Ein untergehendes Stück Waldpoesie

Textdaten
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Autor: Fritz Röhr
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Titel: Ein untergehendes Stück Waldpoesie
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 16, S. 270–271
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Eisenhämmer in Thüringen
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[269]

Das Innere eines alten thüringer Eisenhammers.
Nach der Natur aufgenommen von Professor Thon in Weimar.

[270]
Ein untergehendes Stück Waldpoesie.
(Mit Abbildung.)

Dreißig Jahre sind es kaum, da tönten dem Reisenden, der die grünen Thäler und die mit prächtigen, schlanken Tannen geschmückten Berge des Thüringerwaldes besuchte, wohl in jedem dieser lieblichen Gründe die wuchtigen Schläge eines oder mehrerer Eisenhämmer entgegen und gaben ihm Nachricht und Zeugenschaft von einem der ältesten und wichtigsten Industriezweige der arbeitsamen thüringer Waldbewohner. Die heute noch in großer Menge vorhandenen reichen und vorzüglichen Spath- und Brauneisensteine der Saalfelder und Schmalkalder Gegend, die auf dem ganzen Walde vorkommenden vortrefflichen Rotheisensteine, der Holzreichthum und die mit starkem Falle dem tieferen Lande zueilenden Wasser des Gebirges bildeten seit nun tausend Jahren die natürlichen Grundlagen anfänglich für wenige, später für mehrere hundert von rauchenden Eisenschmelzöfen und laut und lustig pochenden Hammerwerken. Die thüringer Eisen- und Stahlfabrikate erwarben sich schon in frühester Zeit Anerkennung und guten Ruf; bereits im 9. Jahrhunderte waren thüringer Waffenschmiede und ihre guten Schwerter bekannt und genannt; die Sage vom Ruhlaer Waffenschmiede, der seinen verirrten Landesherrn hart und fest hämmerte, datirt aus dem 12. Jahrhundert, und im 14. Jahrhundert waren die Suhler Panzerer und Plattner schon über Deutschlands Gaue und Berge hinaus durch die Vortrefflichkeit ihrer Harnische und Schwerter berühmt. Die mittel- und süddeutsche Ritterschaft klopfte sich ausschließlich mit Suhler Schwertern die fehdelustigen Köpfe blutig, und manchem trotzigen Rittersmann schnitt eine Suhler Klinge den Lebensfaden jählings ab. Nach der Erfindung des Schießpulvers blieb Suhl nicht allein im Besitze seines Rufes, sondern erhob sich sogar zur einzigen und großen Waffen- und Gewehrfabrik, zur Rüstkammer Deutschlands, wie die Zeitgenossen es nannten. Es ist in Folge dessen auch als die Mutter aller deutschen und vieler ausländischen Gewehrfabriken anzusehen, denn wie seine Gewehre im Laufe der Jahrhunderte sich massenhaft in ganz Europa und sogar auch über den Ocean verbreiteten, so zogen auch viele geschickte und kundige Gewehrarbeiter nach aller Herren Ländern, um neue Stätten ihrer Kunst und Zunft gründen zu helfen.

Aber nicht blos die männermordende Waffe erzeugte der Thüringerwald, nein, auch die Bedürfnisse des Friedens in Eisen und Stahl wurden dort in großer Auswahl und reichlichen Mengen dargestellt; viele hunderttausend Centner Eisenerze wurden in hoher Oefen Gluth geschmolzen, um für den friedlichen Bauer und Bürger Pflugschaare, Wagenreife, Hufstab- und Nageleisen, Sensen, Messer, Feilen, Aexte, Ahlen, Nägel und viele andere Eisen- und Stahlwaaren anfertigen, um mit ihnen hausirend, Märkte und Messen beziehend, umfangreichen Handel treiben zu können. Schmalkalden, Brotterode, Steinbach, Mehlis, Zella und Suhl bildeten den Hauptsitz der Fabrikation solcher Stahlwaaren. Suhl war außerdem durch seine unübertroffenen Eisenbleche, namentlich solche für Salzsiedepfannen und Schmalkalden durch seinen Edelstahl berühmt, während der östliche Theil des Thüringerwaldes mehr schwere Eisensorten und Gußwaaren fabricirte.

Der für Thüringen insbesondere unheilvolle dreißigjährige Krieg schlug dem Wohlstande seiner Bewohner und dem Bergbau und Hüttenwesen eigentlich nie vollständig geheilte Wunden. Die Horden Isolani’s und Holk’s durchstöberten große und kleine Erzgruben nach dort verborgenen Schätzen der in die Wälder geflüchteten Einwohner und zerstörten Maschinen und Baue auf und unter Gottes Erdboden. Gar manche höfliche Zeche, wie der Bergmann sagt, wurde in den langen Jahren dieses gräulichen Krieges verlassen und zerstört und blieb in dem darauf folgenden Elende vergessen und verschüttet; hatte doch Thüringen fast zwei Dritttheile seiner Bevölkerung damals verloren.

Erst Mitte des vorigen Jahrhunderts hoben sich der Bergbau und das Eisenhüttenwesen wieder; außer in der Nähe der Hauptplätze Saalfeld, Suhl, Schmalkalden, Steinach fand man auf dem ganzen Thüringerwald, von der Hörsel bei Eisenach bis zur Saale bei Lobenstein, Hunderte von Schmelz- und Hammerwerken. Ueberall pochten und lärmten die Stabeisen-, Nageleisen- oder Zainhämmer, die Blech-, Sensen-, Schaar-, Schaufel-, Rohr- und Stahlhämmer. Ueberall in den dunkeln Forsten stiegen die Rauchsäulen der Kohlenmeiler mit ihrem weithin auffallenden, eigenthümlichen Brandgeruch in die reine, klare Nachtlust empor. Ueberall stieß man auf Bergbau, Berg- und Hüttenleute und Fuhrwerke, die Erze, Holz, Holzkohlen, Eisen und Stahl transportirten; viele Ortschaften nährten sich in der Hauptsache vom Bergbau, der Eisen-, Stahl-, Stahlwaarenfabrikation und dem zu diesem Allen nothwendig gewordenen Fuhrwesen.

Dieser bis in die dreißiger Jahre unseres Jahrhunderts andauernden Blüthe erwuchs aber in dem mit Steinkohlen gesegneten Westfalen ein gefährlicher Nebenbuhler. Der Kampf um’s Leben wurde mit zu ungleichen Kräften geführt; er währte kaum ein Jahrzehnt. Die neuen, billig und massenhaft erzeugenden Methoden konnten in Thüringen der fehlenden Steinkohlen wegen nicht eingeführt werden, und so kam es, daß in den vierziger und fünfziger Jahren die meisten Schmelzöfen und die alten Hammerwerke fast alle in Stillstand geriethen. Die werthvollen Wasserkräfte wurden nach und nach zu Säge-, Mahl-, Farbe-, Porcellanmassemühlen, Maschinenfabriken und anderen industriellen Zwecken benutzt.

„Das Alte stürzt – es ändert sich die Zeit,
Und neues Leben blüht aus den Ruinen.“

Mit dem Verschwinden der alten, rußigen Eisenwerke ist leider auch ein gut Theil Poesie und thüringische Eigenthümlichkeit verloren gegangen. Aufhorchend blieb ehedem der Wanderer im dunklen Walde oder im frischgrünen, wasserreichen Thale stehen, wenn plötzlich der rhythmische Doppelschlag eines oft noch weit entfernten Hammerwerkes sein Ohr traf; je mehr er vorwärts schritt, desto lauter schallten die Hammerschläge, bis er nach einiger Zeit, um eine Thalwand biegend, das malerisch einsam gelegene, von kleinen Wohnhäusern, Holzvorräthen, Kohlenmeilern und alten hohen Bäumen umgebene, hochdachige und von Wetter und Rauch geschwärzte Gewerk vor sich liegen sah. Gar eigenthümlich war der Eindruck des Inneren eines solchen schwarzgeräucherten, grellbeleuchteten und tiefbeschatteten Hammerwerkes, wie es unsere Abbildung, der Wirklichkeit getreu, uns vor Augen führt. Die bärtigen, rußigen, nur mit einem langen Hemde, Schurzfell, Holzpantoffeln und großem Schlapphute bekleideten Hammerschmiede könnten im ersten Augenblicke wohl an die zwei Knechte erinnern, denen nach [271] Schiller der Graf von Savern seinen Todesbefehl zuherrschte, die auf unserm Bilde fühlen aber nichts weniger als Henkerslust und haben kein fühlloses Herz in ihrer Brust, wie ihre Vorfahren; sie verrichten in der von Kindheit auf erlernten Weise, zwar wortkarg, aber in größter Gemüthlichkeit, ihre schwere, heiße, manchen Schweißtropfen auspressende Arbeit. Der rechts im Vordergrund sorgt für das Erhitzen der großen Eisenstäbe; der andere links regelt mit der Schützenstange den Lauf des rastlosen Wasserrades, und der Dritte schmiedet und streckt mit starker und geübter Hand den weißwarmen Eisenstab unter dem gewaltig zuschlagenden Hammer, bei dessen Schlägen blendende Strahlen um den Ambos herumleuchten.

„Und bildsam von den mächt’gen Streichen,
Muß selbst das Eisen sich erweichen.“

Das einfache Mittagsbrod bringend, wartet das frische Weib des Einen mit dem Jüngsten im thüringer Kindermantel auf eine Pause in der Arbeit, um mit dem erst am letzten Tage der Woche heimkehrenden Manne eine kurze Zeit über die kleine Wirthschaft daheim, die Kinder oder was es sonst Neues giebt, zu reden; an ihren Knieen lehnt der Aelteste, durch Schurzfell und Hammer bereits kundgebend, daß auch er einst ein Hammerschmied werden will. Auch der große zinnerne Bierkrug fehlt nicht, denn der Hammerschmiedsdurst ist berühmt und unlöschbar. Was die alten Hammerschmiede in dieser Hinsicht leisten konnten, erzählt die Chronik von den sechs Suhler Blechschmieden, die des Sonnabends nach der Auslöhnung in ihrem fast adamitischen Arbeitscostüm, alle Wirthshäuser unterwegs revidirend, nach dem drei Meilen entfernten Arnstadt wanderten, um sich an dem dortigen berühmten Weizenbiere einmal gründlich zu laben. Diese Labung dauerte eine ganze Woche und endete erst mit dem letzten Tropfen des ganzen Gebräues, der Brauherr aber schenkte den unverwüstlichen Trinkern ob der seinem Biere angethanen Ehre die Zeche, und stolz und vergnügt kehrten die Suhler über den Rennsteig heim in ihren alten lieben Hammer.

Wie unsere Abbildung, so zeigte sich ehemals auch jedem Touristen und Curgast das Innere des durch seine überaus freundliche Lage im Thale der noch jugendlichen Ilm ausgezeichneten Grenz- oder Fridolin-Hammers; er ist in der unmittelbaren Nähe des an Naturreizen so reichen Ilmenau an dem von den Geognosten viel untersuchten hochinteressanten Ehrenberge gelegen; nach längerem Stillstande ist er seit einer Reihe von Jahren zu einem kleinen Gußstahlhüttenwerke umgewandelt worden, aus dessen Räumen der Hämmer Tactschlag wieder kräftig hervorschallt.

Seit mehreren hundert Jahren wurden hier Saalfelder und in unmittelbarer Nähe gewonnene Erze verschmolzen und Stabeisen erzeugt. Karl August, welcher einen Antheil am Besitze erwarb und sich lebhaft und eingehend für den Betrieb des Werkes interessirte, besuchte mit Goethe gar oft den Grenzhammer und schaute stundenlang der Arbeit in der alten Hammerhütte zu. Der Märchendichter Musäus genoß wiederholt seine Sommerfrische hier, und auch Schiller’s Name ist mit dem Grenzhammer verwoben; wenigstens läßt ihn der Volksmund auf dem zu jener Zeit mit dichtem Walde umgebenen Gewerke gern weilen und die schöne Legende vom frommen Knechte Fridolin dichten.

Die Eisenbahn-Aera, welche Thüringen die fehlenden Steinkohlen herbeischaffte, hat in’s Schmalkaldische und Saalfeldische neues Leben für die Eisen- und Stahlindustrie gebracht. Die Güte der Eisenerze zog Capital und Unternehmungslust herbei; selbst Großindustrielle wie Krupp und Borsig sind auf Thüringen aufmerksam geworden. Beide treiben schon mehrere Jahre in der alten Ruhl Bergbau auf vorzüglichen Rotheisenstein. Je mehr sich Zweige von den Haupteisenbahnlinien in das thüringer Gebirge hinein erstrecken, desto größeren Aufschwung werden Bergbau und Hüttenwesen und der mannigfachste Gewerbfleiß gewinnen, trotzdem werden aber für den erquickenden und stärkenden Genuß der herrlichen Gebirgsnatur stille Thäler, schattige, duftende Wälder und ozonreiche einsame Berghöhen genug noch übrig bleiben und nach wie vor dem Leidenden und dem erschöpften Großstädter Heilung und Labung spenden.

Fritz Röhr.