Ein kritischer Augenblick
[667] Ein kritischer Augenblick. (Mit Abbildung S. 660). Warum soll nicht auch ein Kriegsbild hier Platz finden, dessen Werth mehr auf seinem künstlerisch glücklichen Gegenstand, als auf dem Erfolgreichen des dargestellten Ereignisses beruht? Uebrigens gewinnt der, wie unser Künstler sich ausdrückt, „für den Schlachtenmaler so dankbare Moment“ durch die Hauptperson gerade jetzt besonderes Interesse, und immerhin kann die Gefahr, in welcher der französische Oberfeldherr damals stand, wenigstens mit Recht ein kritischer Augenblick nicht blos der Schlacht, sondern des ganzen Kriegs genannt werden; denn hätten die Husaren unseres Bildes ihren vornehmen Gegner festpacken können, wer weiß, wie anders dann gar Manches gekommen wäre.
Marschall Bazaine hat in seiner Schrift über den „Feldzug der Rheinarmee vom 12. August bis zum 28. October 1870“ den Vorfall zwar nur kurz, aber doch so erwähnt, daß die wirkliche Bedeutung desselben zwischen den Zeilen zu lesen ist. Er sagt:
„Den 16. August früh trafen die Spitzen der preußischen Colonnen auf die Cavalerie-Division de Forton, die auf das zweite Armeecorps zurückweichen mußte, und nahmen Mars-la-Tour ein. Um halbzehn Uhr war die Schlacht gegen das zweite und sechste Armeecorps aufgenommen. Um diese Zeit hatte die Armee den beabsichtigten Marsch nach Verdun noch nicht angetreten, weil ich erst das Heranrücken des dritten und vierten Armeecorps abwarten wollte und Marschall Leboeuf mich deshalb um Aufschub gebeten hatte. Gegen Mittag trieben die Deutschen so nachdrücklich zum Angriff, daß ich die Garde in’s Gefecht eintreten lassen mußte. Während dieser Bewegung wurde ich in einen Sturmritt braunschweigischer Husaren verwickelt und von meinem Stabe getrennt, der mir mehrere Stunden fehlte.“
Genaueres geben die deutschen Kriegsgeschichtsschreiber. Am klarsten zeigt uns den Gang in der Schlacht bis zu diesem Augenblick A. Niemann in seiner „Militärischen Beschreibung des französischen Feldzugs von 1870 bis 1871.“ Er erzählt den betreffenden Vorgang so:
„Das dritte Armeecorps behauptete sich um Mittag in den errungenen Stellungen von Flavigny und Vionville und wies mit Hülfe von Theilen der sechsten Cavaleridivision, welche um ein Uhr Nachmittags, Flavigny links lassend, in der Richtung gegen die Chaussee attakirte, alle Versuche des Feindes, Vionville wiederzunehmen, erfolgreich zurück. Der französische Divisionsgeneral Bataille ward um halb Eins verwundet, seine Division begann zu weichen, und diese Bewegung zog einen Theil der Division Bergé mit zurück. Um diese Lücke auszufüllen, ließ der Marschall Bazaine vom dritten Lancierregiment und von den Kürassieren der Garde einen Choc gegen die feindliche Infanterie machen. Der Angriff der Lanciers ward abgeschlagen, und auch die Kürassiere, in drei Echelons anstürmend, vermochten die Quarrés nicht zu erschüttern. Eine Schwadron des braunschweigischen Husarenregiments von der Division Rheinbaben gelangte bei [668] der Verfolgung dieser zurückströmenden Cavalerie bis in eine Batterie der Garde, in deren Mitte sich der Marschall selbst befand, so daß derselbe gleich seinem Generalstabe den Degen ziehen und sich in einen Kampf mit der blanken Waffe einlassen mußte.
Das ist der von unserm Künstler dargestellte Augenblick. Wir sehen den Marschall, obwohl mitten im Kampfgewühl, dennoch als Hauptgestalt, um welche der Waffentanz sich dreht, soeben den Säbel ziehen; sein Schimmel ist offenbar bereit, ihn linksum aus der Gefahr zu tragen. Rings um ihn sind von den Männern seines Stabs die Klingen zu seiner Vertheidigung geschwungen, so daß sich ein förmlicher Kranz von Zweikämpfen aus der wilden Masse heraushebt. Links stürmen französische Husaren heran, um sich zu ihrem Feldherrn Bahn zu hauen, der von den Braunschweigern bereits völlig umschwärmt ist. Daß eine französische Batterie in der Nähe gestanden, wo jetzt das Reitergefecht rasch vorüberstürmte, hat der Künstler durch den umgestürzten Protzkasten des Vordergrunds angedeutet. Bazaine selbst ist an der Portraitähnlichkeit sogleich zu erkennen.
Nach Raum und Zeit nicht weit entfernt von diesem Reiterstückchen geschah dann Bredow’s Reiterbrigadesturm, welcher uns zu dem Artikel über den „Trompeter von Mars-la-Tour“ veranlaßte.
Wie viele solcher einzelner Glanzpunkte persönlicher Tapferkeit und Aufopferung dieses Kriegs mögen noch ihrer Verherrlichung harren! Stift und Griffel haben noch unabsehbare Stoffe zu bewältigen.