Ein neuer Tempel des Frohsinns

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Titel: Ein neuer Tempel des Frohsinns
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aus: Die Gartenlaube, Heft 52, S. 820–822
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Das Wallner-Theater in Berlin
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Ein neuer Tempel des Frohsinns.

Wer Berlin kennt, ja, möchten wir behaupten, wer nur ein Mal ein paar Tage in Berlin gewesen ist, kennt auch das Wallnertheater, wie er die Linden und das Brandenburger Thor, Kroll und Kranzler, Gardelieutenants und Schutzmänner, Papa Wrangel und die Rinnsteine kennt. Das Wallnertheater ist jetzt eine Merkwürdigkeit der preußischen Residenz, die Bädeker und andere rothe Eckarte der Reisenden mit dem obligaten Doppelstern decoriren.

Im Jahre 1857 war es, als Franz Wallner, der beliebte Schauspieler, an dessen Darstellung gemüthlich-österreichischer Rollen sich sicher so mancher unserer Leser ergötzt hat, nach Berlin kam, um hier sich als Theaterprincipal zu etabliren. Damals hatte noch [821] der bekannte Director Rudolph Cerf die Concession zu einem Theater inne und seine Breter in der Blumenstraße aufgeschlagen. Diese Gasse mit dem poetischen Namen lag in jenen Tagen so ziemlich am Ende der Berliner Civilisation und die Cerf’sche Bühne in ihrer selten gestörten Einsamkeit so gut wie im Sterben. Es war darum wohl ein Wagestück, daß Wallner die Concession zu diesem hinsiechenden Theater von ihrem Eigenthümer pachtweise übernahm und in dem kleinen ärmlichen Hause seine Wirksamkeit als Berliner Theaterdirector begann. Aber er ging mit frischem Muthe und der ihn kennzeichnenden Thatkraft an das problematische Werk, – und es gelang über alle, jedenfalls auch weit über Wallner’s eigene Erwartungen, wenn schon im Anfange, trotz der Anerkennung, welche die Presse spendete, die bessere Berliner Gesellschaft sich nur mit Mühe zu einem Besuche des in den öden Gebreiten des Ostens gelegenen Musentempels überreden ließ. Mehr und mehr aber wird es in der Stadt bekannt, welche Genüsse das dürftige Haus zu bieten hatte, welches reiche interessante Repertoire, was für ein exactes Zusammenspiel des trefflichen Personals, welche vorzüglichen Kunstleistungen, und so krönte schließlich der günstigste Erfolg die von Wallner gemachten Anstrengungen, dem Publicum zu genügen, so daß er sich schon im nächsten Jahre in den Stand gesetzt sah, auf einem daneben liegenden Grundstücke, dem Bouchee’schen Garten, ein Sommertheater in großem Maßstabe errichten zu lassen.

Das neue Wallnertheater in Berlin.

Bald war das Haus zu klein für die Schaulustigen. Es mußte ausgebaut und erweitert werden; doch in kurzer Zeit genügte auch dies nicht mehr dem Bedürfniß des täglich wachsenden Publicums. Der Besuch des Wallnertheaters gehörte zum guten Ton; die feine Welt, die Fremden strömten täglich massenhafter nach der ehedem gemiedenen Blumenstraße; deshalb trug sich der glückliche Unternehmer der in Mode gekommenen Bühne mit dem Gedanken, seiner Wirksamkeit eine völlig neue, den Ansprüchen der Zeit entsprechende räumige und elegante Stätte zu bereiten, nachdem er die seither nur erpachtete Concession, welche Cerf mit Gründung des Victoriatheaters zurückgezogen, inzwischen für den Stadttheil seiner Thätigkeit auf seinen eigenen Namen zu erlangen gewußt hatte. Es sollte dieses neue Theater ein der schönen Residenz in jeder Weise, durch künstlerische Vollendung und Erfüllung aller Anforderungen auch der Technik, ebenbürtiges und würdiges Bauwerk werden, und Baumeister Titz, der sich bereits durch Erbauung von dreizehn Schauspielhäusern als ein Meister seines Faches bewährt, wurde mit der Leitung des Neubaues beauftragt. Die demselben gestellte Ausgabe lautete: ein Sommer- und Wintertheater in einem Raume zu schaffen.

Jetzt steht dies neue Schauspielhaus vollendet da, ein Zeugniß der Genialität des Architekten, wie des Geschmackes seines Besitzers, und unbedingt eines der schönsten, elegantesten und zweckmäßigsten Theater Deutschlands. Eine wahre Wallfahrt zog es in letzter Woche hinaus, als es feierlichst eröffnet wurde. Die Elite der Berliner Gesellschaft, die Majestäten an der Spitze, die Minister, Vater Wrangel, die elegantesten Damen Berlins in zauberhaften Toiletten, die Hauptvertreter der Presse füllten bei der ersten Vorstellung die gasstrahlenden Räume, – man wußte nicht, wohin zunächst die Augen richten, und ein Glück war’s, daß uns Freund Wallner schon vorher überall durch sein prachtvolles Kunsthaus geführt hatte, denn an jenem Abende schwanden die Einzelheiten vor dem feenartigen Ensemble, das unsere Blicke blendete und uns förmlich berauschte.

Schon die Lage des Theaters ist vortrefflich. Was früher noch halbe Wüste war, ist jetzt ein schöner Stadttheil geworden, mit eleganten Straßen und bequemen Zugängen. Die durch einen prächtigen Säulenvorbau geschmückte Vorderfaçade des Gebäudes ist [822] einem eigens für das Theater geschaffenen freien Platze zugekehrt, während die Hinterfronten, welche den 1600 Personen umfassenden Zuschauerraum umschließen, durch ihre Hallen und mächtigen Freitreppen mit einem umgebenden hübschen Park in Verbindung stehen. Im Sommer öffnet sich das Auditorium durch hohe Arcaden und Gänge auf diese lieblichen Baumgruppen und Rasenpartien; Kühlung und erfrischende Luft strömen aus ihnen ein, und das Tageslicht dringt in den Zwischenacten hell und freundlich durch die buntgemalten Scheiben, während die Vorstellungen selbst, ebenso wie im Winter, nur bei voller Gasbeleuchtung stattfinden. Für die Abend-Concerte bietet der durch die brillanteste Erleuchtung erhellte, von Springbrunnen, Säulenhallen, Lauben und Statuen phantastisch geschmückte Park den reizendsten Aufenthaltsort.

Jetzt während der Wintermonate ist der Zuschauerraum abgeschlossen von dem Parke. Hier nun hat die Kunst Alles aufgeboten. Säulen und Karyatiden tragen die Balcons, figürlicher und ornamentaler Schmuck, von den ersten Meistern Berlins ausgeführt, ziert die Brüstungen; ein mächtiger, von acht gewaltigen korinthischen Säulen gebildeter Porticus bildet die Oeffnung zur Bühne. Zierliche, vergoldete Säulen, zwischen denen die Brüstung des dritten Ranges, hinter die anderen Ränge zurückspringend, sich befindet, stützen die Decke, die in höchster Entfaltung plastischer und malerischer Kunst, unter anderen durch ein Gemälde von Bega’s Meisterhand, das Ganze würdig schließt. Ein neuerfundener Apparat ruft durch concentrirtes Gas eine fortwährende Luftcirculation hervor und setzt eine vollständig ausreichende Ventilation in’s Werk, während durch Heizung mit erwärmter Luft selbst im strengsten Winter eine stets behagliche Temperatur im Hause erzielt wird.

Für alle Arbeiten waren die tüchtigsten Kräfte gewonnen worden. Hunderte von Händen schafften auf dem Bau selbst oder außerhalb desselben an der Vollendung des Werkes, und nur so ist es erklärlich, wie dieses in der verhältnißmäßig so kurzen Zeit vom 1. Februar bis zum Spätherbst d. J. geschaffen werden konnte. Das sich immer schöner gestaltende, immer mehr fesselnde Berlin, dem Jahr aus Jahr ein größere Fremdenschaaren zustreben, hat im jetzigen Wallnertheater einen neuen Magnet erhalten, der, wie wir den Mann kennen, der ihn schuf, und die Künstler, die er um sich versammelte, sicher lange seine Anziehungskraft auf Nähe und Ferne ausüben wird.