns erst recht!“

Der Kaiser bemerkte lächelnd: „Ja, mein lieber Zelinka, die Kaiserin wäre gerne mitgekommen –“

„Weiß schon! Weiß schon! ’S is eh’ recht!“ fiel Zelinka mit schelmischem Augenzwinkern dem Monarchen in’s Wort. „Na, was macht die Kaiserin Majestät denn? Wie geht’s ihr? Die Wiener lassen’s schön grüßen!“

Der Kaiser lachte laut auf und dankte dem Großvater der Stadt mit herzlichem Händedruck.

Der Kaiser und der Bürgermeister haben sich bekanntlich nicht immer so gemüthlich mit einander unterhalten, aber gerade der manneswürdige Bürgermuth, den er bei jenen Ausnahmen bewährte, hat es verursacht, daß sein Name nicht nur in Oesterreich – sondern auch im Auslande, selbst jenseits des Meeres hoch gefeiert worden ist. Zelinka sorgte und wirkte in seinen beiden letzten Jahren fort und fort mit Geist und Herz für seine Bürger und Armen, die er bekanntlich reich in seinem Testament bedachte, und erlebte noch die Freude, in einer seiner letzten Sitzungen für sein Lieblingsproject, die Donauregulirung, acht Millionen votirt zu sehen.

„Gott sei Dank!“ rief er freudig aus. „Die Donau wird regulirt – jetzt kann ich ruhig sterben!“

Und er starb ruhig, mit dem Gebete: „Holz – für die Armen!“ Er ließ keinen Feind zurück und schied wie ein guter Vater von seinen Kindern. Die Zahl der Fürsten ist klein, die wie der schlichte Bürgermeister Andreas Zelinka zu Grabe getragen wurden.