Ein sächsisches Bivouac auf dem Schlachtfeld von St. Marie aux Chênes

Textdaten
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Autor: Julius Zoellner
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Titel: Ein sächsisches Bivouac auf dem Schlachtfeld von St. Marie aux Chênes
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 39, S. 636–638
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[643]
Ein sächsisches Bivouac auf dem Schlachtfeld von St. Marie aux Chênes.
Von unserem Specialberichterstatter J. Z - r.

Mit klingendem Spiel kamen die Regimenter des zwölften Armeecorps (Königreich Sachsen) am Tage nach der Schlacht von Gravelotte von einer großen Recognoscirung, die sie nach Metz hin unternommen hatten, zurück. Um St. Privat, welches sie mit den preußischen Garden am Abend vorher erstürmten; hatten sie im Bivouac gelegen. Die Sonne neigte sich eben zum Untergange und beleuchtete das vor uns liegende und von der Höhe weithin übersehbare Schlachtfeld. Regiment auf Regiment, frisch und stolz, [644] zog vorüber, und seine Reiter und Fahnen hoben sich dunkel von dem glühenden Abendhimmel ab.

Vor dem Dorfe an einem Kreuzwege hielt die Feldpost – so viel Briefe und Correspondenzkarten wie an diesem Abende hat sie wohl selten aufzunehmen gehabt. Aus jedem Gliede fast sprang ein Mann hervor, der rasch im Vorbeigehen seine Grüße in die Heimath hier abgab, und „daß er gesund geblieben“. Officiere, Soldaten, Marketender standen am Wege, unter den Vorüberziehenden nach Freunden und Bekannten suchend, manch heitern Zuruf, manche traurige Nachricht empfangend.

Seitwärts und auf den Feldern hinter uns breitete sich ein endloser Wagenpark aus, der sich mit Lebhaftigkeit zum Aufbruch rüstete.

An der nach St. Marie sich hinziehenden Abdachung lagerten die preußischen Garden, die Kampfgenossen vom vergangenen Tage; so weit das Auge sehen konnte, deutsche Soldaten, deren Helme und Waffen in der roth untergehenden Sonne blitzten – ein Bild, malerischer und erhebender nicht zu denken.

Der Weg nach Paris wurde wieder aufgenommen; –die Sachsen sollten bei Hatriz Bivouac beziehen.

Als wir St. Marie aux Chênes uns näherten, änderte die Scene ihren Charakter. Die Sonne war untergegangen, ein klarer Himmel geblieben. Auf der weiten Fläche aber, die sich muldenartig senkte und hob, flammte Feuer auf Feuer empor, erst vereinzelt und durch große Zwischenräume unterbrochen, allmählich aber in regelmäßiger Abwechselung den Vordergrund erfüllend. Und immer weiter dem Horizonte zu blitzten neue Lichter auf, wie die vorangezogenen Regimenter ihre Halteplätze erreicht hatten. Als wir nahe genug kamen, hörten wir schon den Gruß „Guten Abend, Sachsen!“ welcher mit „Guten Abend, Garden!“ erwidert wurde. Und die ganze Linie entlang wiederholte sich das Grüßen.

Die Preußen waren bereits in voller Vorbereitung, „die Maschine wieder zu heizen“, welche Frankreich „den Standpunkt klar machen soll“. Schon von Weitem hatte ich ein ganz eigenthümliches Geräusch vernommen das das ganze Lager erfüllte; je mehr wir uns näherten, um so lauter wurde es, ein tausendfaches Geklapper ohne Tact und Rhythmus, aber mit ungemeiner Beflissenheit ausgeführt, von dem ich nicht wegkriegen konnte, was es bedeuten sollte, bis ich endlich am ersten Feuer jeden Mann eifrig beschäftigt sah, mit dem Seitengewehr auf einem Brettchen ein Stück Rindfleisch zu bearbeiten – „Beefsteak“ wurde gemacht.

Es leuchtete mir sofort ein, daß diese scharfe Ansprache auch das zäheste Gemüth erweichen müsse, und ich sprach mich demgemäß anerkennend aus.

„Ja, ’t is schon richtig,“ sagte der Angeredete, indem er einen Augenblick still hielt und lächelnd in die Höhe sah. „Wir müssen nur ’n Bischen viel Holz mit ’rein fressen. Na, dat schadt och nischt – et reinigt den Magen ’mal wieder von die vielen Leckereien.“ Damit hämmerte er weiter.

Da die Straße durch das Dorf St. Macie aux Chênes einen beträchtlichen Bogen machte, schlug ich, um auf unsern Lagerplatz zu kommen, den kürzern Weg über das Schlachtfeld und durch das Bivouac der Garden ein. Welch emsiges Leben! Ueberall schon flammten die Feuer, jedes von einer lustig hantirenden Gesellschaft umgeben. Der Eine hatte für Brennmaterial zu sorgen, das er nahm, wo er es fand; Andere schafften Stroh für die Lagerstätten, Wasser, um den Reis, Kartoffeln oder Kaffee zu kochen, herbei. Die Beaufsichtigung der an dem Feuer stehenden Feldkessel ist wieder ein Amt, das eine Kraft für sich verlangt. Die Arbeitstheilung ist auf das Höchste entwickelt, und man soll nicht sagen, daß sie den Menschen zur Maschine macht.

Welche Umsicht ist nicht nothwendig bei der Aufsuchung der Vorräthe, die in den verlassenen Dörfern allenfalls noch angetroffen werden könnten! Wie oft wird sie getäuscht! – bisweilen auch in unerwarteter Weise belohnt! Da rollt Einer jubelnd ein Faß Wein vor sich her, das in einer Scheune vergessen worden war - er war aber auf der Strohjagd. Zwei Andere, die nach Eiern oder irgend sonstigen Delicatessen ausgegangen waren, kommen mit einigen fünfzig französischen Garden zurück, die sie in einem Versteck aufgegriffen haben – erbarmungswürdige Gestalten, durch vierundzwanzigstündige Angst und Entbehrung verschlottert. Sie werden „zu den Uebrigen gelegt“; – ein Huhn, und wenn auch noch so alt, wäre dem Finder lieber gewesen. Das Unglaublichste wird zusammengeschleppt, was sich nicht essen läßt, läßt sich wenigstens verbrennen.

Plötzlich tönt ein Signal durch das Lager, und das noch so lebhafte Getreibe beruhigt sich. Allgemeines Gebet – gewiß in wenig Kirchen mit gleicher Weise gebetet. Und dann beginnt die volle Regimentsmusik den Choral „Nun danket Alle Gott!“ Alle Kehlen und alle Herzen singen mit in die stille Nacht, und weithin ziehen die deutschen Klänge über die fremde Erde.

Es giebt gewisse Eindrücke, denen so leicht sich wahrscheinlich kein Gemüth entziehen kann – der erste Anblick des Meeres, die Stille über den lebensleeren Gletschern der Hochalpen, die Wüste Sahara, die Fälle des Niagara – ergreifender aber kann keiner gedacht werden, als das Gebet von Tausenden, die, einem vielfachen Tode entgangen, leidenschaftslos sich in dem Ausdruck eines einzigen Dankgefühles sammeln, von Tausenden, die man in der Nacht nicht sieht, deren vereinigte Stimmen aber die Luft mächtiger zur Empfindung bringt, als der Tag die Menge zeigen könnte. Und wie der Gesang verhallte, war manches Auge feucht – die Handgriffe, welche gedankenlos in der kleinen Feldwirthschaft noch zu leisten waren, wurden still verrichtet, es mußte aus dieser ernsten Stimmung sich erst wieder ein Uebergang finden.

Der ließ auch nicht lange warten. –

„Die Wacht am Rhein“! – kaum klang die Melodie aus den ersten Tönen der Musik, die von nun an „Freiconcert“ gab, als Alles einfiel und mit freudigster Kraftanstrengung dem Vaterlande versicherte, was überdies in den letzten vier Wochen mit einer an Einstimmigkeit grenzenden Majorität allerorten schon behauptet worden war, daß es nämlich ganz ruhig sein könne.

Ich fand dagegen auch nicht das Geringste einzuwenden, denn die Leute, die dies in allen Stimmlagen aussprachen waren die preußischen Garden, und die hatten Tags vorher bewiesen, daß die nächstliegenden Geschäfte des Vaterlandes keine promptere Erledigung finden könnten, als durch sie. Aber ich freute mich doch darüber, und herzhaft mitsingend – wenn ich das singen nennen darf – zog ich mit meinen Leuten, die ich hinter dem Dorfe wieder traf, weiter.

„Gute Nacht, Garden!“

„Gute Nacht, Sachsen – auf Wiedersehen – wie gestern!“

Ein herrlicher Marsch. Das ganze Gelände vor uns strahlte von tausend und abertausend Feuern wieder. Von allen Seiten Musik und Gesang, hier von dem Lagerfeuer am Wege ein übermüthiger Gassenhauer, dazwischen durch von fernher abgerissen der Choral eines Regimentes, das eben erst die Gewehre zusammengestellt hatte.

Als wir an unsern Lagerplatz kamen und unsere Wirthschaft einrichten konnten, war es ziemlich spät geworden. Von dem mitgetriebenen Vieh wurde geschlachtet, was nöthig war, die Ochsen zerlegt und compagnieweise vertheilt und immer weiter zergliedert, bis jeder Einzelne sein Stück, warm, wie’s von der Kuh kommt, unter den Säbel nehmen konnte, um ihm die Gare zu erleichtern. Den Erfolg dieser Bemühungen konnte ich nun selbst probiren – ich will gerade kein großes Rühmen davon machen. Es war gut, daß wir mit den Kinnladen den Tag über wenig zu thun gehabt hatten, denn es hieß die Zähne verzweifelt hoch heben. Aber es ging und gute Laune war ein vortreffliches Gewürz. Der Sergeant hatte mit Hülfe einiger zusammengelesenen Franzosensättel einen kunstreichen Divan bauen lassen, der mir auf das Freundlichste angeboten wurde. Und so lagen wir fröhlich und guter Dinge um das Feuer, und ließen uns schmecken, was es gab. Für Alle dasselbe Gericht der Speisekarte; nur Zweien hatte das Schicksal den Griff in eine glückbringendere Urne gestattet: sie hatten auf dem Wege des Wildfrevels ein Kaninchen erbeutet, das der Eine – der Rothe genannt – an den Hinterläufen in die Höhe hielt, während der Andere sich bemühte, das Fell herunterzuschälen.

„Wie seid Ihr denn dazu gekommen?“ frug die ganze Gesellschaft wie aus einem Munde.

„Ja, das war zum Todtlachen – der Hase da –“ er nannte das Thier seinem Magen zu Gefallen immer einen Hasen, – „den hat der Rothe heute gefangen, weil er gestern keinen Franzosen kriegen konnte. Er hatte sich partout in den Kopf gesetzt, einen lebendigen Franzosen zu greifen – Wackele nicht so – sonst schneid’ ich mich in die Finger.“

„Lieb’ Vaterland, kannst ruhig sein,
Fest steht und treu die Wacht am Rhein!“

klang es aus der Nachbarschaft herüber.

[646] „Na also, da hörst Du’s!“ sagte der Operateur und dabei trennte er den Kopf so kunstgerecht von dem Rumpfe, daß ihm Niemand die Anerkennung würde schuldig geblieben sein, wenn er darum gefragt hätte.

„Man muß sich nur zu helfen wissen,“ fuhr er fort. „Rother, gieb’s Casserol her!“

Der Rothe, der Alles that, was der Andere sagte, selbst aber kein Wort sprach, reichte ihm einen alten Kesseldeckel den sie jedenfalls überein gekommen waren, Casserol zu nennen, der aber damit gar nichts weiter gemein hatte als den Namen, und nun wurde das Wildpret auf Speck gebettet über das Feuer gesetzt.

„Man muß sich nur zu helfen wissen, sag’ ich. – Als wir heute Nachmittag über die Höhen marschiren, gehen wir Beide durch ein Kartoffelstück – wir hatten noch kein Gemüse im Brodsack – schreit Euch auf einmal der Rothe, der sonst nie das Maul aufthut: ‚Ein Franzose, ein Franzose!‘ und Brodbeutel und Flinte fliegen in die Luft. Ich denke, der Schlag rührt mich, als ich das höre. ‚Wo denn?‘ – ‚Da!‘ und plauz! schmeißt sich der Kerl, so lang, wie er ist, auf den Boden. – ‚Bist Du verrückt?‘ rufe ich. – ‚Ne, ne – mach nur fix, daß wir’n kriegen!‘. Da sprang das Ding da heraus, und nun ging die Hetzjagd an.“

„Am Rhein, am Rhein, am deutschen Rhein,“

sangen sie drüben.

„Nu freilich – und ooch weiter noch,“ rief der Erzähler beistimmend hinüber und legte seinen Braten auf die andere Seite. „Aber wir hätten lange laufen können, wenn nicht vorn aus dem Bataillon ein Paar zugesprungen wären. Da macht der Hase einen Haken und kommt im Chausseegraben wieder auf uns zu, hastu nicht gesehn! Auf einmal ist er fort und unter den Weg in eine Wasserröhre. Wir gleich ’nauf auf die Straße; wer aber auf der anderen Seite nicht herauskam, war hier Lampe. – Wie wir ihn aus der Röhre herausgejagt haben? ‚Rother,‘ sage ich, ‚Du gehst auf die Seite und hältst den Brodbeutel vor’s Loch. Ich werde von der anderen Seite eine blinde Patrone hineinschießen. Das müßte doch mit dem Teufel zugehen, wenn wir den Burschen nicht herausbringen sollten.‘ – Gut – ich schieße. Der Brodbeutel macht einen fürchterlichen Satz auf den Acker und kollert wie besessen hin und her. Ein Glück, daß die Leinwand keine Augen hatte, sonst wären Brodsack und Lampe zum Geier. So aber hatte der Rothe Recht, er fing seinen Franzosen lebendig, denn er war richtig in den Sack hineingefahren. Und nun, Bruder, soll er uns gut schmecken.“

Damit stieß er dem Opfer sein Seitengewehr durch das Rückgrat, machte zwei christliche Hälften – mir eine – dir eine – und sah seinen Jagdgenossen, der einen gewaltigen Biß in seinen Antheil that, triumphirend und fragweise an.

„Zu wenig Zwiefeln dran,“ das war das erste Wort, was der zu der ganzen Affaire sagte – es war auch das letzte, was ich von ihm hörte; indessen vermuthe ich, daß er Recht gehabt hat.

Die Anderen aber welche die Geschichte höchlich amüsirte, waren weniger schweigsam, und als wir nach Aufhebung unserer Tafel ein paar Feldkessel mit Wasser gefüllt nochmals an’s Feuer gestellt, und den gesammten Rum- und Cognacvorrath, über den wir verfügen konnten, zusammengelegt hatten, war die Aussicht auf einen steifen Grog in der kühlen Nacht höchst behaglich. Es handelte sich nur noch um den Zucker, der vom Marketender geholt werden sollte.

„Der Marketender! Ach du lieber Gott!“ hieß es, denn da der Marketender in solchen Fällen das einzige Auskunftsmittel ist, so steht man der Zukunft mit einer gewissen Bangigkeit entgegen. Denn obwohl der Marketender im Bivouac die Höhe seiner Werthschätzung erklimmen kann, wenn er nur einigermaßen im Stande ist, den mäßigen Ansprüchen seiner Truppe zu genügen, so ist dies in der Regel nur sehr beschränkt der Fall. Einmal verstehen die Leute von ihrem Geschäft selten mehr, als das Geldnehmen; dann aber ist es in einem Landstriche, der schon ausgesogen und von seinen Bewohnern zum größten Theile verlassen ist, auch für denjenigen schwierig, das Erforderliche und Gewünschte zu beschaffen, der sonst die Bezugsquellen kennt und sich mit der Bevölkerung verständigen kann; um wie viel mehr für Menschen, die von der fremden Sprache nicht einmal so viel Begriffe haben, um die Ortsnamen verständlich aussprechen zu können.

Ich hatte auf meinem Wege wenige Tage vorher selbst einen solchen Cumpan getroffen, der – es dämmerte bereits – den ganzen Nachmittag in der Irre umhergefahren, und anstatt Pont à Mousson zuzufahren, wo er Lebensmittel kaufen wollte, direct wieder auf seine Compagnie zusegelte. In seinen Augen war ich ein Engel, als ich ihn deutsch anredete.

„Thun Sie mir den einzigen Gefallen und fahren Sie mit mir,“ sagte er. „Sie wissen gar nicht, wie die Menschen hier sind; es ist immer besser, man ist da zu Zweien,“ und das sprach er so weichmüthig aus, daß ich – zwar mich nicht in den mit Gerümpel aller Art angefüllten und nicht sehr appetitlichen Karren setzte, aber doch die Gesellschaft duldete. Er hatte ein ganz gutes Pferd vor dem Wagen, das er gewiß nicht von Hause aus mitgebracht hatte, und manche Aeußerungen, die er über seine Collegen machte, bestätigten mir die längst gehegte Vermuthung, daß der alte Steinmetz, wenn er, wie erzählt wurde, alle Marketender aus seinem Corps verbannt hat, sich mit dieser Maßregel nicht sehr an der wahren Tugend versündigt haben wird.

„Man darf übrigens nicht glauben,“ sagte der, der das Feuer unterhielt, als gelegentlich der Zuckerfrage die Mängel und Vorzüge der Marketender zur Sprache kamen, „daß unter den Marketendern keine wissenschaftliche Bildung steckt. Die fünfte Compagnie hat einen ausgezeichneten Chemiker zum Marketender, der seinen Rothwein nur aus Essig und Heidelbeeren macht, und Mathematik haben sie Alle studirt.“

„Wenn sie nur Cigarren hätten,“ klagte ein Anderer, und Butter und Brod.“

Das sind allerdings die begehrtesten, weil fast nicht aufzutreibenden Artikel.

Als ich mit dem vorhin schon erwähnten Marketender nach Pont à Mousson kam, beschwor er mich, ihm bei seinen Einkäufen behülflich zu sein. Er wußte sich auf der Gotteserde durchaus keinen Rath. Da es schließlich doch den Soldaten zu Gute kam, ließ ich mich bewegen, mit ihm die Gewölbe der Epiciers, Bäcker- und Fleischerläden, die Brauereien und Weinhandlungen abzusuchen und den Dolmetscher zu machen. Kaum daß wir immer am zehnten Orte etwas zu kaufen bekamen. Cigarren gab es gar keine, Butter, Käse, Wurst und dergleichen ebensowenig, Zucker und Schnaps fanden wir ganz zufällig.

In einem Bäckerladen bestellte uns die sehr hübsche Frau für eine Stunde später wieder, es werde eben gebacken. Als wir wieder kamen, standen vor dem Hause eine Menge Wagen, deren Besitzer, fast lauter Marketender, auf die arme Frau einstürmten. Jeder wollte seine Ladung so groß wie möglich, und doch war nicht genug da. „Für die Privatperson ein Brod, für die Marketender je drei, weiter langt es nicht.“ Das wiederholte die übrigens sehr resolute Dame immer und immer wieder, aber Niemand verstand sie. Alle hielten ihr Geld entgegen, – so viel sie wollte, hätte die Frau nehmen können, – man drängte, schrie, ereiferte sich; erst als ich den Leuten auseinandersetzte, daß für heute der ganze Vorrath eben zur Vertheilung käme, besänftigten sich die Gemüther und ergaben sich in das Unvermeidliche. Für meine Intervention erhielt ich acht große Brode, ein Erfolg, der meinen Begleiter fast zur Kniebeugung veranlaßt hätte.

„Daran hat er netto zwanzig Thaler verdient,“ rechnete die Gesellschaft nach, der ich die Geschichte erzählte. „Wir werden für unsern Zucker auch wieder ein Heidengeld geben müssen.“

„Schadet nichts, wenn er nur überhaupt welchen bringt.“

Das geschah denn, und als das duftende heiße Getränk Jedem zurecht gemacht war, hatte man sich bereits mit allen Marketendern der Welt wieder versöhnt.

Die allgemeinste Unterhaltung war bald in Fluß. Jeder erzählte, dazwischen sang man einmal wieder mit in die Musik hinein, die noch eine Zeitlang in edler Selbstverleugnung spielte. Geschichten aus der Schulzeit, aus dem Garnisonsleben, aus der Heimath, – heitere Erinnerungen, die nur vorübergehend durch Rückblicke auf die letztvergangenen Tage wehmüthig angehaucht wurden, wenn der Name eines abwesenden Cameraden, der sich hineinverflocht, Fragen nach seinem Schicksal oder Worte trauernden Nachrufes hervorrief. Es war so viel von Schlacht und Tod erlebt worden, daß Jeder mit Lust nach den friedlichen Bildern griff, die das Gedächtniß früherer Zeiten gab. Ewigkeiten schienen zwischen damals und heute zu liegen.

„In Chemnitz hatte ich einmal, als ich einberufen war, den Zug verpaßt –“ fing Einer seine Geschichte an.

[647] „Das war vor drei Wochen, und da spricht der von ‚hatte ich einmal‘“ – unterbrach ihn der Feldwebel.

Vor drei Wochen noch mitten in Deutschland, hundert Meilen von hier – heute im Herzen Frankreichs, seine Armee, die sich rühmte, die erste der Welt zu sein, unaufhörlich zurückgedrängt und geschlagen in Zeiträumen, die für das bloße Marschiren zu kurz erschienen! Ein stolzes Gefühl, das Alle durchzog! „Deutschland soll leben!“ Darauf wurde mit französischen Gläsern angestoßen, die sich zufällig irgendwo gefunden hatten.

Das Feuer wurde frisch angeschürt, ein paar alte Radspeichen, die letzten von dem Karren, den wir mit unseren Nachbarn getheilt, darauf geworfen und mitgesungen in den vollen Chorus.

Nach und nach aber wurde es stiller. Einer nach dem Andern machte sich sein Lager. Wir hüllten uns in unsere Decken und Mäntel und streckten uns lang aus. Die Gespräche zwischen Zweien wurden leiser geführt. Von fernher konnte man noch den Gesang einzelner Gruppen unterscheiden, die länger munter blieben. Das Feuer brannte langsam in sich zusammen, und Ruhe und Schweigen senkten sich herab vom Himmel, an dem einzelne Wolken nach der Heimath zogen.