Ein klerikaler Industrie-Ritter

Textdaten
<<<
Autor: Th. W.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein klerikaler Industrie-Ritter
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 425–427, 438–440
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[425]
Ein klerikaler Industrie-Ritter.

Vor etwa zehn Jahren erschien von der Hand des Professors der Nationalökonomie an der katholischen Universität Löwen, Périn, ein Werk, in welchem dieser Gelehrte die ganze Volkswirthschaftslehre auf katholischen oder vielmehr klerikalen Grundsätzen aufzubauen suchte. Trotz aller Eleganz der Form und Gewandtheit der Darstellung lagen aber die Trugschlüsse, auf welche die ganze Beweisführung beruhte, offen zu Tage; denn der fromme Verfasser kam, von allem Uebrigen abgesehen, durch die Thatsache, daß gerade protestantische Länder den höchsten Grad wirthschaftlicher Blüthe erreicht haben, während Spanien, Italien und die südamerikanischen Staaten doch die sprechendsten Beweise des Gegentheils waren, in nicht geringe Verlegenheit, über die er sich eben nur durch jesuitisch-scholastische, logische Spielereien weghelfen konnte. W. Roscher in Leipzig, der hervorragendste und gelehrteste aller jetzt lebenden National-Oekonomisten, hat seiner Zeit sich der Mühe unterzogen, die Anmaßungen der klerikalen (?) Wissenschaft von diesem Gebiete ein für alle Mal zurückzuweisen und dies in so ernster und nachdrücklicher Weise, daß man seit dieser Zeit auf wissenschaftlichem Gebiet von keinem zweiten derartigen Versuch mehr gehört hat.

Dagegen wurde einige Jahre später in demselben Lande, in Belgien, ein auf großartigem Fuße angelegter Versuch gemacht, diese Grundsätze praktisch zu verwerthen. Das gesammte Capital sollte katholisirt und den Händen der Protestanten und Juden entzogen werden. Das ganze Unternehmen endete mit einer Niederlage, wie die Welt auf finanziellem Gebiete seit dem Zusammenbruche der Law’schen Schwindelgeschäfte keine zweite gesehen; und noch jetzt, da wir diese Zeilen schreiben, ist das Drama, das sich eben vor den belgischen Gerichten abwickelt, nicht zu Ende. Die ganze Begebenheit ist nur eine neue Illustration der alten Jesuitenregel, daß der Zweck die Mittel heiligt, und aus der Darstellung der nun folgenden Thatsachen mag man den Schluß ziehen, welcher Mittel die klerikale Partei, wenn sie die Herrschaft einmal erlangt hat, sich bedienen würde, um diese zu behaupten.

Der Träger der oben genannten Idee der Katholisirung des Capitals ist der in den letzten Jahren vielgenannte, oder besser berüchtigt gewordene, päpstliche Graf Langrand-Dumonceau, vor wenigen Jahren noch der mächtigste und einflußreichste Mann Belgiens, verehrt und beinahe angebetet von den höchsten Ständen und jetzt verflucht vom Volke, vom Bauer und vom Arbeiter, die er um ihren sauren Sparpfennig betrogen.

André Langrand – dies ist sein ursprünglicher Name, Dumonceau ist der Name seiner Frau, den er seinem eigenen noch hinzufügte, um dem gräflichen, ihm vom Papst verliehenen Titel ein würdiges Relief zu geben – ist der Sohn eines armen Krughalters in Vossen, einem Dorfe der Provinz Süd-Brabant. Seine Jugend verfloß unter manchen Entbehrungen, und als ihm seine heimatlichen Verhältnisse zu enge wurden, nahm er Dienst bei der französischen Fremdenlegion in Algier, wo er in einigen Gefechten mit Auszeichnung gefochten haben soll. Nach seiner Rückkehr in’s Vaterland fand er eine Anstellung bei einer Versicherungs-Gesellschaft, wodurch er in vielfache Berührung mit Mercier, dem früheren belgischen Finanzminister, kam, demselben Minister, der zuerst der College des liberalen Ministers Rogier war, um später ein Portefeuille von Deschamps anzunehmen und von einem Liberalen zu einem in der Wolle gefärbten Klerikalen zu werden. In dieser Schule lernte Langrand die Wechselbeziehungen zwischen der Politik und finanziellen Unternehmungen, besonders auch die Kunst, wie man das Geld nicht sparen dürfe, um ein politisches Ziel zu erreichen, indem ja, wenn letzteres wirklich der Fall war, das erste zehnfach wieder verdient werden könne. Als selbstständiger Geschäftsmann debutirte er bald darauf mit der Errichtung einer Lebens-Versicherungs-Gesellschaft; das Capital der Unternehmung war bescheiden, der Prospect sowie die Geschäftsführung waren ehrlich und der Gewinn ein mäßiger.

Bald darauf trat er mit großartigeren Plänen vor die Oeffentlichkeit. In kurzer Aufeinanderfolge errichtete er drei Gesellschaften: „Les rentiers réunis“ mit einem Capital von fünfhunderttausend Franken, die „Royale belge“ mit drei Millionen Franken und „Nederland“ in Amsterdam mit einer Million Gulden, lauter Lebens-Versicherungs-Gesellschaften, an deren Spitze jedesmal Langrand selbst stand. An und für sich waren diese Unternehmungen nicht unsolid, es war dies auch der Grund, weshalb sie nur mäßige Dividenden abwarfen.

Nun begannen ihm aber die Grenzen seines Vaterlandes zu enge zu werden. Er richtete seine Blicke auf Oesterreich und die Niederlande. Im Jahr 1859 gründete er in Wien mit einem Actiencapital von zwanzig Millionen Gulden die „Vindobona“, eine Hypotheken-Versicherungsbank, und bald darauf, im Jahr 1861 in Amsterdam die „Nederlandsche Hypotheekbank“, ebenfalls mit einem Capitale von zwanzig Millionen Gulden; beide Banken hatten zunächst den Zweck, die Zinsbezahlung und die regelmäßige Ablösung der Hypotheken zu versichern. Von diesem an und für sich ganz soliden Geschäft, das viele Bankinstitute in Deutschland mit großem Gewinn betreiben, zum Kauf und Verkauf von Hypotheken selbst war dann freilich nur noch ein Schritt. Langrand [426] machte ihn in der That und damit hatte er sich auf die abschüssige Bahn seiner kolossalen Schwindeleien begeben. Die verschiedensten und einander widersprechendsten Unternehmungen wurden durcheinander geworfen; der Gewinn der einen mußte den Verlust der andern decken und das Ganze artete schließlich in eine kolossale Wechselreiterei aus, die sich von diesem ehrsamen Handwerk nur dadurch unterschied, daß Langrand die trügerischen Anlehen bei seinen eigenen Geschäften machte, während sonst die beschränkteren Mittel eines gewöhnlichen Wechselreiters heute diesen, morgen einen andern beliebigen Geschäftsmann zum Opfer ausersehen.

Er wußte dies vortrefflich anzugreifen. Im Jahre 1859 errichtete er in Brüssel eine „Allgemeine Versicherungsgesellschaft“ mit einem Capital von zwanzig Millionen Franken, die nur den Zweck hatte, die Actien der früher von Langrand errichteten Gesellschaften zu kaufen und zu verkaufen, und auf diese Weise den Börsencours dieser Papiere nach Willkür regeln zu können.

Bis jetzt waren Langrand und Mercier Hand in Hand gegangen; das Publicum verhielt sich noch ziemlich theilnahmlos, obwohl die gesammte klerikale Presse Belgiens einstimmig für die Langrand’schen Unternehmungen Propaganda machte.

Die cynische und schamlose Weise, mit der Langrand und seine Genossen bei der Errichtung der eben genannten Versicherungsgesellschaft in Brüssel zu Werke gingen, die Unverschämtheit, mit der diese Herren sogleich Hunderttausende in ihre Tasche zu stecken begannen, öffnete doch einigen ehrlichen Actionären die Augen; sie drohten den Unternehmern mit einer Betrugsklage, sofern die Gesellschaft nicht augenblicklich aufgelöst und den Actionären das einbezahlte Geld wieder zurückgegeben würde. Langrand mußte den Raub wohl oder übel herausgeben; da er aber selbst fühlte, daß seine Aussichten für den Augenblick in Belgien vernichtet waren, hielt er es für angezeigt, den Schauplatz seiner Wirksamkeit zu verlegen, natürlich nicht ohne die geheime Hoffnung, später mächtiger und stärker, als zuvor, wieder im eigenen Vaterlande auftreten zu können, eine Hoffnung, die über seine kühnsten Erwartungen hinaus in Erfüllung ging. Den günstigen Operationsboden fand er in Oesterreich, wo er, wie wir sahen, schon eine Gesellschaft, die Vindobona, gegründet hatte.

Die klerikalen Journale in Belgien mußten nach dem italienischen Kriege von 1859 wiederholt und beinahe täglich verkündigen, daß für Oesterreich nunmehr die Zeit der Wiedergeburt angebrochen sei, daß das Geld in diesem Staate buchstäblich auf der Straße liege, daß man es nur aufheben dürfe etc. Man dürfe nur Vortheil von der Lage ziehen, die Bevölkerung sei in der Hand jüdischer und protestantischer Wucherer und werde mit beiden Händen gierig Geld annehmen, bereit, dafür einen Zins zu bezahlen, der in Belgien allerdings ungeheuer hoch, in Oesterreich aber niedrig sei, jedenfalls viel niedriger, als der, welchen sie jetzt an Juden und Protestanten zu bezahlen habe. Deshalb solle man nur getrost das in Belgien im Ueberflusse vorhandene Geld nach Oesterreich senden. Die That folgte denn auch sofort. Langrand errichtete 1860 seine siebente Gesellschaft „Hypothekenbank“ mit einem Capital von zwölf Millionen Franken, wovon übrigens nur eine Million achthunderttausend Franken einbezahlt werden sollten. Der Sitz der Gesellschaft war in Brüssel; ihr Zweck war, in Belgien gegen Pfandbriefe Geld aufzunehmen und dieses in Oesterreich gegen hypothekarische Versicherung wieder auszuleihen. Die Vindobona in Wien mußte für die regelmäßige Bezahlung der Jahresrenten bürgen, was natürlich nur eine Scheinbürgschaft war, während die Pfandbriefe, die in Brüssel verkauft waren, jeder hypothekarischen Sicherheit entbehrten und im Grunde genommen nur Anweisungen auf Langrand waren. Mit der größten Anstrengung war es nur gelungen, für fünfzigtausend Franken von diesen Pfandbriefen in Umlauf zu setzen. Das Geschäft schien zu stocken. Mercier trat als rettender Deus ex machina auf. Es kam vor Allem darauf an, die Gesellschaft für sich zu gewinnen, um vermittelst ihres Einflusses den Pfandbriefen beim Landvolke Eingang und Absatz zu verschaffen. Langrand und Mercier umgaben sich denn auch sofort mit einem glänzenden Stab, gebildet aus den höchsten Spitzen der belgischen katholischen Geistlichkeit; zwei andere klerikale Exminister alliirten sich mit Langrand, nämlich de Dekker und Deschamps; ferner der Graf Duval de Beaulieu, und endlich noch der bekannte Vater des berüchtigten belgischen Klostergesetzes, der Exminister Alphonse Nothomb, und sogar ein activer Staatsminister, der Baron d’Anethau. Mit solchen Bundesgenossen an der Hand konnte es natürlich nicht mehr fehlen, de Dekker war der Bruder eines hohen Geistlichen, Deschamps der Bruder des Erzbischofs von Mecheln und die genannten Namen überhaupt bildeten damals, wie noch heute, als die Häupter der klerikalen Partei, einen besondern Staat im belgischen Staate. Die niedere Geistlichkeit bekam natürlich ihre Ordres und trotz des canonischen Verbotes clericum non decet negotiari (ein Geistlicher soll kein Geschäftsmann sein) konnte man bald das pikante Schauspiel sehen, wie Landpfarrer und Vicare, natürlich gegen gute Provision, Pfandbriefsmäkler wurden und den Sparpfennig des Bauers und Arbeiters den Langrand’schen Unternehmungen zuführten!

Langrand operirte indessen in Wien unverdrossen weiter und es war daselbst der hohe und in seinen Vermögensverhältnissen manchmal etwas zerrüttete Adel, auf den er es abgesehen hatte. Langrand kannte seine Leute hier ganz gut. Vom Jahre 1854 an hatte sich der österreichische Adel an der wildesten Specutation betheiligt. Zur Gründung der Wiener Creditanstalt, des bekannten Abbildes des Pariser Crédit mobilier gaben hochadelige Personen Namen und Capital her, und es war gewiß ein erhebender Gedanke, wenn die Vertreter des höchsten Adels mit den Söhnen Abraham’s friedlich im Verwaltungsausschuß am Tische saßen und verkehrten. Die adeligen Casino’s waren in den Jahren 1854, 1855 und 1856 die Orte, an denen der wildeste Actienhandel betrieben wurde; man betrachtete damals in jenen Kreisen das Speculationsgeschäft gleichsam als Sport. Bald verkündigten denn auch die klerikalen Journale Belgiens, daß Langrand der Hausfreund österreichischer Erzherzöge sei, daß er mit den Esterhazy, Liechtenstein, Thurn und Taxis auf vertrautem Fuße lebe, ja daß der Kaiser von Oesterreich selbst schlechterdings keinen Tag vorbeigehen lassen könne, ohne mit Langrand verkehrt zu haben! Allerdings, er lebte hier auf fürstlichem Fuße, warf das Geld geradezu weg, gab königliche Trinkgelder, die er natürlich seinen verschiedenen Gesellschaften als Spesen und Unkosten aufrechnete, ohne übrigens in die lächerlichen und prahlenden Parvenumanieren zu verfallen. Allein alles dies zog noch lange nicht genug, das Geld wollte aus Belgien, trotz aller klerikalen Anstrengungen, nicht fließen, und so griff man einfach zum gemeinen Betrug, indem man fingirte Dividenden austheilte, die man – dem Gesellschaftscapitale entnahm! Es wurde nachher bewiesen, daß diese Unternehmung, selbst wenn keine Betrügereien stattgefunden hätten, an sich schon ein todtes Kind war.

Langrand war jedoch der Mann, der die Hülfe, die ihm von der klerikalen Partei zu Theil wurde, noch weiter zu verwerthen trachtete; es schien ihm jetzt die Zeit gekommen, in der er seinen Lieblingsplan, das Capital zu katholisiren, das heißt das Capital der gesammten katholischen Welt in seine Hände zu bekommen, verwirklichen konnte. Die Gelegenheit dazu bot sich sehr bald.

Auf dem katholischen Congreß in Mecheln im Jahre 1863 (21. August) – in Belgien ist der katholische Congreß eine nicht zu verachtende Macht, in Deutschland beantwortet man bekanntlich die Beschlüsse der katholischen Vereine mit dem verdienten Spotte – trat einer seiner Agenten, ein gewisser de Hauteville, als Redner auf, der den versammelten Bischöfen Belgiens die Nothwendigkeit der Verchristlichung des Capitals auseinandersetzte. Es müsse die traurige Thatsache constatirt werden, sagte dieser Redner unter Anderm, daß die Katholiken, obwohl die bedeutende Mehrzahl bei jeder Bevölkerung bildend, doch nicht die Macht und den Einfluß ausübten, welche ihnen vermöge ihres reichen Capitalbesitzes zukomme. Juden und Protestanten seien die Gebieter über das Capital, und wollte man die Statistik befragen, so werde man finden, daß die Besitzer und Directoren aller größeren Geldinstitute Juden und Protestanten seien, von denen natürlich für die Kirche und für kirchliche Institutionen, wie Klöster etc., nicht das Mindeste zu erwarten sei. Schmachte doch sogar der heilige Vater in den Händen jüdischer Banquiers, und nur diesem Umstande sei es zuzuschreiben, daß in Rom die Gegenwart von Juden überhaupt geduldet werde. Dies müsse von nun an anders werden, die Kirche müsse man aus den schmachvollen Fesseln befreien; das Mittel dazu sei die Bildung einer großen katholischen Gesellschaft mit einem bedeutenden Capital; so könne man die jüdische und protestantische Concurrenz vernichten, und die Kirche, die, obwohl in erster Linie für das Heil der Seelen [427] bedacht, für das Zeitliche auch nicht gleichgültig sei, werde so, mit den nöthigen Mitteln ausgestattet, bald wieder den ihr gebührenden Rang einnehmen. Die Verhandlungen dieses Congresses in Mecheln waren natürlich geheim und für Nichtkatholiken oder Liberale streng verschlossen, und als damals die liberale Presse einige Andeutungen über das Vorgefallene gab, leugneten die klerikalen Journale, ihrer gewohnten Kriegskunst folgend, die Sache geradezu als eine vom Liberalismus ersonnene Lüge weg. Das ministerielle Echo du parlament in Brüssel veröffentlichte aber vor einigen Wochen alle Actenstücke jenes Mechelner Congresses, aus denen klar hervorging, wie gegründet die damals nur leise Vermuthung der Liberalen gewesen war. Es ist ferner Thatsache, daß alle Bischöfe dem Plane bereitwilligst zustimmten; bald darauf wurde eine Eingabe an den Papst entworfen, in der der heilige Vater um seinen Segen und um die Ernennung Langrand’s zum Vorstande des Unternehmens gebeten wurde. Die päpstliche Antwort traf denn auch rasch genug ein; schmunzelnd gab Seine Heiligkeit den Segen, Langrand wurde vom Papste zum Chef der Unternehmung, welche das Capital christianisiren sollte, und zugleich zum päpstlichen Hausgrafen und Kämmerer ernannt, nachdem schon vorher verschiedene Potentaten seine Brust mit Orden geschmückt hatten. Am 12. April 1864 war die Eingabe an den heiligen Vater abgesandt worden, und schon am 21. April, also mit einer in Rom sonst gar nicht gebräuchlichen Schnelligkeit und Eile, war die päpstliche Antwort in Brüssel.

Aber nicht einmal die Antwort wurde von Langrand abgewartet; denn schon am 12. April, also am Tage, an welchem das Schreiben nach Rom abging, gründete er mit Hülfe der Herren de Dekker, d’Anethan, Graf de Liedekerke, Beauffort und Anderer die „Banque de crédit foncier industriel“ mit dem Sitz in Brüssel und einem Capital von fünfzig Millionen Franken. Diesmal war Ungarn der Schauplatz, der ausgebeutet werden sollte; mit belgischem Gelde sollte in Ungarn Grund und Boden massenhaft gekauft, derselbe wieder in einzelnen und kleineren Stücken verkauft werden. Die Betrügereien, die dabei verübt wurden, grenzen geradezu an’s Fabelhafte. Aus dem Processe, der sich in den letzten Wochen abspielte, ging hervor, daß Langrand’s Agenten, die den Grund kauften, der Gesellschaft oft den vier- und fünffachen Preis anrechneten und den Ueberschuß mit Langrand theilten; zugleich wurde der Werth dieser Güter in den Büchern auf unnatürliche Weise erhöht, zu keinem andern Zwecke, als um die hohen Dividenden erklärlich finden zu lassen, die man auch hier einfach dem Capitale entnahm. Langrand besoldete ein ganzes Heer von Agioteurs, die den Cours der Bankactien künstlich in die Höhe treiben mußten, und hochstehende Herren mit hochadeligen Namen schämten sich nicht, von Langrand Trinkgelder anzunehmen! Selbst der päpstliche Nuntius in Brüssel, Msgr. Cattani, bekam hunderttausend Franken, eine Thatsache, die den klerikalen Journalen sehr viel zu schaffen machte und die trotz aller Ableugnung nicht umgestoßen werden konnte. Langrand, der päpstliche Graf, sollte aber später noch andere Gelegenheit finden, der Curie für ihre Dienstwilligkeit und für seine Rangerhöhung seinen Dank auf sehr reelle Weise auszudrücken; denn es wäre doch mehr als ein Wunder gewesen, wenn der allzeit Geld bedürftige heilige Stuhl die Gelegenheit nicht beim Schopf ergriffen hätte, einem so erklärten Finanzgenie, wie Langrand, die ehrenvolle Aufgabe zuzuweisen, das Danaidenfaß seiner Finanzen zu füllen.

Wie sich leicht denken läßt, entstanden in den Cassen der einzelnen Geschäfte Langrand’s große Lücken, die sofort gedeckt werden mußten. Er half sich, indem er zufälligen Geldvorrath eines Geschäfts nahm und ihn dem andern übertrug, d. h. mit anderen Worten, indem er ein Loch grub, um ein anderes zu füllen. War kein Geld vorhanden, um den Actionären einer Unternehmung Zinsen und die versprochenen Dividenden zu bezahlen, so war Langrand nicht verlegen: er gründete sofort eine neue Unternehmung und befriedigte von dem Gelde, welches die neuen Actionäre einbezahlt hatten, die alten, für welche pfiffige Operation Langrand einen eigenen Namen erfunden hatte, indem er sie „die Solidarität seiner Unternehmungen“ nannte.

Um das Princip dieser Solidarität im großartigsten Maßstabe durchführen zu können, gründete Langrand den „International“ mit dem bescheidenen Capital von 200,000,000 Franken! Derselbe hatte denselben Zweck, wie der „Industriel“, nur sollte er die Operation des letztern „über die ganze Welt“ verbreiten, zu welchem Zweck der International eigentlich den großen Centralcanal bilden sollte, aus welchem die kleineren Unternehmungen gespeist würden. Jedoch nach dem Princip der Solidarität verschlang der International sofort nach seiner Gründung das ganze Capital des Industriel!

Die Hauptschwierigkeit bildete nun aber natürlich die Unterbringung der Actien des „International“. Mit gewöhnlichen Mitteln dies zu bewerkstelligen, war eine baare Unmöglichkeit, was Langrand selbst recht gut wußte. Die Geldverlegenheit des heiligen Stuhles rettete ihn diesmal aus der Verlegenheit. Ein päpstliches Anlehen wurde von Langrand denn auch ausgeschrieben und jeder, der eine päpstliche Obligation al pari nahm, bekam gratis als Prämie eine Actie des „International“! Nun stand der Cours der päpstlichen Schuld damals auf fünfundsiebenzig Procent, für das Uebrige bekamen die Gläubiger eine Hypothek auf das Paradies oder, wenn man lieber will, ein „Fegefeuerbefreiungscertificat“. Wie man sieht, lag wirklich Methode und Plan in dieser Katholisirung des Capitals. Es sollte aber noch besser kommen.

[438] Indessen begannen die Verwaltungsräthe der früher von ihm gegründeten „Hypothekenbank“ über die Verantwortlichkeit, die von Tag zu Tag größer wurde, doch etwas unruhig zu werden; denn für 21,000,000 Francs waren schon Pfandbriefe ausgegeben und die Zinsen und Dividenden bestanden nur in den gefälschten Bilanzen. Solche Kleinigkeiten störten jedoch Langrand nicht, mit einem Schlag verlegte er den Hauptsitz des „International“ nach London, ließ denselben als limited, d. h. mit beschränkter Haftbarkeit der Actionaire, registriren, und die Passiva der „Hypothekenbank“ gingen einfach auf die Passiva des „International“ über! Es [439] würde zu weit führen, diese Umwandlung im Einzelnen zu schildern, sie endete damit, daß Langrand und seine Spießgesellen die noch vorhandenen Activen einfach unter sich vertheilten; Alphonse Nothomb bekam 500,000 Francs; dem Herrn de Dekker, dessen Gerechtigkeitsgefühl sich denn doch etwas zu regen begann, wurde mit 460,000 Francs der Mund gestopft; Langrand selbst steckte eine ganze Million in seine Tasche, und Mercier, sein langjähriger Pylades, gab sich mit 960,000 Francs zufrieden, während der fromme Deschamps 630,000 und Duval de Beaulieu 960,000 Francs erhielt! Um aber diese eigenthümliche Fingerfertigkeit zu verheimlichen, hatte Langrand in dem Contract, durch welchen der „International“ die „Hypothekenbank“ in sich aufnahm, die pfiffige Bestimmung getroffen, daß der „International“ alle Pfandbriefe der „Hypothekenbank“ einziehen und seine eigenen dafür ausgeben solle, wodurch dem Princip der „Solidarität“ gemäß eine Vereinigung der beiden Gesellschaften bewerkstelligt wurde, die jede Untersuchung nach den früheren Activ- und Passivverhältnissen der „Hypothekenbank“ unmöglich machte.

Um sich nun der noch nicht abgesetzten Actien des „International“ zu entledigen und um zugleich den Cours derselben in die Höhe zu treiben, wurde in den Zeitungen bekannt gemacht, daß das ganze Capital des „International“ voll gezeichnet und auch voll einbezahlt sei. Das Mittel wirkte ausgezeichnet und jede Actie genoß auf diese Weise eine Prämie von fünfzig Francs, und mit einer Frechheit sonder Gleichen enthielten die Actien die ausdrückliche, von Langrand, Mercier und Nothomb unterzeichnete Bemerkung, daß das ganze Capital vollständig einbezahlt sei. Drei Jahre zuvor wurde in Brüssel ein Banquier Demoors, der das Publicum mit derselben Lüge getäuscht hatte, zu Zwangsarbeit verurtheilt! Ohne den Beistand der klerikalen Presse, deren Spalten in allen möglichen Variationen das Lob des „braven, katholischen Bürgers“ Langrand sangen, wären diese Betrügereien und ihre jahrelange Fortsetzung nicht möglich gewesen. Einzelne klerikale Journale erhielten in jener Zeit 80,000 Francs jährliche Subvention aus der Börse Langrand’s.

Allmählich jedoch begann die öffentliche Meinung zu erwachen.

In dem Journal „Echo du Parlament“ erschien aus der Feder eines gewissen Sir John Patrick O’Neil – die öffentliche Stimme bezeichnete Niemand anders als Frère-Orban selbst als den Verfasser – eine Reihe Briefe, in denen der ganze Betrug Langrand’s und der klerikalen Partei mit unerbittlicher Logik an’s Licht gezogen wurde. Damit war die Brandfackel geworfen, die nunmehr den Streit zwischen der liberalen und klerikalen Partei zu einem geradezu unversöhnlichen machte. Das klerikale Lager lag noch anbetend vor Langrand im Stande, und mit wahrer Berserkerwuth wies sie die ruhigen Angriffe auf die Unternehmungen Langrand’s zurück, alles dem Parteihaß, dem Neid und der Agiotage in die Schuhe schiebend. Es half aber nichts – die Augen des Publicums waren aufgegangen und von diesem Augenblick an verlor Langrand geradezu die Besinnung. Er entwickelte von jetzt an eine geradezu fieberhafte Thätigkeit in der Gründung neuer Unternehmungen, er kauft in Paris die Magasins réunis, in Toulouse erwirbt er, vom „Haußmannsfieber“ angesteckt, einen ganzen Theil der Stadt, tritt mit der italienischen Regierung wegen des Ankaufs der geistlichen Güter in Unterhandlung, kauft in Spanien ungeheure Ländereien, bewirbt sich bei der türkischen Regierung um die Erlaubniß, die rumänischen Eisenbahnen bauen zu dürfen, für die er ein Capital von 800,000,000 Francs nöthig hat, und deren in Aussicht stehende Gewinnste er sofort discontirt, bis die türkische Regierung den betrogenen Actionären einfach erklärt, daß sie eine Concession weder gegeben habe, noch auch jemals geben werde! Das einzige gute Geschäft, das ihm in jener Zeit gelang, war der Erwerb der Concession zum Bau der Linie Kaschau-Oderberg; aber in steter Geldverlegenheit muß er sie zu niedrigem Preis der „Englisch-österreichischen Bank“ überlassen, die im Handumdrehen dreizehn Millionen damit gewinnt, während Langrand von seinen Actionären Geld über Geld fordert, nachdem er sich doch mit seinem Ehrenwort verpflichtet hatte, keine weiteren Einzahlungen zu verlangen. Plötzlich liest man in den Journalen, daß Langrand mit Hülfe deutscher Prinzen und gekrönter Häupter eine neue Bank errichten wird, und in London sieht am 24. Juni 1865 die „Société générale pour favoriser le crédit foncier“ das Tageslicht. Das Actien-Capital beträgt hundertfünfundzwanzig Millionen; fünfundsiebenzig Millionen werden in der That gezeichnet, aber nur die Hälfte davon einbezahlt; die bedeutendsten Theilhaber dieser neuen Bank waren der „Industriel“, der „International“ und der Fürst von Thurn und Taxis; die beiden ersteren bezahlten die Actien der neuen Unternehmung mit ihren eigenen Actien, die sie natürlich ungeheuer hoch anrechneten und in Folge dessen sie einen fictiven Gewinn von vierzehn Millionen buchen konnten. Als diese neue Betrügerei an’s Tageslicht gezogen wurde, hielt es der Kaiser von Oesterreich, als der Vormund des Fürsten von Thurn und Taxis, für seine Pflicht, von Langrand die zwölf und eine halbe Millionen, die der Fürst einbezahlt hatte, zurückzuverlangen; Langrand weigerte sich im Anfange, unterzeichnete aber schließlich eine Urkunde, nach welcher die neue Gesellschaft sich verpflichtete, den vom Fürsten gezeichneten Betrag al pari zurückzunehmen. Die Geldsumme wurde durch Wechsel bezahlt, die durch das Haus Erlanger in Paris indossirt waren; Langrand war schließlich nicht im Stande, die Wechsel zu bezahlen, und der Proceß darüber schwebt noch heute.

Bald darauf trat ein anderes phantastisches Project, eine „banque internationale de crédit agricole“, zu Tage; das Actiencapital war auf hundert Millionen bestimmt; nur zwei wurden aber einbezahlt; diese sind jedoch geradezu spurlos verschwunden, wie man sagt, fanden sie ihren Weg in die Palais verschiedener Bischöfe und anderer hochgestellten Personen!

Im November 1865 wurde in Amsterdam die „Société neerlandaise de crédit foncier“ mit einem Capital von zehn Millionen gegründet; das Geld gab die „Gesellschaft deutscher Prinzen und gekrönter Häupter“ dazu her.

Das Ende dieser Schwindeleien ließ sich voraussehen. Als man schließlich nicht mehr bezahlen konnte, als man Langrand’sche Actien an der Börse für eine Cigarre kaufen konnte und man schließlich selbst für die Uebernahme der noch nicht voll einbezahlten Actien Geld bot, um sich los zu machen, als die Verwaltungsräthe einander in den General-Versammlungen Diebe und Betrüger nannten, als die liberale Presse beinahe jeden Tag neue Betrügereien an’s Licht zog, und als endlich sogar die klerikale Presse ihren Schützling fallen ließ, weil die Subventionen aufhörten und Langrand die unverzeihliche Unvorsichtigkeit begangen hatte, sogar mit dem „Banditen-König“ Victor Emanuel Geschäfte machen zu wollen: da hielt der „Napoleon der Finanzen“, wie er sich selbst mit Vorliebe nannte, die Zeit für gekommen, das Schlachtfeld zu räumen und – nach Amerika zu gehen. Würde er aber heute wieder den Fuß auf belgischen Boden setzen, das erbitterte Volk würde der Justiz alle weitere Mühe sparen und den Betrüger steinigen! –

Man wird versucht sein, zu fragen, wie es nur menschenmöglich war, daß solche notorische Betrügereien so lange fortgesetzt werden konnten, ohne die Dazwischenkunft der Gerichte hervorzurufen. Die einfache Antwort ist die, daß der Schutz der gesammten klerikalen Partei, der Eigennutz und die Geldgier ihrer Führer, die Langrand trefflich auszubeuten wußte, und endlich – oder vielmehr vor Allem – die Verderbtheit der belgischen Gerichte, in denen das klerikale Element noch lange die Oberhand behalten wird, wenn der Justizminister jetzt nicht die günstige Gelegenheit ergreift, um einen großartigen Säuberungsproceß vorzunehmen, diese in der That einzig dastehenden Ungeheuerlichkeiten möglich machte. Merkwürdigerweise ist erst jetzt, also nach Jahren, die ganze Verwerflichkeit an den Tag gekommen, und die schmutzige Wäsche der Klerikalen, die gerade jetzt vor den Augen des ernüchterten Publicums zur Schau gestellt wird, dient sicher nur dazu, um den Mißcredit, in den sich jene Partei gebracht hat, zu einem vollständigen zu machen.

Wie wir oben sahen, wurde der Angriff gegen die Schwindelgeschäfte Langrand’s durch das „Echo du Parlament“ eröffnet; und kaum war der Anfang gemacht, so wurde das Werk von Anderen mit Eifer fortgesetzt; so brachte auch der damalige Secretär der Handelskammer in Brüssel, Eugen de Molinari, der Bruder des Redacteurs des „Journal des Debats“, die Langrand’schen Finanzoperationen unter das zergliedernde Messer seiner Kritik. Alles dies hätte Langrand aber wenig geschadet, wenn er nicht, wie schon erwähnt, durch seine Unterhandlungen mit der italienischen Regierung wegen des Kirchengütergeschäftes die Gunst eines Theils der klerikalen Presse verscherzt hätte, die von diesem Augenblicke an seine erklärte Feindin wurde; freilich mußte er gerade in dieser Zeit die Bezahlung der enormen Summen, die bis jetzt diesen Journalen zugeflossen waren, des immer fühlbarer werdenden Geldmangels wegen einstellen. Die Opposition gegen ihn nahm allmählich Plan und Methode an, [440] besonders waren es zwei Advocaten in Brüssel, Verhulst und Dumonceau – der letztere war durch Langrand schon vor zwei Jahren total ruinirt worden – die ihm nun auf den Leib rückten. Mit einer unbarmherzigen Offenheit entlarvten sie seine Geschäfte als schwindelhafte Betrügereien und stellten seine klerikalen Bundesgenossen an den Pranger. Da Langrand der allgemeinen Erwartung, er werde gegen das „Echo du Parlament“ und gegen die Herren Verhulst und Dumonceau, die ihn ganz unumwunden einen Betrüger und Dieb, die Herren de Dekker, Mercier und Consorten aber Diebeshehler und Gauner nannten, eine Verleumdungsklage anhängig machen, aus guten Gründen nicht entsprach, so mußte das Publicum allmählich diese Beschuldigungen für gegründet halten und die einfache Folge davon war, daß man sich von dieser Zeit an hütete, noch mehr Geld in sein Danaidenfaß zu schütten. Erbittert darüber maß Langrand seinen Collegen die Schuld bei, und da diese auch keinen Spaß verstanden, so boten die Sitzungen des Verwaltungsrathes die komische Scene dar, daß Langrand und seine Genossen sich die gröbsten Schimpfwörter gegenseitig an den Kopf warfen.

Zu derselben Zeit wurde in Brüssel ein neues Blatt gegründet, „Côte libre“; als Redacteur stand ein junger Ungar, Mandel, an der Spitze. Dasselbe führte sich beim Publicum mit einer Heftigkeit seiner Angriffe gegen Langrand ein, daß man sich staunend fragen mußte, wie es möglich sei, daß die Gerichte hier nicht interveniren; denn entweder waren die Beschuldigungen gegründet, dann gehörte Langrand auf die Anklagebank, oder sie waren ungegründet, dann mußte Mandel wegen der schmählichsten Verleumdungen gestraft werden. Da zu gleicher Zeit die Anhänger Langrand’s das Gerücht verbreiteten, Mandel handle und schreibe im Auftrage einer auf Langrand neidischen und ihm deshalb feindlichen Börsenclique, so betrat Mandel den kürzesten und einfachsten Weg: er verklagte Langrand und seine Genossen wegen Betruges. Wohl oder übel mußte das Parket von Brüssel die Klage annehmen, aber sonderbar! nicht gegen Langrand selbst und die ihm vorgeworfenen Betrügereien erstreckte sich die Untersuchung – denn das konnten die klerikal gesinnten Instructionsrichter doch nicht über’s Herz bringen, selbst zur Vernichtung ihrer Partei beizutragen – sondern gegen die Journale, welche die Betrügereien Langrand’s an’s Licht gezogen hatten! Das Gericht erkannte schließlich, „daß auf Gottes weiter Welt kein ehrlicherer Mann zu finden wäre, als Langrand“. Aber das Ungeheuerlichste sollte noch kommen. Consequenterweise hätte der Generalprocurator, der an Langrand das schöne Sittenzeugniß ausgestellt hatte, Mandel wegen Verhöhnung und Verleumdung belangen und bestrafen sollen. Ja, Mandel selbst forderte den Generalprocurator zu wiederholten Malen in geradezu höhnischem Tone auf, ihn wegen seiner Lästerungen gegen Langrand zu verfolgen.

Der Procurator – de Bavay ist der Name dieses Trägers des „Hermelins der Gerechtigkeit“ – verhielt sich jedoch durchaus ruhig, so daß sich Mandel schließlich an den Gerichtshof mit der Bitte wandte, eine Untersuchung gegen ihn einzuleiten! Derselbe erklärte aber ganz ruhig, daß „kein Grund zu einer Verfolgung gegen den Redacteur Mandel vorliege.“ Da der Letztere aber in seinen Angriffen gegen den Gerichtshof immer maßloser wurde, ja denselben geradezu beschuldigte, mit Langrand unter einer Decke zu spielen, als ein ruinirter Actionär sich direct an den Justizminister Bara mit einer Betrugsklage gegen Langrand wandte, forderte der Minister den Gerichtshof von Brüssel auf, gegen Mandel vorzugehen; allein derselbe nahm von dem einen so wenig Notiz, als vom andern. Bara hielt die Sache für wichtig genug, um sie im Ministerrath zur Sprache zu bringen, wo denn auch beschlossen wurde, dem Generalprocurator den gemessenen Befehl zu ertheilen, den Redacteur Mandel wegen Schmähung und Verhöhnung des richterlichen Standes in Anklagestand zu versetzen.

Es war dies Anfangs Mai 1870. Man wird Mühe haben, in Europa ein ähnliches Beispiel dafür zu finden, daß der Richterstand eines Landes sich jahrelang auf die gröbste Weise insultiren läßt, diese Beschimpfungen ruhig hinnimmt und erst durch Zwang dazu veranlaßt wird, für seine befleckte und verletzte Ehre in die Schranken zu treten! Man kann daraus einen annähernden Schluß auf die Macht und den Einfluß der Jesuiten in Belgien machen.

Nach belgischem Gesetze hat jeder wegen Hohnes und Lästerung Beklagte das Recht, vor der Jury, die über den Fall zu urtheilen hat, den Beweis der Wahrheit anzutreten. Mandel wurde dieser Mühe überhoben, denn das ganze Beweismaterial für die Wahrheit seiner Behauptungen lag in der Art und Weise, wie der Richter den Proceß einleitete! Noch nie hat sich in einem Processe die Rolle zwischen Kläger und Beklagten so vertauscht wie hier; die beiden Vertheidiger des Angeklagten, der schon genannte Dumonceau und der Advocat Janson, ein bekannter Redner bei demokratischen Versammlungen und von den belgischen Klerikalen gehaßt wie gefürchtet, wußten mit bewunderungswürdiger Fertigkeit Kreuzverhöre zwischen den Zeugen anzustellen, durch welche eigentlich das Verdict der Jury über Schuldig oder Nichtschuldig von selbst entschieden war. Es kamen dabei Dinge an den Tag, die man in solchen Sphären der Gesellschaft allerdings nicht gesucht hätte; eine geradezu erbärmliche, ja bejammernswürdige Rolle spielte der Staatsminister de Dekker; denn als ihm der Präsident der Jury mit nackten Worten vorhielt, daß er sich eines criminell strafbaren Betruges schuldig gemacht habe, indem er Actien als volleinbezahlt ausgegeben habe, während doch noch beinahe nichts auf das Gesellschaftscapital einbezahlt worden war, da mußte der fromme Jesuitenzögling mit saurem Gesicht gestehen, daß er „verkehrt gehandelt habe, es aber gewiß nicht mehr thun wolle“!

Während die anderen Herren, wie Mercier und Deschamps, das Vermögen, das sie durch verwerfliche Ränke erbeutet, auf den Namen ihrer Frauen hatten einschreiben lassen, um nicht zur Herausgabe desselben gezwungen zu werden, war der Graf Duval so anständig, zu erklären, daß er sofort bereit sei, den Ersatz zu geben, welchen die Gerichte bestimmen würden. Wenn der Verwaltungsrath unter dem Vorsitze Langrand’s tagte, stand ein Sohn von Deschamps vor der Thür, und der würdige Vater verständigte sofort durch gewisse Zeichen seinen ebenbürtigen Sohn von den Beschlüssen, die der Verwaltungsrath über diese oder jene Unternehmung gefaßt, und Deschamps der Jüngere lief dann eiligst nach der Börse, um das Gehörte auszunützen und zum Nutzen der Familie zu discontiren! In dieser Hinsicht hatte Langrand freilich Recht, wenn er sich beschwerte, von lauter Dieben und Spitzbuben umgeben zu sein. Daß Langrand selbst mit betrügerischer Absicht gehandelt hatte, ging aus den einstimmigen Zeugenaussagen hervor; nach einer Generalversammlung des International sagte er stolz zu Cramer, dem Director des holländischen Geschäftes: „Nun haben Sie selbst sich überzeugen können, wie ich die Schafe zu scheeren verstehe!“

Wie nicht anders zu erwarten war, wurde Mandel beinahe einstimmig freigesprochen, und das anwesende Volk brachte dem Vertheidiger Janson im Gerichtssaale eine begeisterte Ovation dar. Noch während der Verhandlungen vor der Jury wurde der Bankerott des „International“ angemeldet; seine Passiven betrugen siebenundfünfzig Millionen Franken und die Activa nicht einmal volle hunderttausend! Die übrigem Langrand’schen Unternehmungen werden dasselbe Schicksal theilen, und die nächsten Monate können vielleicht noch Enthüllungen bringen, die die klerikale Partei nur noch mehr compromittiren dürften. Allgemein hatte man sich der Erwartung hingegeben, der pflichtvergessene Procurator de Bavay werde sein Amt niederlegen, das er, ohne den ganzen Richterstand Belgiens zu beschimpfen, mit Ehren nicht mehr weiter führen könnte. Verschiedene Journale brachten denn auch einen dahin lautenden Bericht; aber er scheute sich nicht, durch eine an das „Echo du Parlament“ gerichtete Zuschrift zu erklären, daß er von seinem Amte weder abgetreten sei, noch auch abtreten werde, und strafte auf diese Art die allgemeine Erwartung, die ihm noch so viel Ehrgefühl zugetraut hatte, vollständig Lügen.[1]

So endete der unter dem Schutze des heiligen Vaters begonnene Versuch, das Capital zu katholisiren, mit einem schmählichen Betruge; die klerikale Partei hat eine sittliche Niederlage dabei erlitten, wie sie deren in ihren Annalen nicht viele zu verzeichnen hat. Langrand ist verschwunden; verschwunden sind aber auch die Hunderte von Millionen, die man dem Schweiße des Bauern und Arbeiters abgestohlen hat und die nun sicher in den Taschen einiger großen Herren sitzen. Allein solche theure und empflindliche Lehren muß das Volk erhalten, wenn ihm die Augen aufgehen sollen; denn in Geldsachen hört auch den Jesuiten, der Geistlichkeit und der alleinseligmachenden Kirche gegenüber die Gemüthlichkeit auf.

Brüssel, Anfang Juni 1870.
Th. W.



  1. Die belgische Regierung, ihrer Pflicht und ihrer Würde besser eingedenk, hat inzwischen dem Procurator de Bavay seine unverlangte Entlassung zugestellt und denselben, dem allgemeinen Verlangen nachgebend, seines Postens enthoben.
    Anm. der Red.