Ein neuer Heiliger
[640] Ein neuer Heiliger. Die vielbesuchte Wallfahrtskirche Vierzehnheiligen im bairischen Oberfranken ist mit einem Franciskanerkloster von etwa sechs Mönchen verbunden. Sie versehen den Gottesdienst und leben, wie alle Franciskaner, in freiwilliger Armuth. Man stelle sich darunter nicht vor, daß die armen Mönche etwa Hunger und Noth leiden. Schon die Erscheinung der wohlgenährten Gestalten bezeugt, daß sie besser für die Küche, als für die Bibliothek Sorge tragen. Ihren leiblichen Bedarf erwerben sie sich durch „Terminiren“, d. h. die Mönche wandern jährlich so und so oft von Ort zu Ort und Haus zu Haus und sammeln Fleisch, Schinken, Wurst, Speck, Eier, Geflügel, Mehl und Getreide, Butter und Käse, Kartoffeln und Flachs gegen ein „Vergelt’s Gott!“ und kleine Heiligenbilder für die Kinder; auch Hopfen und Gerste heimsen die armen Mönche ein und wissen daraus ein fein lieblich Tränklein zu bereiten, genannt „Bock“, das gar trefflich mundet. Einen erheblichen Theil der Einnahmen zur Unterstützung der freiwilligen Armuth schaffen dem Kloster die Opferstöcke, die Meßgelder, das Verleihen von Opferwachs und der Verkauf von geweihten Rosenkränzen und Medaillen. Mit diesen Medaillen nun spielte die Zufallstücke den ehrwürdigen Vätern des Klosters unlängst einen komischen Streich. Bei der behördlichen Revision des Inventars entdeckte man zur nicht geringen Ueberraschung in einer Rolle noch einen Rest Medaillen mit dem leibhaftigen Bildniß des Königs Victor Emanuel mit dem großen Schnauzbart und der italienischen Ueberschrift: Vittore Emanuele auf der einen Seite und Italia unita auf der andern. Diese Medaillen waren in der Fabrik in Augsburg oder Nürnberg verwechselt und statt den italienischen Patrioten den bairischen Franciskanervätern, welche Medaillen mit Heiligenbildern bestellt hatten, geschickt worden, und so wurde Victor Emanuel, damals mit dem Kirchenbanne belegt, von den ehrwürdigen bairischen Franciskanern als geweihter Heiliger, wer weiß in wie vielen Medaillen, verkauft.