Textdaten
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Titel: Ein seltenes Zwillings-Paar
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33, S. 526–527
Herausgeber: Ernst Keil
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1867
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Der Bauer und seine gleichaltrige Linde
Blätter und Blüthen
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[526] Ein seltenes Zwillings-Paar. (Keine Erfindung.) Als ich im Jahre 1849 als avancementslustiger, einjährig gedienter Unterofficier mit der Berliner Landwehr gen Baden marschirte, aber aus verschiedenen nicht ganz militärischen Gründen nicht hinkam, bezog ich einst mit einem Detachement von zwölf Mann auf dem vom Dorfe isolirt belegenen Gute eines reichen Bauern in der Nähe von Iserlohn Quartier. Der Eigenthümer – triviales Spiel des Zufalls – hieß Schultze und war in allen seinen Manieren und Handlungen ein Westphale von echtem Schrot und Korn. Als er uns anmarschiren sah, kam er uns an der Spitze von Knechten und Mägden entgegen, schüttelte treuherzig erst mir, dann jedem Manne und dann nochmals mir die Hand, und obgleich wir nur noch höchstens zweihundert Schritte bis zum Gehöft hatten, so litt er doch nicht, daß wir unsere Tornister und Gewehre weiter trugen. Wir mußten Alles seinen Leuten übergeben, und dann führte er uns unter der wiederholten Versicherung, daß wir es bei ihm gut haben sollten, in sein Haus. Und er hat Wort gehalten, der brave Mann.

Ein großes hallenartiges Gemach mit zwölf Betten stand für die Soldaten, für mich ein fast elegant möblirtes Zimmer bereit. Keiner von uns durfte sich selbst bedienen; Knechte und Mägde holten Wasser, reinigten Zimmer, Kleider und Stiefel, machten die Betten, kurz, wir lebten, als hätte er Jeden einzeln bei sich zu Gaste geladen. Obgleich unser braver Wirth stets bei unsern Mahlzeiten zugegen war und, wie ein Feldherr in der Schlacht, uns unablässig zu neuem Einhauen anfeuerte und mit freudestrahlenden Augen unsere Heldenthaten betrachtete, durch die wir Berge und Schanzen von denkbar delicieusestem Schinken und Pumpernickel erstürmten und Bäche und Ströme von vorzüglichstem Schnaps, Bier und Wein auszutrocknen versuchten, so waren wir doch nie im Stande, das vorhandene Material zu bewältigen. Jedem braven Soldaten will ich einen solchen Quartiergeber wünschen! Mir ist seines Gleichen nicht wieder vorgekommen.

Vor dem Hause, die Fenster meines Zimmers beschattend, stand die schönste Linde, die ich je gesehen. Schon von Weitem war sie mir und selbst meinen Leuten durch ihre Größe, Form und Blätterpracht aufgefallen. Ich konnte mich gar nicht satt sehen an diesem Ideal einer Linde. Als ich am ersten Tage gegen Abend an mein Fenster trat, saß der Bauer vor der Thür und schaute mit unbeschreiblichem Wohlgefallen in das mächtig über ihm sich wölbende Blätterdach. Ich ging hinaus, setzte mich zu ihm und sprach ihm meine Bewunderung des herrlichen Baumes aus. Sein Gesicht verklärte sich noch mehr, er sah mich freudig an, nickte mehrmals mit dem Kopf und sagte dann mit tiefgemüthvollem Tone:

„Ja, ja, Herr Unterofficier, das ist auch mein Stolz und meine Freude! So ein feiner Stadtherr, wie Ihr, der kann sich vielleicht kaum denken, daß ein schlichter, roher Bauer einen Baum so lieben kann, wie Weib und Kinder, Gott verzeihe mir die Sünde! Aber seht, Herr, das hat so seine eigene Bewandtniß mit mir und dieser Linde. Mein Vater war in Berlin geboren, hatte die Landwirthschaft erlernt und stand als Inspector im Dienste des benachbarten Grafen; bei einer Kirmeßfeier lernte [527] er meine Mutter, die einzige Tochter ihrer Eltern, kennen. Sie gefielen sich, die Alten sagten Ja, bald war die Hochzeit und am 1. Januar 1800, als die alte Uhr da drinnen eben mit dem letzten Glockenschlage den Ablauf des Jahres 1799 verkündet hatte, wurde ich geboren, das erste und einzige Kind meiner Eltern. Als mein Vater mich tüchtig abgeküßt und dann der Mutter zurückgegeben hatte, sah er beim Scheine der Lampe unter dem Bette ein grünes Hälmchen stehen. Es war ein ganz junger Keim, der während der Nacht aus einem Lindenkern in der Dielenritze emporgeschossen sein mußte, denn noch Tags zuvor war das Zimmer gekehrt worden. ‚Sieh, Frau, wir haben Zwillinge bekommen!‘ sagte mein Vater, hob das Keimchen sorgsam aus der Dielenritze heraus, zeigte es meiner Mutter, pflanzte es in einen Blumentopf und, als das Frühjahr kam, in den Garten. Ich gedieh und das Bäumchen gedieh. Schlank wie eine Tanne schoß es empor, und als es in’s sechste Jahr ging, mußte ich es, natürlich mit Hülfe meines Vaters, an seine jetzige Stelle pflanzen. Da ist es denn gediehen, wie kein anderer Baum weit und breit umher. Ich liebte den Baum wie meinen Bruder und habe die größte Zeit meines Lebens unter seinem Dache verlebt. Alle Leute rings im Lande wissen das, nannten uns die Zwillinge und das Gut den Zwillingshof!

Als ich zwanzig Jahr geworden, mußte ich Soldat werden und wurde zur Garde in Berlin geschrieben. Was soll ich Ihnen sagen? So lieb ich die Eltern hatte, der Abschied von der Linde wurde mir schwerer, als der von ihnen. Und wie hab’ ich mich während der drei langen, langen Jahre nach dem Baum gesehnt und gebangt! Und als ich ihn endlich wiedersah, da – ich kann Ihnen die Freude nicht beschreiben – und doch erkannte ich ihn kaum wieder, solch’ ein Riese war er geworden. Bald darauf lernte ich ein hübsches Mädchen kennen. Wir waren uns gut und wollten ein Paar werden, die Alten hatten nichts dagegen und so wäre Alles ganz gut gegangen, aber da war ein junger Bauer unten im Dorfe, der Stolthäuser, der hatte ihr schon immer nachgestellt und als er sah, daß ihm das nichts half, da schwur er mir Rache. Nachts darauf hörte ich das Geräusch einer Säge vor dem Hause. Nichts Gutes ahnend ergreife ich ein tüchtiges Scheit Holz, renne hinaus und finde drei Kerle, die eben dabei sind meine Linde dicht über der Wurzel abzusägen. Das fuhr mir wie Blei in die Glieder! Ich stand wie fest gewachsen und ließ das Scheit fallen.

Als die Schurken das Geräusch hörten, sprangen sie nach allen Seiten davon. Jetzt kam ich zur Besinnung und rannte dem Einen – es war der Bube, der Stolthäuser – bis zum Dorfe nach, aber er hatte einen zu großen Vorsprung, und sobald er das Dorf erreicht hatte, war er auch verschwunden.

Ich eilte nun zu meinem Baume zurück. Fast bis zur Hälfte war der Stamm durchschnitten! Seht, Herr, da meinte ich, das Herz müßte mir brechen! Ich warf mich in’s Gras und weinte wie ein Kind. Wie lange ich so gelegen, weiß ich nicht. Endlich stand ich auf, reinigte die Wunde so gut es ging, verklebte sie ringsum mit Baumwachs und deckte dann darüber Erde. Alles das geschah wie im Traume, als wenn mir alle Knochen mit Blei ausgegossen gewesen wären. Am schwersten aber war mir der Kopf, ich mußte mich wieder zu Bette legen und schlief gleich ein. Als ich erwachte, waren – volle drei Monate vergangen! Ich hatte das hitzige Nervenfieber gehabt und in den schrecklichsten Fieberphantasien gelegen. Was soll ich Euch weiter sagen, Herr? Drei Jahre lang krankte der Baum. Die Zweige starben nicht ab, aber besonders auf der Seite nach dem Hause zu, wo die Wunde saß, trieben sie nur spärliche, kleine, gelbliche Blätter. Jedesmal, wenn der Frühling nahte, fürchteten wir, er werde abgestorben sein. Und wie der Baum, so ich. Ich blieb schwach und siech und es war kein Zweifel, wenn der Baum starb, so war’s auch mit mir vorbei.

Ich war stumpf gegen Alles. Es machte mir fast gar keinen Schmerz, als ich hörte, mein Mädchen habe schon während meiner schweren Krankheit erklärt, sie wolle keinen Verzauberten zum Manne haben. Und, als sie sich bald darauf von dem schlechten Kerl, dem Stolthäuser, heimführen ließ, da dankte ich Gott, daß er mich vor solcher Frau bewahrt hatte. Es war auch kein Segen in ihrem Hause. Sie erlitten große Verluste an ihrem schönen Eigenthum. Ihr reicher Kindersegen ward zum Fluch, denn Alle mißriethen. Die Dirnen sind leichtfertig, die Jungen liederlich. Als die Alten starben, theilten sie die Erbschaft, verthaten sie sinnlos und gingen dann in alle Welt. Nur der Aelteste, der bei der Theilung das Meiste und den Hof erhielt, blieb hier. Er ist fleißig, das ist wahr, und hat es wieder zu Etwas gebracht, aber ist er auch nicht gerade ein Verbrecher, ein schlechter Kerl ist er doch, und – Gott führt seine Geschöpfe wunderlich – denkt Euch nur, er läuft meiner Else nach und hat um sie geworben. Aber das Mädel mag den gift’gen Kerl nicht ausstehen und ich – ich gäbe sie ihm nicht und wenn sie ihn noch so gern möchte! Doch, ich wollte Euch ja von meiner Linde erzählen. Endlich, im vierten Jahre nach jener Nacht, trieb der Baum wieder schöne, kräftige Blätter, und von da ab wurde es auch mit mir besser. Seitdem ist er wie ein Segen Gottes gediehen. Von weit und breit kommen die Leute, um den herrlichen Zwilling am Zwillingshof zu sehen, der seinem Bruder so sehr über den Kopf gewachsen ist. Auch in dem Hause, das er so riesig überragt und prächtig beschattet, war Segen. Ich führte ein braves Weib heim, und wenn sie mir auch nur ein Kind, die Else, gebar, so ist die doch so lieb und wohl gerathen, daß ich mir gar nicht vorstellen kann, wie mehr Kinder mich glücklicher machen könnten. Freilich hatte ich mir früher immer einen tüchtigen Stammhalter gewünscht; na, der liebe Gott hat’s nicht gewollt, da muß der Mensch sich fügen. Und am Ende, was heißt ‚Stammhalter‘? Mein Name ist ja doch unsterblich. Denn daß die Schultze’s aussterben werden, das wird doch wohl Niemand behaupten wollen! Wer meine Else haben will, der muß in’s Haus ziehen und wie ein braver Sohn mir den Hof abnehmen. Dann denke ich noch manchen glücklichen Abend unter meinem lieben Zwillingsbruder zu verleben, und nur der Gedanke schmerzt mich, daß ich einst nicht meine letzte Ruhestätte unter seinem Dache finden kann. Seht, Herr, so ein Baum, der kann noch zwanzig Generationen beschatten und ich hoffe, er wird es, aber ich, das ist kein Zweifel, ich müßte auf der Stelle sterben, wenn der Baum umgehauen würde. Der Mensch soll nicht an Zauberei glauben, doch hier, hier ist so was im Spiele! Nun, wie Gott will. Er sieht und lenkt alle Dinge, er muß auch wissen, wozu er dies gethan!“

Die einfache und doch so verständige Erzählung des Bauern, verbunden mit dem gemüthvollen Ton seiner Stimme, machte auf mich einen tiefen Eindruck. Wir verstanden uns und wurden gute Freunde. Auch die Bäuerin, eine stille, sanfte, schmucke Frau, gewann mich lieb, noch lieber aber die schöne Else. Jetzt noch, nach achtzehn Jahren, wird es mir schwer, davon zu schreiben, und da es nur zum Theile hierher gehört, so sei es möglichst kurz.

Das Mädchen war weit über ihren Stand gebildet. Wir liebten uns unaussprechlich. Die Eltern willigten mit Freuden ein. Sobald ich vom Militär frei käme, sollte ich zu ihnen ziehen, die schöne Else heirathen und den Zwillingshof verwalten, welcher in Rücksicht auf sein schönes Gestüt, seine prachtvollen Heerden und ausgedehnten Ländereien weit eher in die Kategorie der Rittergüter als der Bauernhöfe gehörte.

Zwölf Tage lagen wir dort in Quartier wie im Paradiese, da kam Marschordre. Es war Sonntag und Kirmeß im Dorfe. Wir waren Alle zugegen. Der Bauer Stolthäuser, der meiner Else nachstellte und schon wiederholt versucht hatte, sich an mich zu reiben, war auch dort. Er suchte offenbar Streit mit mir; ich ließ mich aber darauf nicht ein, und da er es immer weiter trieb, ich auch die Geduld zu verlieren fürchtete, so brachen wir auf, um nach Hause zu gehen. Kaum jedoch waren wir hundert Schritte gegangen, als er uns einholte, ohne Weiteres über mich herfiel und mir mit einem Messer mehrere nicht unbedeutende Wunden beibrachte. Ich streckte ihn mit einem wohlgezielten Faustschlag besinnungslos zu Boden. –

Der Zwillingsbauer war außer sich vor Entrüstung. Trotz meiner dringenden Abmahnungen ließ er Stolthäuser festnehmen und dem Gerichte überliefern, welches ihn unter Annahme mildernder Umstände zu achtmonatlichem Gefängniß verurtheilte. Als er nach demselben abgeführt wurde, schwur er dem Bauer und Allem, was diesem lieb war, den Untergang.

Zehn Monate später, als ich mich mit meinem Bataillon auf dem Rückmarsch nach Berlin befand, schrieb mir Else, Stolthäuser sei, nachdem er seine Gefängnißstrafe abgebüßt, in das Dorf zurückgekehrt. Sie bat mich dringend, recht bald zu kommen, denn sie habe eine unerklärliche und unüberwindliche Herzensangst. Da unser Bataillon in den nächsten Tagen ausgekleidet werden sollte, so war an einen Urlaub nicht zu denken, und obgleich eine trübe Ahnung sich auch meiner bemächtigte, so blieb nur doch nichts übrig, als geduldig zu warten. Zwei Tage darauf meldete mir meine Braut, Stolthäuser habe seinen Hof verkauft und das Dorf verlassen, sie aber könne einer erdrückenden Angst dennoch nicht Herr werden. Alle meine Bemühungen, die wenigen Tage früher entlassen oder doch beurlaubt zu werden, blieben ohne Erfolg. Inzwischen waren wieder acht Tage vergangen. Wir sollten am nächsten Mittag in Königs-Wusterhausen eintreffen; da brachte mir ein Brief Else’s die traurige Bestätigung der Richtigkeit unserer bösen Ahnungen. Als eines Morgens der Bauer vor die Thüre getreten, hatte er den Stamm seines Zwillings in einer Breite von nahezu vier Fuß gänzlich von Rinde entblößt und über die Hälfte mit einer Säge durchschnitten gefunden. Bei diesem Anblick war der starke Mann vom Schlage getroffen zu Boden gestürzt. Gegen Mittag hatte sich ein heftiger Wind erhoben, der, immer stärker wehend, sich in den Baum fing und ihn mit furchtbarem Gekrache niederbrach. Der Bauer, welcher bis dahin regungslos auf seinem Lager gelegen, richtete sich bei dem Krachen empor, breitete die Arme aus, bewegte den Mund, als wolle er sprechen, sank aber, ohne einen Laut von sich zu geben, zurück und – war todt.