Ein vielgeplagter Fluß

Textdaten
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Autor: Bw.
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Titel: Ein vielgeplagter Fluß
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 515–516
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1898
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger G. m. b. H. in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[515] Ein vielgeplagter Fluß ist die in der Nähe von Boudry nach dem Durchfließen des lieblichen Val de Travers und einer daranschließenden engen Klamm in den Neuenburger See mündende Reuse. Zwischen Boudry und Travers, also kurz vor seiner Mündung, hat sich der Fluß einen tiefen 6 km langen Engpaß durch die Kalkschichten des Jura gegraben, und sein Gefälle ist auf dieser Strecke so groß, daß ein Niveauunterschied von 270 m auf eine Länge von 6000 m überwunden wird. Von diesem gesamten Gefälle bleiben nur 30 m ungenutzt, während der ganze Rest des Flußlaufes innerhalb der Klamm für industrielle Zwecke zur Verwendung gelangt ist. Da unter allen europäischen Wasserläufen [516] vielleicht kein zweiter in so vollendeter Weise dem Dienst der Industrie unterworfen worden ist, so sind die hydraulischen Anlagen der Reuse einer eingehenderen Schilderung wert. Das Wasser des Flüßchens wird zunächst unmittelbar nach seinem Eintritt in das obere Thor der Klamm durch ein niedriges Wehr abgefangen, durch einen wenig geneigten Seitenkanal am Gehänge der Schlucht entlang geführt, in einem Sammelbecken geklärt und weiterhin, da der Abhang der Klamm zu steil für die Anlage eines Seitenkanals wird, durch einen Felsentunnel von 500 m Länge weiter über das schnell sich senkende Flußbett geleitet. Beim Austritt aus diesem Tunnel liegt der Seitenkanal 29 m über dem Grunde der Klamm, wo sich ein Elektricitätswerk mit Turbinen von 750 Pferdestärken befindet, welchen das Wasser aus dem erwähnten Seitenkanal durch ein stählernes Fallrohr von 160 cm Weite zugeführt wird. Das Elektricitätswerk ist angelegt, um durch eine Hochspannungsleitung von 36 km Ausdehnung die Ortschaften des Val de Travers mit Licht und Kraft zu versorgen.

Das aus den Turbinenschaufeln entweichende Wasser hat sich kaum in das bis dahin nur spärlich benetzte Flußbett der Reuse gestürzt, so wird es abermals durch ein Wehr gehemmt, tritt in einen neuen Tunnel mit anchließenden Einschnitten und gewinnt ein verfügbares Gefäll von 52 m, das abermals durch zwei Druckrohre einer 1400pferdigen Turbinenanlage im Grunde der Schlucht zugeleitet wird, mit deren Hilfe man die Wasserleitungen des 14 km entfernten Chaux de Fonds versorgt. Das nun folgende Turbinenwerk, welches auf genau dieselbe Weise durch einen Tunnel von mehr als 2 km Länge ein Gefäll von 91 m erzielt, pumpt nicht allein durch eine 7 km messende Leitung das Trinkwasser nach Neuenburg, sondern versorgt auch durch die längste elektrische Kraftübertragung in Europa die Orte Chaux de Fonds und Le Locle mit Kraft und Beleuchtung. Die Leistung dieses Elektricitätswerkes, die aber ebenso wie die der vorhin erwähnten Anlagen noch verdoppelt werden kann, wenn man die gesamte Wassermenge der Reuse ausnutzen will, beträgt 1600 Pferdestärken. – Aber auch damit sind die Leistungen des Flusses noch nicht erschöpft. Auf genau dieselbe Weise, durch Wehr, Einschnitt und Tunnel, hat man der Reuse noch ein viertes und letztes Gefäll von 56 m abgerungen, aus welchem schon jetzt bei voller Ausnutzung der vorhandenen Wassermenge 2700 Pferdestärken gewonnen werden. Die gesamte Kraft wird einerseits zur elektrischen Beleuchtung von Neuenburg, anderseits zur Abgabe motorischer Energie für die dortige Klein- und besonders Uhrenindustrie verwendet. – Auf die Ausnutzung des jetzt noch am unteren Ende der Klamm vorhandenen Gefälles von 14 m hat man bis jetzt verzichtet, doch reichen schon die geschilderten Anlagen aus, um bei voller Benutzung der vorhandenen Wassermenge 10 000 Pferdekräfte für den Dienst der Industrie nutzbar zu machen. Bw.